Tomas Espedal : Wider die Natur
Inhaltsangabe
Kritik
Der 48-jährige norwegische Schriftsteller Tomas verliebt sich auf einer Silvesterparty in Bergen in eine halb so alte Frau. Kurz vor Mitternacht ziehen sich Janne und Tomas mit einer Flasche Champagner in die Bibliothek zurück. Er streut für sie zwei Linien Kokain auf ein Blatt Papier und dann eine weitere für sich selbst zwischen ihren Brüsten.
Wie ein Tier steht sie auf Knien und Ellbogen, das Kleid über die Hüften geschlagen, und er ist ein Tier, das von hinten in sie eindringt, während sie über den Boden kriecht. Sie kriecht blind bis zum Schreibtisch, legt beide Hände an die Tischkante und zieht sich hoch. Eine Schreibtischlampe, sie stürzt um. Stifte und Papier, sie schiebt alles weg, legt sich rücklings auf den Tisch und schürzt ihr Kleid.
Während des Silvesterfeuerwerks sagt sie, ein Wiedersehen sei unmöglich. Frustriert sucht er seinen Mantel, aber sie kommt ihm nach und nimmt ihn mit nach Hause.
Ein paar Jahre dauert das Glück. Fremde halten Tomas und Janne für Vater und Tochter. Dann zieht die junge Frau ohne ihn nach Oslo.
Tomas bleibt allein in Bergen zurück und schreibt in einem Zimmer im Keller eines Reihenhauses seine Erinnerungen nieder.
Im Sommer 1977, als er 16 alt war, vermittelte ihm sein Vater in der Fabrik, in der er angestellt war, einen Ferienjob. Tomas‘ Aufgabe war es, Webstühle zu reinigen und zu ölen. Damals wurde ihm klar, dass er kein Arbeitnehmer werden wollte, er hatte auch nicht vor, zu heiraten und Kinder zu bekommen, sondern wollte frei sein. Nach der Arbeit fuhr er jeden Tag mit dem Rad zu seiner Freundin Eli, einer 15-jährigen Verkäuferin. Sie schlossen sich im Gästezimmer ein, zogen sich aus und trieben es mit einander, ohne dass sich Elis Eltern darum kümmerten.
Obwohl er mit Eli zusammen bei einer Fete war, fragte ihn die 18-jährige Mitschülerin Agnete, ob er sie nach Hause begleiten wolle. Einige Zeit danach sah er Agnete als Schauspielschülerin auf einer Theaterbühne wieder, und noch einmal zehn Jahre später, als seine Beziehung mit Eli bereits gescheitert war, sprach er sie in einem Operncafé in Bergen an. Sie besuchte dort ihre Eltern, lebte jedoch bereits seit fünf Jahren in Rom. Sie forderte ihn auf, zu ihr zu kommen und trennte sich von ihrem Freund Paolo. Wochenlang zögerte Tomas, dann beriet er sich mit seinem älteren Freund Knut in Kopenhagen und flog schließlich nach Rom. Agnete war verärgert, weil sie zwei Monate lang auf ihn gewartet hatte, aber schließlich lenkte sie ein, und im Übermut brachte sie ihn dazu, vor einer Überwachungskamera mit ihr zu kopulieren. Sie zogen miteinander nach Bergen.
Tomas erhielt für seinen Debütroman einen Preis und fuhr nach Oslo, um ihn entgegenzunehmen. Zur gleichen Zeit stellte Agnete fest, dass sie schwanger war und mietete deshalb einen kleinen Bauernhof in Sunnfjord. Obwohl das Kind verkehrt lag und die Ärzte zu einem Kaiserschnitt rieten, bestand sie auf einer Hausgeburt.
Ein paar Wochen nach Amalies Geburt nahm Agnete ein Engagement am Sogn og Fjordane Teater in Førde an. Tomas kümmerte sich um die Tochter, auch während einer Brecht-Tournee. Dann bewarb sich Agnete erfolgreich um die Leitung einer Theatergruppe in Nicaragua, und weil er als Lebensgefährte nur auf eigene Kosten hätte mitkommen können, aber als Ehemann alles bezahlt bekommen würde, heirateten sie. Die Ehe war nach zwei Monaten kaputt; da half auch keine Paartherapie. Aber sie blieben zusammen, und Tomas begleitete seine Frau zunächst nach Guatemala, wo sie spanisch lernten, dann nach Managua und schließlich Matagalpa.
Als Amalie zwei Jahre alt war, hielt er es dort nicht mehr aus; er wollte zurück nach Norwegen. Die Fluggesellschaften akzeptierten nur Dollar, aber die Banken in Nicaragua zahlten nur Beträge in der Landeswährung aus. Tomas musste unter abenteuerlichen Umständen Córdoba Oro schwarz in Dollar wechseln. Er wäre mit der Tochter auch ohne Agnete abgereist, aber die kam am Ende doch mit.
Sein Vater verschaffte ihm in der Textilfabrik in Bergen einen Job als „Mädchen für alles“.
Als Agnete von einem Freund schwanger war, lieh sie sich Geld und kaufte ein Haus auf der Insel Askøy. Die Beziehung scheiterte schon kurz nach Harriets Geburt.
Drei Jahre später starb Agnete.
Erst starb meine Mutter, im Jahr darauf Agnete. Nicht lange danach starb Agnetes Vater, und dann starb Agnetes Bruder […]
Tomas richtete sich in Agnetes Haus auf Askøy ein und sorgte für die Kinder. Sechs Jahre später zog er in ein Reihenhaus in Bergen um.
An all das erinnert Tomas sich, nachdem Janne sich von ihm getrennt hat.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Tomas Espedal spiegelt in „Wider die Natur“ die Liebe eines 48-Jährigen und einer halb so alten Frau in der tragischen Liebesgeschichte von Abaelard und Heloise und zieht auch eine Parallele zu Marguerite Duras und Yann Andréa. „Wider die Natur“ handelt von Eros und Thanatos, Liebe, Verlust und Einsamkeit.
Der Protagonist heißt Tomas, wurde 1961 in Bergen geboren und ist Schriftsteller wie der Autor, der vor „Wider die Natur“ elf Romane veröffentlichte, von denen zwei ins Deutsche übersetzt wurden: „Gehen oder die Kunst, ein wildes und poetisches Leben zu führen“ und „Wider die Kunst“.
Ich habe elf Romane geschrieben. Und ich habe mehr als vierzig Hefte mit Aufzeichnungen gefüllt; ich sehe sie als vollwertige Bücher an.
„Wider die Natur“ wirkt autobiografisch, aber der Eindruck mag täuschen. Vielleicht setzt Tomas Espedal den Realismus nur als Stilmittel ein. Die Sprache ist lakonisch, spröde und sachlich, leise und schnörkellos. Der Roman beginnt mit der dritten Liebe des 48-jährigen Protagonisten und springt dann in dessen 16. Lebensjahr zurück. Tomas Espedal lässt die Hauptfigur in der Ich-Form erzählen, wechselt aber zwischendurch mehrmals zur dritten Person Singular und einmal auch zur zweiten Person. Die Seiten 138 bis 177 sind mit „Die Notizbücher“ überschrieben. Die angeblichen Eintragungen beginnen am 19. April und enden am 31. Mai; ein Jahr wird nicht genannt. Dass sich die geschlossene Form in unzusammenhängende Notizen auflöst, entspricht dem Zustand des Protagonisten.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Textauszüge: © MSB Matthes & Seitz Berlin Verlagsgesellschaft