Jostein Gaarder : Sofies Welt
Inhaltsangabe
Kritik
Sofie Amundsen wohnt mit ihrer berufstätigen Mutter Helene in Oslo. Ihr Vater ist Kapitän auf einem Öltanker und deshalb selten zu Hause. Kurz vor ihrem fünfzehnten Geburtstag erhält sie merkwürdige Briefe ohne Absender. „Wer bist du?“, „Woher kommt die Welt?“ und so ähnlich lauten die Fragen. Sofie ist zunächst verwirrt.
Aber woher kam der Weltraum?
Es war natürlich denkbar, dass der Weltraum immer schon dagewesen war; dann brauchte sie auch keine Antwort auf die Frage zu finden, woher er gekommen war. Aber konnte etwas denn ewig sein? Irgendetwas in ihr protestierte dagegen. Alles, was existiert, muss doch einen Anfang haben. Also musste irgendwann der Weltraum aus etwas anderem entstanden sein.
Aber wenn der Weltraum plötzlich aus etwas anderem entstanden war, dann musste dieses andere ebenfalls irgendwann aus etwas anderem entstanden sein. Sofie begriff, dass sie das Problem nur vor sich hergeschoben hatte. Schließlich und endlich musste irgendwann irgendetwas aus null und nichts entstanden sein. Aber war das möglich? War diese Vorstellung nicht ebenso unmöglich wie die, dass es die Welt immer schon gegeben hatte?
Im Religionsunterricht lernten sie, dass Gott die Welt erschaffen hatte, und Sofie versuchte jetzt, sich damit zufriedenzugeben, dass das trotz allem die beste Lösung für dieses Problem war. Aber dann fing sie wieder an zu denken. Sie konnte gern hinnehmen, dass Gott den Weltraum erschaffen hatte, aber was war mit Gott selbst? Hatte er sich selbst aus null und nichts erschaffen? Wieder protestierte etwas in ihr. Obwohl Gott sicher alles mögliche erschaffen konnte, konnte er sich ja wohl kaum selber erschaffen, ehe er ein „Selbst“ hatte, mit dem er erschaffen konnte. Und dann gab es nur noch eine Möglichkeit: Gott gab es schon immer. Aber diese Möglichkeit hatte sie doch schon verworfen. Alles, was existierte, musste einen Anfang haben.
„Verflixt!“ (Seite 14)
Im Briefkasten findet Sofie nun auch große Kuverts, die einen mit Maschine geschriebenen „Philosophiekurs“ in Fortsetzungen enthalten. Auf einem der Blätter heißt es:
DIE FÄHIGKEIT, UNS ZU WUNDERN, IST DAS EINZIGE, WAS WIR BRAUCHEN, UM GUTE PHILOSOPHEN ZU WERDEN. (Seite 23)
Nachdem Sofie einen Brief in den Kasten gelegt hat, in dem sie den Absender bittet, seinen Namen anzugeben, beobachtet sie bei einbrechender Dunkelheit durchs Fenster, wie ein Mann aus dem Wald kommt, ihren Brief aus dem Kasten nimmt, ein Kuvert hineinlegt und gleich wieder verschwindet. Der nächste Brief ist mit Alberto Knox unterschrieben, aber Sofie kennt niemanden, der so heißt. Und dann bekommt sie auch noch Post von einem Major Albert Knag an dessen Tochter Hilde Møller Knag.
Sofie macht sich auf die Suche nach Hilde und findet in einer abgelegenen Waldhütte einen Ausweis des Mädchens Hilde Møller Knag. Auf dem Passfoto sieht Hilde genauso aus wie Sofie! Als Sofie ihrer Mutter aufgeregt berichtet, was sie erlebt hat, befürchtet diese, sie habe Drogen genommen. An dem von Sofie beschriebenen Holzhaus ist nichts Geheimnisvolles, weiß die Mutter: Es handelt es sich um die „Majorshütte“, das Ferienhaus des norwegischen Majors Knag, der zur Zeit bei den Friedenstruppen der Vereinten Nationen im Beirut stationiert ist.
Eines Tages erhält Sofie statt eines Briefes einen Telefonanruf von Alberto Knox. Er will sich mit Sofie am nächsten Tag in der Marienkirche treffen. Alberto Knox erzählt ihr von den großen abendländischen Philosophen der Antike, des Mittelalters, der Renaissance und der Aufklärung. Sofie erfährt von Sokrates, Platon und Aristoteles, Immanuel Kant, aber auch von Martin Luther, Nikolaus Kopernikus, Galileo Galilei und Isaac Newton, William Shakespeare und Johann Wolfgang von Goethe, Charles Darwin, Sigmund Freud und vielen anderen.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Sofie tut sich immer schwerer, zwischen Wirklichkeit und Fantasiewelt zu unterscheiden. Am Ende klärt Alberto Knox das Mädchen darüber auf, dass sie beide fiktive Figuren sind, die sich Major Albert Knag in der Ferne als Geburtstagsgeschenk für seine Tochter Hilde ausgedacht hat, um bei ihr spielerisch das Interesse für philosophische Fragen zu wecken.
„[…] dass wir unsere Leben im Bewusstsein eines Majors leben. Er befindet sich zur Zeit als UN-Beobachter im Libanon und hat für seine Tochter zu Hause in Lillesand ein Buch über uns geschrieben. Sie heißt Hilde Møller Knag und ist am selben Tag wie Sofie fünfzehn geworden. Das Buch […] lag auf ihrem Nachttisch, als sie am Morgen des 15. Juni erwachte. Genauer gesagt, handelt es sich um einen großen Ordner. In diesem Augenblick kitzeln die allerletzten Seiten in dem Ordner ihre Zeigefinger […]
Unser Dasein ist also nicht mehr und nicht weniger als eine Art Geburtstagsunterhaltung für Hilde Møller Knag […]“ (Seite 566)„Die letzten Zuckungen“, sagte Alberto. „Wir müssen endlich los, bevor der Major noch den Schlussstrich zieht und Hilde den großen Ordner zuklappt.“ (Seite 571)
Hilde setzte sich im Bett auf. Hier endete die Geschichte von Sofie und Alberto. (Seite 573)
Als Major Knag aus dem Libanon nach Norwegen zurückkehrt, machen die beiden erdachten Figuren Sofie und Alberto Knox sich unabhängig von ihm. Sie begegnen berühmten literarischen Figuren, wissen zwar, dass sie ebenso wenig real wie diese sind, trösten sich jedoch mit ihrer Unsterblichkeit.
„Roman über die Geschichte der Philosophie“ heißt es im Untertitel. Obwohl es sich bei „Sofies Welt“ um ein Jugendbuch handelt, geht es um die großen Fragen der Menschheit, die Anfänge des Nachdenkens darüber und den Weiter- bzw. Umbau dieser Gedankengebäude von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. Dabei erlebt Sofie die bedeutenden Männer der Kultur- und Geistesgeschichte in ihrem jeweiligen historischen Kontext. „Sofies Welt“ ist alles andere als ein trockenes Sachbuch. Beim Lesen merkt man, wieviel Spaß es macht, aus dem Staunen heraus Fragen zu stellen und mit möglichen Antworten herumzuprobieren. Spielerisch demonstriert Jostein Gaarder durch die originelle Romanhandlung, dass es verschiedene Wirklichkeiten gibt und man sich nicht unkritisch auf seine Sinneswahrnehmungen verlassen darf. Fiktion und Wissen werden in „Sofies Welt“ durch eine andere Typografie von der (vermeintlichen) Realität unterschieden.
Wer nach der Lektüre das eine oder andere noch einmal nachschlagen möchte, wird das Namensregister nützlich finden.
„Sofies Welt“ wurde auch verfilmt.
Sofies Welt – Originaltitel: Sofies verden – Regie: Erik Gustavson – Drehbuch: Petter Skavlan, nach dem Roman „Sofies Welt“ von Jostein Gaarder – Kamera: Kjell Vassdal – Schnitt: Anne Andressen – Musik: Randall Meyers – Darsteller: Silje Storstein, Tomas von Brömssen, Andrine Sæther, Bjørn Floberg, Hans Alfredson, Nils Vogt, Minken Fosheim, Edda Trandum Grjotheim, Arne Haakonaasen Dahl, Sullivan Lloyd Nordrum, Kjersti Holmen, Ingar Helge Gimle, Giorgos Floros, Sven Henriksen, Mark Tandy, Kåre Conradi, Espen Skjønberg, Eindride Eidsvold, Ola Otnes, Finn Schau, Rocco Petruzzi, Vanessa Borgli, Christian Skolmen, Jesper Christensen, Michael N. Harbour, Pjotr Sapegin, Lars Arentz-Hansen, Jon Eivind Gullord u.a. – 1999; 110 Minuten
„Sofies Welt“ ist der teuerste, aufwändigste jemals bis dahin in Norwegen gedrehte Film. Außer der Kinofassung wurde übrigens auch eine zehnteilige Fernsehserie aus dem gedrehten Material geschnitten.
Der norwegische Schriftsteller Jostein Gaarder wurde am 8. August 1952 in Oslo als Sohn eines Lehrerehepaars geboren. Nach dem Studium der Nordistik, Philosophie und Theologie unterrichtete er zehn Jahre lang als Lehrer in Bergen. 1982 veröffentlichte er die Novelle „Katalog“. Den internationalen Durchbruch schaffte er 1991 mit „Sofies Welt“. Das Buch wurde in mehr als 50 Sprachen übersetzt und hat inzwischen eine Gesamtauflage von 26 Millionen erreicht. Einen Teil der Tantiemen spendete Jostein Gaarder für eine Stiftung, die nun jedes Jahr einen mit 100 000 Dollar dotierten „Sofie-Preis“ für ökologische Entwicklungen vergibt. An den außerordentlichen Erfolg von „Sofies Welt“ kam Jostein Gaarder mit seinen späteren Büchern – z. B. „Kartengeheimnis“ (1995), „Orangenmädchen“ (2004) – allerdings nicht mehr heran.
„Sofies Welt“ inspirierte Karl-Josef Durwen zu dem Jugendbuch „Sofies Spiegelwelt. Ein Abenteuer ohne Grenzen“ (2019).
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005 / 2009
Textauszüge: © Carl Hanser Verlag