Marie Sand : Ein Kind namens Hoffnung

Ein Kind namens Hoffnung
Ein Kind namens Hoffnung Die Geschichte einer heimlichen Heldin Originalausgabe Droemer Taschenbuch, München 2022 ISBN 978-3-426-30909-4, 285 Seiten ISBN 978-3-426-46566-0 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Elly, die Tochter eines Bonner Geistlichen, die in Berlin Köchin geworden ist, erlebt 1938 mit, wie ihre jüdischen Arbeitgeber – das Ehepaar Sternberg – weggeholt werden. Es gelingt ihr, den sechsjährigen Sohn der Familie als ihren eigenen auszugeben und ihn zu retten. Ihn zu beschützen und später der Mutter zurückzugeben, macht sie zu ihrer Lebensaufgabe, der sie alles andere unterordnet, sogar die Liebe zu ihrer eigenen Tochter.
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Kritik

Marie Sand erzählt in ihrem Debütroman "Ein Kind namens Hoffnung. Die Geschichte einer heimlichen Heldin" eine bewegende Geschichte über Verantwortung und Mitmenschlichkeit, Mut, Treue, Entschlusskraft und Widerstandsfähigkeit. Das Verhalten der Romanfiguren in "Ein Kind namens Hoffnung" ist nicht immer nachvollziehbar. Marie Sand hätte sich tiefer in die Gefühls- und Gedankenwelt der Charaktere einfühlen müssen.
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1938

Elisabeth („Elly“) Berger wuchs als eine von vier Töchtern des Geistlichen Winfried Berger in Bonn auf. Anna, Luise und Fine heißen ihre Schwestern. Während Anna Ärztin wurde, entschied sich Elly gegen den Willen des Vaters für den Beruf einer Köchin, statt zu studieren. Sie zog nach Berlin und kochte im Adlon. Inzwischen, 1938, ist Elly 36 Jahre alt und arbeitet seit sieben Jahren bei der Familie Sternberg als Köchin. Hanns Sternberg ist Neurologe. 1930, im Alter von 40 Jahren, lernte er in seiner Heimatstadt München die 18-jährige Pianistin Sara kennen. Die beiden heirateten, zogen nach Berlin, und dort gebar Sara Sternberg am 2. Mai 1932 den Sohn Leon.

Sara Sternberg spielt auf einem Bechstein-Flügel. Helene Bechstein ist Leons Patentante. Die 72 Jahre alte Schwiegertochter des 1900 gestorbenen Firmengründers Carl Bechstein kommt unangemeldet zu Besuch, schwärmt von Hitler – und warnt Sara Sternberg vor der Festnahme. Andere jüdische Familien seien bereits in Konzentrationslager verschleppt worden, fügt sie hinzu.

Mit einem Judenstern an der Brust kann Sara keine Fahrkarten kaufen, und Hanns hält die Sorgen für übertrieben, obwohl ihm die Nationalsozialisten bereits die Approbation entzogen haben. Am Abend packt Sara mit Hilfe von Elly. Sie will sich mit Leon nach Travemünde durchschlagen und weiter nach Schweden fliehen. Hanns werde dann schon nachkommen, meint sie.

Aber noch in derselben Nacht hämmern die Schergen des NS-Regimes an die Tür der Villa in Dahlem. Geistesgegenwärtig schüttet Elly dem sechsjährigen Jungen Zuckerwasser in den Hals, damit er sich verschluckt. Während er hustet, statt zu reden, gelingt es ihr, die Männer glauben zu lassen, dass Leon ihr Sohn sei. Das Ehepaar Sternberg wird abgeführt und die Villa konfisziert.

Elly fährt nimmt mit Leon den nächsten Zug nach Bonn und sucht Zuflucht bei ihrer Familie im Pfarrhaus von Poppelsdorf. Dort erfährt sie, dass Fine, ihre jüngste Schwester, gerade im Alter von 35 Jahren an Krebs gestorben ist. Verbittert meint der Geistliche:

„Was habe ich nur für blöde Töchter: Die erste verschwindet abends zu einer Frau, die zweite will zum Ende der Welt, die dritte lässt sich ein Judenkind andrehen und die vierte ist tot. Vom Sohn ganz zu schweigen.“

Winfried Berger entscheidet, dass Elly den Lehrer Karl-Heinz heiraten soll, der vor 20 Jahren – bis zu einer Nacht mit Fine – mit Elly verlobt war. Die beiden Männer sind sich einig und beschließen zugleich, dass Leon weg muss. Karl-Heinz erklärt Elly:

„Glaub mir, der ist im Heim gut aufgehoben. Wir sind deutsch. Reinrassig, ohne Kuckuckskind. Du kannst nicht jeden retten, der dir über den Weg läuft. Die Familie, die deutsche Familie ist die Keimzelle und rundherum sind die Bazillen. Das ist ungesund, was du da machst. Das hat die Natur nicht vorgesehen.“

Am Silvesterabend 1938 flieht Elly mit Leon aus dem Elternhaus.

1939 bis 1945

Die Schaffnerin am Bahnhof in Bonn, bei der Elly eine Fahrkarte nach München kaufen möchte, blickt argwöhnisch auf den schwarzhaarigen Jungen und verlangt die Ausweise. Ein 55-Jähriger kommt Elly zu Hilfe und erreicht, dass sie gemeinsam in den Zug einsteigen können.

Stephan Bauer, so heißt er, durchschaut ebenfalls, dass es sich bei Leon nicht um Ellys Sohn, sondern um einen jüdischen Jungen handelt. Seine Frau Edith starb am 9. Februar 1937 bei der Geburt des dritten Sohnes. Nun sucht Stephan Bauer, der im Eifeldorf Kernberg einen Bauernhof bewirtschaftet, eine Frau, eine Ersatzmutter für die drei Söhne Ewald, Franz-Josef und Erich, vor allem aber eine Arbeitskraft. Weil er nicht nur bereit ist, Elly zu heiraten, sondern auch, Leon zu adoptieren, ergreift sie die rettende Hand. Dabei weiß sie, dass sie sich auf ein mühsames Leben in der Landwirtschaft einlässt. Sie folgt Stephan mit Leon, und am 22. Mai 1939 findet die Hochzeit statt.

Zu diesem Zeitpunkt ist Elly bereits schwanger. Das ist ein Ergebnis der Nacht, die sie mit Karl-Heinz in Bonn verbrachte. Sie hofft, Stephan ein „Sieben-Monats-Kind“ unterjubeln zu können.

Am 1. September 1939 bringt sie die Tochter Mathilde zur Welt.

Nach Hitlers Suizid und der deutschen Kapitulation erklärt Elly ihrem Ehemann, dass sie mit den Kindern zurück nach Berlin müsse, um nach Leons Eltern suchen zu können. Stephan stellt ein Verkaufsschild für seinen Bauernhof auf, und tatsächlich meldet sich eine polnische Familie, die den Hof und das Land erwirbt.

1946 bis 1947

In Berlin sucht Elly mit Leon zunächst Helene Bechstein auf – und sie erfahren, dass Hanns Sternberg am 31. Dezember 1938 im KZ Buchenwald erschossen wurde. Als Gegenleistung für Leons Geburtsurkunde, seine Einsetzung als Erbe und ein Sparkapital für seine Ausbildung unterschreibt Elly eine Erklärung, derzufolge Helene Bechstein der jüdischen Familie Sternberg geholfen habe, damit die Hitler-Bewunderin bei der Entnazifizierung entlastet werden kann.

In der Villa in Dahlem, die nun Leon Bauer gehört, haben sich US-Militärs eingerichtet. Jim McCain erreicht, dass Elly als Köchin und Putzkraft mit dem Jungen in der Mansarde wohnen darf.

Im April 1946 wird Ellys Vormundschaft für Leon Bauer amtlich bestätigt und zugleich trifft die Zusage ein, dass er ab September in ein Landschulheim aufgenommen wird.

Nach monatelangen vergeblichen Nachfragen beim Suchdienst des Roten Kreuzes folgt Elly dem Ratschlag einer wohlmeinenden Mitarbeiterin und schreibt Sara Sternberg einen Brief. An Silvester 1946 erhält sie die Nachricht, der Brief sei am 25. Dezember in München von einer Frau abgeholt worden, die sich als Sara Sternberg ausgewiesen habe.

Elly rechnet damit, dass Leons Mutter in den nächsten Tagen eintrifft. Aber sie wartet vergeblich. Sara lässt nichts von sich hören. Und Elly verheimlicht es Leon, um ihn zu schonen, denn der Gedanke, dass seine Mutter nichts von ihm wissen will, wäre wohl unerträglich für ihn.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


1948 bis 1958 (Spoiler)

Im August 1950 macht Leon sein Abitur. Er studiert und erhält 1957 eine von fünf Praktikanten-Stellen, die Siemens in Argentinien anbietet. Zur Begrüßungsfeier der erfolgreichen Bewerber fahren Leon, Elly und Mathilde im August 1957 nach München.

Bei der Veranstaltung tritt eine Pianistin auf, deren Namen im Programm nicht genannt wird. Sie spielt die Klaviersonate in h-Moll von Franz Liszt. Als Elly die ersten Takte hört, weiß sie sofort, um wen es sich bei der Pianistin handelt – und kippt bewusstlos vom Stuhl.

Elly, Leon und Mathilde finden Sara Sternbergs Adresse. Sie wohnt in einem Mietshaus in München. Ellys Brief hat sie bei sich – ungeöffnet. Sie wagte es nicht, ihn aufzureißen, weil sie es nicht ertragen hätte, eine Mitteilung über seinen Tod zu erhalten.

Am 1. Juni 1958 bringt Mathilde in Berlin eine Tochter zur Welt, die sie Rosa nennt. Sie weigert sich, den Namen des Vaters zu verraten, aber als Elly das schwarze Haar sieht, ahnt sie, was während des Aufenthalts in München passierte.

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Marie Sands Großmutter kochte für ein jüdisches Ehepaar, das vom NS-Regime deportiert wurde. In ihrem Debütroman „Ein Kind namens Hoffnung. Die Geschichte einer heimlichen Heldin“ steht Elly im Mittelpunkt, die Tochter eines Bonner Geistlichen, die in Berlin Köchin geworden ist und miterlebt, wie ihre jüdischen Arbeitgeber – das Ehepaar Sternberg – 1938 weggeholt werden. Es gelingt ihr, den sechsjährigen Sohn der Familie als ihren eigenen auszugeben und ihn zu retten. Ihn zu beschützen und später der Mutter zurückzugeben, macht sie zu ihrer Lebensaufgabe, der sie alles andere unterordnet, sogar die Liebe zu ihrer eigenen Tochter. In „Ein Kind namens Hoffnung“ verfolgen wir ihren Leidensweg von 1938 bis 1958.

Marie Sand erzählt eine bewegende Geschichte über Verantwortung und Mitmenschlichkeit, Mut, Treue, Entschlusskraft und Widerstandsfähigkeit. Bemerkenswert ist, dass es der Protagonistin Elly zu keiner Zeit um Anerkennung für ihren heldenhaften Einsatz geht, sondern um die Einlösung eines nonverbal gegebenen Versprechens. Und dieses Ziel verfolgt sie ohne Rücksicht auf sich selbst oder andere: Während sie alles für Leon aufopfert, vernachlässigt sie ihre Tochter und überlässt Stephan Bauer seinem Schicksal.

Das Verhalten der Romanfiguren in „Ein Kind namens Hoffnung“ ist nicht immer nachvollziehbar. Marie Sand hätte sich tiefer in die Gefühls- und Gedankenwelt der Charaktere einfühlen und die Beweggründe verständlicher machen müssen.

Den Roman „Ein Kind namens Hoffnung. Die Geschichte einer heimlichen Heldin“ von Marie Sand gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Heike Warmuth.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2022
Textauszüge: © Droemer Verlag

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In ihrem melancholischen Roman "Zur See" veranschaulicht Dörte Hansen den Strukturwandel am Beispiel einer Nordsee-Insel und einer alteingesessenen Familie. Sie reiht intensive Stimmungsbilder aneinander und zeichnet sich dabei nicht nur durch eine genaue Beobachtungsgabe aus, sondern auch durch eine pointierte Wiedergabe ihrer Eindrücke. Lakonisch lässt sie Personen lebendig werden, deren Wortkargheit sie nicht zuletzt durch spärlichen Einsatz von Dialogen vermittelt. Statt einer Handlung im herkömmlichen Sinn bietet sie eindrucksvolle Impressionen.
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