Claudia Klischat : Morgen. Später Abend
Inhaltsangabe
Kritik
Tom Heller stammt aus dem Loisachtal. Jetzt lebt er in Leipzig und arbeitet als Pizzabote.
Eines Morgens – er glaubt, es sei der 25. November – wacht er neben einer 44-jährigen Frau im Bett auf. Sie heißt Babs Stanebein und ist 20 Jahre älter als seine Freundin San. Tom ist überzeugt, dass sein jüngerer Bruder Ben sich ertränkt habe und er zur Beerdigung müsse. Nur bruchstückhaft erinnert er sich an den Vorabend. Babs Stanebein hatte Tunfischpizza bestellt. Da war auch noch ein Nachbar mit einem Hund, einem Collie, dem raubte Tom die Geldkassette, weil er doch Bens Beerdigung bezahlen muss. Als der Alte Widerstand leistete, riss Tom eine Bratpfanne vom Herd und schlug ihn damit nieder.
Babs Stanebein erwacht ebenfalls und macht sich sogleich wieder an Toms Penis zu schaffen, bis er es erneut mit ihr treibt. Dann meint sie, er müsse dem Witwer Scherle das geraubte Geld zurückbringen.
Tom erinnert sich, wie er mit Ben an der Loisach beim Angeln war. Der damals zehn Jahre alte Ben warnte ihn vor dem Vater. Der sei ein Hinternfetischist, behauptete er. Tom verstand zwar nicht, was das bedeutete, gab die Warnung jedoch zu Hause an die Zwillingsschwestern Lili und Christl weiter. Da beschimpfte ihn der mit seinem griechischen Saufkumpan Kosta Ouzo trinkende Vater als „Saukrüppel“. Dann kam Ben mit den Fischen. Als der Vater auf ihn losging, schleuderte Ben den Plastikeimer ins Bad, und die Fische zappelten auf dem Boden.
Und alle sahen wir zu Ben. Ma sah zu Ben, und die Schwesternzwillinge sahen zu Ben, und Kosta sah zu Ben, und ich sah zu Ben, und auch Pa sah zu Ben.
Und Pa brauchte auch nur ein paar Schritte, so wie Ben nur ein paar Schritte brauchte, und auch Ma brauchte nur ein paar Schritte, und die Schwesternzwillinge und Kosta mit der Flasche Ouzo in der Hand und ich, wir brauchten auch nur ein paar Schritte.
Der Vater riss Kosta die Flasche aus der Hand und schlug zu. Aber dann sieht Tom in seiner Erinnerung, wie er die zerbrochene Ouzo-Flasche in der Hand hält und der Vater am Kopf blutet.
Babs Stanebein nennt ihn Ben.
Ich kenne diese Frau gar nicht. Und Ben hat diese Frau auch nicht gekannt. Ben kann diese Frau gar nicht gekannt haben. Woher sollte Ben auch diese Frau gekannt haben? Das möchte ich aber jetzt wirklich mal wissen.
Sie klagt, auf was sie sich da eingelassen habe. Nachdem sie eine ganze Weile nackt herumgesessen hat, schlüpft sie in einen Morgenmantel und kommt mit einer Sporttasche aus dem Nebenraum. Tom kennt die Tasche. Sie gehörte seinem Bruder Ben. Tom soll den Reißverschluss aufziehen. Das gestohlene Geld liegt darin.
[…] und jetzt will mein Daumen in den Mund. Ich kann mir doch jetzt nicht einen Daumen in den Mund stecken. Was muss denn die Frau von mir denken. So ein erwachsener Kerl, denkt sie sich jetzt, der steckt sich jetzt einen Daumen in den Mund. […] Aber erst muss ich meinen Daumen aus dem Mund nehmen. Das muss doch gehen. Das kann doch jetzt nicht so schwer sein. Der Daumen kann doch nicht im Mund steckenbleiben. Der muss doch irgendwann mal wieder raus gehen. Was ist das nur für ein Daumen?
Babs Stanebein geht kurz weg und kommt dann mit Herrn Scherle und dessen Hund zurück. Der Beraubte verlangt sein Geld zurück, und der Hund bellt.
[…] und jetzt schreit die Frau, und ich muss mich jetzt auch wehren. Ich kann doch nicht so viel Geschrei um mich haben. Ich muss doch jetzt auch mal gehen. Ich muss zu San. Und jetzt habe ich wieder die Schere in meiner Hand. Wie kommt jetzt nur die Schere in meine Hand. Und jetzt läuft der Mann in die Schere rein, und die Schere steckt jetzt in dem Mann, und seine Augen fallen gleich aus seinem Gesicht, und er hält sich den Bauch, und er sieht mich an, und ich kann doch jetzt nichts dafür, dass der Mann die Schere nicht gesehen hat. Er hat sie nicht gesehen. Er ist in die Schere gelaufen, und die Schere steckt jetzt in seinem Bauch, und der Mann kriegt keine Luft, und ich muss doch dem Mann jetzt auch helfen, und ich ziehe die Schere heraus, und der Mann blutet, und die Frau schlägt auf mich ein, und die Schere fällt auf den Boden, und die Frau schreit. Was schreit sie nur?
Tom rennt davon, obwohl er noch keine Schuhe anhat und springt in eine Straßenbahn. Wohin sie fährt, weiß er nicht. Eine Frau gefällt ihm, und als sie aussteigt, folgt er ihr auf den Markt. Sie kauft Mandarinen. Tom bevorzugt Äpfel, und nachdem er sich entschieden hat, ob er grüne, gelbe oder rote nehmen soll, packt er ein paar schöne Äpfel in eine Plastiktüte und gibt sie der Frau. Die legt die Äpfel zurück. Er beobachtet, wie sie ein Geschäft auf der anderen Straßenseite betritt. Einige Zeit später kommt sie mit zwei schweren Tüten wieder heraus. Tom schnappt sich von der Blumenfrau einen Strauß Nelken und folgt der Frau. Schließlich geht sie in ein Haus, kommt aber gleich darauf wieder heraus und fragt ihn, ob sie ihm helfen könne. Er sagt, er heiße Ben. Sie geht in ihre Wohnung und ruft ihm ein Taxi. Aber nun verdächtigt er sie, seine Schuhe gestohlen zu haben und betritt ihre Wohnung, obwohl er weiß, dass man das nicht unaufgefordert tut. Sie sagt:
Ich wollte Ihnen nur helfen. Sie sind ja ganz verwirrt. Ich gebe Ihnen jetzt ein Paar alte Schuhe von meinem Mann, und dann gehen Sie bitte. Haben Sie mich verstanden. Hallo. Hallo. Gehen Sie bitte von unserem Bett runter. Sie können sich doch da jetzt nicht hinlegen. Hallo. Hören Sie.
Tom legt sich aufs Bett und schläft sofort ein.
Als er aufwacht, liegt er neben einem Mann im Ehebett. Die Frau schlief auf einem Sofa im Wohnzimmer. Der Mann, er heißt Bernd Blauwanger, sagt ihm, er habe 16 Stunden geschlafen. Er schenkt ihm ein Paar alte Schuhe und will ihn nach Hause fahren. Bernd Blauwanger behauptet, es sei Silvester, nicht der 25. November. Unterwegs parkt er in einer Tiefgarage am Hauptbahnhof und bittet Tom, kurz im Auto zu warten, er besorge nur etwas Milch. Tom schließt den Wagen kurz und fährt zur Pizzeria. Als er das Fahrzeug dort abstellt, merkt er erst, dass der Zündschlüssel steckt.
Philip, der aus Wuppertal stammende Besitzer der Pizzeria, wirft ihn hinaus.
Endlich ist Tom wieder bei San. Er sei eigentlich nur für ein paar Tage zu Besuch gekommen, sagt sie, aber jetzt schon mehrere Wochen bei ihr. Er könne nicht länger bleiben. Sie habe bereits seine Mutter angerufen. Tom zieht San das Schlafshirt aus, und als er in ihre Hose fasst, merkt er, dass ihr Schamhaar rasiert ist.
[…] und ich sage, San, und San sagt, Tom, bitte, hör auf. Und ich höre Sans Atem, und mein Atem ist Sans Atem, und mir läuft die Rotze aus der Nase, und ich heule, und ich höre San, und auch sie heult. Jetzt heult auch San, und ich sage, San, und jetzt bin ich in ihr drin, und es ist so warm, und jetzt kann ich mich nicht mehr zurückhalten, und San sagt, Tom, nein! Und sie sagt, bitte, hör auf! Und ich bin in San drin, und jetzt spüre ich mich kommen. Ich komme, und es ist warm, und San sagt, Tom, und ich muss schreien.
II
Weil er seiner Mutter etwas zum Geburtstag schenken möchte, reißt Veit in Rosenheim eine alte Dame um und raubt ihr die Handtasche aus Krokodilleder. Darin findet er jedoch nur einen mit Himbeeren gefüllten Plastikbeutel.
Als er von zu Hause fortläuft, wird er von einem Fremden angesprochen, der sich Bubi nennt. Der fragt ihn, ob er mit nach Aschberg kommen wolle und Geld fürs Benzin habe. Bubis Tank ist nämlich leer, sein Portemonnaie hat er zu Hause in Aschberg vergessen, und die Frau, die er hier besuchte, setzte ihn vor die Türe. Veit ist es egal, wohin sie fahren, er will nur weg. Sie tanken, aber nach 80 Kilometern bleibt der Wagen liegen. Den Rest müssen sie zu Fuß gehen.
Lärm, Bubi geht, ich hinter ihm, Autos, Wind, Reifen, Ölspuren, Sträucher, eine Bundesstraße, wir laufen seit vierzig Minuten mit hochgestrecktem Daumen, weit und breit kein Ortsschild in Sicht, dann über ein Feld, mitten durchs Korn, wolkenloser Himmel, Zeppelin, Vögel, Strommasten Herbst Bubis breiter Nacken
In Aschberg kenne jeder jeden, erklärt Bubi, deshalb organisiere er seine Frauengeschichten in Rosenheim. Er arbeitet als Müllmann und wohnt mit seiner Tochter Susanne („San“) in einer kleinen Behausung. Veit könne in einer Kammer schlafen, sagt Bubi. Seine Frau verließ ihn, als das Kind zehn Monate alt war. Er hat noch drei weitere Kinder mit anderen Frauen.
Auf dem Weg sehen sie einen Dieb aus einer Drogerie laufen. Die Kassiererin ruft ihm nach. Bubi verfolgt ihn, aber der Junge klettert über eine Mauer und entkommt.
Zu Veits Überraschung taucht der Ladendieb nach einiger Zeit in Bubis Haus auf. Er heißt Tom und ist Sans Freund. Offenbar hat er noch zwei Zwillingsschwestern – Lili und Christl –, aber irgendwann fand sein Vater heraus, dass Tom nicht sein leiblicher Sohn war. Daraufhin ging er mit einer Ouzo-Flasche auf ihn los.
San verschwindet. Sie wolle zu ihrer Mutter, mit der sie seit ein paar Monaten Kontakt habe, steht auf einem Zettel, den sie ihrem Vater hinterlässt, der den Text allerdings nicht lesen kann, weil er Analphabet ist.
Veit ist das zu viel Durcheinander. Auf der Suche nach Geld für die Heimfahrt durchwühlt er Schränke, und er nimmt ein Paar Ohrringe mit. Erst auf der Straße fällt ihm ein, dass er trampen wird, also kein Geld benötigt. Schon der dritte Autofahrer nimmt ihn mit. Der Mann ist unterwegs nach Hamburg und setzt Veit in Rosenheim ab.
Dort geht Veit erst einmal ins Krankenhaus und erkundigt sich nach der über 80 Jahre alten Dame, der er die Handtasche raubte. Sie liegt auf der Intensivstation im Koma.
Zu Hause ertappt er seine Mutter mit einem Fremden. Beide liegen nackt auf dem Bett.
Weil Mutter und Sohn sich nicht länger ertragen, zieht Veit zu einer Tante, die einen alten Herrn pflegt und dafür in dessen Haus am Stadtrand wohnen darf.
Weil die beraubte Dame stirbt, kommt Veit nicht mit einem Wochenendarrest davon, sondern wird zu einem halben Jahr Jugendhaft verurteilt.
Als er wieder frei ist, rempelt er einen alten Herrn auf dem Zebrastreifen an und spuckt ihm ins Gesicht. Das genügt jedoch nicht, um seine aufgestaute Aggression abzubauen. Veit meldet sich deshalb auf einem Polizeirevier.
Eine gutaussehende, junge Beamtin versuchte mich zu beruhigen.
Ich schrie sie an:
Sie müssen mich aus dem Verkehr ziehen. Einsperren. Es wird etwas außerordentlich Schlimmes passieren, wenn Sie mich nicht sofort
Drei Männer in Uniform kamen und schafften es irgendwie Sie hatten einen festen Griff, einer der Beamten wog mindestens hundert Kilo. Sie baten mich in ein Zimmer. Ich setzte mich auf den Stuhl und flehte sie an:
Bitte, sperren Sie mich weg.
Wegen welchem Vergehen?
Keinem, sagte ich, aber bald. Ich weiß noch nicht
Sollen wir Ihnen einen Arzt rufen, fragte er, wenn nichts vorliegt, wenn also nichts passiert ist, können wir Sie doch nicht das müssen Sie doch verstehen.
III
Babs Stanebein ist 44 Jahre alt und arbeitslos. Zuletzt hatte sie ihr Geld als Verkäuferin in einem Lederwarengeschäft verdient, aber das wurde geschlossen, weil es sich nicht mehr rentierte. Sie wohnt im Leipziger Stadtteil Plagwitz. Zwei Jahre lang pflegte sie ihre todkranke Mutter, bis diese vor einem halben Jahr starb. Seit Babs allein in der Wohnung lebt, erhält sie mehrmals pro Woche Besuch von Frank Westmar, obwohl er verheiratet ist und Kinder hat. Er kommt jeweils vor der Nachtschicht und bringt auch Bier und Schnaps mit.
Eine Studentin – der Physik oder der Philosophie, Babs weiß das nicht so genau –, die im selben Haus wohnt und deren Pflanzen Babs gießt, wenn sie verreist ist, half ihr vor zwei Wochen, einen Antrag fürs Arbeitsamt auszufüllen. Bisher fühlte Babs sich noch nicht in der Lage, zum Amt zu fahren. Neun Tage lang hat sie das Haus nicht verlassen und nicht einmal nach der Post geschaut. Aber für heute hat sie sich vorgenommen, ihren Antrag zum Amt zu bringen.
Bevor sie losgeht, klingelt sie bei der Studentin. Die ist noch im Schlafanzug, lädt sie jedoch auf eine Tasse Kaffee ein. Babs möchte einen Schnaps dazu, und nachdem sie ein mehrere Gläser getrunken hat, schenkt sie sich selbst nach, während sie den Kaffee kalt werden lässt. Ob sie inzwischen eine neue Arbeitsstelle gefunden habe, fragt die Studentin. Babs lügt und sagt ja. Aber dann verplappert sie sich und bittet die Studentin, im Amt anzurufen und sich nach der Wartezeit zu erkundigen.
Aber ich dachte, Sie haben schon eine neue Arbeit, sagt die Studentin.
Vielleicht gibt es eine noch bessere Arbeit, sagt Babs Stanebein.
Die Studentin ruft im Arbeitsamt an und macht mit einer Frau Meisner einen Termin für Babs Stanebein aus; um 14 Uhr soll sie dort sein. Weil man der Studentin die Kohlen aus dem Keller gestohlen hat, bittet sie ihre Besucherin um zwei Eimer Briketts und überlässt ihr die angebrochene Flasche Schnaps. Babs gibt ihr den Schlüssel für das Vorhängeschloss und meint, die Studentin könne ihr dann auch gleich noch zwei Eimer Briketts mit hochbringen.
Zurück in ihrer Wohnung, trinkt Babs aus der Flasche. Sie hörte den Hund von Herrn Scherle bellen. Später will sie noch nach dem verwitweten alten Herrn sehen.
Aber jetzt geht sie erst einmal zur Straßenbahn. Die vielen Menschen machen sie nervös. Zum Glück hat sie die Schnapsflasche in der Handtasche und kann während der Fahrt einen Schluck zur Beruhigung trinken.
Auf der Treppe im Arbeitsamt keucht sie. Jemand ruft nach ihr: Frank Westmars Bruder Max. Er habe seine Autowerkstatt aufgeben müssen, sagt er, und sei jetzt arbeitslos. Man habe ihm geraten, auf Hundetrainer umzuschulen. Als er den Schnaps in Babs Handtasche entdeckt, trinkt er davon. Zum Abschied umarmt er sie. Babs freut sich darüber, aber er stiehlt ihr dabei die Flasche Schnaps.
Eine halbe Stunde zu spät klopft sie an Frau Meisners Tür. Die Angestellte erklärt Babs allerdings, dass hier nur beraten werde. Den mitgebrachten Antrag müsse sie in einem anderen Stockwerk abgeben, und falls sie eine Umschulung anstrebe, benötige sie ein anderes Formular.
Nachdem Babs mit Frau Meisner zusammen das Büro verlassen hat, geht sie in das angegebene Stockwerk. Da warten viele Leute darauf, ihre Anträge abgeben zu können. Babs fällt ein, dass sie ihren Antrag im Büro liegen ließ. Es hat also keinen Zweck, hier anzustehen.
Auf dem Heimweg geht Babs noch auf den Friedhof und schaut am Grab ihrer Mutter vorbei. Dort trifft sie Herrn Scherle mit seinem Hund. Bei der Straßenbahnhaltestelle entdeckt sie einen Supermarkt, in dem sie eine Flasche billigen Wodka kauft.
Vor dem Wohnhaus trifft sie wieder auf Herrn Scherle. Die Studentin fragt sie im Treppenhaus, ob auf dem Amt alles geklappt habe. Mit der Flasche Wodka in der Hand antwortet Babs mit Ja.
Und Babs Stanebein schließt die Tür. Und da steht sie in ihrem Flur mit der Wodkaflasche in der Hand, und sie sieht in den Spiegel, wie heute Morgen sieht sie da in den Spiegel, und sie nimmt einen Schluck aus der Wodkaflasche, und sie zieht das Telefonkabel aus der Buchse, und niemand wird da morgen mehr anrufen, denkt sie, kein Frank Westmar wird da mehr durchgestellt durch die Leitung, eine tote Leitung für den Frank Westmar, jawohl, und ja, so gut tut der Wodka, ein Schluck und noch ein Schluck, und der Abend wird leicht und leichter und ein bisschen Musik, ein bisschen Bach, durchs Ohr tief ins Innere, jawohl, ganz tief hinein ins Innere strömt da der Bach, und der Abend ist gekommen, und der Tag ist vergangen, und vorwärts geht es, eine Zuversicht steigt auf, immer höher, bis in den Himmel hinauf steigt eine Zuversicht, und voraus geht es, vorwärts, immer weiter voran, einen großartigen, einen wunderbaren Moment lang.
In ihrem erschütternden Debütroman „Morgen. Später Abend“ erzählt Claudia Klischat (* 1970) von drei verstörten Menschen, zwei Jugendlichen und einer Frau Mitte 40. Die mittlere der drei Geschichten ist mit der ersten lose verknüpft, und diese wiederum mit der dritten.
Claudia Klischat tritt in „Morgen. Später Abend“ nicht als auktoriale Erzählerin auf, sondern überlässt das Wort den drei aus der Bahn geworfenen Hauptfiguren. Weil uns nichts außer diesen drei subjektiven, eingeschränkten Perspektiven zur Verfügung steht und wir nur den großenteils verworrenen Gedankengängen folgen können, ergibt sich bis zum Ende kein klares Bild.
Für jeden der drei Protagonisten in „Morgen. Später Abend“ hat Claudia Klischat einen eigenen Denk- und Sprachstil entwickelt: Veit wird durch kurze, teilweise abgebrochene Sätze charakterisiert. Die alkoholkranke Babs verheddert sich in ihren Lügen und Selbsttäuschungen. Am eindrucksvollsten ist die sprachliche Gestaltung des ersten Kapitels: Toms Sprache bewegt sich in engen und weiten Kreisen. Auf kleinem Raum werden Sätze und Wörter variiert, und im Großen wiederholen sich Ansatzpunkte des Denkens. Dabei gibt es in dem ganzen Kapitel – mit einer kurzen Ausnahme, als Bernd Blauwanger spricht – keine Absätze. Vor allem dieses erste Kapitel zeigt das hohe literarische Niveau der Autorin Claudia Klischat.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013
Textauszüge: © Verlag C. H. Beck