Sally McGrane : Moskau um Mitternacht
Inhaltsangabe
Kritik
Der Amerikaner Max Rushmore ist Mitte 40. Vor 20 Jahren hatte er angefangen, für die CIA zu arbeiten und war von Jim Dunkirk, seinem 15 Jahre älteren Vorgesetzten, auf seinen ersten Einsatz in Russland vorbereitet worden. Max lebt mit seiner Ehefrau Rose in Washington, D. C. Eigentlich wollten sie Kinder, aber sie sind beide unfruchtbar. Rose weiß noch nicht, dass Max kürzlich wegrationalisiert wurde und inzwischen bei dem als Subunternehmer für die CIA tätigen Unternehmen Nightshade als Teilzeitkraft unter Vertrag steht.
Zunächst sollte Max bei der Eröffnungsfeier der neuen US-Botschaft in Berlin am 4. Juli 2008 die Augen offen halten. Dann schickte ihn der inzwischen ebenfalls für Nightshade tätige Jim Dunkirk nach Moskau. Seine Aufgabe ist es, den Tod von Sonja Ostranowa zu überprüfen. Die in Russland geborene amerikanische Staatsbürgerin war eine „Putzfrau“. So nennt man die Mitarbeiter der National Nuclear Security Administration. Den Unterlagen entnimmt Max, dass die damalige Physik-Studentin Sonja Ostranowa 1991 in die USA auswanderte und an der Cornell University in New York ihren Abschluss als Jahrgangsbeste machte.
Seit 2005 reiste die unverheiratete, kinderlose „Putzfrau“ regelmäßig nach Russland. Sie wurde auf einer Bank im Gorski Park in Moskau tot aufgefunden. Der Obduktion zufolge war sie am 11. Januar gegen 1 Uhr morgens an einem Herzinfarkt gestorben. Erst allmählich begreift Max, dass man von ihm nichts weiter erwartet als die Bestätigung der gemeldeten Umstände, damit die Akte geschlossen werden kann.
Obwohl es eigentlich nichts zu ermitteln gibt, sucht Max Agata Ostranowa auf, die zweite Ehefrau von Sonjas Vater Piotr Ostranow, dem inzwischen verstorbenen Dekan der Philosophischen Fakultät der Staatlichen Universität Moskau. Antoinetta Ostranowa, Sonjas leibliche Mutter, ist ebenfalls tot. Agata Ostranowa berichtet Max, dass sie ihrer Stieftochter nie sehr nahegestanden habe. Im Januar sei Sonja überraschend zu ihr gekommen, ohne Gepäck, nur mit einer Plastiktüte des Kaufhauses GUM. Darin befand sich ein Minikleid für 20 000 Rubel – doppelt so viel, wie Agata Ostranowa früher als Französisch-Dozentin in einem Jahr verdient hatte. Nachdem Sonja sich umgezogen hatte, verabschiedete sie sich.
Die Plastiktüte aus dem Kaufhaus GUM ließ sie zurück. Max findet darin den Kassenbon. Er wurde am 15. Januar ausgestellt – vier Tage nach Sonja Ostranowas Tod!
Agata Ostranowa teilt Max mit, dass Sonja einen Freund hatte: Prof. Wolkow („Wölfchen“), einen Dozenten in St. Petersburg und Kenner der sibirischen Landeskunde. Außerdem überlässt Agata Ostranowa ihrem Besucher einen Ring mit einem Diamanten, der Sonja gehörte.
Auf einem Foto steht Sonja Ostranowa in einem engen Kleid neben einem schlanken Europäer, der den Arm um sie gelegt hat. Max findet heraus, dass es sich um Gerárd Dupres handelt, Seniorvicepresident des französischen Energiekonzerns Dynacorp.
Gerárd Dupres überwacht den Bau eines SAEPR (Super-Atomenergie-Druckreaktors) im Baltikum. Die Arbeiten sind neun Monate im Rückstand, und die Kosten liegen bereits um 70 Prozent höher als veranschlagt.
Der Supér war Dynacorps Vorzeige-Prototyp. Der erste der nächsten Generation von Kernkraftgeneratoren. Größer und besser als alles, was bisher auf dem Markt war. Falls allerdings das PLUTO-Projekt Erfolg hatte und die Wiederaufbereitung funktionierte, überlegte Gérard, dann würde der Supér ziemlich alt aussehen. Er würde überflüssig. Falls PLUTO funktionierte, würde sich alles ändern. PLUTO – der Name passte. Denn falls PLUTO funktionierte, wäre das der absolute Traum. Selbst die bisher unvorstellbaren Mengen von Atommüll, die PLUTO produzierte, würden das Projekt nicht aufhalten – es war einfach zu groß. Zu gut. Falls. Das war der Knackpunkt.
Von einem im Alter von 47 Jahren einem Herzinfarkt erlegenen Kollegen hat Gerárd Dupres die Überwachung der Atommüll-Entsorgung übernommen. Einen Großteil der strahlenden Abfälle bringt Dynacorps nach Atomow, in eine der streng geheimen Städte Russlands.
Jim Dunkirk reagiert gereizt, als er erfährt, dass Max Nachforschungen betreibt, statt den Fall einfach abzuschließen:
„Himmelherrgott noch mal, Max! Wenn es irgendwelche Unregelmäßigkeiten gäbe, hättest du den Fall doch überhaupt nicht bekommen. Warst du damit schon bei der Polizei?“
Max zögerte. Ein Fehler.
„Himmelherrgott noch mal. Ist das wieder so eine typische Rushmore-Selbstsabotage? Ich habe nur wegen Rose zugestimmt, dich wieder in Dienst zu nehmen.“
Als das von Max in Moskau gemietete Zimmer durchwühlt worden ist, setzt er sich mit dem Nachtzug nach St. Petersburg ab.
Dort schaut sich Gennady, der Vater des mit Max befreundeten Dramatikers Pascha, den Diamant-Ring an. Dann schlägt er vor, den funkelnden Stein zu tarnen.
Er ging zu einer Werkbank in seinem Zimmer und durchwühlte die Schubladen. Dann fand er etwas, legte es auf die Bank, entfernte etwas Glänzendes daraus. Dann löste er den Diamanten aus der Billigfassung des Rings, entfachte eine Lötlampe und setzte den Stein in den anderen Gegenstand ein. Er überreichte Max ein billiges Taschenmesser mit einer nackten Frau darauf. Der Diamant funkelte jetzt zwischen ihren Beinen.
Zu guter Letzt holte Gennady eine Kerze. Ganz langsam und behutsam rieb er damit über den Diamanten. Er gab Max den mattierten Edelstein zurück, Max ließ das Messer in der Hosentasche verschwinden. „Kann nicht schaden“, sagte er, „wenn er nicht ganz so arg funkelt.“
Max zeigt das Foto von Gerárd Dupres und dessen Begleiterin einer Aktivistin, die sich den Schädel rasieren lässt, um nicht durch Haarwäschen die Umwelt zu belasten. Sie glaubt die Frau zu kennen. Es handele sich um Nadeschda Levantal, meint sie, eine in Atomow aufgewachsene Aktivistin.
An der Universität in St. Petersburg gibt Max sich als John Smith vom Cleveland Art Institute aus und fragt nach Prof. Wolkow. Der ist zwar nicht da, aber Max erhält die Handy-Nummer. Erst als er den Namen Sonja Ostranowa erwähnt, ist Wolkow bereit, sich mit ihm zu treffen, und zwar in seiner Datsche. Er habe Sonja 20 Jahre lang nicht gesehen, sagt er, dann sei sie unvermittelt wieder da gewesen, habe ihn gebeten, in der Datsche übernachten zu dürfen, ihn etwas über sibirische Volksstämme gefragt und Landkarten erbeten. Ebenso plötzlich wie sie auftauchte, verschwand sie wieder. Einem von ihr vorher noch geführten Telefongespräch entnahm Wolkow, dass sie in den Nachtklub „Midnight“ in Moskau wollte und dafür noch ein Kleid benötigte. Beim „Midnight“ handelt es sich um eines der Etablissements des neureichen Gastronomen und Oligarchen Constantin Arkadiawitsch Fuks.
Der deutsche Geheimagent Müller-Heinz kontaktiert Max in St. Petersburg. Dem BND fehlt gerade ein freier Mitarbeiter für einen Einsatz in Sibirien, und Jim Dunkirk bot Max als Ersatz an. Das passt gut zu Max‘ Absicht, mehr über Sonja Ostranowa bzw. Nadeschda Levantal herauszufinden. Er fliegt nach Nowosibirsk und fährt mit dem Zug zur Stadt Roter Fluss.
In dem geheimen Ort Rotstadt wendet er sich an Victor Barowski in der Zentrale der Firma Rotstadt-Toaster, stellt sich als Gerd Schröder vor und gibt sich als Inhaber des Unternehmens Schröder-Toaster in Gütersloh aus.
Unter dem Vorwand, einen Hollywoodfilm über den Fund der ersten Diamanten vorzubereiten, wendet Max sich an Prof. Anton Samodelkin, einen Kardiologen, der 1975 an den Polarkreis geschickt wurde und den Auftrag bekam, die Auswirkungen von Sonnenstürmen auf das Herz-Kreislauf-System zu untersuchen. Inzwischen erforscht Samodelkin die Möglichkeit von Zeitreisen und Psi-Phänomene wie die den sibirischen Diamanten zugeschriebene Fähigkeit zur Kommunikation.
Ganz in der Nähe von Rotstadt befinden sich die geheime Stadt Atomow, ein Meteoriten-Krater und Diamanten-Minen: der Schlot bei Mirny und der etwas kleinere bei Diamansk.
Im Kino „Komet“ in Rotstadt setzt Max sich in die letzte Reihe zu einer Frau, mit der er sich konspirativ verabredet hat: Ewgenia, eine Sekretärin von „World of Hope“. Auch ihr zeigt er das Foto. Ewgenia sagt, die Frau auf dem Bild sehe Nadeschda Levantal verblüffend ähnlich, sei aber eine andere. FSB-Beamte betreten das Kino. Ewgenia wird abgeführt. Max kommt nach einer kurzen Vernehmung wieder frei. Gegen die Hälfte seiner Barschaft wird er vom Piloten einer Frachtmaschine heimlich nach Diamansk mitgenommen.
Dort lernt er den Elektriker Alexej („Aljoscha“) kennen, der ihn außerhalb der Dienstzeit mit in die Diamanten-Mine nimmt – und kurz darauf von einem Mann mit Goldzahn erstochen wird.
Max unterdrückte den Impuls, dem jungen Mann zu Hilfe zu eilen. Er lag völlig reglos da, es hatte keinen Sinn. Und Max konnte es sich nicht leisten, mit den Behörden zu tun zu bekommen.
Er fliegt zurück nach Moskau und von dort mit Paschas Pass nach Venedig, wo eine Nuklearkonferenz stattfindet. Als Hauptredner steht der Dynacorp-Vizepräsident Gérard Dupres auf dem Programm. Nach dem Vortrag spricht Max den Franzosen im Waschraum der Toilette an und sagt, er wolle mit ihm über Sonja Ostranowa reden. Dupres nimmt ihn mit aufs Zimmer und behauptet, seine Liebesbeziehung mit Sonja sei bereits einige Zeit vor ihrem Tod in Moskau beendet gewesen.
„Sie war Inspektorin in Roter Fluss“, sagte Max.
„Ach, ja?“ Gérard klang gelangweilt.
„Das ist nicht weit von Atomow.“
Gérard sah aus, als wäre ihm nicht ganz wohl in seiner Haut, fand Max. Aber das ging schnell vorbei.
„Haben Sie sie umbringen lassen, weil sie Ihrem kleinen Abfall-Trennsystem auf die Schliche gekommen war? Oder haben sie da gemeinsame Sache gemacht?“
Max beobachtete Gérard sehr aufmerksam. „Umbringen lassen“ löste keine Reaktion bei ihm aus, „Abfall-Trennsystem“ dagegen schon. Max beschloss, alles auf eine Karte zu setzen. „Und was ist mit Diamansk?“, sagte er. „Hat sie sich da für die Diamanten interessiert?“
Gérards Gesicht nahm eine ganz leichte grünliche Färbung an. Der Diamant!, dachte er. Wie hatte er nur so blöd sein können? Er sah es alles genau vor sich. Das brasilianische Restaurant mit dem dämlichen Namen an der Columbia Road. Genau: Der Grill aus Ipanema. Hochsommer. Heiß, stickig.
War das wirklich schon ein Jahr her? Länger. […] Er hatte einen Tisch reserviert. Sie setzten sich nebeneinander auf eine an der hinteren Wand verlaufende, gepolsterte Lederbank. […]
Er bestellte Champagner („Ja, ich weiß, dass er nicht aus Brasilien ist“, hatte er gesagt und den Korken knallen lassen), und nachdem sie angestoßen hatten, zog er eine Schachtel aus der Manteltasche. Klein, samtig, königsblau. Sonja japste. Sie hatte noch nie so etwas Schönes gesehen. Mit goldener Prägung auf dem Deckel. „Mach’s auf“, hatte er gesagt. Sie klappte die Schachtel auf. Darin befand sich ein Ring. Er war natürlich perfekt. Schlicht. Elegant. Der Diamant fing das spärliche Licht im Lokal ein und reflektierte es tausendfach in allen Farben des Regenbogens. „Der lupenreinste der Welt“, hatte Gerry gesagt. Und damit wiederholt, was Ruslan, der russische Bauunternehmer, ihm gesagt hatte. Ruslan hatte auch gesagt, dass der Diamant ein Geschenk war, mit dem er ihm, Gérard, für gute Geschäfte dankte. Dass die Russen gerne Geschenke machten, und dass dies Ruslans Geschenk für ihn war. Gérard hatte noch nie einen schöneren Stein gesehen. Er wollte ihn Sonja schenken. Und das tat er dann auch. „Der lupenreinste der Welt“, wiederholte er. „Genau wie du. Wie deine Augen.“
Er hatte ihre Hand genommen, sie geküsst, ihr lange ins Gesicht gesehen und mit erstickter Stimme geflüstert: „Wie deine Seele.“ Das hatte ihr gefallen. Sehr sogar.
Bevor Max weiter fragen kann, tanzen schwarze Sterne vor seinen Augen, gefolgt von Blitzen. Als er wieder zu sich kommt, liegt er am Lido im Sand. Nichts fehlt: Brieftasche, Geld, Schlüsselkarte des Hotels, das Taschenmesser mit dem mattierten Diamanten. Ebenso überrascht stellt er kurz darauf fest, dass sein Zimmer im Hotel „Il Majestico“ augenscheinlich nicht durchsucht wurde. Auch Paschas Pass ist noch da.
Mit dem Nachtzug fährt er von Venedig nach Paris.
In Paris spürt Max Nadeschda Levantal auf. Im Januar setzte sie sich aus Russland ab, weil Gerüchte kursierten, sie sei eine Geheimagentin. Nun lebt sie mit ihrer sechsjährigen Tochter und den beiden zehn bzw. 14 Jahre alten Söhnen in Frankreich.
„Ich bin in Atomow aufgewachsen. Das ist eine der geschlossenen Städte, Sie wissen schon. Tja, ich wusste nie, wie mein Vater sein Geld verdient hat. Er hat erzählt, er würde Bonbonpapier produzieren. Meine Mutter war Ärztin. Ich hörte sie manchmal das Wort Verstrahlung sagen. Während unserer gesamten Kindheit und Jugend wussten wir, dass unsere Stadt geheim war. Dass wir nie ihren Namen sagen durften.“
1983 wurde ihr Vater krank. Man schickte ihn daraufhin nach Moskau und behandelte ihn in einer auf Strahlenopfer spezialisierten Klinik. Als er 1985 starb, war Nadeschda zwölf Jahre alt. 1991 erfuhr sie, dass er als 18-Jähriger nach Atomow gekommen war und nach dem vertuschten Reaktorunfall im Jahr 1957 zur Aufräumtruppe gehört hatte. Nadeschda hatte zunächst Soziologie studiert, wechselte dann aber zu Jura und gründete „World of Hope“, um als Rechtsanwältin Entschädigungen für Opfer von Verstrahlungen durchsetzen zu können.
Ob sie Sonja Ostranowa gekannt habe, fragt Max. Die Antwort überrascht ihn: Ihre Mütter waren Zwillingsschwestern, die sich allerdings zerstritten hatten. Erst Ende letzten Jahres fand Nadeschda ihre in den USA lebende Cousine Sonja wieder und traf sich ein einziges Mal mit ihr.
Ein Profi-Clown nimmt Max als Anhalter mit nach Berlin. Nachdem dieser sich im Hotel Adlon frisch gemacht hat, fährt er nach Charlottenburg, zu Robert („Bob“) Diamond. An der Türklingel steht „Dominion, R.“ Es handelt sich um einen Mann, der Max im Frühstücksraum eines Hotels in Moskau angesprochen und sich als Importeur von Hähnchen-Schenkeln („Texas Chicken Inc.“) ausgeben hatte. Tatsächlich handelt es sich bei Bob Dominion um ein führendes Mitglied eines globalen Diamantenkartells. Sein Vater Michael Dyamant, ein Juwelier aus dem Elsass, war vor den Nationalsozialisten geflohen und hatte später in Tel Aviv geheiratet. In den Sechzigerjahren zog die Familie nach Texas, wo Michael Diamond, wie er sich nun nannte, im Ölgeschäft ein Vermögen verdiente. Das verlor der ältere Sohn dann beim Glücksspiel. Bob, 20 Jahre jünger als sein Bruder, musste deshalb die Schule abbrechen: Das Geld reichte nicht mehr. Er wandte sich wieder dem ursprünglichen Beruf des Vaters zu.
Von Berlin fliegt Max mit Paschas Pass erneut nach Moskau, wo er sich zu dem Restaurant-Baron Constantin Fuks durchfragt und sich als Redakteur des „Gourmeterie Magazine“ ausgibt. Er sei dabei, einen Artikel über Moskauer Restaurants zu schreiben, lügt er. Man bestellt ihn zu einem Lokal mit dem Namen „Blackout“. Erst als er dort eingelassen wird, begreift er den Sinn des Namens: In den Räumen ist es stockdunkel. Eine Frau, von der er aufgrund der Berührung annimmt, dass sie nackt sei, führt ihn zu einem Lift und bringt ihn zu Fuks, den er ebenso wenig wie die Frau sehen kann. Max hört nur seine Stimme.
„Wie gefällt Ihnen unser Konzept? […] Absolut logisch in einer Stadt wie Moskau! Diese Reizüberflutung! Dieses Überangebot! In weniger als einer Generation Kapitalismus haben wir schon alles gesehen. Alles! Im Westen ist das viel langsamer gegangen. Sie können diese plötzliche Übersättigung und das, was sie mit dem Homo sowjeticus und seinen Sinnen macht, nicht verstehen. […] Entbehrung! Das ist der letzte noch unbesetzte Bereich der Unterhaltungsindustrie. Und das Blackout ist nicht unser letzter Streich. Der nächste wird Geschmacklos heißen.“
Nach dem kurzen Gespräch mit dem angeblichen Journalisten trifft Fuks sich mit Bob Diamond, nicht im Dunkeln, sondern bei Licht, und übernimmt von ihm einen mit Diamanten gefüllten Koffer. Die aus einem bei Bauarbeiten in Atomow freigelegten Kimberlit-Schlot stammenden Steine sollen nicht in den Handel kommen, weil sonst die Preise sinken würden.
Als Max seinem Vorgesetzten verkündet, es gebe im Fall Ostranowa neue Erkenntnisse, behauptet Jim Dunkirk, diesen Namen habe er noch nie gehört und fügt hinzu:
„Und du am besten auch nicht.“
Unerwartet trifft Max auf den Mann mit dem Goldzahn, der Aljoscha erstach. Er packt ihn von hinten am Hals und hält ihm sein Taschenmesser an die Kehle.
Ganz plötzlich tauschten sie die Rollen. Max wusste gar nicht, wie ihm geschah, aber da hatte Goldzahn bereits seinen Hals gepackt und hielt Max nun wiederum das kalte Messer an die Kehle.
Der Mann lässt Max los und klärt ihn darüber auf, dass er einem alten sibirischen Volksstamm angehöre, „der Urenkel des bedeutendsten Häuptlings der Zeitreisenden“ sei und sowohl mit Constantin Fuks als auch mit Prof. Anton Samodelkin zusammengearbeitet habe. Der Oligarch und der Forscher sind alte Freunde.
„Constantin hat mir eine Reihe von Anweisungen erteilt – zum Beispiel wollte er, dass du neulich in der Maschine nach Venedig sitzt. Und vor zwei Tagen wollte er dein Blut. Da bist du irgendwie entwischt. Und dann hast du deinen eigenen Weg zu Constantin gefunden. Er hat mir gesagt, ich soll mich jetzt nicht mehr um dich kümmern.“
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Max schleicht sich noch einmal ins „Blackout“. Aber er wird entdeckt, überwältigt und auf einen Stuhl gefesselt. Constantin Fuks berichtet ihm, dass er und Sonja Ostranowa als Kinder befreundet waren. Nachdem er 20 Jahre lang nichts von ihr gehört hatte, tauchte sie kürzlich wieder auf.
Natürlich hat sie versucht, mich auszutricksen. Papiere mit einer Toten vertauschen. Tsss. Ich bin drauf reingefallen. Können Sie sich vorstellen, wie sehr ich mich gefreut habe, als meine Sonjetschka dann in Fleisch und Blut vor mir stand? Vor zwei Wochen? Vor fünfzehn Tagen, um genau zu sein.
Im Januar hatte Sonja Ostranowa eine ihr verblüffend ähnlich sehende Tote auf einer Bank im Gorki-Park entdeckt und spontan die Pässe vertauscht. So wurde sie für tot gehalten und lebte als Daria („Dascha“) Denisnowa Kedrowa weiter.
Während Max allein im Raum ist, befreit Goldzahn ihn.
Fünf Minuten vor Mitternacht trifft Max im Fomenko-Theater ein, wo Constantin Fuks eine Überraschungs-Show angekündigt hat. Die Veranstaltung findet in der Black Box statt. Gérard Dupres und Sonja Ostranowa sitzen auf der Bühne. Der Franzose bewegt sich nicht, wirkt wie leblos.
Constantin ging zu Dupres hin. Zeigte auf ihn. „Dieser Mann!“, rief er. „Hat Mütterchen Russland vergiftet. Und heute Abend habe ich ihn vergiftet. Im Moment ist er gelähmt, aber er lebt. Sein Gehirn funktioniert.
Dann wendet sich der russische Gastronom Sonja zu.
„Hier ist die Romanze. Ich stelle Ihnen die Frau vor, die sein französisches Doppelspiel aufgedeckt hat. Die Frau, sollte ich wohl hinzufügen, die mir das Leben versüßt. Wenn sie mich nicht will, werde ich selbst in den süßen Tod gehen.“ Er hielt eine weiße Tablette hoch. „Für Sie. Heute Abend. Auf dieser Bühne.“
Das Publikum applaudiert. Er werde die Zuschauer am Ende entscheiden lassen, fährt Fuks fort, wer die tödliche Pille zu schlucken habe: er selbst oder der Vizepräsident des Energiekonzerns Dynacorp, den er nun anklagt:
„Sie vergiften mit französischem Versuchsmüll unser Land. Ein spezieller Lagerbehälter wurde nicht gebaut. Warum? Weil der Bauunternehmer in einem Meteoritenkrater, in dem er graben sollte, Diamanten fand. Erstklassige Diamanten. Sie haben sogar einen davon gesehen. Ihr russischer Kontaktmann hat Ihnen einen davon geschenkt. Als Dankeschön für das gemeinsame dreckige Geschäft. Und Sie? Sie haben ihn Sonjetschka geschenkt. Dieses dreckige Geschenk! In einem brasilianischen Restaurant. Bob Diamond, ein Freund von mir und einer der Chefs des internationalen Diamantenkartells, saß am Nebentisch. Er sah den Ring an Sonjas Hand. Das war seine erste Spur auf dem Weg zur Lösung des Rätsels einer plötzlichen Schwemme von sibirischen Diamanten. Dominion folgte ihr “ Er zeigte auf Sonja. „Bis sie ihren eigenen Tod inszenierte. Dann folgte er meinem Freund Mr Rushmore.“
Max sank ein wenig auf seinem Stuhl zusammen.
„[…] Wir könnten diesen Franzosen vor ein internationales Gericht stellen. Was würde dort passieren? Nichts. Das Gericht würde entscheiden, dass sein Unternehmen in dem Moment, in dem der von ihm nach Russland geschickte Abfall die Grenze passiert, nicht mehr dafür verantwortlich ist, was mit dem Müll geschieht blablablaaa.“ Er stampfte auf.
„Ich glaube, in dieser Situation sollten die Bürger das Gesetz mal selbst in die Hand nehmen.“
Constantin Fuks fragt das Publikum, wer die Pille schlucken soll. Aber bevor jemand antworten kann, taucht eine Frau im weißen Cocktailkleid auf und zielt mit einer Pistole auf Sonja Ostranowa. Es handelt sich um Gérard Dupres‘ Verlobte Eloise. Max bietet ihr an, den vorübergehend Gelähmten hinauszutragen. Er legt ihn über die Schulter, verlässt mit den beiden Frauen das Fomenko-Theater und bringt den französischen Manager ins U-Bahn-Tunnelsystem. Als Gérard Dupres sich allmählich wieder bewegen kann, verschwindet Eloise mit ihm. Max kehrt zu Sonja Ostranowa zurück, die leblos auf einer Bank im Gorki-Park sitzt. Sie ist einem Herzinfarkt erlegen. In ihrer Handtasche findet man Papiere auf den Namen Daria Denisnowa Kedrowa.
In den frühen Morgenstunden wird die Ermordung von zwei Personen mit französischer Staatsangehörigkeit in Moskau gemeldet.
Max liefert seinen Bericht ab. Jim Dunkirk ist zufrieden. Es heißt, die amerikanische Staatsbürgerin Sonja Ostranowa sei am 11. Januar im Gorki-Park in Moskau an einem Herzinfarkt gestorben.
Vor dem Abflug vom Flughafen Charles de Gaulle lässt Max den Diamanten in einen Ring aus Gold einsetzen. Rose wird von dem Geschenk begeistert sein! Plötzlich heult der Alarm und die Sprinkler-Anlage wird aktiviert. Ein Mann kommt gerannt und schreit: „Kein Feuer! Kein Feuer! Alles in Ordnung! Alles in Ordnung!“ Als das Wasser abgedreht ist, vermisst Max den Edelstein. Eine SMS trifft ein. Sie ist von Anton Samodelkin. Der Absendezeitpunkt liegt fünf Jahre in der Zukunft. Der Forscher schreibt:
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)„Tut mir wirklich leid mit Ihrem Diamanten. Aber wir mussten ihn einfach haben!“
„Moskau um Mitternacht“ lautet der Titel des Romandebüts der in Berlin lebenden amerikanischen Journalistin Sally McGrane. Anders als üblich erschien das Buch nicht zunächst in der Originalausgabe, sondern der Europa Verlag veröffentlichte im Frühjahr 2016 die von Marieke Heimburger ins Deutsche übertragene Fassung des Manuskripts von Sally McGrane, bevor noch ein Verlag für das englischsprachige Original gefunden wurde.
Auf dem Cover steht „Spionage-Roman“, aber „Moskau um Mitternacht“ passt in keine Schublade. Sally McGrane macht sich über die CIA lustig und kritisiert in diesem Zusammenhang die Tendenz zum Personalabbau durch Outsourcing. Sie weist auf den zu sorglosen Umgang mit Kernkraft und das Problem des Atommülls hin. Nebenbei thematisiert die Autorin Bestrebungen privatwirtschaftlicher Unternehmen, die eigenen Profite durch die Sozialisierung von Kosten bzw. Umweltschäden zu maximieren. Sally McGrane nimmt die Sensationsgier in der Kulturszene aufs Korn.“Moskau um Mitternacht“ dreht sich auch um die Macht russischer Oligarchen, Korruption, Diamanten und geheime Städte in Sibirien. Es geht um sibirische Naturvölker, die überzeugt sind, dass Diamanten miteinander kommunizieren und sich die Zeit wie eine Landschaft vorstellen, in der man sich in alle Richtungen bewegen kann.
Kommunizierende Diamanten und Zeitreisen, das klingt esoterisch. Tatsächlich experimentierten aber sowohl amerikanische als auch sowjetische Geheimdienste mit Parapsychologie. „Der Spiegel“ schrieb 1977 in einem längeren Artikel: „Parapsychologie wird in Rußland seit einem halben Jahrhundert betrieben, anfangs in aller Offenheit, später mit zunehmender Geheimnistuerei. […] Funktionierende Telepathie könnte für Astronauten, getauchte U-Boote, Spione und andere an Nachrichtenübermittlung interessierte Stellen von großem Nutzen sein.“ (28/1977)
Sally McGrane beschreibt viel, aber die Charaktere bleiben schemenhaft. Sie entwickelt das Geschehen vorwiegend aus der Sicht eines Antihelden, nämlich des amerikanischen Geheimagenten Max Rushmore. Zwischendurch wechselt sie zu anderen Perspektiven. Besonders homogen wirkt „Moskau um Mitternacht“ nicht. Obwohl die Darstellung eher spröde ist, entsteht der Eindruck, Sally McGrane erzähle die bizarre Geschichte nicht nur mit großer Fabulierlaune, sondern auch augenzwinkernd.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Textauszüge: © Europa Verlag