Barbara Piatti : Es lächelt der See

Es lächelt der See
Es lächelt der See. Literarische Wanderungen in der Zentralschweiz Originalausgabe: Rotpunktverlag, Zürich 2013 ISBN: 978-3-85869-533-8, 447 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

"Ein Ort, eine Gegend ist nicht nur geologisch-morphologische und dann bauliche, infrastrukturelle Wirklichkeit. Er besteht wesentlich auch aus unsichtbaren Schichten – aus Bezügen aus der Literatur, dem Film, der Musik, der Philosophie, der Kunst." Vor diesem Hintergrund empfiehlt Barbara Piatti in dem Buch "Es lächelt der See" 14 literarische Wanderungen in der Zentralschweiz. Ihre Beschreibungen eröffnen einen neuen Zugang zu Erzählwelten.
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Kritik

Barbara Piatti leitet an der ETH Zürich ein Forschungsprojekt mit dem Ziel, einen interaktiven Literarischen Atlas Europas zu schaffen. An ihrem Fachgebiet Literaturgeografie sind Literaturwissenschaft, Kartografie und Geografie beteiligt.

Im 17. Jahrhundert gehörte es in der Oberschicht zum guten Ton, zu reisen und dabei die Lebens- und Arbeitsorte von Dichtern aufzusuchen. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden „Reiseausgaben“ von Romanen angeboten, auf besonders leichtes Papier gedruckte Bücher, die sich mühelos mitnehmen ließen. Damit pilgerten die Leserinnen und Leser zu Schauplätzen von Romanhandlungen und lasen entsprechende Passagen vor Ort. Ende Oktober 1779 schrieb Johann Wolfgang von Goethe an Charlotte von Stein: „Wir fuhren nach Veway, ich konnte mich der Tränen nicht enthalten, wenn ich nach Melleraye hinüber sah und den Dent de Chamant und die ganzen Plätze vor mir hatte, die der ewig einsame Rousseau mit empfindenden Wesen bevölkerte.“

Heute sind Regionalkrimis en vogue, und Stadtführungen auf den Spuren ihrer Handlungen haben viel Zulauf. Auch das Vorbild für Hogwart’s Dining Hall („Harry Potter“) im Christ Church College in Oxford kann man besichtigen. Spezielle Angebote für Touristen mit Bezug auf William Shakespeare bzw. die Brontë-Schwestern gibt es in Stratford-upon-Avon bzw. im „Brontë-Country“, also dem westlichen Yorkshire und östlichen Lancashire.

So wie Stratford-upon-Avon mit William Shakespeare und Yorkshire mit den Brontë-Schwestern assoziiert wird, denkt man bei London an Charles Dickens, beim Lake District an William Wordsworth, bei Paris an Honoré de Balzac, bei Iwan Sergejewitsch Turgenjew an Russland, bei Theodor Storm an Nordfriesland, bei Jeremias Gotthelf ans Emmental, bei John Steinbeck an Kalifornien, bei William Faulkner an die Südstaaten, bei Gabriel García Márquez an die kolumbianische Karibikküstenregion, bei Rohinton Mistry an Mumbai und so weiter.

Barbara Piatti (* 1973) leitet seit 2006 am Institut für Kartografie und Geoinformation der ETH Zürich ein Forschungsprojekt mit dem Ziel, einen interaktiven Literarischen Atlas Europas zu schaffen. An ihrem Fachgebiet Literaturgeografie sind Literaturwissenschaft, Kartografie und Geografie beteiligt. Die Geografie der Literatur enthält „namenlose Orte, unbenannte Orte, zwei bestehende, aber ineinander geblendete Orte, Kombinationen aus erfundenen und realen Orten, Orte, deren tatsächliche Position verschoben wird, Orte, die präzise lokalisierbar sind, und Orte, deren Lage bloß als ungefähre Zone eingegrenzt werden kann.“

Es geht darum, zu erfassen und idealerweise zu erleben, dass da mehr ist, als man auf den ersten Blick sieht. Ein Ort, eine Gegend ist nicht nur geologisch-morphologische und dann bauliche, infrastrukturelle Wirklichkeit. Er besteht wesentlich auch aus unsichtbaren Schichten – aus Bezügen aus der Literatur, dem Film, der Musik, der Philosophie, der Kunst.

Vor diesem Hintergrund empfiehlt Barbara Piatti in dem Buch „Es lächelt der See“ 14 literarische Wanderungen in der Zentralschweiz (Luzern – Vierwaldstättersee – Gotthard). Ihre Beschreibungen und Erläuterungen enthalten mehr als Hinweise auf literarische Fundstellen. Sie eröffnen einen neuen Zugang zu Erzählwelten, und es gibt viel zu entdecken. Die Orte, die man auf so einer Wanderung sieht, lassen sich zwar mit den von Schriftstellern beschriebenen vergleichen, aber wer hofft, Deckungsgleichheit vorzufinden, wird enttäuscht sein, nicht nur wegen der dichterischen Freiheit, sondern auch, weil beispielsweise die Jahreszeit oder das Wetter von der literarischen Beschreibung abweichen.

Barbara Piatti strebt in „Es lächelt der See“ keine Vollständigkeit an; im Gegenteil, zugunsten der Abwechslung beschränkt sie sich auf einige Beispiele. Aufgenommen hat sie Wanderungen an den Zugersee (Thomas Hürlimann: Der Seemüüggel; Tim Kron: Quatemberkinder und wie das Vreneli die Gletscher brünnen machte; F. Scott Fitzgerald: Zärtlich ist die Nacht), zum Bergmassiv

Mythen hinauf und nach Schwyz hinab (Meinrad Inglin: Jugend eines Volkes / Ehrenhafter Untergang; Carl Spitteler: Xaver Z’Gilgen; Janas Biliunas: Schneesturm in den Bergen), auf die Rigi (Mark Twain: Bummel durch Europa; Alphonse Daudet: Tartarin in den Alpen. Die Besteigung der Jungfrau und andere Heldentaten), zum Pilatus (Heinrich Federer: Pilatus; Christina Viragh: Pilatus), nach Kaiserstuhl und am Lungerersee (Isabelle Kaiser: Der wandernde See. Roman aus den Unterwalder Bergen; Jeannot Bürgi: Lochhansi oder Wie man böse Buben macht. Eine Kindheit aus der Innerschweiz), nach Stans (Tony Ettlin: Blätterteig und Völkerball. Eine Kindheit im Schatten des Stanserhorns), auf den Bürgerstock (Gottfried Keller: Verschiedene Freiheitskämpfer; Peter Motram: Der Tag der nicht im Kalender stand), ins Schwalmis-Gebiet (F. H. Achermann: Der Wildhüter von Beckenried. Ein Roman aus Nidwaldens letzten Tagen vor 1798), über den Surenenpass (Friedrich Schiller: Wilhelm Tell), an den Urnersee (Cécile Lauber: Stumme Natur; Gertrud Leutenegger: Komm ins Schiff), nach Flüelen, Altdorf, Amsteg und Attinghausen (Max Frisch: Wilhelm Tell für die Schule), ins Schächental (Franz Böni: Sagen aus dem Schächeltal; Lisa Elsässer: Die Finten der Liebe), ins Maderanertal (Otto F. Walter: Das Staunen der Schlafwandler am Ende der Nacht; Friedrich Nietzsche: Die Dionysische Weltanschauung), über bzw. durch den Gotthard (Hermann Burger: Die künstliche Mutter; Christian Kracht: Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten; August Strindberg: Das Märchen vom St. Gotthard).

Der Titel des Buches stammt aus dem Drama „Wilhelm Tell“ (1804) von Friedrich Schiller: „Es lächelt der See, er ladet zum Bade, / Der Knabe schlief ein am grünen Gestade […]“

Das Titelbild von „Es lächelt der See. Literarische Wanderungen in der Zentralschweiz“ ist eine Collage von Anne-Kathrin Reuschel. Sie verwendete dafür handschriftliche Notizen von Meinrad Inglin zur Erzählung „Die Sendung“ (1933), ein Foto von Meinrad Inglin und der Musikerin Bettina Zweifel, seiner späteren Ehefrau, und eine 2011 von der Autorin Barbara Piatti am Urnersee fotografierte Aufnahme.

Das Buch ist zwar mit vielen Abbildungen illustriert, aber die Qualität der meisten Bilder ist nicht besonders hoch.

Jeden Abschnitt beschließt Barbara Piatti mit Literaturhinweisen und einem „Service“. Der beinhaltet Informationen zum Beispiel über Anfahrtsmöglichkeiten, Wanderzeiten, Streckenlängen, Höhendifferenzen, Abkürzungen, Varianten, Gasthäuser, Sehenswürdigkeiten.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014
Textauszüge: © Rotpunktverlag

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.