Herbert Rosendorfer : Der Mann mit den goldenen Ohren
Inhaltsangabe
Kritik
Irgendwann erschlage ich ihn noch. (Seite 9)
Mit diesem Satz beginnt Herbert Rosendorfer seinen Roman „Der Mann mit den goldenen Ohren“. Beim Ich-Erzähler handelt es sich um den deutschen Maler Felix Mahr, der seit vierundzwanzig Jahren auf der italienischen Insel Zompara lebt und sich über den Galeristen Luca Veracci ärgert, denn dieser betrügt ihn vermutlich bei der Abrechnung, wenn hin und wieder ein Tourist ein Bild kauft. Felix Mahr ist jedoch auf Luca Veracci angewiesen, denn es gibt auf Zompara keinen anderen Galeristen. Vor drei Jahren war das noch anders: Da tummelten sich sechzehn Galeristen und Kunsthändler auf der Insel.
Felix Mahr vermutet, dass man ihn als Neugeborenes in der Klinik versehentlich vertauschte und ist sich also nicht sicher, ob Hans Mahr wirklich sein Vater war. Jedenfalls wuchs er zusammen mit drei älteren Schwestern in einfachen Verhältnissen auf. Hans Mahr arbeitete als Buchhalter in einer Glühlampen-Fabrik und hatte es mit „daumenschraubender Sparsamkeit“ (Seite 58) zu einem Häuschen in einem Vorort von München gebracht. Die Eltern sind inzwischen gestorben, und von seinen Schwestern hat Felix schon lange nichts mehr gehört.
„Warum soll man Leute sympathisch finden, nur weil man mit ihnen verwandt ist.“ (Seite 58)
Obwohl er von Anfang an lieber Künstler geworden wäre, begann er ein Jura-Studium in München, weil er keinen Streit mit den Eltern heraufbeschwören wurde. Sobald er volljährig war, brach er das Jura-Studium ab und wechselte zur Kunstakademie. Die Aufnahmeprüfung hatte er schon vorher heimlich gemacht.
Ebenso heimlich war er zu diesem Zeitpunkt bereits seit zwei Jahren mit Annelore Knüpriß verlobt, einer Tochter aus gutem Hause. Bei der Feier hatte er seine ahnungslosen Eltern mit einer Weltreise entschuldigt, und als die Schwiegereltern sich ein halbes Jahr später erneut nach seinen Eltern erkundigten, behauptete er, sie seien in der Südsee Kannibalen zum Opfer gefallen.
Mit Annelore Knüpriß war Felix Mahr das erste Mal auf Zompara. Für Capri hatte das Geld nicht gereicht. Er war damals einundzwanzig. Seine vier Jahre ältere Verlobte hatte wohl schon sexuelle Erfahrungen gesammelt, und sie lief im Gasthaus „Gloria di Garibaldi“ unbekümmert nackt über den Flur ins Bad. Felix machte jedoch keinen Versuch, mit ihr zu schlafen. Die „geschlechtliche Sprunghaftigkeit“ sei damals noch nicht so ausgeprägt gewesen, meint er (Seite 16).
Zehn Jahre später verbrachten Felix und Annelore ihren zweiten Urlaub auf Zompara. Diesmal waren sie verheiratet und hatten zwei Töchter dabei: die sechsjährige Linda und die dreijährige Lewina. Wegen der Geizigkeit von Annelores Vater waren ihre finanziellen Verhältnisse weitaus besser als beim ersten Mal: Knüpriß hatte sich den Installateur gespart und selbst gebohrt, war dabei jedoch an eine Starkstromleitung gekommen. Sein Vermögen hatte er seiner Frau und seinem einzigen Kind zu gleichen Teilen hinterlassen. Weniger gut als beim Geld sah es mit der ehelichen Beziehung von Felix und Annelore aus:
Die Ehe war längst am unteren Ende der schiefen Bahn angekommen. (Seite 18)
Bei der Rückreise wollten sie in Verona übernachten. Wegen der Opernfestspiele fanden sie nur noch ein schäbiges kleines Zimmer in einer Frühstückspension. Annelore ärgerte sich darüber, und beim Zu-Bett-Gehen kam es zum Streit, in dessen Verlauf sie ihrem Mann auch gleich noch Untreue vorwarf.
Diesmal verdächtigte mich Annelore zu Unrecht. Es war in dieser Zeit keine Eheabwegigkeit meinerseits vorhanden. (Seite 21)
Wütend rannte Annelore aus dem Haus. Damit pflegte sie Streitigkeiten zu beenden. Gewöhnlich kehrte sie nach ein paar Stunden zurück und tat so, als sei nichts geschehen. Felix legte sich also mit den Kindern schlafen. Erst am nächsten Morgen dachte er daran, dass die Pension nachts zwar verlassen aber nicht mehr betreten werden konnte. Er sah Annelore niemals wieder.
In München gab er eine Vermisstenanzeige auf und verständigte die Schwiegermutter. Zwei Wochen später holte ein Rechtsanwalt die Kinder ab. Die Ehe wurde geschieden. Felix zog vorübergehend zu einem Japaner, der im Trachtengewand in Münchner Gaststätten Zither spielte.
Ich war viermal verheiratet. Vier Mal zu viel. Vier Mal geschieden. Kein Mal zu wenig. (Seite 13)
Einige Monate später wurde in München eine neue Galerie eröffnet – „Fifty-five“ –, und aus diesem Anlass ließ die Galeristin Freda sich nackt malen, von sieben Künstlern gleichzeitig. Felix war einer von ihnen.
Ein Jahr nachdem er bei dem Japaner Zuflucht gesucht hatte, sprach Freda ihn in der Straßenbahn an.
„Sie erkennen mich nicht, weil ich nicht nackt bin?“ (Seite 99)
Es dauerte nicht lang, bis Felix bei ihr einzog und sie heiratete. Freda teilte sich ihre Wohnung mit ihrer schwedischen Freundin Silvana. Die blieb zwar einem Chemiedozenten treu, der in Kyoto eine Gastprofessur hatte, fand aber nichts dabei, splitternackt durch die Räume zu laufen.
Das Haus gehörte einer damenbärtigen Alkoholikerin mit Namen Dirlböck. Praktischerweise vermietete sie einen Teil des Parterres an Franz Mann, der dort den Stehausschank „Der kleine Rosengarten“ einrichtete. Frau Dirlböck gehörte zu seinen Stammgästen und ließ anschreiben. Der Wirt verrechnete ihre Zeche dann am Monatsende mit der Miete, und weil Frau Dirlböck immer mehr trank, mussten im Lauf der Zeit auch andere Bewohner des Hauses ihre Miete an Franz Mann statt an sie entrichten.
Und in den fünf Jahren, die ich dort in der Ohlmüllerstraße wohnte, begann sich auch der vierte und letzte Stock des Anwesens sozusagen in Schnaps zu verwandeln. (Seite 112)
Das Glück in der zweiten Ehe hielt nicht lange an.
Stand Freda nicht nackt vor einer Zeichenklasse der Akademie oder im Atelier eines (anderen) Malers […], war sie bei ihrem Pferd. Nicht, dass sie mich schlecht behandelte oder vernachlässigte, aber wenn ich die Wahl gehabt hätte: ihr Ehemann oder ihr Pferd zu sein, hätte ich mich für das Pferd entschieden. Aber ich war nun einmal nur der Ehemann. (Seite 118)
Im fünften Jahr der Ehe erfüllte sich Freda einen Wunschtraum und reiste für einen einwöchigen Reiterurlaub in der Estremadura nach Spanien. Dort verliebte sie sich in den Pferdezüchter Manuel. Zur Hochzeit der beiden wurde auch ihr inzwischen geschiedener Ehemann eingeladen, und Freda eröffnete ihm, sie habe mit ihrer Freundin Anna alles arrangiert, damit er nicht allein bleibe. So kam Felix zu seiner dritten Ehefrau. Er zog zu Anna nach Schwabing. Aus ihrer gescheiterten Ehe mit einem Amerikaner hatte Anna einen Sohn – Belmont Ernstheimer Koning –, der abwechselnd bei seinem Vater in Cincinnati und bei seiner Mutter in Schwabing lebte. Als Felix und Anna 1968 heirateten, war er neun Jahre alt.
Die Ehe mit Anna dauerte vierzehn Jahre; es war Felix‘ längste.
Die Ehe endete nicht aufgrund einer erotisch-emotionalen Ausuferung in den Gravitationsbereich einer anderen Frau meinerseits noch in einer solchen zu einem anderen Mann seitens Anna. (Seite 140)
Nach der Scheidung im beiderseitigen Einvernehmen zog Felix sich 1983 nach Zompara zurück. Er freundete sich mit dem ebenfalls aus Deutschland stammenden Beuys-Schüler und Objektkünstler Horadam an, der schon länger auf der Insel lebte. Von der deutschen Bildhauerin Ehrtrud Kolbranz-Schüttling hielt Felix sich dagegen von Anfang an fern.
Zu Horadams Freunden gehört auch Don Alfredo Difossa, der einzige Geistliche auf Zompara. Er soll als junger Mann eine glänzende Karriere in der römisch-katholischen Kirche vor sich gehabt haben, jedoch in Ungnade gefallen sein, weil er in einem Artikel mit der Überschrift „Gesù, un figlio illegitimo“ behauptet hatte, der heilige Joseph habe sich während Marias Schwangerschaft aus dem Staub gemacht. Dass Don Alfredo Difossa gern nackte Jünglinge fotografiert, blieb seinen Vorgesetzten wohl verborgen, jedenfalls hat es bis heute keine Konsequenzen.
Hin und wieder kommen Felix‘ Töchter zu Besuch. Linda ist mit einem Archäologen verheiratet. Lewina vermählte sich mit einem Versicherungsagenten, der sich nach der Hochzeit als eher berufsmäßiger Bungee-Springer entpuppte.
Zum Glück riss nur wenig später bei einem von einer Senffirma gesponserten Rekordversuch im Grand Canyon der Gummizug, und man sparte die Scheidungs-, und weil die Leiche nie gefunden wurde, sogar die Beerdigungskosten. (Seite 132)
Jetzt ist Lewina die Ehefrau eines unterfränkischen Notars und hat zwei Söhne: Alexander und Cornelius.
Zu den regelmäßigen Besuchern von Zompara zählt der aus Ravensburg stammende Schriftsteller Heribert Caesar (eigentlich: Albert Zürner). Er kommt mehrmals im Jahr, jedes Mal mit einer anderen Frau.
Meist reich, schön sowieso. (Seite 23)
Von Caesar ließ Felix sich unlängst dazu überreden, die Geschichte des Booms auf der Insel aufzuschreiben, der vor siebzehn Jahren begonnen hatte.
„Erzähl nur alles“, sagt mir Caesar immer, „es klingt ein Lied in allen Dingen, und irgendwie hängt das schon hinterher mit dem Inhalt deines Romans zusammen.“ (Seite 66)
Der inzwischen neunundachtzigjährige Schriftsteller rät dem Maler auch, zwischen lauten und leisen Szenen zu wechseln und die dynamischen Proportionen bei William Shakespeare zu studieren.
„Und der Anfang! Wie wichtig ist der Anfang. Es empfiehlt sich immer, mit einem Krach anzufangen, einem Knall, Schrei, Schuss oder etwas in der Richtung. Lernst du auch bei Shakespeare.“
„Habe ich“, sagte ich.
„Und?“
„Ich habe damit angefangen, dass ich am liebsten den Luca Veracci umbrächte.“
„Besser wäre es, du hättest ihn umgebracht. Warum übrigens?“
„Er weigert sich, meine neuen Bilder auszustellen. Meinen erotischen Gummibärchen-Zyklus.“ (Seite 51)
Vor neunzehn Jahren feierte Caesar seinen siebzigsten Geburtstag, und weil er davon ausging, keinen weiteren runden Geburtstag mehr zu erleben, lud er zu einem Fest in einem Münchner Hotel ein. Felix reiste dazu eigens nach Deutschland. Um Mitternacht setzte Caesar sich zwischen zwei nackten Frauen auf ein Sofa und rezitierte einige seiner Gedichte. Dann ließ er sich von einer dritten nackten, mit Goldfarbe überhauchten Schönen eine Zigarette bringen. Als Felix das Hotel verließ, hörte er hinter sich Stöckelschuhe klappern: Es war die junge Dame, die Caesar die Zigarette serviert hatte. Sie hieß Tamara und wurde Felix‘ vierte Ehefrau.
Sieben Jahre nachdem Felix sich auf Zompara niedergelassen hatte, erspähte der junge Gino eine vor der Insel ankernde Luxusyacht und richtete einen Feldstecher auf den Mann an Deck, der von mehreren Lakaien bedient wurde.
„Er hat“, sagte Gino durchs Glas blickend, „goldene Ohren.“
Ich nahm noch einmal den Feldstecher. Tatsächlich. Der Alte da drüben, denn er war alt, das sah man, saß mit dem Hinterkopf direkt gegen die Sonne, die seine auffallend großen Ohren, sogenannte Segelohren, golden durchleuchtete. (Seite 37f)
Bei dem Mann mit den goldenen Ohren handelte es sich um einen Armenier namens Arri Kasparian, einen „skrupelabstinente[n] Kommerzmogul, Waffenschieber, Reeder und Drogengrossist[en]“ (Seite 20). Bald darauf erkundigte sich Konsul Cecil Burlap nach einem Haus auf der Insel, in dem Kasparian einige Wochen verbringen könne. Man entschied sich für die nur etwa vier oder fünf Monate im Jahr bewohnte Villa des Schriftstellers Lankenwitz. „Das geht nicht gut“, murmelte der Hirte Gobbo (Seite 45).
Offenbar gefiel es Kasparian auf Zompara, denn er kaufte die Halbinsel Testadura und ließ dort von einem Schüler des Südtiroler Architekten Kuno Krissler (1894 – 1986) eine futuristische Luxusvilla errichten. An der Landenge wurde das Anwesen mit einer Mauer vom Rest der Insel abgetrennt.
Um das Bauwerk wenigstens von Weitem zu bewundern, kamen zahlreiche Architekturbegeisterte nach Zompara, und die Anwesenheit des Moguls löste einen Tourismusboom aus: Die abgelegene Insel entwickelte sich zum Treffpunkt der Schickeria. Hotels wurden hochgezogen, und Restaurants eröffnet, in denen die Pfeffermühlen meterhoch waren.
Ungefähr zur gleichen Zeit wie Kasparian kam die Nemesis in Gestalt der neunzehnjährigen Kellnerin Caterina nach Zompara und fing bei Gino in der Bar an. Felix lernte sie dort kennen, und zu seiner Überraschung bot sie sich als Aktmodell an. Eine Gage verlangte sie dafür nicht; der Maler revanchierte sich mit kleinen Geschenken: Blumen, Konfekt, mal einem schönen Schal.
Obwohl Felix nicht einmal den Versuch machte, sein schönes Aktmodell auch nur zu berühren, reagierte seine Ehefrau Tamara, die ihn seit der Hochzeit betrog, ungehalten, als Felix sich durch den Besuch ihrer Mutter nicht davon abhalten ließ, Caterina auch in deren Anwesenheit nackt zu malen. Wütend reiste Tamara mit ihrer Mutter ab, kehrte nach München zurück und reichte die Scheidung ein.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Um Caterina nicht zu kompromittieren, schickte Felix die meisten Bilder, die im Lauf der Jahre entstanden, an einen Galeristen in Deutschland. Nur einen Rückenakt, auf dem die inzwischen sechsundzwanzigjährige Caterina nicht zu erkennen war, ließ er von Luca Veracci ausstellen.
Das Gemälde hing nicht lange in der Galerie, da tauchte ein Emissär Kasparians beim Künstler auf, teilte ihm mit, er habe den Rückenakt erworben und suchte noch weitere drei Dutzend Bilder aus, die Felix von der nackten Caterina gemalt hatte.
Caterina eröffnete eine Boutique mit dem Namen „Aurora“ und erklärte Felix, als Geschäftsfrau könne sie ihm natürlich nicht mehr nackt Modell stehen. Dass die Boutique von Arri Kasparian eingerichtet und Caterina dessen Geliebte geworden war, begriff Felix erst mit einiger Verzögerung.
Kasparian war zwar mit einer Armenierin verheiratet, aber Hripsime („Jenny“) kam nur vier- oder fünfmal im Jahr für eine Woche nach Zompara.
Belmont E. Koning, der Informatik studiert hatte und eine Menge Geld verdiente, besuchte seinen Stiefvater ab und zu. Bei einem seiner Aufenthalte – Belmont war inzwischen einundvierzig – fuhr er mit Caterina auf einer Vespa zur Baja di Chiaraluna (Mondscheinbucht). Felix konnte sich ausmalen, was das bedeutete – aber dass es sich um eine ernsthafte Liebesbeziehung handelte und welche Folgen diese für Zompara haben würde, ahnte er zunächst nicht.
Es begann vor drei Jahren mit einem Zettel an der Türe der Boutique „Aurora“: „Cessazione d’attività“. Dann verbreitete sich das Gerücht, Arri Kasparian habe Zompara verlassen, die Villa stehe zum Verkauf. Ein Tourismuskonsortium zog den Antrag für die Baugenehmigung des sechzehnten Hotels auf der Insel zurück.
Seinerzeit war ein Geschäftszweig hellhörig geworden und hatte sich sofort auf der Insel etabliert: die chinesischen Restaurants. Vier davon gab es zuletzt. Und sie waren auch die ersten, die sozusagen wortlos ihre Lokale schlossen und verschwanden, und danach, ganz wie damals als die zweiten, den Chinesen Auf-den-Fuß-folgern, die Banken. (Seite 237)
Die Touristen blieben fort. Hotels und Restaurants verkamen.
Das Leben ist merkwürdig. Veracci habe ich noch immer nicht erschlagen, und ich überlegte, ob (Seite 247)
Mitten im Satz bricht der Text ab. In einem Nachwort der Töchter Linda Pauckner und Lewina Gersdorf heißt es, ihr Vater Felix Mahr sei am 19. Februar 2008 gestorben, und zwar im Haus seines Freundes Horadam, der ihn zuletzt gepflegt habe. Linda und Lewina fanden in seinen Sachen das Manuskript und ließen es auf eigene Kosten drucken. Das Buch trägt den Titel „Der Mann mit den goldenen Ohren“.
Unter dem Titel „The Story of San Michele“ veröffentlichte der auf Capri lebende schwedische Arzt Axel Munthe (1857 – 1949) 1929 einen Roman, in dem er Autobiografisches und Fantastisches verwob. (Die deutsche Übersetzung von Gudrun Uexküll erschien zwei Jahre später: „Das Buch von San Michele“.)
Auf einer italienischen Insel spielt auch der heitere Roman „Der Mann mit den goldenen Ohren“ von Herbert Rosendorfer: Der Ich-Erzähler, ein aus München stammender erfolgloser Maler namens Felix Mahr, lebt seit vierundzwanzig Jahren auf Zompara. Seine Biografie weist Parallelen zu der des Autors auf: Felix Mahr brach ein Jurastudium in München ab und besuchte dann die Kunstakademie, Herbert Rosendorfer begann zunächst Kunst in München zu studieren und wechselte dann zur juristischen Fakultät.
Felix Mahr erzählt in „Der Mann mit den goldenen Ohren“, wie Zompara aufgrund die Ansiedlung eines undurchsichtigen armenischen Milliardärs einen Tourismusboom erlebt, der allerdings in sich zusammenbricht, sobald Arri Kasparian die Insel verlässt. Zwischendurch erinnert Felix Mahr sich an seine vier gescheiterten Ehen. Immer wieder lässt er sich von seinen Assoziationen davontragen, und weil er ohnehin nicht beabsichtigt, das Manuskript drucken zu lassen, bemüht er sich auch nicht wirklich, bei der Sache zu bleiben.
Aber darüber wollte ich nicht schreiben, das hat auch mit der Sache nur insofern zu tun […] (Seite 225)
Mit dem vorangegangenen, in einer Länge unvertretbaren Kapitel habe ich vermutlich die Proportionen der Dramaturgie völlig durcheinandergebracht. (Seite 75)
Aber ich sehe, der Roman, wenn man dies überhaupt als solchen bezeichnen kann, entgleitet mir wieder. (Seite 196)
Wichtiger als die Geschichte ist Herbert Rosendorfers Art zu schreiben: Es geschieht mit leichter Hand. Komik und Humor kommen in „Der Mann mit den goldenen Ohren“ nicht zu kurz, und satirisch dargestellt werden sowohl der Tourismusboom auf der Insel als auch die Auseinandersetzung des Protagonisten mit dem Romanschreiben. Wiederholt macht Herbert Rosendorfer sich über Anglizismen in der deutschen Sprache lustig – beispielsweise denkt er bei „wellnessen“ an „bettnässen“ (Seite 84) –, und zwischendurch blitzen witzige Wortneuschöpfungen auf. Auch wenn manche Pointen recht einfach gestrickt sind und einige davon einen Bart haben, ist die Lektüre unterhaltsam. Allerdings wäre es noch besser gewesen, wenn sich Herbert Rosendorfer auf die besten Einfälle und die Hälfte der Seiten beschränkt hätte. Manchmal entsteht der Eindruck, er habe einen Zettelkasten mit Aphorismen und Anekdoten abgearbeitet und den Inhalt einiger übriggebliebener Karten an halbwegs passenden Stellen in den Text gedrückt.
Es ist eigenartig: Der Rechtsanwalt, wenn er konsultiert wird, muss im Buch nachschauen, wenn er in den Augen des Klienten als kompetent erscheinen will, der Arzt darf nicht im Buch nachschauen, sonst hält ihn der Patient für unfähig. (Seite 28)
Vor über hundert Jahren, da kam angeblich einer zu Krupp und redete ihn mit „Herr Generaldirektor“ an. Darauf sagte Krupp: „Mein Herr, ich bin nicht Generaldirektor, ich habe einen Generaldirektor.“ (Seite 43)
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010
Textauszüge: © Verlag Kiepenheuer & Witsch
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