Heinrich Steinfest : Mariaschwarz

Mariaschwarz
Mariaschwarz Originalausgabe: Piper Verlag, München / Zürich 2008 ISBN: 978-3-492-05180-4, 317 Seiten Piper Taschenbuch, München 2010 ISBN: 978-3-492-25751-0, 317 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Vor drei Jahren kam Vinzent Olander in den Gebirgsort Hiltroff. Was er hier will, weiß niemand – bis ihm der Wirt, bei dem er Stammgast ist, das Leben rettet und er ihm daraufhin seine Geschichte erzählt. Der Wiener Geschäftsmann war mit einer italienischen Bühnenbildnerin verheiratet. Nach der Scheidung lebte die Tochter Clara abwechselnd bei der Mutter in Mailand und beim Vater in Wien. Seit sie bei einem dubiosen Autounfall entführt wurde, sucht Olander nach ihr, und eine Spur verfolgte er nach Hiltroff ...
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Kritik

Die Auflösung des Kriminalfalls interessiert Heinrich Steinfest nicht, aber es entbehrt nicht einer gewissen Komik und Ironie, wie er den Roman "Mariaschwarz" gegen Ende zu in abstruse Bruchstücke zerfallen lässt.
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Oberhalb der österreichischen Ortschaft Hiltroff befindet sich der Mariensee, ein 280 Meter tiefer Bergsee, der wegen seiner Farbe auch Schwarzsee oder Mariaschwarz genannt wird. Manche glauben, dass sich in dem See „ein im Prinzip leeres Weltall“ (Seite 8) spiegelt. Jedenfalls gibt es im Wasser weder Fische noch Pflanzen, und das Baden im toten See ist verboten. Auf halbem Weg zwischen Hiltroff und dem See Mariaschwarz steht ein fensterloser Kubus, in dem Wissenschaftler von auswärts sich zu Symposien treffen. Die Bewohner von Hiltroff sagen „Götz“, wenn sie das Gebäude meinen. So heißt nämlich der aus dem Ort stammende Erbauer. Herr Götz kaufte auch das alte Rathaus und eröffnete darin ein Hotel, das „Mariaschwarz“. Während das „Mariaschwarz“ meistens ausgebucht ist und sich deshalb auch das dazugehörige Edelrestaurant lohnt, gaben Job und Lisbeth Grong, die Besitzer des zweiten Hotels, den Küchenbetrieb mangels Nachfrage längst auf. Zum Hotel „Hiltroff“ gehört nur noch eine Kneipe im Vorhaus, das „POW!“.

Seit drei Jahren wohnt allerdings ein Gast aus Wien im „Hiltroff“. Niemand weiß, warum Vinzent Olander hier ist, und er schweigt sich aus. Jeden Nachmittag sitzt er im „POW!“ und lässt sich von Job Grong der Reihe nach je zwei Gläser Portwein, Fernet Branca Menta, Quittenschnaps und Whisky von der Insel Holyhead bringen. Danach geht er zu Bett, meistens schon vor 20 Uhr. Zwischen dem etwa siebzig Jahre alten Wirt und seinem rund fünfzehn Jahre jüngeren Stammgast besteht gewissermaßen eine Symbiose.

Die symbiotische Beziehung zwischen dem Wirt und seinem Gast ergab sich nun aus der Einfachheit der Handlungen. Job Grong und Vincent Olander waren vom ersten Augenblick, da sie sich begegnet waren, eine kommentarlose Zweckgemeinschaft eingegangen, in der sich der eine auf das Einschenken der Gläser und der andere auf das Leeren und Bezahlen dieser Gläser beschränkte. (Seite 16)

Ja, der Alkohol, den der Wirt dem Gast serviert, nutzt dem einen wie dem anderen. Sonst wäre es ja auch keine Symbiose im strengen Sinn, also ein für beide Personen nützliches Zusammengehen. (Seite 7)

Eines Tages, als Vinzent Olander um den See Mariaschwarz herumgehen will, gleitet er aus und rutscht in einen mit Wasser gefüllten röhrenförmigen Hohlraum im Gestein. Er kommt sich vor wie in einem Plumpsklo.

Und es versteht sich, dass er, Olander, das Stück Scheiße war, das in dieser Latrine trieb und irgendwann untergehen würde. (Seite 22)

Job Grong, der sich über das Ausbleiben seines Stammgastes wundert, findet und rettet ihn.

Olander und Grong waren sich auf eine Art nahe gekommen, wie es beide gerne vermieden hätten. (Seite 26)

Durch dieses Ereignis endet die symbiotische Beziehung zwischen dem Wirt und seinem Gast, denn Olander erzählt nun seinem Retter, warum er nach Hiltroff kam.

Im Alter von fünfundvierzig Jahren stieß der Geschäftsmann Vinzent Olander in einer Hotelhalle in Wien mit einer zwanzig Jahre jüngeren Italienerin zusammen. Yasmina Perrotti hielt sich nur vorübergehend in Österreich auf; sie arbeitete als Bühnenbildnerin an der Mailänder Scala. Ein halbes Jahr später heirateten die beiden, und ein Jahr nach der Hochzeit wurde ihre Tochter Clara geboren. Die Ehe scheiterte allerdings und wurde im vierten Jahr geschieden. Clara lebte von da an abwechselnd bei ihrer Mutter in Mailand und ihrem Vater in Wien.

Das Mädchen war sechs Jahre alt, als Olander mit ihm wieder einmal nach Mailand flog, um es zu seiner Mutter zu bringen, die inzwischen mit Ugo Albani zusammenlebte, einer Größe des Kulturbetriebs in der Stadt.

Beim Überqueren einer Kreuzung in der Innenstadt wurde ihr Taxi auf der linken Seite von einem Kleinlastwagen gerammt. Der Fahrer war sofort tot. Obwohl der Wagen zu brennen anfing, saß Clara aufgrund des Schocks starr neben ihrem Vater im Fond, und der konnte ihr nicht helfen, weil er durch den zerstörten Vordersitz eingeklemmt war. Zu seiner größten Erleichterung riss eine Passantin die rechte hintere Tür auf, nahm Clara in die Arme und ging mit ihr fort, während Olander das Bewusstsein verlor.

Ein anderer Autofahrer, der mit seinem Feuerlöscher zu dem Wrack des Taxis eilte, rettete Olander das Leben. Später wurde der Verletzte von der Feuerwehr aus den Trümmern geschnitten.

Im Krankenhaus kam er wieder zu sich. An seinem Bett stand seine wütende Ex-Frau und ein Commissario oder Capitano Longhi von der Polizei. Als Erstes fragte Olander nach seiner Tochter – und erfuhr zu seinem Entsetzen, dass sie verschwunden war.

Um nach seiner vermissten Tochter suchen zu können, blieb Olander in Mailand und überließ die Geschäfte seinem Kompagnon in Wien.

Er suchte seinen Retter auf, einen in Monza wohnenden kleinen Angestellten, der bei der Polizei ausgesagt hatte, eine Frau sei vom Taxi weggegangen. Zum Zeitpunkt des Unfalls habe sie neben dem Fahrer gesessen – aber das könne er nicht beschwören. Möglicherweise täusche er sich da auch. Als Olander den Mann fragte, wieso er während der Bürozeit in Mailand unterwegs gewesen sei, warf dieser ihn hinaus und beschwerte sich anschließend bei der Polizei über ihn.

Olander bestach die Schwester des toten Taxifahrers Giorgio Straub mit etwas Geld, damit sie ihm erlaubte, sich in dessen Wohnung umzusehen. Inzwischen war ihr Sohn dort eingezogen. Einen Hinweis, der ihn weitergebracht hätte, suchte Olander vergeblich, aber er nahm unbemerkt eine kleine Plastikfigur mit, die einen Affen im Giraffenkostüm darstellte.

Mit Hilfe einer nach Olanders Angaben angefertigten Phantomzeichnung fand die Polizei schließlich die Frau, die Clara aus dem Taxi geholt hatte: Andrea Pero. Sie habe das Kind zum nächsten Polizeirevier bringen wollen, behauptete sie, aber dann sei plötzlich ein Fremder aufgetaucht, habe ihr das Kind aus der Hand gerissen und sei mit ihm in einem Auto weggefahren. Bei der Gegenüberstellung erkannte sie Olander als den Fahrgast aus dem zerstörten Taxi wieder. Olander erklärte dagegen, Andrea Pero sei nicht die Frau gewesen, die Clara mitgenommen hatte.

Mit dieser Lüge verhinderte Olander die Festnahme der Verdächtigen. Das war ihm wichtig, weil er sie ohne Zeugen nach dem Verbleib seiner Tochter befragen wollte. Es gelang ihm, ihre Adresse herauszufinden. Unter vier Augen gab sie zu, nicht zufällig an der Straßenkreuzung gestanden zu haben. Sie wurde hinbestellt um mit ihrer Zeugenaussage den Lastwagenfahrer nach dem absichtlich herbeigeführten Unfall entlasten zu können. Dass sie das Mädchen rettete, war nicht vorgesehen, und als sie mit Clara weglief, hielt ein Mann sie auf, beschimpfte sie wegen des Fehlers und entriss ihr das Kind. – Olander erkundigte sich nach den Auftraggebern. Andrea Pero kannte nicht einmal eine Telefonnummer, versprach jedoch, ihn anzurufen, falls die Männer etwas von sich hören lassen würden.

Mit To Albizzi, dem Fahrer des Kleinlastwagens, verabredete Olander sich in einer Kneipe. Als Albizzi die Fragen unangenehm wurden, drohte er Olander Prügel an, und der Wirt warf ihn hinaus. Ein anderer Gast, der offenbar nicht gut auf Albizzi zu sprechen war, weil dieser mit seiner Frau eine Affäre hatte, flüsterte ihm jedoch die Adresse des LKW-Fahrers zu. Mutig suchte Olander ihn auf. Nun gab Albizzi zu, er habe den Auftrag gehabt, den Taxifahrer durch einen vorgetäuschten Verkehrsunfall zu töten. – Während Olander noch bei Albizzi in der Wohnung saß, tauchte unerwartet der Mann auf, der ihm die Adresse gegeben hatte und erschoss seinen Rivalen. (Wie sich später herausstellte, hatte er zuvor seine Frau ermordet.)

Weil der sterbende Lastwagenfahrer „Hiltroff“ geflüstert hatte, kam Olander vor drei Jahren in den österreichischen Gebirgsort.

Nachdem sich Job Grong die Geschichte angehört hat, ruft er neugierig in der Mailänder Scala an und lässt sich mit Yasmina Perrotti verbinden. Er gibt sich als Freund ihres geschiedenen Mannes aus.

„Wenn Sie sein Freund sind“, meinte Yasmina, „dann bringen Sie ihn in eine Klinik.“
„Wieso?“, fragte Grong. „Weil er nach seinem Kind sucht?“
„Weil es kein Kind gibt“, antwortete die Frau. (Seite 97)

Hängt Olander einem Hirngespinst nach? Bildet er sich nur ein, eine Tochter gehabt zu haben? Ist er verrückt?

Kurz darauf knipsen Kinder am See Mariaschwarz ein Foto. Obwohl es unscharf ist, veröffentlichen es die Zeitungen, denn darauf ist ein Ungeheuer im Wasser zu sehen. Journalisten kommen nach Hiltroff, und ein deutscher Fernsehsender finanziert eine Expedition von Wissenschaftlern, die mit einem kleinen U-Boot anrücken. Zu ihnen gehört die Meeresbiologin Marlies Herstal, die sich im Hotel „Hiltroff“ ein Zimmer nimmt und sich fortan an Olanders täglicher Trinkzeremonie im „POW!“ beteiligt.

Bei der Erkundung des Sees Mariaschwarz mit dem U-Boot entdecken die Forscher zwar kein Monster, aber sie bergen ein menschliches Skelett, das auf dem Grund gelegen hatte. Es handelt sich um die sterblichen Überreste einer Frau um die zwanzig. Die Gerichtsmediziner schätzen, dass das Gerippe drei oder vier Jahre lang im See lag. Ein im linken Schienbein steckender Titannagel stammt aus einer Klinik in Mailand.

Um der Sache nachzugehen, reist Chefinspektor Richard Lukastik, ein eigenwilliger Fünfzigjähriger, aus Wien an. Die Ermittlungen ergeben, dass es sich bei der Toten um Andrea Pero handelt, die seit drei Jahren vermisst wird. Lukastik geht auch der Frage nach, ob es eine Verbindung zwischen dem Verschwinden der Frau und Vinzent Olander gibt, dessen mysteriöse Geschichte Job Grong ihm anvertraute. Die Polizei stellt fest, dass Olander tatsächlich in einem Taxi saß, das in Mailand verunglückte, aber er war allein von Wien nach Mailand geflogen. Er und Yasmina Perrotti hatten keine Kinder.

Olander gibt zu, dass er Andrea Pero kannte. Vor drei Jahren habe sie ihn auf seinem Handy angerufen und sich mit ihm am Ufer des Sees Mariaschwarz verabredet, sei dann aber nicht gekommen.

Lukastik fliegt zu seinem italienischen Kollegen Longhi nach Mailand. Sein Sitznachbar in der Maschine sieht sich den Film „Flightplan. Ohne jede Spur“ an: Kyle Pratt, eine von Jodie Foster gespielte Mutter, vermisst auf dem Flug von Berlin nach New York plötzlich ihre sechsjährige Tochter Julia. Niemand will das Kind an Bord gesehen haben, und weil Julia nicht auf der Passagierliste steht, sieht es so aus, als bilde Kyle sich nur ein, mit ihrer Tochter an Bord gegangen zu sein.

Yasmina Perrotti versichert Lukastik, ihr geschiedener Ehemann sei damals allein nach Mailand gekommen, um noch einige finanzielle Dinge mit ihr zu besprechen. Dann vertraut sie ihm an, dass sie als achtzehnjährige Studentin – also sieben Jahre, bevor sie Olander kennengelernt hatte – Mutter eines Mädchens geworden sei, das sie nach der Geburt sofort zur Adoption freigegeben habe. Der Name – Clara – stammte allerdings noch von ihr. Wegen ihrer damaligen Promiskuität weiß sie nicht, wer der Vater ist. Nachdem ihr Mann davon erfahren hatte, wollte er die Adoptiveltern ausfindig machen und das Kind holen. Vermutlich steigerte er sich aufgrund seiner eigenen Vergangenheit in die Angelegenheit hinein: Er war selbst von seiner siebzehnjährigen Mutter nach der Geburt zur Adoption freigegeben worden und hatte sie erst nach ihrem Tod aufgespürt.

Ein jüngerer Bruder Andrea Peros erzählt Lukastik, seine Schwester sei mehrmals von einem Mann besucht worden, auf den Olanders Beschreibung passe. Einige Zeit soll sie sich in Mandello del Lario am Comer See aufgehalten haben.

Lukastik fährt mit dem Zug nach Como. Die polizeilichen Ermittlungen ergeben, dass es unter den adoptierten Kindern in Mandello del Lario zwar keine Clara, aber eine Chiara gab. Das Mädchen verschwand allerdings vor vier Jahren mit seiner Adoptivmutter. Lukastik sucht den Adoptivvater auf, Professor Kasos, einen emeritierten Hieroglyptik-Professor aus Mailand. Er habe seiner Frau Irene nicht getraut, erklärt Kasos, und deshalb ständig auf sie aufgepasst. Sie war auch bei ihm, als er in Mailand einen Vortrag hielt, während das Kindermädchen Chloe angeblich mit Chiara in den Zoo ging. Chloe und das Kind kamen jedoch nicht mehr zurück. Noch am selben Tag verschwand auch Irene spurlos. Obwohl er seine Frau mit dem Kindermädchen betrog, müssen sich die beiden gegen ihn zusammengetan haben.

Es lässt sich unschwer feststellen, dass das Kindermädchen einen falschen Namen verwendet hatte. In Wirklichkeit hieß es Andrea Pero.

Von Longhi erfährt Lukastik, dass es sich bei dem Taxifahrer Giorgio Straub um einen Drogenkurier handelte. Er sucht Straubs Neffen auf und sieht sich in der Wohnung um. Wie Olander auch, nimmt er heimlich eine kleine Figur mit. Sie stammt aus einem Überraschungsei der Gruppo Colanino, wurde aber nicht – wie erwartet – in China hergestellt, sondern in Österreich, und zwar in Hiltroff.

Bei einer Betriebsbesichtigung des Werks in Hiltroff zeigt Lukastik die aus Mailand mitgebrachte Figur her, aber man versichert ihm, so etwas habe man nie produziert.

Von der Fabrik wusste Olander bisher nichts. Aber er gibt zu, Clara bzw. Chiara in Mandello del Lario aufgespürt zu haben. Er initiierte nicht nur die Entführung mit den Frauen, sondern hatte mit Irene Kasos auch ein Verhältnis. An dem Tag, an dem er mit dem Taxi verunglückte, kam er nach Mailand, um sich mit Irene, Clara und Andrea zu treffen. Sie wollten sich nach Kanada absetzen. Die Tickets hatte er bei sich. Aber die Frauen versetzten ihn und meldeten sich nicht mehr.

Andrea lebte danach noch ungefähr ein Jahr in Mailand. Olander versuchte immer wieder, von ihr zu erfahren, wo Irene und Clara sich aufhielten, aber sie verriet es ihm nicht.

Während Lukastik und Olander im „POW!“ miteinander reden, schießt jemand durchs Fenster auf sie, trifft aber niemanden.

Die von Lukastik aus Mailand mtigebrachte Figur sieht wie ein Plastikprodukt aus, aber die kriminologische Untersuchung ergibt, dass sie aus einem Stück Knochen angefertigt wurde.

Marlies Herstal bietet Olander und dem Kommissar an, sie beim letzten Tauchgang zu begleiten. Vom U-Boot aus bemerkt Lukastik unter den Schaulustigen am Ufer eine Frau, die er aufgrund eines Fotos als Irene Kasos identifiziert. Das etwa elfjährige Mädchen neben ihr muss Clara sein. Er weist Olander darauf hin, und dieser erkennt Irene ebenfalls. Der Tauchgang kann jedoch nicht mehr abgebrochen werden.

Auf dem Grund des Sees Mariaschwarz finden sie ein Metallteil, mit dem Andrea Peros Leiche offenbar beschwert worden war. Außerdem entdeckt Marlies Herstal einen knapp einen Meter tiefen „See im See“ und lässt eine Probe davon nehmen. Bei der Untersuchung stellt sich später heraus, dass es sich um vier Milliarden Jahre altes Salzwasser handelt. Eine Sensation!

Nach dem Wiederauftauchen des U-Boots sind Irene und Clara nicht nur vom Ufer des Sees sondern auch aus Hiltroff verschwunden.

Die Professorengattin und ihre Adoptivtochter kamen vor vier Jahren als Dora und Ilva Kolarov mit bulgarischen Papieren nach Hiltroff. Anfangs schienen sie kein Deutsch zu können. Dora Kolarov arbeitete zunächst in der Fabrik bei der Figurenherstellung, dann wechselte sie zur Putzkolonne. Zuletzt putzte sie nicht nur in der Fabrik und in den beiden Hotels „Mariaschwarz“ und „Hiltroff“, sondern auch für Privatleute. Außerdem war sie Hausmeisterin im „Götz“.

Als Lukastik sich zusammen mit Olander in dem Konferenzgebäude umsieht, bemerkt er in einem Türspalt die Mündung einer Schusswaffe. Ohne die übliche Vorwarnung schießt er – und trifft einen Italiener in die Schulter. Olander kennt den Verletzten: Es handelt sich um den Mann, der ihm nach dem vorgetäuschten Verkehrsunfall in Mailand mit einem Feuerlöscher zu Hilfe kam.

Aus einem von Irene Kasos bzw. Dora Kolarov verfassten Schriftstück geht hervor, dass sie vor drei Jahren die Leiche der kurz zuvor krank nach Hiltroff gekommenen und hier gestorbenen Andrea Pero im See versenkte.

Lukastik sucht den Fabrikbesitzer auf. Dr. Pichler hat eine Pistole vor sich auf dem Schreibtisch liegen und wollte sich augenscheinlich gerade erschießen [Suizid]. Nachdem der Inspektor die Waffe aus Pichlers Reichweite geschoben hat, lässt er sich von ihm über die Zusammenarbeit mit der Gruppo Colanino berichten.

Der Betrieb drohte Ende der Achtzigerjahre bankrott zu gehen. Unerwartet erhielt Pichler damals ein Angebot aus Mailand. Die Gruppe Colanino sorgte für eine Renovierung, für einen Büroanbau, ein Labor und lieferte neue Maschinen. Das neue Labor wurde mit italienischen Wissenschaftlern besetzt. Ein Anwalt aus Wien kam hin und wieder, um im Auftrag der Investoren nach dem Rechten zu sehen. Zehn Jahre lang geschah nichts Besonderes. Dann entdeckten die Forscher, wie sich biologisch abbaubare Polymere herstellen lassen. Neue Maschinen wurden angeliefert. Arbeiter kamen aus Mailand. Giorgio Straub war einer von ihnen. Er blieb etwa zwei Jahre. Auf seine Fürsprache hin wurde Dora Kolarov eingestellt.

Von dem Anwalt in Wien kennt Pichler nur den Namen und eine Handynummer. Lukastik wählt die Nummer und verabredet sich mit Dr. Grünberg im Kunsthistorischen Museum in Wien. Um den genauen Ort und die Uhrzeit herauszufinden, muss er sich erst in einer Buchhandlung den Roman „Alte Meister“ von Thomas Bernhard kaufen.

Eigentlich wohnt Richard Lukastik in Wien bei seinen greisen Eltern, aber er zieht es vor, sich in der Pension „Leda“ ein Zimmer zu nehmen. Nachdem er sich über Ort und Zeitpunkt des Treffens mit dem Anwalt informiert hat, ruft er seine ebenfalls wieder bei den Eltern lebende Schwester Alexa an und bittet sie, zu ihm zu kommen.

1979 hatten Richard und Alexa Lukastik heimlich ein Zimmer in Wien gemietet, in dem sie sich mehrmals pro Woche trafen und miteinander schliefen. Aus Sorge um den Ruf ihrer Eltern – der Vater war Diplomat, die Mutter eine Dame der Gesellschaft – beendeten sie ihr inzestuöses Verhältnis nach einiger Zeit. Alexa, die zwei Jahre älter als ihr Bruder ist, heiratete einen russischen Fabrikanten in Hamburg. Obwohl die Ehe nach zwei Jahren geschieden wurde, blieb Alexa in Hamburg, handelte zunächst mit chinesischem Tee und betätigte sich dann als Immobilienmaklerin. Ihr zweiter Ehemann, ein Kokain schnupfender Künstler, geriet unter die Straßenbahn und starb nach drei Wochen im Koma. Um die Jahrtausendwende kehrte Alexa aus Hamburg zurück und zog wieder zu den Eltern. Übrigens freundete sie sich in Wien mit einer Frau namens Anna Gemini an.

Anfangs sträubt Alexa sich dagegen, aber dann lässt sie sich von ihrem Bruder küssen, und sie ziehen sich aus.

Vor dem Bildnis eines „Weißbärtigen Mannes“ von Tintoretto im Bordone-Saal des Kunsthistorischen Museums wird Lukastik von Dr. Grünberg angesprochen:

„Überall hier sind Löcher in den Wänden, kleine, große, manche gehen tief ins Mauerwerk, schlängeln sich nach oben, nach unten, zur Seite, führen weiß Gott wohin, andere messen bloß ein paar Zentimeter. Die Welt ist voll von solchen Löchern. Praktisch jede Wand hat ein derartiges Loch. Darum auch die Bilder, nicht nur in den Museen, welche aber naturgemäß zu den löcherreichsten Orten gehören.“ (Seite 264)

Der Rechtsanwalt weiß, dass Lukastik eine Figur aus Giorgio Straubs Sammlung gestohlen hat und fordert ihn auf, sie persönlich zurückzubringen.

Alexa begleitet ihren Bruder nach Mailand. Gegenüber Longhi geben sie sich als Mann und Frau aus, aber er lässt sich nicht täuschen.

Straubs Neffe hat die Sammlung inzwischen verkauft, und zwar an ein deutschsprachiges Paar. Der Beschreibung nach könnte es sich um Vinzent Olander und Marlies Herstal gehandelt haben.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Von Longhi erfährt der Chefinspektor, dass man im Kofferraum des in Wien geparkten Autos, das Lukastik sich in Hiltroff von Olander ausgeliehen hatte, die Leiche des Rechtsanwalts Dr. Grünberg fand. Sie weist zwei Einschusswunden auf. Auch Dr. Pichler ist tot. Um einen Selbstmord kann es sich allerdings nicht gehandelt haben, denn die beiden tödlichen Kugeln wurden aus größerer Entfernung abgegeben. Seine Leiche fand man in der Pension „4. Dezember“ in Wien.

Zwei österreichische Polizeibeamte kommen nach Mailand, um Lukastik zu vernehmen. Vorsichtshalber weist er darauf hin, dass er Pichlers Pistole angefasst hatte. Inzwischen wurde die bei beiden Morden verwendete Tatwaffe gefunden – und zwar in Lukastiks Zimmer in einem Loch in der Wand hinter einem Bild des Philosophen Ludwig Wittgenstein. In Handschellen wird Lukastik zum Flughafen Malpensa gebracht. Dort sieht er Olander. Er folgt ihm mit einem der beiden Beamten in die Toilette. Vor dem Urinal lässt er sich die Handschellen abnehmen. Im nächsten Augenblick setzt Olander den Polizisten mit einer blitzschnell verabreichten und sofort wirkenden Injektion außer Gefecht. Olander verlangt die fehlende Figur seiner Sammlung, aber die hat Lukastik bei Longhi gelassen. Er ruft seinen Mailänder Kollegen an und bittet ihn, Olander die Figur auszuhändigen. Die beiden verabreden sich im Hotel „A Longer Finnegans Wake“.

Die Klage gegen Richard Lukastik wird schließlich fallengelassen, aber er muss den Dienst quittieren. Mit seiner Schwester Alexa zusammen kauft er sich ein Haus am Stadtrand von Wien.

Vinzent Olander lebt jetzt mit Dora und Ilva Kolarov zusammen.

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Man glaubt, Heinrich Steinfest als Autor von Kriminalromanen zu kennen. Doch um einen Thriller im klassischen Sinne handelt es sich bei „Mariaschwarz“ keineswegs. In dem Buch geht es nicht um das übliche „whodunit“, sondern um die Frage, was hier überhaupt geschehen ist bzw. geschieht. Immer wenn man als Leser glaubt, etwas durchschaut zu haben, wird man gleich darauf eines Besseren belehrt, und wer auf eine Aufklärung am Ende hofft, wird enttäuscht, denn die Lösung des Kriminalfalls interessiert Heinrich Steinfest offenbar nicht. Abgesehen davon, dass vor allem die ersten Seiten von „Mariaschwarz“ geschwätzig wirken, sieht es anfangs so aus, als entwickele sich eine stringente Handlung, aber spätestens im letzten Drittel zerfällt alles in abstruse Bruchstücke, und Richard Lukastik – den wir bereits aus dem 2004 von Heinrich Steinfest veröffentlichen Roman „Nervöse Fische“ kennen – löst unversehens Vinzent Olander als Hauptfigur ab. Olander, Lukastik, überhaupt alle männlichen Figuren sind schrullig und äußern skurrile Ansichten:

Der Mann war schließlich verrückt. Verrückte taten nie etwas ohne Sinn. Während gesunde Menschen andauernd etwas unternahmen, was ohne Sinn blieb. (Seite 164)

Das entbehrt nicht einer gewissen Komik und Ironie.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009 / 2012
Textauszüge: © Piper Verlag

Heinrich Steinfest (kurze Biografie / Bibliografie)

Heinrich Steinfest: Gewitter über Pluto
Heinrich Steinfest: Die Haischwimmerin
Heinrich Steinfest: Der Allesforscher

Deborah Feldman - Unorthodox
"Unorthodox. Eine autobiografische Erzählung" ist kein großer literarischer Wurf. Dafür bleiben alle Personen bis auf die Ich-Erzählerin zu schemenhaft. Aber es handelt sich um ein wichtiges, aufschlussreiches Buch über ein brisantes Thema. Zu den Pluspunkten gehört außerdem, dass Deborah Feldman sachlich und unpolemisch, unaufgeregt und ohne Effekt­hascherei schreibt. Die Emanzipations­geschichte, die sie in "Unorthodox" erzählt, ist auf jeden Fall ermutigend.
Unorthodox