Shirley Jackson : Die Möglichkeit des Bösen

Die Möglichkeit des Bösen
The Possibility of Evil Saturday Evening Post, 18. Dezember 1965 Die Möglichkeit des Bösen in: Die Lotterie und andere dunkle Erzählungen Übersetzung: Martin Ruf Festa-Verlag, Leipzig 2023 ISBN 978-3-98676-087-8, 361 Seiten Bühnenfassung: Münchner Kammerspiele, 2024 Regie: Marie Schleef Bühne: Ji Hyung Nam Sound und Musik: Jan Godde Video: Lillian Canright Dramaturgie: Olivia Ebert
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Adela Strangeworth, eine unverheiratete und wohlhabende 71 Jahre alte Dame, lebt in einer Kleinstadt, in einem vom Großvater gebauten Haus. Besonders stolz ist sie auf die von ihrer Großmutter gepflanzten Rosen, die sie mit Hingabe pflegt. Alle kennen sie, aber niemand ahnt, dass die vorbildliche Dame anonyme Briefe verschickt, mit denen sie Klatsch verbreitet.
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Kritik

Marie Schleef inszeniert die aus der Perspektive der Protagonistin erzählte Kurzgeschichte "Die Möglichkeit des Bösen" von Shirley Jackson und betont dabei die Rosensymbolik. Gesprochen wird nur ein einziger Satz: "Die Menschen sind böse und verkommen und müssen im Auge behalten werden." Diesen "Live-Stummfilm" zeigt Marie Schleef wie in Zeitlupe.
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Adela Strangeworth, eine unverheiratete und wohlhabende 71 Jahre alte Dame, lebt (Mitte des 20. Jahrhunderts) in einer (nicht benannten) Kleinstadt. Alle kennen sie, und sie weiß um alle anderen. Das von ihrem Großvater gebaute Haus, das sie bewohnt, war das erste in der Pleasant Street. Besonders stolz ist Adela Strangeworth auf die von ihrer Großmutter gepflanzten Rosen, die sie mit Hingabe pflegt, so wie es schon ihre Mutter tat. Die Nachbarn staunen über die Ordnung und Sauberkeit in ihrem makellosen Haus, und es wird erzählt, dass ein Tourist es einmal für ein Museum hielt und die Räume durchschritt ohne seinen Irrtum zu bemerken.

Nach dem Frühstück geht Adela Strangeworth zum Laden von Tommy Lewis, um einzukaufen, ebenso wie Martha Harper, eine andere Kundin. Auf dem Rückweg begegnet sie Helen Crane, die einen Kinderwagen schiebt.

Niemand ahnt, dass Adela Strangeworth fast jeden Tag anonyme Briefe schreibt und an andere Bewohnerinnen oder Bewohner der Stadt verschickt, wenn es dunkel ist. Weil so viel Böses in der Welt ist, hält sie es für ihre Pflicht, ihre Mitmenschen auf mögliche Vergehen anderer hinzuweisen.

Die Menschen waren überall lüstern und böse und verkommen und man musste sie im Auge behalten.

Beispielsweise macht sie Martha Harper darauf aufmerksam, dass deren Ehemann fremd gehen könnte, und bei einer alten Dame, die sich in Kürze einer Operation unterziehen muss, weckt sie Zweifel an der Rechtschaffenheit des Arztes. Mit einem Brief an Mr Stewart sorgt sie dafür, dass dieser seiner Tochter Linda verbietet, sich weiterhin mit Dave Harris zu treffen. Grundlage dafür ist nur der Klatsch. Aber damit schürt sie Misstrauen und Zwietracht.

Eines Abends verliert sie auf der Straße einen ihrer anonymen Briefe. Dave Harris beobachtet es, hebt ihn auf und ruft ihr nach, aber sie hört ihn nicht. Er werde den Brief selbst überbringen, meint er.

Am nächsten Morgen findet Adela Strangeworth in der Post einen an sie adressierten anonymen Brief mit dem Hinweis auf ihr verwüstetes Rosenbeet.

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Die US-amerikanische Schriftstellerin Shirley Jackson (1916 – 1965) machte sich mit Horrorromanen und -geschichten einen Namen. Sie gilt als „Queen of Gothic Fiction“. Ihre Kurzgeschichte „The Possibility of Evil“ wurde am 18. Dezember 1965 in der Saturday Evening Post veröffentlicht, wenige Monate nach dem Tod der 48-jährigen Autorin am 8. August.

Die Regisseurin Marie Schleef inszenierte „Die Möglichkeit des Bösen“ in einer Übersetzung von Martin Ruf auf der Bühne der Therese-Giehse-Halle der Kammerspiele München. Die Uraufführung mit Johanna Eiworth in der Hauptrolle fand am 23. März 2024 statt.

Marie Schleef wurde in Deutschland geboren, wuchs in Österreich auf und besuchte zwei Jahre lang eine internationale Highschool in Swasiland. 2014 machte sie am Bard College in New York den Bachelor auf Arts in Theater and Performance. Anschließend studierte sie Schauspielregie an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin.

Die Bühnenbildnerin Ji Hyung Nam hat sich für die Inszenierung eine angedeutete Hausfassade mit Stacheln und in grellen Farben ausgedacht. Wenn Adela Strangeworth das Tor öffnet, schauen wir in einen rot ausgeleuchteten verspiegelten Innenraum, in dem eine riesige Rose wächst, deren Blüte auf dem Dach zu sehen ist. In der Rosenblüte befindet sich ein menschliches Auge, das manchmal wie im Schlaf geschlossen ist, aber auch wachsam auf die Umgebung blickt. Dabei denkt man an das Auge Gottes und „Big Brother“ im Roman „1984“ von George Orwell.

Die Rosen-Symbolik könnte sich auf die Zwiespältigkeit der Protagonistin beziehen: Adela Strangeworth sieht makellos aus, aber sie kann auch verletzen und Schaden anrichten – wie eine Rose mit ihren Stacheln. „Die Möglichkeit des Bösen“ veranschaulicht denn auch, dass die Fassade eines Menschen nicht mit seinem Inneren übereinstimmen muss. In der Überzeugung, verantwortungsvoll zu handeln, frönt Adela Strangeworth dem heimlichen Vergnügen, Argwohn und Zwietracht zu sähen. Dieses alltägliche Böse ist ein Kernthema in Shirley Jacksons Kurzgeschichten.

Was Adela Strangeworth Mitte des 20. Jahrhunderts in einer Kleinstadt tut, wird heute durch die Social Media potenziert.

Marie Schleef hat die aus der Perspektive der Protagonistin erzählte Kurzgeschichte von Shirley Jackson auf wenige Sätze reduziert, die als Übertitel gezeigt werden. Gesprochen wird nur ein einziger Satz: „Die Menschen sind böse und verkommen und müssen im Auge behalten werden.“ Ansonsten ist von den Schauspielerinnen und Schauspielern lediglich mal ein Einatmen, Keuchen, Kichern oder Schluchzen zu hören. Und diesen „Live-Stummfilm“ zeigt Marie Schleef in Slow Motion, das heißt, die Darstellerinnen und Darsteller bewegen sich extrem verlangsamt. Dazu ist eine Sound-Installation von Jan Godde zu hören, bei der schon mal der Boden bebt.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2024

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