Mario Lima : Tod in Porto

Tod in Porto
Tod in Porto Ein Fall für Inspektor Fonseca Originalausgabe Wilhelm Heyne Verlag, München 2019 ISBN 978-3-453-43959-7, 379 Seiten ISBN 978-3-641-23460-7 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Innerhalb von weniger als 48 Stunden werden in Porto zwei Brasilianer erschossen. Der eine arbeitete für das Immobilienunternehmen von Vítor Puga, der andere für die Investment­gesellschaft von dessen Ehefrau Cida. Inspektor Fonseca, der die Ermittlungen leitet, sucht nach einer Verbindung …
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Kritik

In seinem klug aufgebauten spannenden Kriminalroman "Tod in Porto" entwickelt Mario Lima eine realistisch wirkende, gut nachvollziehbare Handlung. Er schreibt in einer klaren Sprache leicht verständlich, farbig und lebendig, stringent und temporeich. Auch das Lokalkolorit macht "Tod in Porto" zu etwas Besonderem.
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Tod in Porto

In der Nacht vom 24./25. Juli 2010 wird nahe des Nachtklubs „Flash“ in Porto ein Mann mit einem Maschinengewehr aus einer fahrenden Limousine heraus erschossen, als er in der Dunkelheit zu seinem geparkten Auto geht. Bei dem Ermordeten handelt es sich um Nilton de Souza Wanderley, einen 43-jährigen Brasilianer, der vor dreieinhalb Jahren aus São Paulo nach Portugal gekommen ist und bei Imocon, Mediação Imobiliária, beschäftigt war.

Chefinspektor José Manel Fonseca von der Mordkommission der Policia Judiciária leitet die Ermittlungen.

Auf dem Smartphone des Toten trifft ein Video ein. Die Person, die es aufgenommen hat, geht einen Gartenweg entlang auf die Holztür eines Schuppens zu, an die eine menschliche Zunge und zwei Ohren genagelt sind. Weil das Video nicht nur an Nilton de Souza Wanderley, sondern auch noch an sieben weitere – von der Polizei allerdings nicht identifizierbare − Empfänger adressiert ist, muss mit einem geplanten Serienmord gerechnet werden.

Ein zweiter Mord

Weniger als 48 Stunden nach dem ersten Mord wird Alessandro Garcia Vicente von drei Vermummten erschossen, als er Gepäck in den Kofferraum seines Autos laden will. Seine 26 Jahre alte, im siebten Monat schwangere Witwe Sara Fernanda da Rosa Pires sagt aus, dass ihr Mann sich offenbar bedroht fühlte und mit ihr fliehen wollte. Auf seinem Smartphone war das Video ebenfalls eingegangen.

Alessandro Garcia Vicente war Assistant Managing Director von Pedra Furada Investments, einem Unternehmen in Porto, das seine Büros neben denen von Imocon hat. Hauptgesellschafter der Immobilienfirma Imocon ist Vítor Puga, der zumindest früher zur Unterwelt von Porto gehört haben soll, aber inzwischen als gut vernetzter Geschäftsmann gilt. Bei seiner vor fünf Jahren aus São Paulo eingewanderten Ehefrau Maria Aparecida („Cida“) de Alencar Possamai handelt es sich um die Geschäftsführerin des fast ausschließlich in Großbauprojekte in Brasilien wie Lagoa Azul Resort & Spa an den Traumstränden bei Fortaleza investierenden Nachbarunternehmens. Zwei Morde in weniger als zwei Tagen, und bei den Opfern handelt es sich um Mitarbeiter der beiden Unternehmen eines Ehepaars: Da sucht Inspektor Fonseca selbstverständlich nach einer Verbindung. Aber die Befragung von Vítor Puga und seiner Frau Cida verläuft wenig aufschlussreich.

Talita Yakashima Possamai, das PCC und Nakano Takedo

Die Ermittler der Sonderkommission Operação Brasil stoßen auf ein Foto von vier Männern der Polícia Militar in São Paulo, die inzwischen als privater Sicherheitsdienst für Vítor Puga tätig sind: Valter de Jesus Monlevad, Emerson Dressler Pimentel, Kléber Faria Lobato und ihr Chef Osmar Nogueira Caitano. Ihre Aufgabe ist es, Cida Possamais jüngere Halbschwester zu beschützen. Talita Yakashima Possamai kam vor dreieinhalb Jahren mit diesen Bodyguards aus São Paulo nach Porto und wohnt im Condomínio Fechado Cima da Vila, also einer umzäunten und bewachten Anlage. Beim Vater der beiden Halbschwestern handelt es sich um den erfolg- und einflussreichen Rechtsanwalt Vinícius Possamai in São Paulo. Außerhalb seiner Ehe zeugte er mit seiner japanischen Gartenarchitektin die jüngere Tochter, die sechs Jahre alt war, als ihre Mutter bei einem Verkehrsunfall starb.

Talita Yakashima Possamai studierte Design und Innenarchitektur an der Escola de Comunicações e Artes in São Paulo und war 21, als sie am 13. Mai 2006 vom Primeiro Comando da Capital (PCC) entführt wurde, am zweiten Tag der „Blutwoche“, in der mehrere hundert Menschen ums Leben kamen.

Das PCC war 1993 aus einer Gefängnis-Fußballmannschaft hervorgegangen und wuchs dann zu einem kriminellen Netzwerk heran, das seine Mitglieder aus den Favelas von São Paulo rekrutierte und darauf abzielte, die Kontrolle über die Megalopolis zu gewinnen. Als ein neuer Gouverneur des brasilianischen Bundesstaates São Paulo einige PCC-Anführer, die von ihren Haftzellen aus die Bewegung lenkten, in einem Hochsicherheitsgefängnis isolieren wollte, der Plan allerdings vorzeitig bekannt wurde, schlug das PCC am 12. Mai 2006 zu und demonstrierte seine Macht. Dem Staat blieb nichts anderes übrig, als einen Waffenstillstand mit den Kriminellen zu schließen. Aber danach zogen Todesschwadrone der Polícia Militar durch die Favelas von São Paulo und brachten teils gezielt, teils wahllos junge Männer um.

Auch nach dem Waffenstillstand kam Talita noch nicht frei. Sie blieb noch bis 19. Juni in der Gewalt der Entführer, denn ihr Vater sträubte sich, auf die Forderungen des PCC einzugehen. Erst nachdem man ihm das abgeschnittene rechte Ohr der Studentin geschickt hatte, zahlte er ein Lösegeld und – was dem PCC viel wichtiger war – versprach, mit der Organisation zusammenzuarbeiten.

Talitas Ohr wurde von einem Spezialisten aus körpereigenem Gewebe rekonstruiert.

Die junge Frau rächte sich für die wochenlangen Vergewaltigungen, indem sie die vier Polizisten Osmar Nogueira Caitano, Valter de Jesus Monlevad, Emerson Dressler Pimentel und Kléber Faria Lobato auf die Entführer hetzte. Sie konnte angeben, wo sie zu finden waren, denn als sie von den Männern nackt aufs Hausdach gestellt worden war, hatte sie sich trotz der Demütigung Anhaltspunkte in der Umgebung eingeprägt. Keiner der fünf Entführer überlebte den Rachefeldzug.

Talitas Vorbild ist Nakano Takedo, die letzte Kriegerin der Samurai, die 1868 in der Schlacht von Aizu ein eigenständiges Frauenkorps anführte und für den Shogun gegen die kaiserlichen Truppen kämpfte, die zwar über Gewehre verfügten, aber die Frauen versklaven wollten und deshalb zunächst nicht schossen. Dadurch kamen sie allerdings in die Reichweite der Schwerter (Naginata) der Kämpferinnen. In dem Gemetzel fiel Nakano Takedo. Ihre Schwester Yūko trennte ihr daraufhin den Kopf ab, damit er nicht dem Feind als Trophäe in die Hände fiel.

Warum Nilton de Souza Wanderley ermordet wurde

Als Vítor Puga und Cida Possamai von einer Abendgesellschaft nach Hause kommen, finden sie ihr Dienstmädchen Marly auf einen Stuhl gefesselt vor, und drei fremde Männer „spielen“ am Pool mit dem Sohn Danilo: Sie werfen halbvolle Spirituosenflaschen aus der Hausbar ins Wasser und zerschießen sie. Der Junge ist begeistert. Er ahnt nicht, dass es sich bei den drei Brasilianern um eine Abordnung des PCC handelt, die den Auftrag hat, die „Ordnung“ in Porto wiederherzustellen.

Im Verlauf der polizeilichen Ermittlungen stellt sich heraus, dass Nilton de Souza Wanderley regelmäßig Prostituiertenpartys organisierte. (Unter den Teilnehmern war auch Comissário Avelino Durães von der Diviisão de Investigação Criminal.) Die Veranstaltungen fanden in abgelegenen Landhäusern statt, auf die Vítor Puga über seine Firma Imocon, Mediação Imobiliária Zugriff hatte, weil sie leerstanden und verkauft werden sollten. Die Innenraumgestaltung war Talita Yakashima Possamais Aufgabe. Ihre Bodyguards übernahmen den Schutz der Veranstaltungen. Für den Nachschub an Prostituierten sorgte Bruno Lopes, der Geschäftsführer des Nachtklubs „Flash“ in Porto, dessen Bruder die Mädchen chauffierte.

Als Bruno Lopes argwöhnte, dass Nilton Wanderley vorhatte, ihn und seinen Bruder auszubooten, plante er mit seinem Türsteher António Ribeiro alias Tony Maluco und zwei weiteren Portugiesen − Coça-Cu und João Pedro Enes Simões („Come Lixo“) – einen Mordanschlag. Zur Party am 24. Juli schickte er absichtlich keine Prostituierten. Wie erwartet, kam Nilton Wanderley zornig ins „Flash“. Als er es verließ, gab Tony Maluco Coça-Cu telefonisch ein Zeichen, und der erschoss Nilton Wanderley in dem nachts menschenleeren Industriegebiet, in dem dieser sein Auto geparkt hatte.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Spoiler: Inspektorin Ana Cristina Gonçalves Santos

Chefinspektor José Manel Fonseca geht in der Nacht vom 7./8. August davon aus, dass in einem von fünf leerstehenden Landgütern eine der Prostituiertenparties stattfindet. Seine Leute schwärmen aus.

Die junge, zu seinem Team gehörende Inspektorin Ana Cristina Gonçalves Santos ist zwar 40 Kilometer östlich von Porto unter den Hochzeitsgästen der Schwester ihres Lebensgefährten Mário, aber sie verlässt das Fest, um mit Leutnant Lourenço von der Guarda Nacional Republicana eines der in Frage kommenden Landhäuser zu überprüfen.

Es sieht so aus, als sei da niemand, aber nachdem die Männer von der GNR wieder abgezogen sind, schleicht Ana sich in den Garten, weil sie telefonisch erfahren hat, dass Talita verschwunden ist und es für möglich hält, dass sie sich in der Quinta versteckt. Bevor sie in eines der Fenster schauen kann, wird sie von einem Mann mit vorgehaltener Pistole überrascht und im Inneren des Hauses auf einen Stuhl gefesselt. Sie befindet sich in der Gewalt der drei Brasilianer vom PCC, die Caitano und seine Männer ermordet haben, um den Tod von Talitas Entführern zu rächen.

Als Inspektor Fonseca versucht, Ana anzurufen und auf ihrer Mailbox landet, weiß er, dass etwas passiert ist, denn ohne Not hätte sie das Handy nicht abgeschaltet. Sofort dirigiert er ein Polizeiaufgebot zu der Quinta, vor der sie beim letzten Telefongespräch stand.

Von Ana über die Übermacht der Polizei aufgeklärt, telefoniert der Anführer der Brasilianer mit Inspektor Fonseca und verlangt freien Abzug mit Ana als Geisel. Man werde die Leichen unauffindbar beseitigen und Ana dann freilassen, erklärt er. Fonseca bleibt nichts anderes übrig, als darauf einzugehen.

An einem Brunnenschacht auf einem leerstehenden von Vítor Puga betreuten Gut wartet bereits ein Betonmischer.

Wie vereinbart, wird Ana gefesselt und mit verbundenen Augen auf einer Straße freigelassen, bevor die Brasilianer verschwinden.

Als Coça-Cu in einer Raststätte geortet und verhaftet wird, wundert sich die Polizei darüber, dass Nilton de Souza Wanderleys Mörder einen Betonmischer fährt.

Spoiler: Letzte Ermittlungsergebnisse

Von seinem telefonischen Gesprächspartner erfuhr Inspektor Fonseca, dass Caitano vor Alessandro Vicente noch einen anderen Abgesandten vom PCC ermordete. Weil Vítor Puga wiederholt Gelder der vom PCC kontrollierten Firma Pedra Furada Investments unterschlagen hatte, schickte das PCC Renato Rezende Filho zur Überprüfung. Der 28-jährige hatte sich freiwillig für die Aufgabe gemeldet, weil er in São Paulo mit Talita Yakashima Possamai befreundet gewesen war und sie wiedersehen wollte. Aus Eifersucht zog Caitano Erkundigungen über ihn ein und berichtete dann Talita von den Ergebnissen. Sie lockte ihren Ex-Freund daraufhin in das leerstehende Landhaus, in dem später Ana gefangen gehalten wurde. Dort überwältigte ihn Caitano. Und was dann geschah, sieht Inspektor Fonseca auf einem in Caitanos Wandtresor entdeckten Video: Talita beschuldigt den auf einen Stuhl Gefesselten, sie an die Entführer verraten zu haben. Er hatte sich mit ihr in São Paulo verabredet und sich dann telefonisch erkundigt, auf welchem Parkdeck sie sich befand. Statt ihm waren dann die Entführer in einem Lieferwagen gekommen. Sie schneidet ihm das rechte Ohr ab und geht dann weg. Nachdem Caitano dem Mann auch noch das andere Ohr und die Zunge abgeschnitten und ihn umgebracht hat, nagelt er die Körperteile an die Schuppentür und nimmt das Video auf, um seine brasilianischen Kontakte in Porto einzuschüchtern.

Talitas Mietwagen wird am Flughafen von Madrid gefunden. Sie hat sich nach Tokio abgesetzt.

Inspektor Fonseca lässt nach Caitano als Mörder von Alessandro Garcia Vicente fahnden, obwohl er weiß, dass man ihn weder tot noch lebendig finden wird. Seinem Team schärft er ein, dass die Vorgänge in der letzten Nacht niemals stattgefunden haben.

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Mario Lima beginnt seinen klug aufgebauten Kriminalroman „Tod in Porto“ mit einem gruseligen Video. Geschickt wechselt er zwischen den Handlungssträngen. Selbst ohne die dadurch erzeugten Cliffhanger wäre die Handlung schon spannend genug. Der Plot, dessen Komplexität Mario Lima souverän im Griff hat, dreht sich um organisierte Verbrechen, Gewalt und Korruption. Das realistisch wirkende Geschehen ist zwar fiktiv, aber sowohl das Primeiro Comando da Capital (PCC) als auch die Bürgerinitiative Mães de Mao (Mütter des Mai) gibt es tatsächlich.

Anders als heute üblich, beschäftigt sich Mario Lima in „Tod in Porto“ mit dem Privatleben der Ermittler nur, wenn es für den Handlungsverlauf wichtig ist. Und den entwickelt er mit einer klaren Sprache leicht verständlich und gut nachvollziehbar, stringent und temporeich. Einige der Szenen − wie zum Beispiel das Skype-Telefonat von Ana mit der Cachaça aus der Flasche trinkenden, ihr Smartphone zornig auf den Tisch werfenden „Tia Vilma“ vom PCC − sind besonders farbig und lebendig. Auch das Lokalkolorit hebt „Tod in Porto“ aus der Masse heraus.

Mario Lima ist das Pseudonym eines Hamburgers, der Geschichte und Architektur studierte, in der Baubranche tätig war und amerikanische Literatur übersetzte, bevor er in den Norden Portugals zog und dort Winzer wurde. Noch unter seinem bürgerlichen Namen Manfred Lührs veröffentlichte er Kurzgeschichten, Erzählungen und den Roman „Im Dunkel Berlins“ (2000). „Tod in Porto“ ist der zweite Band einer 2016 mit „Barco Negro“ begonnenen Buchreihe von Mario Lima mit dem portugiesischen Inspektor Fonseca als zentraler Figur.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2019

Mario Lima: Die Mauern von Porto. Ein Fall für Inspektor Fonseca

Siegfried Lenz - Fundbüro
Warmherzig schildert Siegfried Lenz, was dem 24-jährigen Protagonisten widerfährt, der nur an das Hier und Jetzt denkt, sich keine Ziele setzt und keine Karriere anstrebt. "Fundbüro" ist eine einfache, altmodisch-rührende Geschichte.
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