Robert Menasse : Die Erweiterung

Die Erweiterung
Die Erweiterung Originalausgabe Suhrkamp Verlag, Berlin 2022 ISBN 978-3-518-43080-4, 653 Seiten ISBN 978-3-518-77398-7 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Während das EU-Mitglied Polen die Gewaltenteilung einschränkt, entwickelt sich Albanien zum Rechtsstaat, um in die EU aufgenommen zu werden. Aber die Erweiterung wird von einigen Mitgliedsstaaten – darunter Polen – torpediert. Der albanische Regierungschef und seine Berater geben nicht auf ...
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Kritik

In der Groteske "Die Erweiterung" verwebt Robert Menasse mit Witz und überbordender Fabulierlaune Fakten und Fiktion. Dabei beweist er ein stupendes Wissen über die politischen Gepflogenheiten. Er weist auf Fehlentwicklungen in der Europäischen Union hin und bietet zugleich ein ungewöhnliches Lesevergnügen.
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Veto gegen die Erweiterung

Im Oktober 2019 legen Frankreich, Dänemark und die Niederlande ihr Veto gegen EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien ein. Manchen Beobachtern kommt das absurd vor, denn in dem Maße wie sich Albanien um die Entwicklung zum Rechtsstaat bemüht, baut das EU-Mitglied Polen die Gewaltenteilung ab. Dazu kommt, dass der albanische Ministerpräsident die Wahl mit dem Versprechen gewann, Albanien in die Europäische Union zu führen, während in manchen Mitgliedsländern Parteien durch die Verhinderung der Aufnahme weiterer Staaten punkten.

Baia Muniq Kongoli, die Vorsitzende des Justizreform-Ausschusses des albanischen Parlaments, kommentiert:

Na, was ist archaischer als das Recht des Stärkeren? Deutschland will etwas, das ist recht und billig. Frankreich will etwas nicht, das ist recht, auch wenn es teuer kommt. Aber wenn Albanien etwas will – oh, da schaut man lächelnd zu, wie wir eine Rolltreppe hinauflaufen, die herunterfährt. Die Fortschritte der albanischen Justizreform beurteilt ihr nur nach der Anzahl der Bauernopfer, die ihr als die Stärkeren gebieterisch fordert. EU-Mitgliedstaaten wie Polen oder Ungarn machen antieuropäische Politik und untergraben die Rechtsstaatlichkeit, während Länder wie Albanien betteln, in die EU aufgenommen zu werden, weil sich die Bürger davon Rechtsstaatlichkeit erwarten.

Später wird jemand sagen:

Polen ist Mitglied der EU und bricht systematisch europäisches Recht, und Albanien ist nicht Mitglied und macht eine Justizreform genau so, wie die EU es will.

In einem Interview mit der erfahrenen Journalistin Colette Delacroix von France 2 weist der albanische Regierungschef darauf hin, dass sich China für die Kupferminen seines Landes interessiert. Es sind die größten in Europa.

Wir geben die Schürfrechte den Chinesen, aber die EU bezahlt die dazugehörige Infrastruktur, weil wir ja noch Kandidat sind und die entsprechenden Subventionen bekommen!

Der am 17. Dezember 1981 geborene Lyriker Fate Vasa, der zum Think Tank des albanischen Ministerpräsidenten gehört, schlägt vor, dass die Regierung in Tirana mit der Drohung einer Vereinigung aller ethnischen Albaner Druck auf die EU ausübt. Sie bilden die größte Volksgruppe auf dem Balkan und leben darüber hinaus auch in Süditalien, Deutschland und der Türkei. Warum sollten der Kosovo und Albanien nicht einen gemeinsamen Präsidenten wählen?

Die Deutschen durften sich vereinigen, und wir sollen es nicht dürfen? Mit den Albanern im Kosovo und den Albanern in Mazedonien … Wir stellen diesen Anspruch – und was wird passieren? Kann die EU das wollen? Eine neue Lunte am Pulverfass Balkan? Sie wird blitzschnell doch bereit sein, Zugeständnisse zu machen und Beitrittsgespräche mit uns aufzunehmen.

Skanderbegs Helm

Ismail Lani, der Pressesprecher der albanischen Regierung, denkt in die gleiche Richtung und rät seinem Chef, den Helm des albanischen Nationalhelden Gjergj Kastrioti Skanderbeg vom Kunsthistorischen Museum Wien zurückzufordern.

Du erinnerst sie daran, dass Skanderbeg der Beschützer des europäischen Christentums gegen die Osmanen war.

Hatte die EU ein Symbol ihrer Einheit? Nein. Aber die Albaner hatten eines, diesen Helm.

Tatsächlich erhielt Skanderbeg – ein Fürst und Militärkommandant aus dem albanischen Adelsgeschlecht der Kastrioti im 15. Jahrhundert – von Papst Calixtus III. den Ehrentitel „Kämpfer des Christentums“, weil er sein Fürstentum erfolgreich gegen die Osmanen verteidigt hatte. Papst Pius II. pries ihn als „neuen Alexander“, und seine Gefährten riefen ihn zum „Herrn von Albanien“ aus.

Skanderbeg hat das christliche Europa gegen die Osmanen verteidigt. Dann müsste er doch für die christlichen Europäer eine größere Bedeutung haben als für die albanischen Moslems.

Der Gedanke, dass der Regierungschef in Tirana Skanderbegs Helm tragen und sich zum Führer aller ethnischen Albaner proklamieren könnte, ist für die Opposition unerträglich.

Aber die Direktorin des Kunsthistorischen Museums Wien erklärt, dass sich Skanderbegs Helm rechtmäßig im Besitz der Einrichtung befinde, und das österreichische Außenministerium beantwortet deshalb die Anfrage der albanischen Regierung abschlägig.

Kurz darauf wird das Exponat aus der Vitrine gestohlen. Kommissar Franz Starek leitet die Ermittlungen. Europol wird eingeschaltet.

Der Ministerpräsident in Tirana ist entsetzt, dass seine Regierung eines Diebstahls verdächtigt wird. Er hat damit tatsächlich nichts zu tun und stattdessen inzwischen den Kunstschmied Hekuran Tahiraj beauftragt, eine Replik des Helms nach seinen Schädelmaßen anzufertigen.

Als Hekuran Tahiraj den fertigen Helm liefern möchte, erklärt Mercedes, die Vorzimmerdame des Ministerpräsidenten, dem Portier der Staatskanzlei am Haustelefon, der Schmied solle das Paket bei ihm abgeben. Ihr Chef gab Anweisung, niemanden vorzulassen, denn er konferiert gerade mit seinen Beratern.

Ich stehe im Verdacht, den Diebstahl von diesem gottverdammten Helm in Auftrag gegeben zu haben. Nur weil ich kurz davor seine Rückgabe gefordert habe, die abgelehnt worden ist.

Wir sind international – was?
Diskreditiert. Als Mafia-Staat unter Verdacht.

Auf keinen Fall darfst du dir demnächst wie geplant den Helm aufsetzen, also den nachgemachten Helm.
International, ich sage international, entstünde der Eindruck, dass Sie im Besitz des gestohlenen Helms sind.
Und wenn er klarmacht, dass es eine Replik ist?
Dann steht er innenpolitisch als Fälscher da. Das war ja nicht der Plan. Der Plan war, mit Getöse den Helm zurückzufordern, etwas Zeit verstreichen zu lassen, um dann mit dem nachgemachten Helm symbolisch alle Albaner zu repräsentieren. Das hätte in Wien niemanden gejuckt, weil der echte Helm ja immer noch dort im Museum wäre, während die Albaner glauben würden, dass unser Herr Ministerpräsident den Helm zurückerobert hat. Aber jetzt erweckt er mit der Replik außenpolitisch den Eindruck, er hätte einen Museumsdiebstahl in Auftrag gegeben, oder innenpolitisch, ein Fälscher zu sein.
Es gibt keine andere Möglichkeit, wir müssen den gestohlenen Helm finden und ihn den Österreichern zurückgeben.
Aber mit dem Vorbehalt, dass wir ihn dann wieder zurückfordern.

Der Ministerpräsident reißt die Tür auf.

Mercedes! Der Schmied! Wenn er kommt, dann sofort heraufführen.
Er war schon da.
Er war schon da? Und niemand sagt mir was?

Fate Vasa trifft in der Werkstatt des Kunstschmieds nur den Lehrling Lepur an, und Flaka Tahiraj weiß nur, dass ihr Mann etwas in der Staatskanzlei abgeben wollte. Sie macht sich Sorgen, weil er noch nicht zurückgekommen ist.

Tatsächlich nahm Hekuran Tahiraj den Helm wieder mit – und wurde auf der Straße von zwei jungen Kerlen beraubt. Er schleppte sich zur nächsten Polizeiwache, um Anzeige zu erstatten. Auf die Frage nach dem Inhalt der gestohlenen Adidas-Tasche antwortet der Schmied: der Helm des Skanderbeg.

Der Helm des Skanderbeg?
Der Polizeibeamte wusste von der internationalen Fahndung nach dem Helm, die Information war an alle Dienststellen der albanischen Polizei gegangen.
Sie sagen also, dass sich in Ihrer Tasche der Helm des Skanderbeg befunden hat?
Ja. Ich habe –
Der Beamte stand auf, unterbrach den Schmied: Warten Sie!
Der Kunstdiebstahl in Wien. Und nun stand ein Mann vor ihm, der behauptete, im Besitz dieses Helms gewesen zu sein.
Warten Sie hier. Ich bin gleich zurück.
Zehn Minuten später war der Schmied verhaftet. Zwei Stunden später war von Seiten der Staatsanwaltschaft die Verhängung der Untersuchungshaft bestätigt. Ein Amtsarzt dokumentierte die Verletzungen des Schmieds und machte aktenkundig, dass er diese schon vor seiner Verhaftung und dem ersten Verhör aufgewiesen habe.

Aber auch die beiden Diebe haben ein Problem, denn als sie die Adidas-Tasche öffnen und die ungewöhnliche Beute darin sehen, nehmen sie an, dass sie einen Mafia-Boten bestohlen haben. Sie müssen den Helm sofort zurückgeben. Zum Glück kennt einer der beiden Väter den „Wohltäter“ Kalorës.

Wenig später erhält das Kunsthistorische Museum Wien eine Lösegeldforderung, die exakt dem Versicherungswert des Helms entspricht. Die Mail wurde vom Internetcafé Vlora in Bari verschickt.

In Wien vergleicht der Kunstexperte Dr. Kratky das mit der Lösegeldforderung verschickte Foto des Helms mit einem auf der Website des Museums und stellt rasch fest, dass der in Bari geknipste Helm wenigstens vier Hutnummern größer ist als der in Wien gestohlene. Ließen die Diebe eine Kopie anfertigen, um sie gegen Lösegeld anbieten und das Original behalten zu können? Das würde sich nicht rechnen.

Zwei nachgemachte Helme

Während in Tirana der Kunstschmied Hekuran Tahiraj überraschend aus dem Gefängnis entlassen wird und sich der Polizeipräsident Endrit Cufaj in die Ermittlungen einschaltet, redet Kommissar Franz Starek in Wien mit seiner aus Nordmazedonien stammenden albanischen Putzfrau Bessa Cakaj. Die lernte in der Schule, dass der Helm des Skanderbeg nach dem Vorbild der mazedonischen Königskrone gestaltet wurde.

Das verblüffte Stanek: Das Original war also selbst schon eine Kopie, zumindest einem Vorbild deutlich nachempfunden. Mit diesem Helm kämpfte der neue Alexander gegen die Osmanen als die neuen Perser. Die Frage ist also: Wer sind jetzt die neuen Osmanen? Und wer will jetzt als der nächste neue Alexander einen Abwehr- oder Befreiungskampf führen, als Kopie früherer Kämpfe?

Der Kommissar googelt und stößt auf die im März 1944 aufgestellte kosovo-albanische SS-Division „Skanderbeg“, die von dem fanatischen Nationalisten Essad bej Demolli geführt wurde, der von einem serben- und judenfreien Großalbanien unter dem Schutz des Deutschen Reichs träumte. Die Standarte der SS Skanderbeg befindet sich in Moskau, im Zentralmuseum der russischen Streitkräfte, dem ehemaligen Museum der Roten Armee und Flotte.

Nachdem es dem Polizeipräsidenten Endrit Cufaj gelungen ist, den Helm aus Bari zurückzubekommen, gibt er eine Pressekonferenz, ein „Meisterstück der perfiden Korrektheit“, bei der er wahrheitsgemäß verkündet, dass er die im Auftrag des Ministerpräsidenten nach Maß für ihn angefertigte Kopie des Helms von Skanderbeg wiederbeschafft habe. Die Nachricht schlägt wie eine Bombe ein.

Der Ministerpräsident kontert ebenfalls mit einer Pressekonferenz und kündigt die Ausstellung von Skanderbegs Helm auf dem Kreuzfahrtschiff SS Skanderbeg an. Der Stapellauf ist für 28. November 2020 geplant, dem Tag der Unabhängigkeit und höchsten Feiertag Albaniens, zwei Wochen vor der Balkankonferenz in Poznań, und der Ministerpräsident hat die Regierungschefs der Balkanstaaten ebenso wie die Außen- und Europaminister der EU-Staaten und Vertreter der Europäischen Kommission zur Jungfernfahrt eingeladen.

Die Opposition, allen voran die so genannte Demokratische Partei, wirft mir also vor, dass ich eine Kopie von Skanderbegs Helm herstellen ließ, hob der ZK an, eine Fälschung, Oh kohë e dashur, ich bin ein Fälscher, rief er pathetisch, schlug sich gegen die Stirn, ich gehe in mich – und komme wieder aus mir hervor, und was sehe ich? Eine riesige Fälscherwerkstatt der Demokraten! Waren es nicht die Demokraten, die eine Kopie von Skanderbegs Helm produzierten […] und die Demokraten hatten noch immer nicht genug, sie produzierten auch noch ein Kettenhemd, das sie Skanderbeg zuschrieben, ja, die Fälschungswerkstatt der Opposition war sehr produktiv. Das alles ist zu besichtigen in dem netten Städtchen Shoçe, wo Skanderbeg angeblich einmal ein Scharmützel geschlagen hatte, weshalb dort unter einem demokratischen Bürgermeister eine Skanderbeg-Gedenkstätte errichtet wurde. […] Das müssen Sie gesehen haben! So billig, so primitiv! Es sieht aus wie Pappmaché. (Lautes Gelächter.) Völlig unwürdig für diesen großen Helden unserer Nation. Ich weiß nicht, wer mit der Herstellung dieser peinlichen Fälschungen beauftragt war – vielleicht der Sohn des Parteivorsitzenden der Demokraten, damit er sich ein bisschen Taschengeld verdient, bezahlt vom Steuergeld? (Brüllendes Gelächter.) Sieht jedenfalls so aus! (Anhaltendes Gelächter.) Nein, nein, zonja dhe zotërinj, das können mir die Demokraten nicht anhängen, das haben sie selbst verbrochen. Ich aber habe, um diese Peinlichkeit auszubügeln, etwas ganz anderes gemacht. Ich habe den besten Kunstschmied des Landes damit beauftragt, eine in jedem Detail getreue Nachbildung von Skanderbegs Helm herzustellen, die ein internationales Publikum bestaunen wird. Wie Sie wissen, wird an unserem Nationalfeiertag der Stapellauf der SS Skanderbeg stattfinden, eine Meisterleistung albanischen Schiffbaus, der Stolz des modernen Albanien, und im Zentrum dieses großartigen Schiffs, im Atrium der Skanderbeg, wird dieser Helm ausgestellt. In einer Vitrine aus Panzerglas. Warum Panzerglas? Na, wir wollen ja nicht, dass es uns so geht wie den Wienern mit ihrer Kopie! (Gelächter.) Die Staats- und Regierungschefs Europas sowie illustre Gäste aus aller Herren Länder werden dieses große Symbol der albanischen Einheit bestaunen können […].

Von da an wird in den Medien nicht mehr von einer Fälschung gesprochen, sondern von einem originalgetreuen Helm.

Kriminelle Machenschaften

Die Journalistin Ylbere Lenz täuscht in Tirana vor, Bardame zu sein, um das Gespräch von zwei Männern belauschen zu können. Den einen kennt sie als Büroleiter des Oppositionschefs, den anderen als neureichen Geschäftsmann und Gründer der Albanian Farmer Export Association. Er wird mit Drogenhandel in Verbindung gebracht. Ylbere Lenz hört, dass letzterer den Diebstahl des Helms in Wien für die Oppositionspartei organisierte. Die kann ihn nun aber nicht mehr gebrauchen und will ihn loswerden. Auch dafür hat der Geschäftsmann eine Lösung: Einer seiner Männer kann den Wiener Helm am Tag vor der Schiffstaufe auf die SS Skanderbeg bringen und gegen die Replik austauschen.

Und wenn am großen Tag vor den politischen Eliten aus ganz Europa das Tuch weggezogen wird, was kommt zum Vorschein? Der gestohlene Originalhelm. Und wer hat ihn präsentiert? Der Kryeministër. Und was hat jetzt er, und was habt ihr nicht mehr? Das Problem!

Ismail Lani hat das Amt des Pressesprechers der albanischen Regierung zwar gerade an den neuen Kommunikationschef Valon Bajrami übergeben, aber Ylbere Lenz überredet ihn, den Ministerpräsidenten vor dem geplanten Coup der Opposition zu warnen.

Ylbere Lenz und Ismail Lani

Der Bauer Adnit Baxhaku und seine Frau Fisnike versteckten im albanischen Dorf Sose den jungen Deutschprager Juden Egon Lenz, der Mitglied der sozialistischen Jugendorganisation Mezinárodní unie socialistické mládeže gewesen war, vor den Nationalsozialisten. Im Juli 1944 marschierte Essad bej Demolli, der Anführer der SS-Division Skanderbeg, mit dreißig Mann vor dem Haus der Familie Baxhaku auf und verlangte die Herausgabe des Juden. Um das Gastrecht nach dem mittelalterlichen Gewohnheitsrecht (Kanun) nicht zu verletzen, ging der Bauer ins Haus und sage zu seinem Sohn Agan: „Du gehst mit ihnen. Und du sagst kein Wort.“ Dann umarmte er ihn und führte ihn hinaus. (Am 28. November 1944 starb Agan Baxhaku im KZ Bergen-Belsen – laut Todesurkunde an Herzstillstand.)

Im Dezember 1944 zog die deutsche Wehrmacht aus Albanien ab.

Egon Lenz, von seinen Pflegeeltern „Edon“ gerufen, wuchs zusammen mit den Geschwistern Agan und Donika Baxhaku auf. Als Adnit Baxhaku das Dach reparieren wollte, stürzte er ab und brach sich das Genick. Drei Monate später starb seine Witwe. Edon und Donika zogen 1950 nach Tirana. Ihren dort geborenen Sohn nannten sie Adnit Siegfried.

Adnit Siegfried Lenz und seine Frau bekamen eine Tochter, aber als Ylbere noch keine zwei Jahre alt war, starb ihre Mutter an der Ruptur eines Hirnaneurysmas.

Die Journalistin Ylbere Lenz beabsichtigt nun, für unbestimmte Zeit in den Norden zu reisen, an die Grenze zum Kosovo, in die Heimat ihrer Großmutter Donika Baxhaku. Ismail Lani begleitet sie. Sie fahren zunächst nach Tropoja. Im nordostalbanischen Dorf Sose bietet ihnen Albian Abrashi, ein junger Angehöriger des früher dort herrschenden Clans, ein Gästezimmer an, und seine Ehefrau Dorina serviert ihnen am nächsten Morgen das Frühstück.

Ismail wird es zu viel; er verlässt Ylbere und macht sich zu Fuß auf den Rückweg nach Tirana. An einem Steilhang beugt er sich vor und schaut in die Tiefe.

[…] er beugte sich noch etwas vor, nicht viel, gerade so weit, dass er mit dem Rucksack Übergewicht bekam und kopfüber nach vorn gerissen wurde.

Adam und Mateusz

Die miteinander eng befreundeten polnischen Schüler Adam und Mateusz sind 13 Jahre alt, als ihre Väter untertauchen. Um die Söhne der Untergrundkämpfer dem Zugriff des polnischen Geheimdienstes zu entziehen, bringen die Mütter sie ins Priesterseminar der Schulbrüder in Poznań. Mit 14 sprechen Adam und Mateusz 1982 den Eid der Kämpfenden Solidarność vor einem Vertreter des Untergrunds, den ihre Väter geschickt haben. Das geschieht in den Katakomben der St.-Peter-und-Paul-Kathedrale vor dem Sarkophag des Herzogs Bolesław VI., der 1264 im Statut von Kalisch ein Toleranzpatent zugunsten der Juden in Polen erließ. Adam, selbst Jude, glaubt nicht, dass der Ort zufällig gewählt wurde.

Zu den jungen Widerstandskämpfern gehört auch der fünf Jahre ältere Piotr Szczęsny.

Ihre Wege trennen sich schließlich. Während Mateusz in Warschau das Amt des polnischen Regierungschefs anstrebt, macht Adam in der Europäischen Kommission in Brüssel Karriere.

Adam ist am 19. Oktober 2017 in Warschau, als Piotr Szczęsny selbstverfasste Flugblätter mit Kritik an der polnischen Regierung verteilt, sich mit einem Brandbeschleuniger überschüttet und anzündet. Er stirbt zehn Tage später im Krankenhaus. Dass Mateusz, der stellvertretende Ministerpräsident (der drei Monate ganz an die Spitze vorrücken wird), sich verächtlich über den ehemaligen Kampfgefährten äußert, hält Adam ebenso für einen Verrat an dem vor dem Sarkophag des Herzogs Bolesław VI. geschworenen Eid wie die antisemitische Politik und den Abbau des Rechtsstaats.

Adam Prawdower und seine Anfang der Achtzigerjahre geborene Frau lernten sich kennen, als Dorota nach ihrem Jura-Studium in Bologna und dem Master in European and Transnational Law an der Universität Göttingen als Trainee nach Brüssel gekommen war. Die Mutter ist Italienerin, der Vater ein nach der Verhängung des Kriegsrechts in den Westen geflüchteter Pole. Romek, der Sohn von Adam und Dorota, hat drei Staatsbürgerschaften: die polnische (durch den Vater), die italienische (durch die Mutter) und die belgische (Geburtsort).

Weil Adam an der Vorbereitung der für November in Poznań geplanten Balkankonferenz beteiligt ist, bittet er seinen früheren Blutsbruder Mateusz um ein Gespräch und fliegt dazu nach Warschau.

Als ihm der polnische Ministerpräsident offen erklärt, dass das katholische Polen kein Interesse an der Aufnahme eines Landes in die Europäische Union habe, in dem sechzig Prozent der Bevölkerung Muslime seien, fragt Adam naiv zurück, warum Polen dann bei der Ratssitzung am 15. Oktober 2019 nicht wie Frankreich, Dänemark und die Niederlande sein Veto gegen Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien eingelegt habe.

Mateusz lachte. Ich wusste, sagte er, dass Frankreich, Holland, Dänemark ein Veto einlegen werden. Darauf konnte ich mich verlassen. Wir stehen ja immer unter Verdacht, nicht wirklich proeuropäisch zu sein, europäisches Recht zu brechen und so weiter, das weißt du ja. Da konnten wir zeigen, dass wir gute Europäer sind und der Empfehlung der Kommission folgen. Der französische Präsident hat unseren Job erledigt.

Im Grunde ist Politik ein Spiel mit Kulissen, es ist wie im Theater: Vorne hast du symbolische Handlungen, dahinter die Technik. Und genauso werden wir es bei der Poznań-Konferenz halten. Wir werden pro-europäisch moderieren, aber nationale Interessen verteidigen.

Mateusz sagt außerdem:

Wenn das Regime fällt, und es wird fallen, da habt ihr Recht, und dafür haben wir gekämpft, dann wird die abstrakte Freiheit niemanden mehr befriedigen, dann wird es konkret Gewinner und Verlierer geben, dann werden die einen so frei sein, sich mehr herausnehmen zu können, andere werden Unfreiheit ganz anders als früher erleben, nämlich als Chancenlosigkeit auf der Jagd nach Wohlstand. Und jeder wird andere Gründe dafür sehen, aber eines wird sie sicherlich nicht trösten: die formale Demokratie. Warum sollen sie damit zufrieden sein, dass es immerhin eine Demokratie ist, in der sie chancenlos sind und scheitern? Und dann werden wir andere Phrasen anbieten müssen, um wieder Einigkeit herzustellen. Phrasen, die genauso irreal sind wie die Phrase von der Pressefreiheit, die nur die Freiheit der Medieneigentümer sein wird, so wie es war und anders wieder sein wird: Bis jetzt war es die Partei, dann sind es irgendwelche privaten Pressezaren. Die Phrasen werden so irreal sein, wie es die Phrase vom Weltfrieden war, der von der Sowjetunion garantiert wird.

Zurück in Brüssel, fasst Adam Prawdower die vom polnischen Regierungschef geäußerten Ansichten für seinen Direktor Ambroise Bigot zusammen. Weil dessen Sekretärin die Mail im System zur Archivierung von wichtiger Korrespondenz (ARES) ablegt und ein anderer Beamter den informellen Bericht dort entdeckt, wird der Verfasser zu Generaldirektor Thor Gustafsson gerufen, und der belehrt ihn folgendermaßen:

Die Balkanstaaten müssen von der Konferenz ein Versprechen mitnehmen können, eine Perspektive haben, aber Polen wie auch Frankreich, Dänemark, die Niederlande und auch Ungarn müssen zugleich in ihrer Ablehnung der Erweiterung bestätigt werden.
Adam sah ihn an. Das ist ein unauflöslicher Widerspruch, sagte er.
Philosophisch mag das ein Widerspruch sein, Mister Prawdower, politisch ist es der Kompromiss.

Stapellauf der SS Skanderbeg

Für die Schiffstaufe der SS Skanderbeg am 28. November 2020 wird eigens Schwester Mary Prema aus Kolkata eingeflogen, die zweite Nachfolgerin von Mutter Teresa als Generaloberin der Missionarinnen der Nächstenliebe. Sie landet auf dem Mutter-Teresa-Flughafen in Tirana und wird zum Hafen von Durrës gebracht. Am Ende ihrer Rede lässt sie die für die Schiffstaufe angebundene Champagnerflasche einfach los, statt ihr Schwung zu verleihen. Beherzt greift der Polizeipräsident Endrit Cufaj zu seiner Dienstpistole und zerschießt die Flasche, damit diese nicht unzerbrochen gegen den Schiffsrumpf prallt, denn das hätte Unheil bedeutet.

Nach der Schiffstaufe nimmt die SS Skanderbeg mit den Staatsgästen, den Journalisten und der Besatzung an Bord Kurs auf Brindisi.

Karl Auer und Baia Muniq Kongoli

Unter den Gästen an Bord der SS Skanderbeg befinden sich auch die Juristen Dr. Karl Auer und Dr. Baia Muniq Kongoli, zwei Experten für internationales Recht.

Der Österreicher ist in der zur Generaldirektion Nachbarschaft und Erweiterung (GD NEAR) der Europäischen Kommission gehörenden Direktion D (Westbalkan) für Albanien zuständig – und nutzt jede Gelegenheit zur Kontaktaufnahme, denn er hat sich in die Vorsitzende des Justizreform-Ausschusses des albanischen Parlaments verliebt.

Deren Vater Leon Kongoli studierte Mitte der Siebzigerjahre Deutsch in China, und nach dem Tod des albanischen Diktators Enver Hoxha im April 1985 bekam er ein Stipendium für das Goethe-Institut in München.

Er wurde vor lauter Anpassung zur Karikatur eines Deutschen, eines Bayern, mit Lederhose und einer unglaubwürdigen Liebe zu Weißwürsten und so weiter.

Weil sein Visum abgelaufen war, kam seine Tochter im November 1989 in Tirana zur Welt. Der Bayern-München-Fan nannte dem Standesbeamten den Namen, den er für das Kind gewählt hatte, und der schrieb nach dem Gehör Baia Muniq.

Baia Muniq Kongoli war noch keine zwei Jahre alt, als ihr Vater sie am 8. August 1991 mit zum Hafen von Durrës nahm, wo an diesem Tag der Frachter Vlora von 25.000 bis 32.000 Menschen gestürmt wurde, die ihre Flucht nach Italien erzwangen.

Karl Auer ist acht Jahre älter als Baia Muniq Kongoli. Wer sein Vater war bzw. ist, weiß er bis heute nicht. Kurz bevor er 1987 eingeschult wurde, starb seine noch nicht einmal 30 Jahre alte Mutter bei einem Motorradunfall. Er wuchs danach bei seiner Großmutter in Wien auf, einer dreifachen Witwe. Ein halbes Jahr vor der Promotion des Juristen erlag die Großmutter einem Schlaganfall.

Attentatsplan

Adams Vorschlag, einen Gedenkstein für Piotr Szczęsny aufstellen zu lassen, lehnte Mateusz beim letzten Gespräch in Warschau brüsk ab.

Damit noch mehr Verrückte sich umbringen und glauben, dass ihnen dann Denkmäler errichtet werden? […] Ja, wir haben die Freiheit erkämpft, aber Piotr hatte eine Wahnvorstellung von Freiheit.

Aus der Zeitung weiß Adam, dass Mateusz mit dem Bürgermeister von Warschau den ersten Spatenstich für den Hauptsitz des Muzeum Sztuki Nowoczesnej w Warszawie vornahm, das bis Ende 2022 an der Stelle entstehen soll, an der sich Piotr Szczęsny verbrannte.

Diesen Verrat verzeiht Adam dem früheren Kampfgefährten nicht. Dem Eid entsprechend müsste er Mateusz töten. Aber er will den Schwur nicht durch eine Gewalttat erfüllen.

Mateusz musste nicht physisch sterben, er musste politisch sterben.

Nachdem es Adam nicht gelungen ist, die geplante Konferenz von Polen auf den Balkan zu verlegen, lässt er Flugblätter drucken und nimmt sie mit an Bord der SS Skanderbeg.

Getreue Faksimiles des Flugblatts von Piotr Szczęsny, auf der Rückseite zehn Punkte Adams, in denen er auflistet, wie sich die Kritik Piotrs eindeutig bestätigt hatte. Von der Zerstörung der unabhängigen Justiz, der freien Medien, bis hin zum staatlichen Antisemitismus. Das Flugblatt des Mannes, der sich aus Protest gegen die Missachtung der europäischen Werte und der Solidarität selbst verbrannt hatte, musste unter den europäischen Staatenlenkern einen Schock auslösen und Mateusz politisch isolieren.

Adam beabsichtigt, die Flugblätter während der für 18 Uhr geplanten feierlichen Enthüllung des Skanderbeg-Helms in der Lobby von der Brüstung des nächsthöheren Decks hinunterflattern zu lassen.

Wenige Minuten vor 18 Uhr sieht er jedoch, wie sich die Lobby leert. Die Staatsgäste und Journalisten ziehen ins Theater. Adam kann sich das nicht erklären. Ohne darüber nachzudenken kippt er die Tasche mit den Flugblättern aus. Dann zieht er sich zurück – und sieht nicht mehr, wie fünf Männer mit breiten Besen die Flugblätter zusammenkehren und in großen roten Müllsäcken wegschaffen.

Die Enthüllung

Die Gäste hat man überraschend ins Theater gebeten. Dort wird ein aus Aufnahmen von Überwachungskameras geschnittener Film vorgeführt. Es ist zu sehen, wie in der Nacht zuvor ein Mann mit Hilfe des diensthabenden Sicherheitsbeauftragten den Helm aus der Vitrine gegen einen mitgebrachten vertauscht. Der Film zeigt auch noch die Festnahme der beiden Täter. Anschließend sagt der albanische Ministerpräsident:

Was ich hier in Händen habe und in die Vitrine zurücklege, ist der aufwendig geschmiedete, in jedem Detail originalgetreue Helm des Skanderbeg, den ich für dieses Schiff in Auftrag gegeben habe, das seinen Namen trägt. Und hier, dieser Helm in der Box, die Polizeipräsident Cufaj da vor die Kamera hält, das ist – die Überraschung. Das ist – die Sensation. Das ist der Helm, der in Wien gestohlen wurde.

Die Festgenommenen und der Wiener Helm sollen am nächsten Morgen in Montenegro an Land gebracht werden. Der österreichische Botschafter in Tirana und zwei albanische Elitesoldaten stehen bereit, den Helm nach Wien zurückzubringen.

Code Alpha

Über die Lautsprecher heißt es „Code Alpha“. Das bedeutet „medizinischer Notfall“. Der Wiener Schiffsarzt Dr. Schumann wird zu Otto Sontheimer gerufen, den deutschen Botschafter in Albanien, der auf der Toilette seiner Suite zusammengebrochen ist.

Dr. Schuhmann fasst bald darauf die Lage zusammen:

Wir haben jetzt vier Fälle, sagte er, und wir haben an Bord eine Krankenstation mit vier Betten. Es handelt sich zweifellos um ein Virus, und es muss hoch ansteckend und aggressiv sein. […] Ich muss gestehen, dass ich nicht weiß, womit wir es zu tun haben.

Auf der Höhe von Korfu sträubt sich der Kapitän gegen eine Meldung an die Hafenbehörde.

Ich will nicht in die Geschichte eingehen als der Mann, der aus der Europapolitik ein Lazarett gemacht hat.
Herr Kapitän, mit Verlaub, Sie sind dabei, aus der Europapolitik einen fliegenden Holländer zu machen.

Mit sechs Toten ist der für solche Fälle vorgesehene Kühlraum des Schiffs voll belegt. Die siebte Leiche muss in den Kühlraum für Lebensmittel gebracht werden. Und um Platz für weitere Tote zu schaffen, kippt die Besatzung Vorräte über Bord.

Der Kapitän kann nicht mehr anders; er will den Hafen von Crotone ansteuern, aber die SS Skanderbeg erhält ein Anlandeverbot und wird aufgefordert, in den Heimathafen zurückzukehren. Am nächsten Morgen vor Catania wiederholt sich das.

Code Echo: Durch den krankheitsbedingten Ausfall von Besatzungsmitgliedern fällt der elektrische Strom aus.

[…] nichts funktionierte mehr, kein Wasser, kein Licht, keine Toiletten, Leute steckten in den Aufzügen fest, der Motor fiel aus und das Schiff begann ohne Antrieb einfach zu treiben.

Schließlich springen die Turbinen wieder an. Malta, Tunis, Algier – überall wird die SS Skanderbeg abgewiesen. In Nador erklärt sich die Hafenbehörde wenigstens bereit, Medikamente und Lebensmittel zu bringen.

Auf dem offenen Meer wird ein Schlauchboot mit schätzungsweise hundert Männern, Frauen und Kindern an Bord gesichtet. Augenscheinlich befindet es sich in Seenot. Es kentert. Einerseits ist man in dieser Situation zur Seenotrettung verpflichtet, andererseits ist es verboten, Menschen an Bord eines Schiffes zu holen, auf dem eine Epidemie ausgebrochen ist. Ein Dilemma! An Bord könnte man die geschwächten Flüchtlinge kaum vor einer tödlichen Infektion bewahren.

Im Grunde müssen wir jetzt entscheiden, ob diese Menschen im Meer sterben oder an Bord. Und auf jeden Fall haben wir Recht gebrochen.

Noch nicht erwähnte Romanfiguren:

Arlind, Amir und Albian Abrashi: Angehörige des Clans, der im albanischen Dorf Sose das Sagen hat

Dardan Agolli: albanischer Außenminister

Bardhok: albanischer Schäfer aus dem Dorf Valguri

Patrizia Barella: Musikstudentin aus Rom, die bei Professor Höllerer in Wien Violine-Studium Privatstunden nimmt, um das in ihrer Vita auflisten zu können

Bataille: Dozent für Philosophie an der Université libre de Bruxelles

Antonio Bennato: Mitglied der Delegation für die Beziehungen zu Bosnien und Herzegowina und dem Kosovo (DSEE)

Ambroise Bigot: Direktor der Direktion D (Westbalkan) in der Generaldirektion Nachbarschaft und Erweiterung (GD NEAR) der Europäischen Kommission

Prof. Gustave du Bois-Veretout: blasierter Franzose im Stab der Berater des französischen Präsidenten

Nathalie Bonheur: in der GD NEAR für Montenegro zuständig

Sokol Broja: Staatsminister der albanischen Regierung

David Bryer: in London lebender Journalist der BBC im Ruhestand

David Charlton: Ire, in der GD NEAR für den Kosovo und Nordmazedonien zuständig

Maksun Demaçi: albanischer Innenminister

Naim Frashëri: Betreiber einer Imbissbude in Tirana

Jakub Guciński: polnischer Rechtsanwalt

Thor Gustafsson: Schwede, Generaldirektor der Generaldirektion Nachbarschaft und Erweiterung (GD NEAR) der Europäischen Kommission, kurz vor dem Ruhestand

Max-Otto Hagenbeck: aus Hamburg stammender Europol Assistant Director in Den Haag, seit zwei Jahren mit Kommissar Franz Starek in Wien befreundet

Fritz Huber: Oberstleutnant bei der Kriminalpolizei in Wien

Elena Kapo: Staatsministerin der albanischen Regierung

Berat („Cinguettio“) Kumbulla: Mörder von Arlind Roshi in Brindisi, wird von dessen Sohn Blerim erschossen, worauf dessen Onkel Gjergj Kumbulla ebenfalls der Blutrache zum Opfer fällt

Spiro Lani: Großvater von Ismail Lani, in Tropoja geborener Partisan

Jana Maly: Leiterin der D-AL im Europäischen Parlament (Stabilisierungs- und Assoziationsausschuss)

Edita Manaj: junge Journalistin, die sich die Kabine auf der SS Skanderbeg mit Ylbere Lenz teilt

Etrit Manaj: Innenpolitik-Redakteur des staatlichen Fernsehens

Ante Matic: Anführer einer Bande, die 1998 den Schäfer Bardhok im Nordosten Albaniens überfällt, seine Frau vor seinen Augen vergewaltigt und sie ebenso wie seine Schafe umbringt

Mihkel Müürisepp: in der GD NEAR für Serbien zuständig

Myrto: Leibwächter von Arlind Roshi

Severin Osterkamp: Musiklehrer am Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darmstadt

Redi Panarati: Betreiber der Radio Bar in Tirana

Jeton Pashku: Kabinettschef des albanischen Ministerpräsidenten

Paulina Piechna-Więckiewicz: Stadtratsabgeordnete der liberalen Partei in Warschau

Admira Pickim: Grafikerin und Plakatkünstlerin

Saimir Pirgu: albanisch-italienischer Opernsänger

Prochaska: Oberstudienrat

Arlind Roshi: wird in Brindisi von Berat („Cinguettio“) Kumbulla ermordet, weil er den Gauner, der Lösegeld für den Skanderbeg-Helm verlangte, an die Polizei verriet

Luigi Soriano: Botschafter der Europäischen Union in Albanien

Sabine Starek: 24-jährige Tochter von Franz und Elfi Starek

Gino Trashi: Fotoreporter der Zeitung Shqip, ein Meister der Bildmanipulation

Nikolla Tupe: Professor für experimentelle Physik in Tirana, glaubt mit einer Feinwaage nachgewiesen zu haben, dass Sterbende keine Seele aushauchen – worauf Enver Hoxha den Atheismus in der albanischen Verfassung festschreiben lässt

Selina Vasa: Mutter von Fate Vasa

Fatos Velaj: bildender Künstler aus Albanien

Tomislav („Tommy“) Vysoky studiert Transkulturelle Kommunikation an der Universität Wien und jobbt als Saalaufsicht im Weltmuseum, einer Dependance des Kunsthistorischen Museums in der Wiener Hofburg

Prof. Dr. Albert Wehrschütz: Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien, Forschungsschwerpunkte „Faschismus in Osteuropa im Rahmen der vergleichenden Faschismusforschung“ und „Soziokulturelle Entwicklungen im albanischen Balkan“

Weisgram: Sturmbannführer, Urgroßvater von Dr. Karl Auer, wird im Oktober 1944 in Lublin von Widerstandskämpfern erschossen; um ihn zu rächen, ermorden die Deutschen 41 Polen, für jedes Lebensjahr des Toten einen

Xhulieta: Schwester von Ismail Lanis Vater

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Unter dem Titel „Die Hauptstadt“ legte Robert Menasse 2017 eine Romansatire über die Brüsseler EU-Bürokratie vor. Daran knüpft er 2022 mit der Groteske „Die Erweiterung“ an – und zeigt erneut sein stupendes Wissen über die politischen Gepflogenheiten.

Robert Menasse verwebt einfallsreich Fakten und Fiktion, frei erfundene Romanfiguren und Charaktere nach echten Vorbildern. Den albanischen Ministerpräsidenten in „Die Erweiterung“ nennt er zwar nicht mit Namen, aber die Figur weist Parallelen mit Edi Rama (*1964) auf, einem Künstler, der von 2000 bis 2011 Bürgermeister von Tirana war und seit 2013 die Staatsregierung führt. Vom polnischen Regierungschef wird in „Die Erweiterung“ nur der Vorname genannt, aber bei diesem Mateusz dachte Robert Menasse sicherlich an Jarosław Aleksander Kaczyński (*1949).

Ein zentraler Handlungsstrang rankt sich um einen dem albanischen Nationalhelden Gjergj Kastrioti Skanderbeg (1404 – 1468) zugeschriebenen Helm mit Ziegenschädel, der im Roman ebenso wie in der Wirklichkeit im Kunsthistorischen Museum Wien ausgestellt ist. Der albanische Fürst Georg Kastriota, genannt Skanderbeg, gilt als erfolgreicher Verteidiger des Abendlandes gegen die Osmanen, und der Moslem erhielt von Papst Calixtus III. den Ehrentitel „Kämpfer des Christentums“. Antonio Salvi (Libretto) und Antonio Vivaldi (Musik) ließen sich von der historischen Figur zu der 1718 in Florenz uraufgeführten Oper „Skanderbeg“ inspirieren. Der Skanderbeg-Helm dient in „Die Erweiterung“ gewissermaßen als Running Gag, und Robert Menasse hat sich dazu eine Fülle von grotesken Episoden ausgedacht.

Die Symbolik des Finales hat es in sich: Regierungsvertreter, Repräsentanten der Europäischen Kommission und Journalisten nehmen auf Einladung des albanischen Ministerpräsidenten an der Schiffstaufe und Jungfernfahrt des Kreuzfahrtschiffs SS Skanderbeg teil – und treiben nach einem Ausfall der Turbinen führerlos auf dem Mittelmeer. Sie haben gewissermaßen die Pest an Bord und werden von allen Häfen abgewiesen. Dann stößt die SS Skanderbeg auch noch auf ein Flüchtlingsboot in Seenot …

Es geht Robert Menasse darum, Fehlentwicklungen in der Europäischen Union – und in Polen – aufzuzeigen, aber er tut das in Form eines sarkastischen Romans, mit dem er ein ungewöhnliches Lesevergnügen anbietet. Mit überbordender Fabulierlaune packt Robert Menasse „Die Erweiterung“ mit Figuren, Episoden und gewitzten Einfällen voll. Das ist umwerfend – aber vielleicht hätte er auf das eine oder andere besser verzichtet und einen Teil der 653 Seiten eingespart.

Den Roman „Die Erweiterung“ von Robert Menasse gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Burghart Klaußner.

Veranschaulichung der Beziehungen

Zur Verfügung gestellt von © Gerhard Günther

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2023
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag

Robert Menasse: Don Juan de la Mancha
Robert Menasse: Die Hauptstadt

Christian Lorenz Müller - Ziegelbrennen
Der auf dem Balkan und in Österreich spielende Roman "Ziegelbrennen" beginnt und endet mit dem Thema Flucht. Christian Lorenz Müller entwickelt die verschiedenen Handlungsstränge in seinem Roman "Ziegelbrennen" im ständigen Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Generationen und Perspektiven. Zugleich variiert er den Sprachstil.
Ziegelbrennen