Nele Neuhaus : In ewiger Freundschaft

In ewiger Freundschaft
In ewiger Freundschaft Originalausgabe Ullstein Buchverlag, Berlin 2021 ISBN 978-3-550-08104-0, 525 Seiten ISBN 978-3-8437-2637-5 (eBook) Ullstein-Taschenbuchverlag, Berlin 2022 ISBN 978-3-548-06710-0, 525 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Im August 2018 entlässt Carl Winterscheid, der im Januar 2017 die Leitung des Winterscheid-Verlags von seinem Onkel übernommen hat, die Programmleiterin Heike Wersch nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit, weil sie gegen seine Neuausrichtung opponierte. In ihrem Zorn zieht sie öffentlich über den Verlag her. Am 8. September entdecken Forstarbeiter ihre Leiche. Heike Wersch wurde erschlagen ...
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Kritik

"In ewiger Freundschaft" ist kein nervenzerfetzender Action-Thriller, sondern ein leicht zu lesender unterhaltsamer Kriminalroman. Nele Neuhaus erzählt farbig und anschaulich. Dabei ist das Privatleben der Figuren, die wir aus den anderen Bänden der Romanreihe über Pia Sander und Oliver von Bodenstein bereits kennen, ein dem Kriminalfall gleichwertiger Bestandteil der Handlung.
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Der Verlag

Der Verlag Liebman wurde 1919 von Abraham Liebman und Carl August Winterscheid in Frankfurt am Main gegründet. Weil die Familie Liebman eine Machtergreifung Hitlers befürchtete, setzte sie sich 1931 in die USA ab. 1934 musste der Verlag den jüdischen Namen ablegen. Seither firmiert er als Winterscheid-Verlag. Carl Winterscheid, ein Enkel des 1989 gestorbenen Mitbegründers, übernahm im Januar 2017 die Leitung des Verlags – und hat sich vorgenommen, ihm den ursprünglichen Namen zurückzugeben.

Carl Winterscheid wurde 1984 in Frankfurt geboren. Sein Vater Johannes („John“) starb 1988 im Alter von 41 Jahren, und seine Mutter Katharina Winterscheid, eine geborene Komorowski, die 1982 als 23-jährige Studentin nach Frankfurt gekommen war und John im Jahr darauf geheiratet hatte, stürzte sich im August 1990, drei Tage vor der Einschulung ihres Sohns, vom Balkon in den Tod. Carl wuchs daraufhin bei seinem Onkel Henri Winterscheid und seiner Tante Margarethe in der Verleger-Villa am Grüneburgpark auf. Im Alter von 14 Jahren zog er zu seinem Patenonkel in die USA. An der Stanford und der Yale University studierte er Betriebs- und Literaturwissenschaft.

Als Henri Winterscheid einen Schlaganfall erlitt, kam sein Neffe Carl nach Deutschland zurück, übernahm die Leitung des Verlags und gewann seine 15 Jahre ältere Cousine Dorothea Winterscheid-Fink („WiFi“) – die Tochter von Henri und Margarethe Winterscheid – als Vertriebschefin. Ihr Ehemann Stefan Fink hat die Großdruckerei seiner Eltern übernommen, zu deren Kunden auch der Winterscheid-Verlag gehört.

Carl Winterscheid richtet den Verlag neu aus, den sein Onkel trotz erfolgreicher Autoren wie des Büchner-Preisträgers Hellmuth Englisch beinahe in den Ruin getrieben hätte.

Im August 2018 entlässt Carl Winterscheid die 56 Jahre alte Programmleiterin Heike Wersch nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit, weil sie aus Opposition zu seinen Umstrukturierungsplänen einen eigenen Verlag gründen wollte und versuchte, nicht nur Kollegen, sondern auch Autoren vom Winterscheid-Verlag abzuziehen. Ihr Nachfolger wird der mit ihr befreundete Lektor Alexander Roth, der sich geweigert hatte, den Winterscheid-Verlag zu verlassen.

Verheiratet ist Alexander Roth mit der Kulturjournalistin Paula Domski, mit der zusammen Heike Wersch 2004 bis 2016 parallel zu ihrer Anstellung die monatliche Literatur-Fernsehsendung „Paula liest“ moderierte.

In ihrem Zorn zieht Heike Wersch in der Öffentlichkeit über den Winterscheid-Verlag her und schreckt nicht einmal davor zurück, „Der einbeinige Kranich“, den neuen Bestseller des vor zwölf Jahren von ihr selbst entdeckten Schriftstellers Severin Velten, als Plagiat der 1951 in Chile veröffentlichten Novelle „El hombre que robó las plumas del cóndor“ zu entlarven. Severin Velten und sein Literaturagent Josef Moosbrugger sind entsetzt über den rufschädigenden Skandal.

Mordfall

Maria Hauschild, die seit 2005 verwitwete Literaturagentin des Rechtsmediziners Prof. Dr. Henning Kirchhoff, der einen Roman geschrieben hat, macht sich Sorgen, weil sie von ihrer langjährigen Freundin Heike Wersch seit Tagen nichts gehört hat. Henning Kirchhoff bittet deshalb seine Ex-Frau, die Kriminalhauptkommissarin Pia Sander vom K11 in Hofheim, mit Maria Hauschild nach Bad Soden zu fahren und nachzusehen.

Das Haus sieht verlassen aus, aber die Agentin schlägt kurzerhand eine Scheibe ein. Im Obergeschoss stößt Pia Sander auf einen dehydrierten Greis, der so angekettet ist, dass er nicht zur Treppe gelangen kann. Von den Nachbarn Gerda und Klaus Wiedebusch erfährt sie, dass es sich um Gernot Wersch handelt, Heikes dementen Vater, den diese zu Hause pflegt. Heike Wersch ist nicht da. Aber Pia Sander entdeckt Blutspuren.

Zwei Tage später, am 8. September 2018, stoßen Forstarbeiter in einer Schlucht zwischen Königstein und Mammolshain auf eine Leiche. Der Revierförster Wotan Velázquez führt Pia Sander hin. Bei der Toten handelt es sich um Heike Wersch. Es sieht so aus, als sei sie beim Walking gestürzt, aber die angeschnallten Teleskopstöcke sind nicht auf die passende Länge ausgezogen. Augenscheinlich sollte ein Unfall vorgetäuscht werden.

Drei Impressionsfrakturen am Schädel beweisen, dass Heike Wersch erschlagen wurde. Aber die Mordwaffe könnte auch jemand anderes dort versteckt haben, um den Verdacht auf ihn zu lenken.

Bei den Nachforschungen erfahren Pia Sander und ihr Vorgesetzter Oliver von Bodenstein, dass Heike Wersch 27 Jahre lang die Mätresse des Verlegers Henri Winterscheid war ‒ bis zu seinem Schlaganfall vor zwei Jahren. Ein Geheimnis machten sie daraus nicht; auch Margarethe Winterscheid wusste davon.

Heike Werschs Nachfolger Alexander Roth stürzt am 8. September mit dem Fahrrad und wird erst Stunden später von einem Autofahrer im Straßengraben entdeckt. Er stirbt am nächsten Tag im Krankenhaus in Bad Soden. Nach 15 Jahren Abstinenz hatte er wieder zum Alkohol gegriffen. Bei der Obduktion seiner Leiche werden Rückstände von Methanol in seinem Blut festgestellt. Hat ihn jemand vergiftet?

In seinem Büro stellen die Ermittler den Fleischklopfer sicher, mit dem Heike Wersch erschlagen wurde.

Oliver von Bodenstein

Oliver von Bodenstein sorgt sich um seine im Krankenhaus liegende Ex-Frau Cosima, eine Dokumentarfilmerin, die sich bei einer ihrer zahlreichen Auslandsreisen vor Jahren mit Hepatitis infizierte und als Spätfolge an Leberkrebs leidet. Sobald sich ihr Zustand nach der Chemotherapie stabilisiert hat, wird ihr der 58 Jahre alte Oliver von Bodenstein ein Stück seiner Leber spenden.

Die zwölfjährige Tochter Sophia hat er zu sich geholt, aber sie wird ebenso wie er selbst von seiner Stieftochter Greta Albrecht terrorisiert, und seine Ehefrau Karoline unternimmt nichts dagegen. Deshalb bringt er Sophia am 7. September 2018 zu seinem Bruder Quentin und seiner Schwägerin Marie-Louise von Bodenstein, die auf dem 1884 im Tudorstil gebauten Gut Bodenstein nördlich von Kelkheim leben. Von Karoline wird er sich scheiden lassen.

Erkenntnisse

Henning Kirchhoff schaut sich den Untersuchungsbericht über den vermeintlichen Suizid Katharina Winterscheids im August 1990 an und weist seine Literaturagentin Julia Bremora darauf hin, dass ihn auf Fotos der Leiche erkennbare Schürfverletzungen und Abdrücke von Fingernägeln auf ein Verbrechen schließen lassen: die Frau wurde vermutlich mit Gewalt über die Balkonbrüstung geschoben bzw. gestoßen. Das übersahen die Ermittler damals.

Julia Bremora unterrichtet darüber den Verleger Carl Winterscheid, der ihr kurz zuvor das Fragment eines Manuskripts mit dem Titel „In ewiger Freundschaft“ zum Lesen gab. Seine Mutter verfasste es 1990 und konnte es wegen ihres Todes nicht fertigstellen. Die Agentin ist von der literarischen Qualität begeistert. Es handelt sich offenbar um einen autobiografischen Schlüsselroman über einen Freundeskreis, dessen Mitglieder sich identifizieren lassen: Katharina Komorowski, spätere Winterscheid, Alexander Roth, Stefan Fink, Heike Wersch, Maria Hauschild, Josefin Lintner, Waldemar Bär, Götz Winterscheid. Josefin Lintner betreibt mit ihrem Ehemann die Buchhandlung im Main-Taunus-Zentrum. Waldemar Bär arbeitet seit Jahrzehnten als Hausmeister des Verlagsgebäudes und der Villa der Winterscheids. Götz, der Sohn von Henri und Margarethe Winterscheid, kam bei einem Ferienaufenthalt mit den Freunden im August 1983 auf Noirmoutier ums Leben. Er wurde nur 21 Jahre alt. Sein Vater verkaufte danach das Ferienhaus auf der französischen Atlantikinsel.

Götz war damals mit Maria verlobt und flirtete mit Katharina. Damit tarnte er sich als heterosexuell. Tatsächlich war er schwul und hoffnungslos in Stefan verliebt. Nachdem er ins Meer gestürzt war, hieß es, er habe sich ertränkt, weil Katharina nicht auf seine Avancen eingegangen sei.

Waldemar Bär

In einem 2015 bei dem Notar Philipp Eberwein in Königstein hinterlegten Testament setzte Heike Wersch ihren Freund und Kollegen Waldemar Bär als Alleinerben ein. Das wollte sie nach der Auseinandersetzung mit ihm ändern, aber dazu kam sie nicht mehr. Ermordete er sie, um sie daran zu hindern?

Der Hausmeister ist verschwunden. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung werden im Januar 1983 begonnene Tagebücher von Katharina entdeckt. Daraus geht hervor, dass Götz damals nicht aus eigenem Willen starb, sondern von Alexander Roth im Beisein von Heike Wersch ermordet wurde.

Außerdem tauchen weitere Buchmanuskripte von Katharina auf, die offenbar nach dem Tod der Autorin von der Lektorin Maria Hauschild unter dem aus den Buchstaben des Namens Katharina zusammengestellten Fantasienamen Anita Kahr bei Éditions Guy Manesse in Luxemburg veröffentlicht wurden, sich allesamt als Bestseller erwiesen und der Betrügerin Millionen einbrachten.

Aufgrund der Erkenntnisse über Maria Hauschild wird nun auch bezweifelt, dass ihr Vater Jean Molitor im Alter von 49 Jahren eines natürlichen Todes starb. Maria will ihn tot in der Sauna gefunden haben. Aber vielleicht hatte ihn die damals 16-Jährige darin eingesperrt.

In Waldemar Bärs Wohnung fällt auf, dass er Fotos einer jungen Frau aufgestellt hat. Es handelt sich um Ségolène Bonnaire, das letzte Au-pair-Mädchen, das Katharina Winterscheid nach dem Tod ihres Ehemanns beschäftigte. Offenbar war Waldemar Bär in sie verliebt. Sie lebt inzwischen unter ihrem Ehenamen Thibault wieder in ihrem Heimatort L’Herbaudière an der Nordwestspitze der Insel Noirmoutier.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Noirmoutier (Spoiler)

Carl Winterscheidt fährt mit Julia Bremora nach Noirmoutier. Oliver von Bodenstein und Pia Sander fliegen nach Nantes und von dort weiter mit einem Hubschrauber. Auch Waldemar Bär und Maria Hauschild tauchen bei Ségolène Thibault auf.

Maria richtet eine Pistole auf die krebskranke Französin. Carl entreißt ihr jedoch die Waffe und hält sie in der Hand, als die Polizei eintrifft. Maria flüchtet mit dem Auto, aber die Brücke zum Festland wird sofort gesperrt, und auf der Gezeitenstraße gibt es wegen der Flut kein Durchkommen.

Alexander Roth hat bei einem Rechtsanwalt ein erst nach seinem Tod zu öffnendes Kuvert hinterlassen. Es enthält ein Geständnis: Er gibt zu, Götz von einem Felsen über den Klippen ins Meer gestoßen zu haben. Und er beschuldigt Maria Hauschild, Heike Wersch erschlagen zu haben, weil sie verhindern wollte, dass die Wahrheit über die gar nicht existierende Schriftstellerin Anita Kahr herauskam.

Josef Moosbrugger fand die Ermordete in ihrem Haus in Bad Soden, und weil er annahm, Severin Velten sei der Mörder, brachte er die Leiche weg, um den Schriftsteller zu schützen.

Waldemar Bär wirft Henri Winterscheid vor, 1990 das Au-pair-Mädchen Ségolène Bonnaire vergewaltigt zu haben, und der alte Mann gibt zu, seine Schwägerin Katharina, die ihn dabei ertappt hatte, vom Balkon gestoßen zu haben.

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Am Ende erweist sich die Geschichte, die Nele Neuhaus in ihrem Kriminalroman „In ewiger Freundschaft“ entwickelt, als konstruiert und kaum nachvollziehbar. Dennoch macht es Spaß, das Buch zu lesen, denn die Bestseller-Autorin erzählt farbig und anschaulich. Dabei wirkt das Privatleben der Figuren, die wir aus den anderen Bänden der Romanreihe über Pia Sander und Oliver von Bodenstein bereits kennen, nicht aufgesetzt, sondern ist ein dem Kriminalfall gleichwertiger Bestandteil der Handlung. „In ewiger Freundschaft“ ist kein nervenzerfetzender Action-Thriller, sondern ein leicht zu lesender unterhaltsamer Kriminalroman.

Den Roman „In ewiger Freundschaft“ von Nele Neuhaus gibt es auch in einer gekürzten Version als Hörbuch, gelesen von Julia Nachtmann.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2022

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