Luise Rinser : Mitte des Lebens

Mitte des Lebens
Mitte des Lebens S. Fischer Verlag, Frankfurt/M 1950 Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt/M 1994 ISBN 978-3-596-20256-0, 317 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Nina ist eine Rebellin mit einem unbändigen Freiheitsdrang. Sie wird von einem Arzt geliebt, will sich jedoch nicht an ihn binden und streunt durchs Leben, obwohl sie weiß, wie sehr der Mann leidet. Im Gegensatz zu dieser emanzipierten, leidenschaftlichen und lebensgierigen Frau führt ihre ältere Schwester Margret mit ihrem Ehemann ein geordnetes Leben ohne große Höhen und Tiefen. Ninas Beispiel lässt sie allerdings am eigenen Lebensentwurf zweifeln.
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Kritik

Der Roman "Mitte des Lebens" dreht sich um die Rolle der Frau, Freiheit, Unabhängigkeit und Emanzipation. Luise Rinser hat die Geschichte in eine Rahmenhandlung eingebaut. Nina und ihre Schwester Margret lesen Tagebuch-Eintragungen, Notizen und Briefe eines kürzlich gestorbenen Mannes und reden darüber. Auf diese Weise ergeben sich wechselnde Perspektiven und Erzählweisen, Spiegelungen und Ergänzungen.
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1950

Die Journalistin Margret ist Ende 40 und lebt mit ihrem Ehemann in Schweden. Als die beiden 1950 aus beruflichen Gründen für ein Jahr nach Deutschland kommen, begegnet Margret zufällig in der Bar des Hotels Römerbad in Badenweiler ihrer zwölf Jahre jüngeren Schwester Nina.

Ein dreiviertel Jahr später ruft Nina sie an und bittet sie, zu ihr nach München zu kommen, bevor sie in der folgenden Woche nach England auswandert. Als Margret eintrifft, ist Ninas Hausrat bereits in Kisten verpackt. Sie habe eine Anstellung als Haushaltshilfe eines alten Ehepaars in der Grafschaft Berkshire westlich von London bekommen, erklärt sie. Ihre beiden Kinder, die 14-jährige Tochter Ruth und den ein Jahr jüngeren Sohn Martin, wird sie im Internat zurücklassen. Margret begreift, dass Nina einen verheirateten Mann in der Schweiz liebt und vor ihm flieht, um seine Ehe nicht zu zerstören.

Während Margret bei ihrer Schwester in München ist, trifft ein Paket für Nina mit einem Konvolut von Tagebuch-Eintragungen, Notizen und Briefen des kürzlich gestorbenen Münchner Medizinprofessors Dr. B. Stein ein.

1929 bis 1937

Nina konsultiert den Arzt am 8. September 1929 in München. So lernen sie sich kennen, und der deutlich Ältere verliebt sich in die Studentin, sehr zum Verdruss seiner ebenfalls unverheirateten Schwester Helene, die ihm in der Praxis hilft und den Haushalt führt.

Als im Sommer 1932 Ninas Vater stirbt und Schulden hinterlässt, muss sie ihr Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität abbrechen. Sie zieht zu einer entfernt Verwandten, pflegt die Greisin und führt deren verwaisten Laden. Am 6. Oktober 1933 stirbt die Verwandte. Nina, die das Haus erbt, kehrt nach München zurück, setzt ihr Studium fort – und verbringt einige schöne Wochen mit Stein. Sie weiß, dass er sie liebt, will sich aber nicht an ihn binden, sondern frei und unabhängig bleiben.

Stein hilft Nina im Sommer 1933, in knapp sieben Wochen zehn von den Nationalsozialisten Verfolgte über die Grenze ins Ausland zu bringen. Anfang Oktober müssen sie damit aufhören, denn Nina wurde vor Ermittlungen der Gestapo gewarnt und einer der beiden letzten Flüchtlinge erschossen.

Im Frühjahr 1934 bricht Nina ihr Studium endgültig ab und fängt als Verkäuferin in der Universitätsbuchhandlung in München an. Einige Zeit später avanciert sie zur Filialleiterin einer Buchhandlung in Schwabing.

Im Dezember 1934 erfährt Stein von Ninas Verlobung mit dem Architekten Percy Hall und muss seinen Traum von einer Ehe mit ihr aufgeben.

Im Februar 1936 sucht sie ihn Hilfe suchend auf. Sie sei im zweiten Monat schwanger, erklärt sie, aber nicht von ihrem Verlobten, sondern von einem anderen Mann. Der Arzt deutet seine Bereitschaft zu einer Interruptio graviditatis an, aber am nächsten Tag kommt Nina erneut zu ihm und berichtet, dass sie Percy alles gestanden habe und er sie nicht freigeben, sondern stattdessen das Kind offiziell als seines ausgeben wolle.

Bald nach der Hochzeit, im Frühherbst 1936, wird Ninas Tochter Ruth geboren. Als das Mädchen sieben Wochen alt ist, nimmt Percy seine Frau beinahe gewaltsam, denn er will nun ein eigenes Kind mit ihr. Erneut schwanger, wendet sich Nina noch einmal an Stein, aber der Arzt weigert sich nun, eine Abtreibung vorzunehmen.

Kurz darauf, im Januar 1937, versucht die Schwangere, sich mit Gas zu vergiften, aber sie wird gerettet. Und im Juli 1937 bringt sie den Sohn Martin zur Welt.

Im Oktober 1937 schreibt Nina in einem Brief an Stein, sie habe sich von Percy getrennt und mit den Kindern eine kleine Mietwohnung in München bezogen.

1939 bis 1947

Am 20. Februar 1939 sieht Stein sich gezwungen, in die NSDAP einzutreten, denn andernfalls würde er seine Professur einbüßen, und ohne das Einkommen könnte er nicht länger politisch Verfolgten heimlich helfen.

Ende 1942 kommt Percys Lebensgefährtin Cläre zu Nina. Percy wurde aus politischen Gründen zum Tod verurteilt und soll in den nächsten Tagen vom Gefängnis in Traunstein zur Hinrichtung nach München-Stadelheim überführt werden. Weil Cläre nicht mit ihm verheiratet ist und deshalb keine Besuchserlaubnis bekommt, drängt sie Nina, zu ihm zu fahren. Nina ist zwar geschieden, aber als Mutter der Kinder Ruth und Martin darf sie den Vater der Kinder kurz sehen.

Percy beschwört sie, ihm Gift ins Gefängnis zu schmuggeln, damit er sich vor der Hinrichtung selbst das Leben nehmen kann. Nina mischt eine tödliche Dosis Koffein, die sie von Stein erhalten hat in die Butter, mit der sie ein Brot bestreicht, das sie Percy bringt.

Nach Percys Tod wird Nina von der Gestapo vernommen, aber sie weist darauf hin, dass sie nur zweimal kurz bei ihm in Gefängnis gewesen sei und die Wachhabenden alles Mitgebrachte sorgfältig untersucht hätten. Man kann ihr nichts nachweisen.

Im Mai 1944 besucht Stein Nina im Zuchthaus Aichach. Die Regimegegnerin wurde wegen Beihilfe zum Hochverrat zu 15 Jahren Haft verurteilt.

Als ein Jahr später der Zweite Weltkrieg endet, kommt Nina vorzeitig aus dem Gefängnis.

Im September 1947 erfährt sie, dass Ruths Vater Alexander in russischer Kriegsgefangenschaft starb.

1950

Während Margret bei ihrer Schwester in München zu Besuch ist, schreibt Nina eine Erzählung für eine Zeitung:

Die Regimegegnerin Hanna B. kommt gegen Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem Gefängnis. In sechs Tagen schlägt sie sich zu ihrem Haus durch. Kurz nach der Kapitulation des Deutschen Reichs kommen zwei Soldaten auf der Flucht zu ihr. Der Ältere der beiden bricht zusammen, aber erst als zu befürchten ist, dass er stirbt, gesteht der Jüngere, dass er dem Mann die bei der SS übliche Blutgruppen-Tätowierung aus der Haut schneiden musste. Das führte augenscheinlich zu einer Blutvergiftung. Hanna pflegt den Kranken. Als er zu sich kommt, beruhigt sie ihn mit der Versicherung, dass er vor ihr keine Angst zu haben brauche. Daraufhin nimmt er an, sie habe zu den Nationalsozialisten gehört. Umso erschrockener ist er, als sie berichtet, dass sie aus politischen Gründen im Zuchthaus war. Drei Tage später sind die beiden Männer fort. Der Ältere hinterlässt Nina einen Zettel mit einem Dank und seinem Namen: SS-Obergruppenführer Hans Merk.

Als Margret nach der Lektüre der von Stein hinterlassenen Aufzeichnungen ihrer Schwester vorwirft, dessen Leben zerstört zu haben, erwidert Nina ungerührt:

Meinst du? Meinst du wirklich? Ich glaube nicht. Er hatte doch etwas, was sein Leben ganz ausfüllte, Tag und Nacht, er hatte seine Arbeit und noch dazu seine Liebe, die ihn lebendig hielt.

Nina plant zwar keinen neuen Suizid-Versuch, aber der Tod schreckt sie nicht:

Ich weiß, dass es viel Schöneres gibt als zu leben, ich meine, hier zu leben. Das alles kann uns doch nicht genügen: studieren, essen, schlafen und einen Beruf haben und heiraten und Kinder bekommen, was ist das alles? Man gewöhnt sich daran und dann redet man sich vor, es habe Sinn. Ja, möglicherweise hat es einen Sinn für den, der nichts anderes braucht und kennt. Aber wie soll ich damit zufrieden sein?

Margret hält Ninas Affinität zum Tod nicht unbedingt für ein Symptom von Lebensmüdigkeit:

Ihre Sehnsucht nach dem Tod ist Neugier, eine metaphysische Neugierde, sie entspringt ihrer Vitalität ihrer Kühnheit, ihrem Verlangen, alles zu erleben, auch den Tod, der für sie ein Teil des Lebens ist. Diese Neugier grenzt an Frevel.

Während Nina allein durch die Straßen wandert, klingelt in der Wohnung das Telefon: ein Ferngespräch aus Genf für Frau Buschmann. Margret ahnt, dass es sich bei dem Anrufer um den Mann handelt, vor dem Nina flieht. Sie sagt ihm, dass ihre Schwester nicht da sei und am nächsten Tag nach England reisen werde. Bestürzt bittet er sie, Nina aufzuhalten, bis er übermorgen nach München fliegen könne.

Sobald Nina zurückkommt, bestellt sie telefonisch im Reisebüro eine Fahrkarte für den Nachtzug, und am Abend bringt Margret sie zum Bahnhof.

Als dann der Mann aus der Schweiz eintrifft, ist nur noch Margret da.

Ein halbes Jahr später erhält sie einen Brief von ihrer Schwester aus England. Nina ist zufrieden mit ihrer Arbeit in Mrs Carpenters Haushalt, verdient darüber hinaus Geld mit Übersetzungen und schreibt nachts an einem neuen Roman.

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In ihrem Roman „Mitte des Lebens“ porträtiert Luise Rinser eine rebellische Frau mit einem unbändigen Freiheitsdrang. Nina wird von einem Arzt geliebt, will sich jedoch nicht an ihn binden und streunt durchs Leben, obwohl sie weiß, wie sehr der Mann leidet. Im Gegensatz zu dieser emanzipierten, leidenschaftlichen und lebensgierigen Frau führt ihre ältere Schwester Margret mit ihrem Ehemann ein geordnetes Leben ohne große Höhen und Tiefen. Ninas Beispiel lässt sie allerdings am eigenen Lebensentwurf zweifeln.

Zwischen der Romanfigur Nina und der Schriftstellerin Luise Rinser gibt es Parallelen, die auf autobiografische Zusammenhänge schließen lassen.

„Mitte des Lebens“ dreht sich um die Rolle der Frau, Freiheit, Unabhängigkeit und Emanzipation. Auch Themen wie Abtreibung, Euthanasie und Sterbehilfe streift Luise Rinser in dem Roman.

Sie hat die Geschichte in eine Rahmenhandlung eingebaut: Nachdem Margret zufällig ihre Schwester Nina wiedergesehen hat, verbringt sie ein paar Tage mit ihr in München. Dabei lesen die beiden Tagebuch-Eintragungen, Notizen und Briefe eines kürzlich gestorbenen Mannes, der Nina über viele Jahre hinweg liebte und reden darüber. Auf diese Weise ergeben sich wechselnde Perspektiven und Erzählweisen, Spiegelungen und Ergänzungen.

Über die Romanfigur Nina schrieb Luise Rinser noch ein zweites Buch, diesmal einen Briefroman: „Abenteuer der Tugend“ (1957).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2021
Textauszüge: © S. Fischer Verlag

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