Hubert Selby : Letzte Ausfahrt Brooklyn

Letzte Ausfahrt Brooklyn
Last Exit to Brooklyn Grove Press, New York 1964 Letzte Ausfahrt Brooklyn Übersetzung: Kai Molvig Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1968
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Hubert Selby zeigt uns in "Letzte Ausfahrt Brooklyn" eine Reihe von Menschen, die keine Zukunftsperspektive erkennen und die Kontrolle über ihr Leben verloren haben: Arbeitslose, überlastete Mütter und Hausfrauen, Huren, Schwule und Transvestiten, Kriminelle. Ihre Frustration, Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit schlägt mitunter in Gewalttätigkeit um. Sie besaufen sich, und wenn sie sexuell übereinander herfallen, hat das nichts mit Liebe zu tun. Hubert Selby prangert eine kaputte Gesellschaft an.
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Kritik

"Letzte Ausfahrt Brooklyn" ist weniger ein Roman als ein Zyklus von fünf tragischen Geschichten und einer Coda, die allesamt Brooklyn als Schauplatz haben. Hubert Selby versucht gar nicht, all den Schmutz mit Ästhetik aufzuhellen. "Letzte Ausfahrt Brooklyn" ist expressiver Naturalismus. Der Autor reiht Dialoge in der obszönen Gossensprache der Figuren aneinander und verzichtet dabei weitgehend auf Absätze und Zeilenwechsel. "Letzte Ausfahrt Brooklyn" wirkt authentisch und ist gerade deshalb eine besonders erschütternde Lektüre.
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Tagaus tagein

In der Kneipe des Griechen Alex in Brooklyn ist jeden Abend Betrieb.

[…] Rosie, ein Mädchen, das Freddy gelegentlich aufs Kreuz legte, griff sich Freddy und fragte, ob er einen halben Dollar für sie hätte und er sagte, sie könnte ihn am Arsch lecken und ging weg […] Rosie ging, rechts von ihm, dicht hinter ihm her. Er lehnte sich an den Laternenmast und spuckte an ihrem Gesicht vorbei. Du bist schlimmer wie ne Klette. Ne Klette kann man loswerden. Dich nich. Hör auf mich anzuplärren, du Scheißkerl.

Während Rosie und Freddy sich prügeln, kommen drei betrunkene Soldaten vorbei, die zu ihrer Kaserne wollen, nachdem die Huren, die sie den Abend über freigehalten hatten, mit Matrosen mitgegangen waren. Sie mischen sich in den Streit ein, aber ein paar Männer aus der Griechen-Kneipe kommen Freddy zu Hilfe und schlagen einen der Soldaten zusammen. Sie haben sich gelangweilt und sind froh, dass etwas los ist. Erst als ein Streifenwagen aufkreuzt, lassen sie von ihrem hilflos am Boden liegenden Opfer ab. Freddy schreit, die Soldaten hätten seine Frau beleidigt und die Schlägerei angefangen. Am Ende schleifen die zwei anderen Soldaten ihren halb toten Kameraden zur Kaserne.

Eine Großfürstin stirbt

Georgette war eine Tunte aus Überzeugung. Sie (er) gehörte nicht zu denen die versuchten, es zu verbergen oder sich durch Heirat und Männergerede zu tarnen […].

Georgette ist in Vinnie verliebt, einen Kleinkriminellen, der schon im Alter von zwölf Jahren einen Leichenwagen gestohlen hatte und gerade auf Bewährung freigekommen ist. Vinnie und sein Kumpel Harry machen sich einen Spaß daraus, vor der Kneipe des Griechen Alex in Brooklyn immer wieder ein Springmesser auf Georgettes Füße zu schleudern, um sie hüpfen zu lassen. Plötzlich steckt die Klinge in ihrer Wade.

Vinnie will ein Taxi rufen, das die Verletzte nach Hause bringt. Aber Georgette fürchtet sich vor Schlägen ihres älteren Bruders Arthur wegen ihrer Schminke, und er darf auf keinen Fall die Benzedrin-Tabletten finden, die sie bei sich hat. Sie will deshalb nicht nach Hause, sondern ins Krankenhaus.

Du hast nich alle Tassen im Schrank,. Du kannst nich ins Krankenhaus. Wenn die das Bein sehen, wollen sie wissen, wie das passiert is und als nächstes hab ich die Polente am Hals und hock wieder im Loch. Ich sag kein Wort Vinnie. Das weißt du doch. Ehrlich. Einen Scheiß weiß ich. […] Ich sag, dass es irgendwelche Puertoricaner waren und sie hielt ihr Bein mit beiden Händen fest, beugt sich in stetigem hypnotischem Rhythmus vor und zurück und bemühte sich verzweifelt, nicht hysterisch zu werden und den pochenden Schmerz im Bein nicht zu beachten.

Vinnie hört nicht auf Georgette; er und Harry drücken sie in ein Taxi, das sie nach Hause bringt. Bevor der von ihrer Mutter gerufene Arzt eintrifft, zerrt Arthur seinem Bruder die zerrissene und blutige Jeans herunter – und als er den mit Pailletten bestickten roten Damenslip entdeckt, schreit er: „Du widerliches perverses Schwein!“ Er holt Georgettes Fummel aus dem Schrank und lässt sich auch von der Mutter nicht davon abhalten, Kleider und Seidenstrümpfe zu zerfetzen.

Eine Sauerei und sonst gar nichts. Eine SAUEREI!!! […] Entartet. Ekelhaft entartet! […] Lass deinen Bruder in Frieden. Bitte. Bruder??? ‒ o Gott, sie treiben mich in den Irrsinn.

Sobald die Mutter eingeschlafen ist, schleicht sich Georgette aus dem Haus und nimmt ein Taxi zu ihrer Freundin Goldie, die mit ein paar weiteren Transvestiten zusammen feiert. Georgette ruft in der Kneipe des Griechen an und fordert Vinnie auf, mit ein paar Jungs herüberzukommen.

Camille war nervös, da sie noch nie einen ehemaligen Zuchthäusler kennengelernt hatte. Bei uns zu Hause lernt man so jemanden einfach nicht kennen. Um es genau zu sagen, so war Goldie die erste wirkliche Fummeltrine, der sie je begegnet war. Die Tunten in ihrer Heimatstadt leisteten sich das höchstens bei sich zu Hause […].

Harry bestaunt Lee und begreift erst nach einer Weile, dass es sich bei der Schönheit um einen Transvestiten handelt.

[…] Harry traten die Augen noch mehr aus dem Kopf und er riss Lee von der Couch herunter, los du Scheißhausbiene, wenn du aussehn willst wien Weib musstu dich auch ficken lassen wien Weib. […] he Vinnie auf gehts. Die knöpfen wir uns jetzt vor. Ach Scheiße ich hab keine Lust. Los Mann. Er packte ihren anderen Arm und sie begannen, sie ins Schlafzimmer zu zerren; sie schrie kreischte weinte flehte und sie brüllten vor Lachen […] dann packte Harry sie an den Haaren, an ihren kostbaren schulterlangen goldenen Haaren und schlug sie ins Gesicht. Los du schwule Sau. Lass das Theater. He Malfie, mach die Tür auf.

Georgette muss hilflos zusehen, wie Vinnie mit Lee herummacht. Nachdem sie sich an diesem Abend bereits die zweite Spritze in die Venen gejagt hat, taumelt sie aus dem Haus.

Sie klammerte sich ans Gelände und stolperte die Treppen zur U-Bahn hinunter, zur wunderbar dunklen U-Bahn.

Die Taufe

Das Kind wurde 4 Stunden nach der Hochzeit getauft. Na wenn schon, schließlich hatten sie ja vorher geheiratet. Mann, da war schwer was los! Ich meine nachher. Ihr Alter zogn großes Fest auf.

Der Erzähler meint über Braut und Bräutigam:

Aber Tommy war in Ordnung. n bisschen still vielleicht. Besonders im Vergleich zu den anderen. Und er arbeitete. Meistens jedenfalls. Ab und zu führte er Suzy aus. […] Aber wir wussten nicht, dass er sie angebufft hatte, bis sie ungefähr schon im 7. Monat war, vielleicht auch schon im 8. Sie war eine breithüftige Polackin und sogar ihr Alter wusste nich, dass sie den Bauch voll hatte, bis sie im Krankenhaus lag.

Zwei Wochen nach der Geburt versuchte Suzy zu erklären, wie das war:

Sie sagte, es wäre, als ob man Wassermelonen scheißen müsste. Ein Kind zu kriegen.

Tralala

Mit 15 hatte Tralala ihren ersten Geschlechtsverkehr. Jetzt ist sie fast 18 und wartet in der Kneipe des Griechen Alex in Brooklyn auf Freier.

Umgelegt werden war umgelegt werden. Wozu das Gequassel? […] sie machte ihren Schnitt dabei. Sie brauchte bloß die Beine breit zu machen. Außerdem machte es Spaß. Manchmal. Und wenn nicht … na und? Das war nicht so wichtig. Man legt sich auf den Rücken. Oder beugt sich über eine Mülltonne. Immer noch besser als arbeiten.

Des Öfteren spricht sie sich mit Komplizen ab und lockt einen Freier auf ein unbebautes Grundstück, wo ihn die Jungs dann ausrauben.

An diesem Abend lässt sich Tralala von einem gerade aus dem Korea-Krieg heimgekehrten Soldaten in ein Hotelzimmer abschleppen.

Er sagte, er wolle bloß ein bisschen mit ihr zusammen sein. Mit ihr reden und ein paar Glas trinken. Sie wartete. […] Wen interessiert schon dein zerschossenes Bein. […] Wenn er sie vögelte, kam sie vielleicht an seine Brieftasche ran. Aber er laberte weiter. Scheiße.

Endlich erträgt sie es nicht länger, haut ihm die Whisky-Flasche auf den Kopf und stiehlt ihm die Brieftasche. Dann stellt sie sich wieder beim Griechen an den Tresen. Bald darauf taumelt der Soldat mit blutverschmiertem Gesicht herein und bettelt um seinen Militärausweis. Das Geld dürfe sie behalten, erklärt er, aber den Ausweis benötige er, weil er doch am nächsten Morgen nach Hause geflogen werden soll. Statt auf ihn einzugehen, schaut Tralala zu, wie die Jungs den Soldaten zusammenschlagen. Am Ende tritt sie dem am Boden Liegenden noch ins Gesicht. Dann haut sie mit den Jungs ab.

Als sie später in die Kneipe zurückkommen, berichtet Alex ihnen, dass sowohl die Militär- als auch die Kriminalpolizei da gewesen sei. Der Soldat musste operiert werden und bleibt möglicherweise auf einem Auge blind.

Bei einem Einbruch bei einem Buchmacher steht Tralala Schmiere für Al und Tony. Die beiden erbeuten 2000 Dollar, lügen aber gegenüber Tralala, es seien nur ein paar hundert, um ihren Anteil gering zu halten. Bevor Tralala etwas von dem Geld bekommt, werden Al und Tony am nächsten Tag von zwei Polizisten festgenommen. Erst jetzt erfährt Tralala, wie hoch die Beute tatsächlich war.

Sie lässt sich mit einem Matrosen aus Idaho ein, aber als sie merkt, dass ein Offizier sie anschaut, nimmt sie dem betrunkenen Matrosen Geld ab und wechselt zum Offizier. Der verbringt drei Urlaubstage mit ihr im Hotel und kauft ihr Geschenke. Am vierten Tag bringt sie ihn zum Zug und erhält von ihm noch ein Kuvert. Als sie es öffnet, findet sie darin einen Liebesbrief. Kein Geld, nur einen lausigen Brief!

Im Lauf der Monate und Jahre geht es mit Tralala weiter bergab.

[…] sie wartete auf den Kavalier, der 50 Cents dafür übrig hatte, ihr ein Bier und sich einen Fick zu spendieren und sie zog von einer Kneipe zur nächsten und wurde immer schmutziger und grindiger.

Tralala bäumt sich auf:

Sie kam auch ohne diese gottverdammten Dreckskerle zu ihren Drinks.

In der Bar „Willie“ besinnt sie sich auf ihr Kapital:

[…] Tralala zog den Pullover hoch und ließ ihre Brüste auf den Handflächen tanzen und grinste und grinste und grinste und Jack und Fred brüllten und röhrten und der Mixer sagte tu die verdammten Dinger weg […] und Tralala drehte sich langsam um und ließ ihre Brüste auf den Handflächen auf und nieder hüpfen und stellte das, worauf sie am allermeisten stolz war, für alle Leute im Lokal zur Schau […] und man goss Bier auf Tralalas Brüste und jemand rief nun bistu getauft […].

Tralala lässt sich von Betrunkenen in ein Autowrack auf einem unbebauten Grundstück zerren und sich die Kleider vom Leib reißen. Die Männer stehen Schlange.

[…] und es kamen mehr vielleicht 30 oder 50 und vögelten sie und stellten sich hinten wieder an und tranken Bier und brüllten und lachten […]

Bei dem Getümmel brechen Tralala zwei Zähne ab. Als sie sich nicht mehr bewegt, löst sich die Warteschlange auf. Ein paar Enttäuschte, die nicht zum Zug kamen, drücken ihr Zigaretten auf den Brustwarzen aus. Dann bleibt sie allein zwischen Flaschenscherben liegen. Die Huren Ruthy und Annie, denen sie einige Male die Freier abspenstig machte, sind zufrieden. Sie fahren mit Fred und Jack im Taxi los.

[…] und Jack schlug sich auf die Schenkel und brüllte vor Lachen.

Streik

Harry Black ist 33 Jahre alt. Seit einem Jahr ist er mit Mary verheiratet, und das Paar hat einen acht Monate alten Sohn, der viel schreit.

Am liebsten hätte er diese Geräusche zu einem Klumpen geballt und ihn ihr hinten reingeschoben, hätte das gottverdammte Balg gepackt und es ihr in die Möse zurückgestopft.

Er arbeitet als Dreher in einer Fabrik in Brooklyn, verbringt jedoch mehr Zeit als Vertrauensmann der Gewerkschaft. Bei einem seiner Rundgänge stößt er auf einen Neuen und schreit sogleich den zuständigen Werkmeister an:

Und was zum Teufel denkstu dir dabei ihn annen Edelstahl ranzulassen hä? Was denkstu dir dabei? Was soll ich mir schon dabei denken? Der Mann is schließlich Facharbeiter. Er macht diese Arbeit schon jahrelang. Warum soll er sie jetzt nich machen? Weil er neu hier is, darum. Er is erstn paar Monate da und hat nochnich mal seinen vollen Jahresbeitrag bezahlt. Stimmts hä? Stimmts? schrie er dem Arbeiter ins Gesicht […]. Ja schon, aber ich mach das schon 20 Jahre. […] Es interessiert michn Scheißdreck was du kannst oder nich kannst verstehstu? Die Gewerkschaft sagt, dass du einen vollen Jahresbeitrag bezahlt haben oder 6 Monate bei der Firma gewesen sein musst, bevor du Edelstahl drehen darfst […].

Der Betriebsleiter Wilson, den der Meister zu Hilfe holt, versucht es auf die joviale Tour, aber Harry lässt sich nicht beschwatzen und droht, die „Scheißfabrik“ mit einem Ausstand lahmzulegen.

Zwei Wochen später läuft der geltende Tarifvertrag aus. Die Gewerkschaft ruft zum Streik auf und überträgt Harry die Leitung des in einem leerstehenden Ladenlokal eröffneten Streikbüros. Er besorgt auf Kosten der Gewerkschaft Bier und lädt Männer wie Vinnie, Sal und Malfie, die sonst beim Griechen abhängen, dazu ein, mit ihm zu trinken.

Vizedirektor Harrington bleibt gelassen, denn das Unternehmen ist gut vorbereitet und kann monatelang ohne echte Verluste durchhalten. Alle laufenden Aufträge sind abgeschlossen oder an andere Betriebe der Firma vergeben. Dummerweise stellt sich nach ein paar Monaten heraus, dass vergessen wurde, einige vor dem Streik in Brooklyn gefertigte Vorprodukte an eine Fabrik im Norden des Staates New York zu liefern. Ein Transportunternehmen in Brooklyn erhält nun den Auftrag. Den Streikposten gelingt es zwar nicht, die LKWs aufzuhalten, aber nach der Straßenschlacht mit der Polizei liegen 83 Männer im Krankenhaus.

Harry stiftet daraufhin Sal und Vinnie dazu an, den Fuhrpark des Transportunternehmens in Brand zu setzen. Als sie zu ihm kommen, um Vollzug zu melden, haben sie den Transvestiten Ginger dabei.

Weil Ginger Mary’s Bar erwähnte, sucht Harry sie am nächsten Freitagabend in dem Schwulentreff. Dort begegnet er dem Transvestiten Alberta und verbringt zwei Nächte mit ihr bzw. ihm im Bett. Von da an hängt er jedes Wochenende in Mary’s Bar herum und lernt auch Albertas Freundinnen bzw. Freunde kennen. An Thanksgiving ist Harry zu Gast auf einem Transvestitenball.

Noch nie in seinem Leben hatte er Frauen gesehen, die schöner oder weiblicher gewesen wären als die Tunten, die hier durch den Saal schlenderten.

Am 29. Dezember einigen sich das Unternehmen und die Gewerkschaft auf einen neuen Tarifvertrag und ein Ende des Streiks. Nach der Schließung des Streikbüros fehlt Harry das Spesenkonto. Von seinem Lohn kann er sich weder Taxifahrten noch Restaurant-Essen leisten, und der Transvestit Regina, mit dem er zuletzt zusammen war, meint:

Wenn du Geld hast, können wir uns bei Mary treffen, wenn nicht, dann sei so freundlich und fall mir in Zukunft nicht länger auf den Wecker.

Harry ist betrunken, als er auf der Straße dem zehnjährigen Nachbarjungen Joey über den Weg läuft. Mit der Lüge, er wolle ihm etwas zeigen, lockt er ihn auf ein verlassenes Grundstück, öffnet dem Kind die Hose, um dessen Penis in den Mund zu nehmen. Der Junge reißt sich los und holt ein paar gelangweilte Männer aus der Griechen-Kneipe. Die schlagen Harry so zusammen wie zuletzt den Soldaten, der mit Freddy in Streit geraten war.

Coda

In der Müllverbrennungsanlage eines Mietshauses in Brooklyn findet der Hausmeister George Hamilton die verkohlten Überreste eines Säuglings.

In dem Haus wohnt der 26-jährige Arbeitslose Mike Kelly mit seiner Frau Irene und den beiden drei bzw. eineinhalb Jahre alten Kindern Helen und Arthur.

Nicht dass Irene etwa nicht in Ordnung war – sie hat ne prima Figur und soon Busen –, aber es war immer dasselbe und hing ihm allmählich zum Hals raus. Und kürzlich hatte sie ihm wieder den Nerv getötet, er solle sich einen Job suchen. Soll mich gern haben. Warum sollte er arbeiten? Sprang doch nichts dabei raus. Warum sollte er morgens früh aufstehen und sich abschinden? Es ging ja auch so, wenn Irene arbeitete […].

In einer anderen Wohnung lebt Ada, eine einsame alte Frau, die nicht nur um ihren vor 15 Jahren gefallenen Sohn Ira, sondern auch um ihren seit bald sechs Jahren toten Ehemann Hymie trauert. Wenn er noch leben würde, wären sie jetzt 43 Jahre verheiratet.

An einer Bushaltestelle in der Nähe wartet eine junge Frau auf den Bus. Ein Auto hält, und der Fahrer bietet ihr an, sie mitzunehmen. Sie zögert, und als sie den Bus kommen sieht, lehnt sie das Angebot ab. Der Mann fährt ein Stück weiter, hält, steigt aus, öffnet seine Hose und exhibitioniert.

Im Viertel liefern sich Afroamerikaner und Puertoricaner eine Straßenschlacht.

Eine Gruppe von Frauen bemerkt auf einem Fenstersims im vierten Stockwerk der Mietskaserne ein Baby.

Vielleicht denkt er er isn Vogel. He, du willst wohl fliegen? Gelächter.

Viel zu schnell kommen zwei Polizisten, rennen im Treppenhaus hinauf, öffnen die Tür mit einem Nachschlüssel. In der Wohnung stoßen sie auf drei kleine Kinder. Einer der Polizisten holt den Säugling vom Fensterbrett herein. Er und sein Kollege beschließen, die verwaisten Kinder mit zur Wache zu nehmen.

Am Abend kommt die Mutter mit einer Zufallsbekanntschaft nach Hause und wundert sich, dass niemand da ist. Auf dem Tisch liegt ein Zettel mit der Nachricht, wo die Kinder sind. Dort, so meint die Mutter, könnten sie über Nacht bleiben.

Sie zogen sich aus, fielen aufs Bett und fickten.

Abraham („Abe“) Washington arbeitet in den Docks und kann sich einen Cadillac leisten. Zu Hause macht er keinen Handschlag. Die fünf Kinder, die er mit seiner Frau Nancy hat, nerven ihn. Ihren „Schlangenfraß“ lässt er stehen und fährt zu „Mels“. In der Kneipe wirft er mit großer Geste einen Geldschein auf die Theke, um die Leute zu beeindrucken.

Lucy, eine Frau Anfang 40, die mit ihrem fünf Jahre älteren Mann Louis und den kleinen Söhnen Johnny und Robert ebenfalls in dem Mietshaus wohnt, lässt sich von Abe mit in ein Hotelzimmer nehmen. Als er nach Hause kommt, will Nancy mit ihm schlafen, aber er haut ihr mit dem Handrücken ins Gesicht und empfiehlt ihr, es sich mit einer Banane zu besorgen. Sie beschimpft ihn lauthals als „schwarzes Niggerschwein“. Und er schlägt mit der Faust zu.

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Hubert Selby zeigt uns in „Letzte Ausfahrt Brooklyn“ eine Reihe von Menschen, die keine Zukunftsperspektive erkennen und die Kontrolle über ihr Leben verloren haben: Arbeitslose, überlastete Mütter und Hausfrauen, Huren, Schwule und Transvestiten, Kriminelle. Ihre Frustration, Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit schlägt mitunter in Gewalttätigkeit um. Sie besaufen sich, und wenn sie sexuell übereinander herfallen, hat das nichts mit Liebe zu tun. Hubert Selby prangert eine kaputte Gesellschaft an.

„Letzte Ausfahrt Brooklyn“ ist weniger ein Roman als ein Zyklus von fünf tragischen Geschichten und einer Coda, die allesamt Brooklyn als Schauplatz haben.

Hubert Selby versucht gar nicht, all den Schmutz mit Ästhetik aufzuhellen. „Letzte Ausfahrt Brooklyn“ ist expressiver Naturalismus. Stilistisch gibt es Variationen. Beispielsweise gibt es in „Die Taufe“ einen das Geschehen kommentierenden Beobachter. Mitunter sind innere Monologe eingestreut. Häufig reiht Hubert Selby wörtliche Rede mit knappen Beschreibungen der Handlung aneinander, ohne anschaulich zu inszenieren. Auf Absätze und Zeilenwechsel verzichtet er weitgehend. Das ist nicht immer leicht zu lesen, zumal er die obszöne Gossensprache der Figuren nachahmt.

„Letzte Ausfahrt Brooklyn“ wirkt authentisch und ist gerade deshalb eine besonders erschütternde Lektüre.

Hubert Selby löste mit seinem ersten Buch 1964 einen Skandal aus. „Last Exit to Brooklyn“ / „Letzte Ausfahrt Brooklyn“ wurde in England und Italien zunächst verboten. Samuel Beckett hingegen erkannte sofort den literarischen Wert des Buches und bezeichnete es als ein „tiefernstes und mutiges Kunstwerk“.

Uli Edel verfilmte den Roman „Letzte Ausfahrt Brooklyn“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2022
Textauszüge: © Rowohlt Verlag

Hubert Selby (kurze Biografie)

Uli Edel: Letzte Ausfahrt Brooklyn (Film)
Darren Aronofsky: Requiem for a Dream (Film)

Sibylle Berg - Der Tag, als meine Frau einen Mann fand
"Der Tag, als meine Frau einen Mann fand" ist kein nuanciertes Beziehungsdrama, sondern eine zynische Groteske über den Gegen­satz von Sex und Liebe. Sibylle Berg entwickelt die Geschichte, indem sie abwechselnd Chloe und Rasmus zu Wort kommen lässt, also aus zwei Perspektiven.
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