Edward St Aubyn : Dunbar und seine Töchter

Dunbar und seine Töchter
Dunbar Hogarth, London 2017 Dunbar und seine Töchter Übersetzung: Nikolaus Hansen Albrecht Knaus Verlag, München 2017 ISBN 978-3-8135-0689-3, 253 Seiten ISBN 978-3-641-17700-3 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

In "Dunbar und seine Töchter" ist aus König Lear ein Medienmogul geworden. Wie König Lear verstößt Henry Dunbar ausgerechnet die jüngste seiner drei Töchter, die ihm wohlgesonnen ist, während die beiden älteren danach trachten, ihn wegzusperren, um das Wirtschaftsimperium auszuschlachten …
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Kritik

Edward St Aubyn hat aus der Tragödie "König Lear" von William Shakespeare einen Wirtschaftskrimi über moralische Verkommenheit, Gier, Verrat und Opportunismus gemacht: "Dunbar und seine Töchter". Sprachwitz und Sarkasmus, Satire und Groteske sorgen für ein Lesevergnügen.
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Das Wirtschaftsimperium

Der Medienmogul Henry Dunbar hat ein internationales Wirtschaftsimperium aufgebaut und dabei auf niemanden Rücksicht genommen. Im Alter von 80 Jahren gibt er die operative Führung der Konzernzentrale in New York ab und behält nur noch den Vorsitz im Aufsichtsrat. Zu seinen Nachfolgern bestimmt der Milliardär die beiden Töchtern Megan und Abigail, denen er auch bereits Anteile am Vermögen übertrug, um Erbschaftssteuer zu sparen. Florence, die jüngste seiner drei Töchter, verstößt er dagegen und enterbt sie, weil sie kein Interesse am Konzern zeigt und sich mit ihrem Ehemann Benjamin und den Kindern nach Wyoming zurückgezogen hat. Das hält Dunbar für eine persönliche Beleidigung, denn ihm ist unbegreiflich, dass ein Mensch sich für die Natur statt für das Geschäftsleben begeistert.

Seine erste Ehefrau, die Mutter von Megan und Abigail, ließ er in die Psychiatrie einweisen. Florence war 16, als ihre Mutter Catherine bei einem Autounfall ums Leben kam. Während Abigail und Megan in einem exklusiven Internat erzogen wurden, besuchte Florence nur eine Tagesschule in Manhattan.

Megans Ehemann Victor Allen starb vor einem Jahr unerwartet. Abigail ist auf dem Papier mit Mark Rush verheiratet, einem Sprössling aus verarmtem Geldadel, der seit zehn Jahren eine Parallelehe mit einer Frau namens Mindy führt.

Megan, Abigail und Dr. Bob

Megan und Abigail wollen den Vater auch aus dem Aufsichtsrat verdrängen, das Unternehmen reprivatisieren, ein Drittel der Mitarbeiter feuern, weniger profitable Teile des Unternehmens abstoßen und den Rest zur Gelddruckmaschine umfunktionieren. Weil Dunbar im Zorn den Leiter der Rechtsabteilung, Charlie Wilson, nach 40 Dienstjahren entlassen hat, ist niemand mehr da, um der Gier der beiden Frauen Widerstand zu leisten, denn Dunbar selbst ist dazu auch nicht in der Lage. Seine beiden älteren Töchter haben ihn von seinem langjährigen Leibarzt Dr. Bob unter Drogen setzen lassen. Den dadurch verwirrten Greis verfrachten sie in seine Boeing 747 „Global One“, fliegen mit ihm nach Manchester und bringen ihn in das abgelegene Sanatorium Meadowmeade im Lake District. Demnächst wollen sie ihn irgendwo in Österreich wegsperren.

Dr. Bob erhält für seinen Verrat nicht nur einen Sitz im Aufsichtsrat, sondern auch sechseinhalb Millionen Dollar plus Aktienoptionen. Aber das ist ihm nicht genug. Über ein Prepaid-Handy steht er deshalb heimlich mit Steve Cogniccenti in Verbindung, dem CEO des einzigen ernst zu nehmenden Konkurrenten des Dunbar-Imperiums: Unicom in New York. Steve Cogniccenti plant eine feindliche Übernahme und überweist Dr. Bob für dessen Hilfe einige Millionen auf ein Schweizer Konto.

Dass Megan und Abigail den Arzt obendrein als Lustobjekt betrachten, ist für ihn nur bedingt angenehm. Obwohl er neben Viagra abwechselnd Aufputsch- und Beruhigungsmittel schluckt, kann er kaum mithalten. Einmal beißt Megan ihm eine Brustwarze halb ab, und der Arzt muss zu Nadel und Faden greifen, um die Wunde zu nähen.

Die Flucht aus Meadowmeade

Henry Dunbar tut sich in Meadowmeade mit einem zehn Jahre jüngeren Patienten zusammen, mit dem depressiven, alkoholkranken Fernsehkomiker Peter Walker, der zahlreiche Berühmtheiten zu imitieren versteht. Die beiden Greise werfen die ihnen verabreichten Psychopharmaka heimlich fort, bis sie in der Lage sind, aus dem Sanatorium zu fliehen. Dabei stoßen sie auf die demente Mitbewohnerin Ursula Harrod, die kurzerhand mitkommt. Während Peter Walker nur wieder einmal in einem Pub etwas trinken möchte, hat Dunbar sich vorgenommen, über einen von weitem sichtbaren verschneiten Pass zu entkommen und seine missratenen Töchter an ihrem Vorhaben zu hindern.

Peter Walker und Ursula Harrod werden bald aufgespürt und nach Meadowmeade zurückgebracht. Der Komiker behauptet, Henry Dunbar wolle nach Cockermouth. Er habe gesehen, wie der Gesuchte als Anhalter in ein Auto einstieg, fügt er hinzu. Megan, Abigail und Dr. Bob lassen sich nicht auf eine falsche Fährte locken. Sie entführen Peter Walker. Kevin, der Sicherheitschef der Schwestern, und der Bodyguard Jesus („J“) überschütten den Alkoholiker mit ein paar Flaschen Whisky. Abigail spielt mit einem Feuerzeug und zündet schließlich Peter Walkers Mantel an. Es gelingt ihm zwar, die Flammen auszuklopfen und sich in den nahen See zu werfen, aber unter der Folter gestand er bereits, dass Henry Dunbar nach Nutting auf der anderen Seite des Passes will.

Kevin und J fahren noch in der Nacht hin, kehren aber zurück, ohne eine Spur des Geflohenen gefunden zu haben.

Henry Dunbar versteckte sich in einer Scheune und beobachtete sie. Zwar entkam er seinen Verfolgern erst einmal, aber seine Hoffnung, in dem Weiler Nutting Hilfe zu erhalten, erfüllte sich nicht. Er muss weiter.

Florence

Florence sorgt sich in Wyoming um ihren Vater und möchte wissen, wo er sich befindet. Ihre Halbschwester Abigail behauptet am Telefon, sie sei mit ihm in der Schweiz und könne sich gerade nicht an den Namen des Sanatoriums erinnern. Als Florence daraufhin unter einem Vorwand Jim Sage anruft, den Piloten der Global One, verplappert er sich prompt und verrät, dass das Flugzeug in Manchester steht. Florence verständigt Charlie Wilson, der sofort von Vancouver nach New York fliegt. Er bringt seinen Sohn Chris mit, den Florence seit der Kindheit kennt und mit dem sie vor 15 Jahren, vor ihrer Ehe mit Benjamin, eine Affäre hatte. Nicht nur der treue Anwalt und dessen Sohn begleiten sie nach Manchester, sondern auch Mark Rush, der seine Ehefrau Abigail hasst und sich deshalb ihren Gegnern anschließt.

Es dauert nicht lange, bis sie herausfinden, in welches Sanatorium die Schwestern Henry Dunbar brachten, aber gleichzeitig erfahren sie von Dr. Harris, dem Leiter der Einrichtung, dass er geflohen ist.

Rettung

Henry Dunbar stieß inzwischen auf einen anderen Flüchtling, auf Simon Field, einen schwulen, spielsüchtigen Geistlichen, der in der Not das Blei vom Kirchendach verscherbelte und einen Skandal auslöste. Nachdem die beiden Männer die Nacht im Schutz eines Felsvorsprungs verbracht und am Morgen Hubschrauber gehört haben, trennen sie sich wieder.

Sobald gemeldet wird, dass Henry Dunbar von einem Hubschrauber aus entdeckt wurde, steigen Megan und Abigail mit Dr. Bob ins Auto. Megan merkt, dass der Chauffeur George in die falsche Richtung fährt. Sie lässt ihn anhalten und setzt sich, nachdem er ausgestiegen ist, selbst hinters Lenkrad. Dann fährt sie ihm absichtlich über die Füße und lässt den Verletzten liegen.

Immerhin hat George durch die Verzögerung erreicht, dass Florence als Erste zu ihrem Vater kommt. Sie rettet ihn mit ihrem Hubschrauber und fliegt mit ihm, Chris und Charlie Wilson nach London.

Mark Rush bleibt zurück; er hält sich in der Auseinandersetzung von nun an für neutral.

Florence bringt ihren erschöpften Vater in ihr Apartment in New York City. Am liebsten würde sie ihn mit nach Wyoming nehmen, damit er sich dort erholen kann. Aber sie möchte nicht über seinen Kopf hinweg handeln, sondern ihn selbst entscheiden lassen. Henry Dunbar nimmt das Angebot seiner Tochter dankend an, will jedoch vor dem Aufbruch nach Wyoming bei der für den nächsten Tag anberaumten Aufsichtsratssitzung die Absichten der beiden älteren Töchter durchkreuzen.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Todesopfer

Peter Walker erhängt sich in der Dusche. Daraufhin werden Megan und  Abigail von Dr. Harris angezeigt. Ihnen wird vorgeworfen, durch die Entführung und Folterung des Patienten an dessen Suizid schuld zu sein. Sie müssen mit einer Anklage rechnen. Allerdings gelingt es ihnen erst einmal, das Vereinigte Königreich mit der Global One zu verlassen und nach New York zurückzufliegen.

Dass Megan Allen dort eine wilde Nacht mit dem kraftstrotzenden J verbringt, hält sie nicht davon ab, ihn als Sündenbock auszuwählen. Sie wird aussagen, der Bodyguard habe den Komiker im Übereifer gefoltert, um etwas über Dunbars Absichten zu erfahren. Sie und ihre Schwester seien nicht eingeschritten, und zwar aus Sorge um ihren Vater, den sie in einer lebensbedrohlichen Situation wähnten. Zunächst soll J jedoch noch einmal für sie tätig werden …

Während eines gemeinsamen Spaziergangs mit ihrem Vater in einem Park verspürt Florence plötzlich einen Stich am Hals. Es blutet ein wenig, aber sie nimmt den leichten Schmerz nicht weiter ernst. Zu Hause legt sie sich mit Magenkrämpfen hin und muss sich übergeben. Der Notarzt lässt sie ins Presbyterian Hospital bringen. Dort stirbt Florence, und es stellt sich heraus, dass sie mit Abrin vergiftet wurde.

Nachdem J seinen letzten Auftrag ausgeführt hat, weist Megan Kevin an, ihn zu ermorden und behauptet, J habe sie zu erpressen versucht. Kevin versucht, J in dessen Apartment hinterrücks zu erschießen, aber J überwältigt den Angreifer, nimmt ein Schwert von der Wand und trennt ihm den Kopf ab. Megan wartet vergeblich auf Kevins Erfolgsmeldung.

Übernahme-Angebot

Unicom macht ein Übernahmeangebot für Stammaktien des Konkurrenz-Unternehmens mit einem Aufschlag von 22 Prozent statt der üblichen 15 bis 20 Prozent.

Megan und Abigail verfügen über je 15 Prozent der Aktien. Um den Merger verhindern zu können, bräuchten sie zusätzliche 20 Prozent. Daran arbeitet Dick Bild von Eagle Rock, aber nach dem Höhenflug des Kurses aufgrund des Übernahmeangebots erklärt er ihnen, dass sie zusätzliche Kredite aufnehmen müssen, um ausreichend Aktien kaufen zu können.

Henry Dunbar bittet Charlie Wilson, dessen Entlassung er inzwischen rückgängig gemacht hat, notfalls Steve Cogniccenti zu unterstützen, wenn sich Megans und Abigails Vorhaben nicht anders verhindern lässt. Außerdem soll der Jurist herausfinden, welche der beiden Schwestern die Vergiftung seiner jüngsten Tochter in Auftrag gab und die Schuldige hinter Gitter bringen.

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Anlässlich des 400. Todestages von William Shakespeare bat der 1917 von Leonard und Virginia Woolf gegründete Verlag The Hogarth Press einige Autoren um Neuerzählungen zu Werken von William Shakespeare. Der englische Schriftsteller Edward St Aubyn wählte die Tragödie „König Lear“.

William Shakespeares Stück beginnt mit dem Entschluss des greisen Königs Lear, sich aus dem Amt zurückzuziehen. Weil ihm Cordelia, seine jüngste Tochter, im Gegensatz zu den beiden anderen – Goneril und Regan – nicht schmeichelt, glaubt König Lear, sie liebe ihn nicht und verbannt sie. Zugleich fällt auch sein Gefolgsmann, der Graf von Kent, in Ungnade, weil er es wagt, Cordelia zu verteidigen. Während Cordelia England verlässt und den König von Frankreich heiratet, der es auf eine Invasion Englands abgesehen hat, teilt König Lear sein Reich und überlässt es Goneril und Regan bzw. deren Ehemännern, den Herzogen von Albany und Cornwall. Die beiden heimtückischen Schwestern geben sich damit allerdings nicht zufrieden; sie planen, den wegen seines Jähzorns unberechenbaren Vater vollends zu entmachten.

Den Kreis der Bösen erweitert William Shakespeare um Edmund, den unehelichen Sohn des Grafen von Gloucester, der gegen seinen Halbbruder Edgar intrigiert, weil er hofft, den Vater allein beerben zu können. Edgar flieht und schlüpft in die Rolle des angeblich irren Bettlers Tom of Bedlam.

Er gehört ebenso wie Cordelia und der Graf von Kent zu den Guten.

Edward St Aubyn verzichtet bei seiner Adaptation von „The Tragedy of King Lear“ / „König Lear“ auf den Erzählstrang um den Grafen von Gloucester und seinen beiden Söhne. Er konzentriert sich auf den Titelhelden – der in dieser Fassung kein König, sondern ein Medienmogul ist und Henry Dunbar heißt – und dessen drei Töchter. Dementsprechend lautet der Titel der deutschen Übersetzung von Nikolaus Hansen „Dunbar und seine Töchter“.

Aus der Shakespeare-Tragödie macht Edward St Aubyn einen grotesken Wirtschaftskrimi über moralische Verkommenheit, Gier, Verrat und Opportunismus.

Die beiden niederträchtigen Töchter Dunbars heißen Megan und Abigail. Edward St Aubyn stellt sie als hasserfüllt, teuflisch, pervers und nymphoman dar. Florence (wie Florence Nightingale) ist das genaue Gegenteil: anständig und genügsam, integer und mitfühlend.

Während die Frauenfiguren in „Dunbar und seine Töchter“ ebenso holzschnittartig wie in der Vorlage von William Shakespeare sind, wirkt der jähzornige, machtgeile, skrupellose Kapitalist Henry Dunbar ein klein wenig vielschichtiger als König Lear. Dunbars Läuterung geschieht allerdings wie in einem Märchen.

Die Krimi-Handlung ist auch bei „König Lear“ greifbar. Edward St Aubyn reichert sie mit Sex und Gewalt an, während er gleichzeitig schon aufgrund der Entschlackung des Dramas das Tempo drastisch steigert. Für eine psychologische Ausleuchtung der Entwicklung bleibt da keine Zeit. Aber die gibt es auch bei William Shakespeare nicht.

„Dunbar und seine Töchter“ wird durch Sprachwitz und Sarkasmus, Satire und Groteske vollends zum unterhaltsamen Lesevergnügen.

Beim Namen der Hauptfigur dachte Edward St Aubyn möglicherweise an die Dunbar-Zahl, die von dem Psychologen Robin Dunbar postulierte – auch für Social Media relevante – kognitive Grenze bei der Anzahl von Menschen, mit denen ein Einzelner soziale Beziehungen pflegen kann.

Der Knaus Verlag als Partner des Projekts in Deutschland hat bisher folgende Bände veröffentlicht:

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2019
Textauszüge: © Albrecht Knaus Verlag

T. C. Boyle - San Miguel
Die Darstellung entspricht der Eintönigkeit des Insellebens. Bedächtig und ohne Effekthascherei führt uns T. C. Boyle in "San Miguel" durch die Kapitel, die keinen Spannungsbogen aufbauen, sondern sich wie Episoden aneinanderreihen.
San Miguel