Patrick Modiano : Eine Jugend

Eine Jugend
Originalausgabe: Une jeunesse Editions Gallimard, Paris 1981 Eine Jugend Übersetzung: Peter Handke Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 1985 Süddeutsche Zeitung / Bibliothek, Band 86, München 2007, 155 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Nach seiner Militärdienstzeit lernt der 19-jährige Louis zwei undurchsichtige Männer kennen, die ihm in Paris Arbeit verschaffen. Eines Abends begegnet er der einen Monat älteren Odile, die von einer Karriere als Sängerin träumt. Ein Komponist, der sich ihrer angenommen hatte, verübt Selbstmord, und ein Impresario, der ihr Platten verspricht, nutzt sie nur aus. Bald darauf will Louis' zwielichtiger Arbeitgeber sich nach Argentinien absetzen ...
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Kritik

"Eine Jugend" ist ein stiller, melancholischer Roman von Patrick Modiano.
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Die Eltern von Louis Memling – der Vater war Radrennfahrer, die Mutter Tänzerin – kamen bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Nach der Beendigung seines Militärdienstes in Saint-Lô lernt der Neunzehnjährige einen etwa fünfzehn Jahre älteren Mann namens Jean-Claude Brossier kennen, der ihm bei seinem Freund Roland Chantain de Bejardy, einem undurchsichtigen Geschäftsmann um die vierzig, Arbeit besorgt. Ohne viel zu fragen, erledigt Louis in Paris Botendienste für Bejardy.

Eines Abends fällt ihm in einer Bahnhofsgaststätte eine gleichaltrige Frau auf, die zusammenzubrechen droht und am Ende ihren Kaffee nicht bezahlen kann. Louis übernimmt das für sie und bringt die erschöpfte Frau – sie heißt Odile – nach Hause.

Odile, die von einer Karriere als Sängerin träumt, erfuhr an diesem Abend vom Selbstmord ihres fünfzigjährigen Förderers Georges Bellune.

Den österreichischen Komponisten Georg Bellune, dessen Operette „Rosen von Hawaii“ 1933 sowohl in Wien als auch in Berlin erfolgreich aufgeführt worden war, hatte sie kürzlich kennen gelernt. 1938 war Bellune vor den Nationalsozialisten nach Paris geflohen und hatte seinen Vornamen in Georges geändert. Bellune überredete zwei Texter, Chansons für Odile zu schreiben und kümmerte sich um die Probeaufnahmen. Jetzt ist er tot.

Einmal, als sie spät abends von Bellune nach Hause ging, wurde sie von einer Polizeistreife überprüft, und weil sie mit neunzehn als minderjährig galt, nahmen ihr die Beamten den Pass ab. Auf dem Polizeirevier fanden sie heraus, dass ihre Mutter von kleinen Betrügereien gelebt hatte und am 14. Februar 1947 im Alter von zweiunddreißig Jahren in Casablanca gestorben war. Ihren Pass bekam Odile erst zurück, nachdem sie sich als Lockvogel an der Gare Saint-Lazare zur Verfügung gestellt hatte, damit die Polizisten einen Ingenieur aus Bois-Columbes verhaften konnten, gerade als er sie in seinem Auto vergewaltigen wollte.

Der Impresario Christian Vietti empfängt Odile in seinem Büro, hört ihre Probeaufnahme an, schließt die Tür ab, stellt ihr eine Plattenaufnahme in Aussicht und zieht sie aus. Sie lässt alles über sich ergehen. Immerhin bringt Vietti sie als Sängerin in einem Varieté unter. Als der Direktor jedoch nach kurzer Zeit ihr Engagement beendet, verlangt Odile von Vietti 2000 Francs. Sie bekommt das Geld, muss den schmierigen Impresario dafür allerdings oral befriedigen.

Inzwischen sind Odile und Louis ein Paar geworden. Brossier verschafft ihnen eine größere Wohnung und macht sie eines Tages mit seiner Geliebten bekannt, der schönen äthiopischen Mathematikstudentin Jacqueline Boivin.

Bejardy beauftragt Louis, sich mit Odile zusammen einer Gruppe anzuschließen, die im Rahmen des französisch-englischen Jugendaustausches zu einem Englischkurs am Boscombe College nach Bournemouth reist. Ihre Aufgabe ist es, eine halbe Million Francs über die Grenze zu schmuggeln und sie in Bournemouth dem Institutsleiter Michel Axter zu übergeben. Über die Hintergründe erfahren sie nichts.

Als Louis und Odile aus England zurückkommen, eröffnet ihnen Brossier, er habe sich mit Bejardy nach siebzehn Jahren Freundschaft überworfen, und er rät Louis, auch nicht länger für Bejardy zu arbeiten, denn dieser stehe vor dem Nichts. Kurz darauf erfährt Louis von Nicole Haas, der kaum dreißigjährigen Geliebten des zwielichtigen Geschäftsmannes, dass er sich nach Argentinien absetzen will. Sie werde ihn nicht begleiten, da sie nichts für ihn empfinde, sondern nur mit ihm zusammen gewesen sei, weil er ihre Pferde bezahlt habe.

In einer Gaststätte kommen Louis und Odile zufällig mit einem Künstler namens Bauer ins Gespräch, in dessen früherem Atelier sie wohnen. Er lädt sie auf einen Drink in sein Apartment ein und zeigt ihnen ein Fotoalbum, in dem Louis ein Foto von Brossier und Bejardy auffällt. Als er Bauer nach den beiden fragt, gibt ihm dieser einen Zeitungsausschnitt mit, demzufolge Roland Chantain de Bejardy im Alter von fünfundzwanzig Jahren als mutmaßlicher Mörder des US-amerikanischen Kriminellen Parker verhaftet, aber später aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden war.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Nachdem Bejardy seine Autos und seine Wohnungseinrichtung verkauft hat, fordert er Louis drei Tage vor Odiles 20. Geburtstag auf, noch einmal 500 000 Francs für ihn ins Ausland zu schaffen, diesmal in die Schweiz. In Genf will Bejardy das Geld wieder von ihm in Empfang nehmen.

Doch statt einen Zug nach Genf nehmen Louis und Odile einen Zug nach Nizza.

Drei Jahre später kaufen sie ein Chalet in den Bergen und richten ein Kinderheim ein. Das schließen sie nach zwölf Jahren, um das Chalet nur noch für sich, ihre dreizehnjährige Tochter und ihren fünfjährigen Sohn zu haben. Louis spielt allerdings mit dem Gedanken, in einer zum Anwesen gehörenden Baracke ein Restaurant zu eröffnen.

Morgen werden sie zusammen mit Freunden Odiles 35. Geburtstag feiern. In einem Monat wird dann auch Louis fünfunddreißig.

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Die Kinder spielen im Garten, und bald ist es Zeit für die tägliche Schachpartie.
– Morgen früh wird ihm der Gips abgenommen, sagt Odile.
Sie und Louis sitzen auf der Terrasse des Chalets und schauen von weitem ihrer Tochter und ihrem Sohn zu, die mit den drei Viterdo-Kindern über den Rasen laufen. Der fünfjährige Sohn hat den linken Arm eingegipst, was ihn aber nicht zu stören scheint.
– Wie lange trägt er den Gips? fragt Louis.
– Fast einen Monat.
Er war von einer Schaukel gefallen, und erst nach einer Woche stellte sich heraus, dass er sich ewas gebrochen hatte.
– Ich nehme ein Bad, sagt Odile.
(Beginn des Romans „Eine Jugend“ von Patrick Modiano)

Patrick Modiano beginnt seinen Roman „Eine Jugend“ mit der bevorstehenden Feier zu Odiles 35. Geburtstag. Dann dreht er die Zeit um fünfzehn Jahre zurück. Damals entwuchsen Louis und Odile gerade der Unbekümmertheit ihrer Jugend. Von dieser Vergangenheit der beiden erzählt Patrick Modiano und evoziert dabei eine melancholische Grundstimmung.

Patrick Modiano wurde am 30. Juli 1945 in Boulogne-Billancourt, einem Vorort von Paris, als Sohn eines jüdischen Geschäftsmannes und einer flämischen Schauspielerin geboren. Albert Modiano hatte die Zeit der deutschen Besatzung unter falschem Namen überlebt. 1957 kam Patricks Bruder Rudy bei einem Unfall ums Leben und einige Jahre später verschwand sein Vater.

Im Alter von zweiundzwanzig Jahren veröffentlichte Patrick Modiano seinen ersten Roman: „La Place de l’Étoile“. Für den Roman „Die Gasse der dunklen Läden“ wurde er mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Peter Handke machte den französischen Schriftsteller auch in Deutschland bekannt. 2014 erhielt Patrick Modiano den Nobelpreis für Literatur.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag

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Alexander Pschera - Vergessene Gesten
Die Auswahl der "vergessenen Gesten" wirkt beliebig. Zu manchen der "125 Volten gegen den Zeitgeist" hat Alexander Pschera mehr als eine Seite geschrieben, andere hat er mitl zwei Zeilen kommentiert. "Vergessene Gesten" ist zuallererst ein Aufruf, sich altmodischer zu verhalten. Warum? Weil unser Leben aufgrund des Vergessens von Gesten "einförmiger, monotoner, gegenstandsloser geworden" sei, heißt es im Klappentext. Das Buch ist sehr schön gebunden und mit Illustrationen von Leandra Eibl bebildert.
Vergessene Gesten