Truman Capote : Kaltblütig
Inhaltsangabe
Kritik
Leichenfund
Holcomb ist ein Ort mit 270 Einwohnern im Westen von Kansas. Hier betreibt Herbert („Herb“) William Clutter seine River-Valley-Farm. Seine Familie war 1880 aus Deutschland gekommen und hieß ursprünglich Klotter. Nach dem Landwirtschaftsstudium an der Kansas State University wurde Herb Assistent des Landwirtschaftsbevollmächtigten des Finney County, dann kaufte er das Gelände in Holcomb und baute seine Farm auf. Inzwischen ist er achtundvierzig und einer der wohlhabendsten und angesehensten Männer in der Gegend. Herb trinkt weder Tee noch Kaffee, raucht nicht und verabscheut Alkohol. Doch trotz seiner streng konservativen Ansichten versucht er, außerhalb der Farm niemand damit zu belästigen. Seit 1934 ist er mit Bonnie Fox aus Rozel, Kansas, verheiratet, der drei Jahre jüngeren Schwester eines ehemaligen Schulkameraden. Bonnie leidet unter Depressionen und verlässt das Haus nur selten. Ganz anders als ihre sechzehnjährige und überall sehr beliebte Tochter Nancy, die viel unterwegs ist, um anderen Mädchen ihres Alters beispielsweise beim Kuchenbacken oder Trompetespielen zu helfen. Während Nancy und ihr ein Jahr jüngerer Bruder Kenyon noch bei den Eltern wohnen, sind die beiden älteren Schwestern bereits ausgezogen: Eveanna ist mit einem Tierarzt in Mount Carroll, Nord-Illinois, verheiratet und hat einen zehn Monate alten Sohn. Beverly, die sich in Kansas City zur Krankenschwester ausbilden lässt, ist mit einem Biologiestudenten verlobt. Im Umkreis von 800 Metern haben die Clutters keine Nachbarn mit Ausnahme von Alfred Stoecklein, des einzigen auf der Ranch wohnenden Arbeiters, der mit seiner Familie hundert Meter vom Haupthaus entfernt wohnt.
Am Samstag, den 14. November 1959, möchte Bobby Rupps mit seiner Freundin Nancy Clutter ausgehen, aber deren Vater erlaubt es nicht. Er hat seiner Tochter geraten, sich von Bobby zurückzuziehen, um ihr späteren Liebeskummer zu ersparen. Eine Heirat käme ohnehin nicht in Frage, denn Rupps Familie ist katholisch, die Clutters dagegen sind Methodisten. Statt Nancy auszuführen, kommt Bobby herüber, um mit ihr und ihren Angehörigen das Fernsehprogramm anzuschauen. Um 22.30 Uhr macht er sich auf den Heimweg.
Wie an jedem Sonntagmorgen bringen der Zuckerrübenfarmer Clarence Ewalt und seine Frau ihre Tochter Nancy am 15. November zur River-Valley-Ranch, damit das Mädchen mit der Familie Clutter zum Gottesdienst in die Kreisstadt Garden City fahren kann. Die beiden Clutter-Autos stehen in der Garage, und die vier Türen ins Haus sind, wie üblich, unverschlossen. Aber niemand meldet sich. Irritiert fahren die Ewalts weiter zu Mrs Kidwell und deren Tochter Susan („Sue“), der besten Freundin Nancy Clutters, die gewöhnlich auf dem Weg zur Kirche von den Clutters abgeholt wird. Sue wählt die Nummer der Clutters, aber es hebt niemand ab. Daraufhin fährt Ewalt mit seiner Frau und den beiden Mädchen zurück zur River-Valley-Farm. Sue betritt das Haus, ruft nach Nancy und geht hinauf ins Obergeschoss, wo sich deren Zimmer befindet. Dann rennt sie schreiend wieder davon: Nancys Bett und die Wand sind voller Blut. Jemand hat ihr aus nächster Nähe in den Kopf geschossen.
Sheriff Earl Robinson findet auch die Leichen der übrigen Familienmitglieder. Der oder die Mörder haben Herb, Bonnie, Nancy und Kenyon gefesselt, ihnen (bis auf Nancy) den Mund mit Heftpflaster verklebt, Herb dann die Kehle durchgeschnitten und jeden von ihnen mit einem Gewehr aus unmittelbarer Nähe in den Kopf geschossen. Niemand kann sich vorstellen, warum jemand das getan hat. Herb Clutter hatte keine Feinde und war bekannt dafür, dass er nie viel Bargeld bei sich oder im Haus hatte, weil er alles mit Schecks bezahlte.
Die Mörder
Die beiden Mörder – Richard („Dick“) Eugene Hickock und Perry Edward Smith – waren eigens von Olathe, einem Vorort von Kansas City, 650 Kilometer weit nach Holcomb gefahren, um die Familie Clutter auszurauben und zu ermorden. Sie rechneten damit, auf der Farm auch die beiden älteren Töchter anzutreffen. Für zwölf Personen hätten die Stricke und Heftpflaster gereicht.
Dick und Perry hatten sich in der Strafanstalt des Staates Kansas in Lansing kennen gelernt.
Richard Eugene Hickock wurde am 6. Juni 1931 in Kansas City geboren. Mit achtzehn nahm ihn die Polizei zum ersten Mal fest, weil er in einen Drugstore eingebrochen hatte. Im Jahr darauf heiratete er Carol, die drei Jahre jüngere Tochter eines Geistlichen. Sechs Jahre später ließ er sich wegen einer Frau namens Margaret Edna scheiden, aber auch die zweite Ehe scheiterte. Zuletzt kam er am 13. August 1959 aus dem Gefängnis und zog wieder zu seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder David auf die kleine Farm bei Olathe, Kansas. Seit seiner Entlassung arbeitete Dick als Autoschlosser in einer Werkstatt in Olathe. Dann schrieb er Perry und besorgte ihm ein billiges Hotelzimmer in Olathe. Bevor sie am 14. November nach Holcomb fuhren, log er seinen Eltern vor, sie wollten nach Fort Scott zu einer Schwester Perrys, um 1500 Dollar abzuholen, und als er tags darauf rechtzeitig zum Mittagessen wieder zurückkam, behauptete er, sie hätten die Frau nicht angetroffen.
Perry Edward Smith wurde am 27. Oktober 1928 in Huntington, Nevada, geboren. Seine Mutter Florence („Flo“) Buckskin war eine Cherokesin, eine professionelle Rodeo-Reiterin. 1922 heiratete sie den irischstämmigen Tex John Smith, der ebenfalls im Rodeo-Geschäft tätig war. Damit mussten sie aus gesundheitlichen Gründen aufhören, als Perry fünf Jahre alt war. Die Familie zog nach Reno, Nevada. Dort ging die Ehe in die Brüche. Flo wurde Alkoholikerin, trennte sich von ihrem Mann und zog mit dem inzwischen sechsjährigen Perry und dessen drei Geschwistern nach San Francisco. An seinem achten Geburtstag wurde Perry zum erstenmal wegen Diebstahls verhaftet. Nach mehreren Aufenthalten in Besserungsanstalten und Jugendgefängnissen wurde er seinem Vater übergeben, der auch das Sorgerecht für seine anderen drei Kinder bekam. Seine Töchter Fern und Barbara sowie seinen Sohn Jimmy steckte Tex in Heime, bevor er mit Perry im Wohnwagen herumzog. Während Perry im Zweiten Weltkrieg bei der Handelsmarine war, ging sein Vater als Pelztierjäger nach Alaska. Flo erstickte eines Tages an Erbrochenem. Fern sprang in San Francisco aus einem Hotelzimmer im 15. Stockwerk. Jimmy erschoss aus Eifersucht 1949 seine Frau und am Tag darauf auch sich selbst. Nur Barbara, die Jüngste, heiratete und führt ein ordentliches Leben. Perrys Beine sind übrigens seit einem Motorradunfall im Jahr 1952 verkrüppelt.
Am 6. Juli 1959 wurde Perry aus der Strafvollzugsanstalt in Lansing entlassen. Dicks Brief erhielt er in Buhl, Idaho, wo er vorübergehend als LKW-Fahrer arbeitete.
Nachdem die Ermordung der vier Menschen in Holcomb nicht mehr als vierzig oder fünfzig Dollar und ein kleines Kofferradio gebracht hat, suchen Dick und Perry mehrere Geschäfte in Kansas City auf. Perry staunt über die Lügengeschichten, die Dick den Verkäufern auftischt, um mit ungedeckten Schecks bezahlen zu können und darüber hinaus jedes Mal noch etwas Bargeld herauszukriegen. Als sie genügend Geld und verkäufliche Sachen beisammen haben, verlassen sie Olathe am 21. November. Zwei Tage später überqueren sie mit ihrem vollgepackten Auto die mexikanische Grenze. Perry träumt davon, in Südamerika einen Schatz zu finden. In Acapulco treiben sie sich ein paar Tage lang mit einem reichen Hamburger Rechtsanwalt und dessen mexikanischen Lover herum. Dann fahren sie zurück nach Mexiko Stadt, wo Dick das Geld rasch für Prostituierte und Alkohol verbraucht.
Ermittlungen
Im Mordfall Clutter schaltet Sheriff Robinson das Kansas Bureau of Investigation ein. Dessen Vertreter in Garden City, der siebenundvierzigjährige Alvin Adams Dewey, ermittelt zusammen mit Harold Nye, Roy Church, Clarence Duntz und weiteren vierzehn Kriminalbeamten.
Zuerst verdächtigen sie Bobby Rupps und einen Farmer aus der Nachbarschaft, aber sie merken rasch, dass sie damit falsch liegen. Viele Menschen in Holcomb und Garden City glauben, dass der oder die Mörder aus der Gegend stammen. Misstrauen macht sich breit. Während bisher niemand auf die Idee gekommen wäre, sein Haus abzusperren, werden jetzt jede Menge Schlösser und Riegel gekauft.
Am 17. November 1959 hört der wegen Diebstahls zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilte Floyd Wells in den Nachrichten von dem vierfachen Mord in Holcomb. Er schreckt hoch, denn er kennt sowohl die Mörder als auch deren Opfer. Wells hatte 1948/49 ein Jahr lang auf der River-Valley-Farm gearbeitet. Danach stahl er Rasenmäher aus einem Geschäft, um damit einen Verleih aufzumachen. Aber er wurde ertappt und im Juni 1949 in die Strafanstalt des Staates Kansas in Lansing gesperrt. Dort lernte er Dick kennen. Irgendwann erzählte er Dick von seinem Job auf der Farm in Holcomb und behauptete, dass da pro Woche 10 000 Dollar Kosten anfielen. Daraus zog Dick den Schluss, dass der Farmer über sehr viel Geld verfügte und er fragte Floyd Wells aus, bis er über die Familienmitglieder und die Farm genau Bescheid wusste. – Einige Tage lang überlegt Wells, was er tun soll. Ein Mithäftling rät ihm, den Gefängnisdirektor zu unterrichten. Der wiederum verständigt die Polizei, und so erfährt Alvin Dewey von den mutmaßlichen Mördern.
Rückkehr
Die kehren als Anhalter aus Mexiko zurück. Unterwegs beabsichtigen sie, einen Autofahrer zu ermorden und auszurauben, aber sie geraten zunächst nur an LKW-Fahrer, Soldaten und Boxer. Endlich nimmt ein Handlungsreisender sie mit. Dass er eine Frau und fünf Kinder zu Hause hat, wie er erzählt, bringt Dick und Perry nicht von ihrem Plan ab, ihn zu töten. Doch als er für einen weiteren Anhalter noch einmal anhält, rettet er unwissentlich sein Leben.
Nachdem Dick in Kansas City noch einmal mit ungedeckten Schecks Geld und Waren besorgt hat, erholen sich die beiden Mörder einige Zeit in Miami Beach.
Bei Tallahassee, Florida, wird am 19. Dezember die vierköpfige Familie Walker auf ihrer Rinderfarm ohne erkennbares Motiv durch Kopfschüsse umgebracht. Ein Nachahmungstäter? Der Fall bleibt unaufgeklärt.
Vernehmungen
Am 30. Dezember werden Dick und Perry in Las Vegas von den Polizisten Ocie Pigford und Francis Macauley verhaftet. Alvin Dewey, Harold Nye, Roy Church und Clarence Duntz reisen aus Kansas an, um die beiden Tatverdächtigen zu verhören. Das postlagernde Paket, das Perry unmittelbar vor der Festnahme abgeholt hatte, war von den beiden in Mexiko aufgegeben worden, weil sie beim Trampen nicht so viel Gepäck hatten gebrauchen können. Für die Ermittler ist es ein entscheidender Glücksfall, dass man Dick und Perry nicht zehn Minuten früher festnahm, denn in dem Paket finden sie die Stiefel, deren Sohlen exakt zu den im Blut am Tatort gefundenen Abdrücken passen.
In getrennten Verhören müssen Dick und Perry schließlich zugeben, nie in Fort Scott gewesen zu sein und die Geschichte von Perrys Schwester nur wegen Dicks Eltern erfunden zu haben. Sonst hätte er nicht über Nacht wegbleiben dürfen. Sie behaupten, eine Sauftour gemacht und die Nacht mit Prostituierten verbracht zu haben.
Bei Dicks zweitem Verhör stellen die Beamten alle möglichen Fragen, kommen jedoch absichtlich drei Stunden lang nicht auf den vierfachen Mord in Holcomb zu sprechen, weil sie wissen, dass gerade das Warten darauf den Delinquenten Nerven kostet. Schließlich zeigen sie ihm Fotos von den Schuhsohlen-Abdrücken und halten sie neben seine Stiefel aus dem Paket. Daraufhin sagt er aus, Perry habe die Clusters erschossen.
Perry glaubt zunächst nicht, dass Dick ihn verraten hat. Aber die Kriminalbeamten sagen ihm, sein Kumpan halte ihn für einen kaltblütigen Mörder, der schon einmal einen Schwarzen grundlos mit einer Fahrradkette erschlagen habe. Da begreift Perry, dass die Polizisten Bescheid wissen, denn die Geschichte mit dem Schwarzen konnten sie nur von Dick gehört haben: Er hatte sie erfunden, um Eindruck auf ihn zu machen.
Tathergang
Dick und Perry drangen nachts in die River-Valley-Farm ein und suchten zunächst in Herb Clutters Büro nach einem Safe. Dann holten sie den Farmer aus dem Bett und fragten ihn, wo er sein Geld aufbewahre. Seiner Beteuerung, weder einen Safe noch eine größere Menge Geld im Haus zu haben, glaubten sie nicht. Sie ließen sich von ihm zu Bonnie ins andere Schlafzimmer bringen, um auch sie auszufragen. Herb versuchte, seine ängstliche Frau zu beruhigen: „Die Leute möchten nur etwas Geld.“ Nachdem Perry begriffen hatte, dass auf der Farm nichts zu holen war, wollte er fort, aber Dick weigerte sich, sein Scheitern einzugestehen. Um das Gebäude gründlich durchsuchen zu können, verlangte er von seinem Komplizen, die vier Bewohner zu fesseln. Nancy hatte wohl bereits vorher Geräusche gehört, denn es war ihr noch rechtzeitig gelungen, ihre goldene Armbanduhr in einem Schuh zu verstecken. Perry brachte Herb Clutter in den Keller und legte ihm fürsorglich eine zusammengedrückte Matratzenverpackung als Unterlage auf den Betonfußboden. Die Einbrecher fanden nicht mehr als vierzig oder fünfzig Dollar in verschiedenen Geldbörsen. Als Dick die gefesselt auf ihrem Bett liegende Sechzehnjährige vergewaltigen wollte, hielt Perry ihn davon ab, denn die besondere Neigung seines Kumpans für minderjährige Mädchen und dessen sexuelle Gier waren ihm zuwider. Perry ärgerte sich über den Angeber, der ihn in diese blamable Lage gebracht hatte und wollte ihn zwingen, sich als Feigling zu zeigen. Deshalb ließ er sich von ihm das mitgebrachte Messer geben und kniete sich neben Herb Clutter in der Erwartung, Dick werde ihn davon abhalten, den Farmer zu töten. Bevor Perry ihm den Mund verklebte, fragte Herb Clutter nach seiner Frau …
[…] und ich sagte, es ginge ihr gut, sie wäre schon am Einschlafen, und ich sagte ihm, es wäre nicht mehr lange bis zum Morgen, und am Morgen würde sie schon jemand finden, und dann würde das alles, ich und Dick und alles das, ihnen wie ein Traum vorkommen. Und ich meinte das auch ernst. Ich hatte nicht vor, ihm irgendwas anzutun. Ich fand, dass er ein sehr netter und gebildeter Mann war. Ein stiller Mann. Das glaubte ich bis zu dem Moment, wo ich ihm die Kehle durchschnitt.
Clutter röchelte durch die zerschnittene Luftröhre und zerrte an seinen Fesseln. Da verlor Dick die Nerven und wollte aus dem Haus, aber Perry zwang ihn, dem Farmer mit der Taschenlampe ins Gesicht zu leuchten, damit er mit dem Gewehr besser zielen konnte. Danach erschoss er Kenyon, Nancy und zuletzt Bonnie.
Konsequenz
Im Haus von Dicks Eltern findet die Polizei die Tatwaffen: das Jagdgewehr und das Messer. An der von den Mördern angegeben Stelle stoßen sie auf die vergrabenen Geschosshülsen, den Rest des Seils und des Heftpflasters.
Weil die beiden mittellosen, einunddreißig bzw. achtundzwanzig Jahre alten Angeklagten sich keinen Rechtsbeistand leisten können, bestimmt der Vorsitzende Richter Roland H. Tate die beiden Anwälte Arthur Fleming und Harrison Smith als Pflichtverteidiger. Am 22. März 1960 beginnt die Gerichtsverhandlung in Garden City. Richard Eugene Hickock und Perry Edward Smith werden zum Tod verurteilt und in das Staatsgefängnis von Lansing gebracht.
Die eigentlich für den 13. Mai terminierte Hinrichtung wird auf Beschluss des Obersten Gerichts von Kansas verschoben, damit zunächst das Ergebnis der von den Verteidigern eingereichten Berufung abgewartet werden kann. Everett Steerman, der Vorsitzende des Komitees für Rechtsbeistand des Juristenverbands von Kansas, bezweifelt, dass in der aufgewühlten Atmosphäre in Garden City ein fairer Prozess möglich war und beauftragt deshalb den Rechtsanwalt Russel Shultz aus Wichita, die von Dick in einem Schreiben erhobenen Beschwerden zu prüfen. Shultz stellt einen Wiederaufnahmeantrag, und das Oberste Gericht von Kansas lässt den pensionierten Richter Walter G. Thiele eine Revisionsverhandlung durchführen. Aufgrund des Ergebnisses wird die Berufung schließlich verworfen und der 2. Oktober 1962 als neuer Hinrichtungstermin festgelegt. Nun sorgen jedoch die beiden Anwälte Joseph P. Jenkins und Robert Bingham aus Kansas City mit einer Reihe von Anträgen für einen weiteren Aufschub der Hinrichtung, zunächst bis zum 25. Oktober, dann bis zum 8. August 1963 und schließlich bis zum 18. Februar 1965. Nachdem Jenkins und Bingham dreimal damit scheiterten, den Supreme Court der USA anzurufen, verfügt das Oberste Gericht von Kansas, die Hinrichtung habe am 14. April 1965 zwischen 0.00 und 2.00 Uhr zu erfolgen. Das kurz zuvor noch eingereichte Gnadengesuch wird von William Avery, dem neugewählten Gouverneur von Kansas, abgelehnt. Richard Eugene Hickock stirbt um 0.41 Uhr am Galgen, Perry Edward Smith wird um 1.19 Uhr gehängt.
Nachdem Truman Capote in der „New York Times“ vom 16. November 1959 einen Bericht über den vierfachen Mord gelesen hatte und die beiden Mörder am 30. Dezember gefasst worden waren, sprach er mit den Menschen in Holcomb und den Tätern im Gefängnis, sichtete Vernehmungsprotokolle und Gerichtsakten und schrieb nach jahrelangen Recherchen den Tatsachenroman „In Cold Blood“ („Kaltblütig“). Damit begründete er ein völlig neues Genre. Obwohl Truman Capote ausgesprochen sachlich und distanziert über den vierfachen Mord und seine Hintergründe berichtet, ist „Kaltblütig“ ein packender Roman. Das liegt zum Teil daran, dass er Zeugen und Mörder in der ersten Person Singular zu Wort kommen lässt und das Geschehen auf diese Weise aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Bei der Zusammenstellung verbindet er journalistische Formen wie die Reportage mit im Kino entwickelten Techniken, beispielsweise Rückblenden und Parallelmontagen.
Im ersten Teil des Buches – „Die sie als Letzte sahen“ – schildert Truman Capote die Ereignisse am 14. und 15. November 1959. Unter der Überschrift „Täter unbekannt“ geht es dann um die polizeilichen Ermittlungen, die Flucht der Mörder nach Mexiko und die Reaktion der Menschen in Holcomb bzw. Garden City. Im dritten Teil – „Die Antwort“ – werden die Mörder gefasst und verhört. Zum ersten Mal erfahren wir durch ihre Aussagen, wie sie die vierköpfige Familie Clutter ums Leben brachten. „Die Ecke“ heißt im Häftlingsjargon der Galgen. Truman Capote wählt den Begriff als Überschrift für den abschließenden Teil seines Tatsachenromans, in dem es um den Gerichtsprozess, die nachfolgenden juristischen Vorgänge und die Hinrichtung der Mörder geht.
„Kaltblütig“ besteht aus einer präzisen, detaillierten und differenzierten Analyse eines vierfachen Mordes und ist zugleich ein spannendes literarisches Meisterwerk, mit dem Truman Capote das Genre real fiction bzw. des Tatsachenromans begründete.
Truman Capote (1924 – 1984) wurde mit seiner Erzählung „Frühstück bei Tiffany“ (1958) und seinem Tatsachenroman „Kaltblütig“ (1965) weltberühmt. Beide Werke wurden verfilmt: „Frühstück bei Tiffany“ von Blake Edwards („Frühstück bei Tiffany“, 1960), „Kaltblütig“ von Richard Brooks („Kaltblütig“, 1967) und von Jonathan Kaplan (1996).
Kaltblütig (1996) – Originaltitel: In Cold Blood – Regie: Jonathan Kaplan – Drehbuch: Benedict Fitzgerald – Kamera: Peter F. Woeste – Schnitt: Michael D. Ornstein – Musik: Hummie Mann – Darsteller: Anthony Edwards, Eric Roberts, Sam Neill, Kevin Tighe, Gillian Barber, Margot Finley, Robbie Bowen, Bethel Leslie, Gwen Verdon, Leo Rossi, Troy Evans, Don S. Davis, L.Q. Jones, Louise Latham, Campbell Lane, Tom McBeath, Brad Greenquist, Stella Stevens, Ryan Reynolds, Lindsey Campbell, Emily Perkins u. a. – Zweiteiliger Fernsehfilm, 180 Minuten
Die Arbeit von Truman Capote an seinem Buch „Kaltblütig“ ist auch Thema der Kinofilme „Capote“ (2005) von Bennett Miller und „Kaltes Blut. Auf den Spuren von Truman Capote“ von Douglas McGrath (2006).
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Textauszüge: © Limes Verlag
Truman Capote (Kurzbiografie)
Bennett Miller: Capote
Richard Brooks: Kaltblütig
Truman Capote: Die Grasharfe
Truman Capote: Frühstück bei Tiffany
Truman Capote: Sommerdiebe