Raymond Carver : Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden

Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden
Originalausgabe: 1981 What We Talk About When We Talk About Love Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden Übersetzung: Klaus Hoffer Piper Verlag, München 1989 Neuübersetzung: Helmut Frielinghaus Berlin Verlag, Berlin 2000
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die Kurzgeschichten, von denen manche nur fünf Seiten lang sind, handeln von einfachen Menschen im Alltagsleben. Wenn in ihrem vertrauten Umfeld sich Unerwartetes ereignet, können sie das nicht verarbeiten; oft scheitern sie daran.
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Kritik

Raymond Carver erzählt mit schlichten Wörtern in knappen Sätzen. Er prägte damit einen minimalistischen Stil, den sich junge, auch deutsche Autoren als Vorbild nahmen (zum Beispiel Judith Hermann).
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Sag den Frauen, dass wir wegfahren

Zwei junge Männer, die seit der Schulzeit miteinander befreundet sind, halten ihre Kumpanei auch dann noch aufrecht, als einer von ihnen früh heiratet. Um der familiären Eingeengheit zu entfliehen, setzen sie sich ins Auto und machen eine Spritztour. Dabei begegnen ihnen zwei Mädchen, die mit dem Fahrrad unterwegs sind.

Die, die näher am Straßenrand fuhr, hatte dunkle Haare, war hoch gewachsen und schlank. Die andere hatte blondes Haar und war kleiner. Beide trugen Shorts und Bikini-Oberteile. „Kleine Nutten“, sagte Jerry. … „Ich nehme die Brünette“, sagte er. Er sagte: „Die Kleine gehört dir.“

Die Mädchen reagieren nicht auf die Annäherungsversuche und lassen sich auch durch die sexistischen Beleidigungen nicht herausfordern. Die Zurückweisung führt bei dem älteren der beiden Männer zu einer unerwarteten Reaktion – mit fatalem Ende.

So viel Wasser so nah bei uns

Ein paar Freunde unternehmen ihren jährlichen Angelausflug, auf den sich alle schon lange gefreut haben. An ihrem Stammplatz angekommen, werden sie mit einer Situation konfrontiert, die sie überfordert. Um sich nicht um ihr Vergnügen zu bringen, verschieben sie das eigentlich Notwendige und handeln gegen ihre vernünftige Einsicht. Dem dadurch ausgelösten Gewissenskonflikt suchen sie durch Verdrängung beizukommen.

Das Bad

Eine Mutter bestellt beim Bäcker eine Geburtstagstorte für ihren Jungen, der acht Jahre alt wird. Scotty wird auf dem Nachhauseweg von der Schule von einem Auto angefahren. Er kann noch in die Wohnung gehen, muss aber dann doch ins Krankenhaus gebracht werden. Die Eltern sitzen an seinem Bett und beobachten beunruhigt seinen gleichbleibend schlechten Gesundheitszustand. Der Arzt muss zugeben, dass der Krankheitsverlauf nicht normal ist. Der Vater fährt nach Hause, um den Hund zu füttern und sich auszuruhen. Währenddessen läutet das Telefon; der Anrufer sagt: „Hier ist eine Torte, die nicht abgeholt wurde.“ Der Vater weiß davon nichts und fühlt sich nur belästigt. Er lässt sich ein Bad ein. Wieder läutet das Telefon. Er glaubt, es sei das Krankenhaus, aber es ist wieder die Stimme von vorher: „Sie ist fertig.“ Der Vater geht ins Krankenhaus zurück. Der Junge ist immer noch nicht zu sich gekommen. Der Ehemann schickt seine Frau zum Ausruhen nach Hause. Auch bei ihr meldet sich der Anrufer:

„Scotty“, sagte die Stimme. „Es ist wegen Scotty“, sagte die Stimme. „Es hat mit Scotty zu tun, ja.“ (Seite 72)

Hier endet die Geschichte, nach 10 Seiten. Das Ende ist offen. Gorden Lish, der Lektor Raymond Carvers hat sie gekürzt, man könnte sagen: verstümmelt. In der Erzählungen-Sammlung „Kathedrale“ ist unter dem Titel „Eine kleine, gute Sache“ die Original Carver-Version enthalten.

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Raymond Carver starb 1988 fünfzigjährig an Lungenkrebs. Er hatte lange Zeit Alkoholprobleme und so wundert es nicht, dass Trinken in fast allen Geschichten eine Rolle spielt. Angeln und die Beengtheit in kleinbürgerlichen Verhältnissen sind andere häufig vorkommende Themen. Sobald sich jemand aus seinem gewohnten Umfeld wagt, lauert meistens ein auf den ersten Blick nicht erkennbares Unheil, das auf das weitere Alltagsleben grundlegende Auswirkungen hat.

Carvers Vorbilder waren unter anderem Tschechow und Hemingway. Darauf angesprochen, warum er so kurze Erzählungen schreibe, sagte er, dass er keine Zeit und Lust für lange Geschichten habe. Man sollte vielleicht wissen, dass zu Beginn seiner Schriftstellertätigkeit der Lektor seiner Bücher den „typischen“ Carver-Stil geprägt hat. Die knappe Dichte und manchmal abstrakte Konstruktion sind Gordon Lish, dem Lektor, zuzuschreiben. Selbst den Schluss mancher Erzählungen (zehn von dreizehn) hat er geändert oder gestrichen (zum Beispiel bei „So viel Wasser so nah bei uns“). Erst als Carver als Autor anerkannt war, hat er sich diese Eingriffe verbeten.

Einige der Kurzgeschichten und Erzählungen Raymond Carvers verwendete Robert Altman als Vorlage für seinen Episodenfilm „Short Cuts“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Irene Wunderlich 2003/2004
Textauszug: © Berlin Verlag

Raymond Carver (kurze Biografie / Bibliografie)

Raymond Carver: Kathedrale

Robert Altmann: Short Cuts

Eugen Kogon - Der SS-Staat
Eugen Kogon, der selbst von 1939 bis 1945 im Konzentrationslager Buchenwald eingesperrt gewesen war, veröffentlichte 1946 die erste umfassende und eingehende Darstellung über "das System der deutschen Konzentrationslager".
Der SS-Staat