Thea Dorn, Richard Wagner : Die deutsche Seele

Die deutsche Seele
Die deutsche Seele Originalausgabe: Albrecht Knaus Verlag, München 2011 ISBN: 978-3-8135-0451-4, 560 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

"Die deutsche Seele" ist keine systematische Abhandlung, sondern ein facettenreiches Lesebuch. Es besteht aus 64 alphabetisch geordneten, abwechselnd von Thea Dorn und Richard Wagner verfassten Kapiteln. Ohne Berührungsängste beschäftigen sie sich mit deutschen Besonderheiten des Alltags und der Hochkultur.
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Kritik

Die zwischen zwei und 38 Seiten langen Kapitel sind recht unterschiedlich. Aber es wird weder etwas überhöht noch verteufelt. Unverkrampft bewegen sich Thea Dorn und Richard Wagner zwischen "E(ernst) und U(unterhaltung)".

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es verpönt, über das Deutsche nachzudenken. Mehr als 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg brechen Thea Dorn und Richard Wagner das Tabu: Sie schreiben ein Buch über „die deutsche Seele“.

Lieber Leser, sei gewarnt. Dies ist ein Buch, in dem du nicht gewarnt wirst vor dem Deutschen.

Getrieben von der Sehnsucht, die Kultur, in der wir leben, in all ihren Tiefen und Untiefen, in ihrer Größe und Schönheit, in ihren Schrullen und Fragwürdigkeiten zu erkunden.

Wir machen uns keine Sorgen, dass Deutschland sich abschafft. Wir sehen nur, dass es sich herunterwirtschaftet. Sein Gedächtnis verliert.

„Die deutsche Seele“ ist keine systematische Abhandlung, sondern ein facettenreiches Lesebuch. Es besteht aus 64 alphabetisch geordneten, abwechselnd von Thea Dorn und Richard Wagner verfassten Kapiteln von „Abendbrot“ bis „Zerrissenheit“. Ohne Berührungsängste beschäftigen sich Thea Dorn und Richard Wagner mit deutschen Besonderheiten wie zum Beispiel Fachwerkhaus, Freikörperkultur, Gemütlichkeit, German Angst, Männerchor, Schrebergarten, Spießbürger, Strandkorb, Vereinsmeier und Wanderlust. Neben Beobachtungen aus dem Alltag stehen Themen der Hochkultur, wie etwa ein 38 Seiten langes Kapitel von Thea Dorn über die Musik von den Minnesängern bis zu Stockhausen.

Statt nach der Edelfrau griffen die Ritter der Sublimation zur Leier.

Der radikal gemeinte, im Kern religiöse Begriff einer „Kulturnation“, die den Menschen zu bessern glaubte, indem sie die gesamte Sphäre des Weltlich-Politischen als „Dreck“ entlarvte, ist jedoch zum Feiertags-Schlagwort herabgesunken. Erlösung light muss genügen. Die deutsche Musik, deren „mächtigen Sonnenlauf“ der junge Nietzsche beschwor, ist im Westen untergegangen. Der Demokrat atmet erleichtert auf. Der Musiker leidet.

Die zwischen zwei und 38 Seiten langen Kapitel sind recht unterschiedlich. Aber es wird weder etwas überhöht noch verteufelt. Unverkrampft bewegen sich Thea Dorn und Richard Wagner zwischen „E(ernst) und U(unterhaltung)“.

Richard Wagner wurde am 10. April 1952 im rumänischen Teil des Banats geboren. Nachdem ihm ein Berufsverbot erteilt worden war, verließ der katholische Deutschlehrer, Journalist, Schriftsteller und Lyriker zusammen mit

seiner damaligen Ehefrau Herta Müller 1987 das Banat und zog nach Berlin.

Thea Dorn wurde am 23. Juli 1970 in Offenbach am Main geboren. Ein anderer Richard Wagner hatte es ihr früh angetan: Von dessen Musik begeistert, begann sie eine Gesangsausbildung. Aber dann studierte die Agnostikerin Philosophie und Theaterwissenschaft in Frankfurt/Main. Später wurde sie Dramaturgin, Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin. Ihr Künstlername bezieht sich angeblich auf Theodor W. Adorno.

Während die von Richard Wagner verfassten Kapitel eher sachlich und historisch fundiert sind, spielt Thea Dorn mit sprachlichen Formen und setzt auf Pointen.

Von Richard Wagner stammt beispielsweise folgender Absatz:

Nach dem Einsatz der Atombombe war jedes Gespräch zwischen Faust und Mephisto für die einen eine Zumutung und für die anderen eine Geringfügigkeit. Die Wissenschaftler der jungen Bundesrepublik ziehen sich aus der Affäre. Sie warnen öffentlich vor ihrer Arbeit. Sie setzen sich an die Spitze der gesellschaftlichen Moralbewegung, wie Carl Friedrich von Weizsäcker, oder gehen gleich nach Amerika, wie Wernher von Braun. Den Rest der Last überantworten sie den Schriftstellern, zunächst den Schweizern Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch. Sie sind für die Nachkriegs-Bundesrepublik unbelastet und daher zur moralischen Verhandlung des Geschehenen legitimiert.

Thea Dorn liest sich dagegen so:

Um die Unterscheidung von E(ernst) und U(unterhaltung) kommt man im bürgerlichen Deutschland selbst im Zeitalter der Love-Parade nicht herum. […] Der Mittelstand hängt an Bildung und Knigge, Geld zählen kann schließlich jeder.
So hat man für derlei Situationen das entsprechende Verhalten parat, man weiß, was man sagen darf und was man besser für sich behält. Auch wenn man sich nicht auskennt und bei den Neuerscheinungen schon gar nicht, sollte man in jedem Fall eine dedizierte Meinung beisteuern können.
Regel Nummer eins: Bücher von der Bestsellerliste nur ausnahmsweise nennen. Nur wenn man sicher ist, dass es sich um einen Titel handelt, den der reine Zufall oder eine Kollektivlaune der Leserschaft an den Pranger der Meistverkauften gestellt hat.
Will man dagegen sichergehen, dann nimmt man sich die Bestenliste des SWR vor. Diese richtet sich nicht nach den Verkaufszahlen, sondern nach dem Geschmack einer Jury aus dem eisernen deutschen Feuilleton. […]
Es wird aber an den Espressotheken des Kulturbetriebs nicht nur von der laufenden Produktion die Rede sein. Immer gut, wenn man einen Gedanken an die Großen der Literaturgeschichte verschwenden kann, wenn man etwas über Kafka zu sagen weiß, über Goethes Wilhelm Meister und, warum nicht, über den großartigen, gerade erst wiederentdeckten Johann Fischart, den ersten deutschen Kenner des Rabelais. Man scheue sich nicht, Musil zu sagen und Grimmelshausen. Man nenne sie in einem Atemzug, aber man sage bitte möglichst nicht „kafkaesk“. Das gehört zur Terminologie der literaturinteressierten Friseure.

Allenfalls ein Klischee-Deutscher nimmt sich „Die deutsche Seele“ von A bis Z vor. Die meisten werden in dem Buch kreuz und quer lesen. Dabei kann man sich am Ende jedes Kapitels von Hinweisen auf thematisch ähnliche Beiträge anregen lassen. So verweist Richard Wagner von seinem Artikel über „Narrenfreiheit“ auf Bierdurst, Fußball, Spießbürger, Vater Rhein und Vereinsmeier. Auch ein Register hilft bei der Orientierung. Und unter der Überschrift „Seelenhintergrund“ empfehlen Thea Dorn und Richard Wagner weiterführende Literatur.

Das fadengeheftete, 1,5 Kilogramm schwere Buch ist mit zahlreichen farbigen und schwarz-weißen Abbildungen illustriert.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012
Textauszüge: © Albrecht Knaus Verlag

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