Die bitteren Tränen der Petra von Kant

Die bitteren Tränen der Petra von Kant

Die bitteren Tränen der Petra von Kant

Originaltitel: Die bitteren Tränen der Petra von Kant - Regie: Rainer Werner Fassbinder - Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder, nach seinem Theaterstück "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" - Kamera: Michael Ballhaus - Schnitt: Thea Eymèsz - Musik: The Platters, The Walker Brothers, Giuseppe Verdi - Darsteller: Margit Carstensen, Irm Hermann, Hanna Schygulla, Eva Mattes, Katrin Schaake, Gisela Fackeldey u.a. - 1972; 125 Minuten

Inhaltsangabe

Die Modeschöpferin Petra von Kant lernt durch eine Freundin eine junge Frau kennen, die Mannequin werden möchte: Karin Thimm. Petra von Kant überredet das aus einfachen Verhältnissen stammende Mädchen, bei ihr zu wohnen und macht sie zu ihrer Geliebten. Karin nimmt, was Petra von Kant ihr bietet – Luxus und Beziehungen –, aber sie macht ihr nichts vor und langweilt sich bald mit ihr. Als sie Petra von Kant nach einem halben Jahr verlässt, verzweifelt die vereinsamte Egomanin ...
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Kritik

Dass es sich bei "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" um eine Verfilmung seines gleichnamigen Theaterstücks handelt, versucht Rainer Werner Fassbinder nicht zu verbergen: Die Handlung spielt in einem einzigen Raum, und die fünf Akte sind deutlich voneinander zu unterscheiden.
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1. Akt:

Die fünfunddreißigjährige, ebenso erfolgreiche wie exzentrische Modeschöpferin Petra von Kant (Margit Carstensen) lebt mit ihrer devoten Sekretärin Marlene (Irm Hermann) in Bremen, und zwar in einem Penthouse, das zugleich als Wohnung und Atelier dient. Mitten im Raum steht Petras Bett. Eine Wand ist mit einem riesigen Gemälde von Nicolas Poussin verziert: „Midas und Bacchus“. Seit drei Jahren befolgt Marlene stumm und ergeben die Anordnungen ihrer Arbeitgeberin, die sie wie eine Dienerin herumkommandiert. Petra von Kant war zweimal verheiratet. Pierre, ihr erster Mann, kam bei einem Autounfall ums Leben, und die zweite Ehe scheiterte, weil Frank es nicht verkraftete, dass seine Frau mehr Geld als er verdiente und seine Unterlegenheit in der Sexualität überzukompensieren versuchte. Gabriele, ihre Tochter aus erster Ehe, lebt in einem Internat. – Petra von Kant steht erst gegen Mittag auf und bleibt auch dann faul im Bett liegen, während Marlene ihr Orangen auspresst, Briefe tippt und Entwürfe koloriert.

Unerwartet kommt Sidonie Baronin von Grasenabb (Katrin Schaake) zu Besuch. Sie hat sich mit ihrer Ehe abgefunden und verrät ihrer Freundin Petra von Kant ihr Erfolgsrezept: Sie übt sich in Demut und lässt ihren Mann in dem Glauben, er beherrsche sie. Ohne dass er es merkt, setzt sie ihren Willen durch.

Die Baronin wird von Karin Thimm (Hanna Schygulla) abgeholt, einer Dreiundzwanzigjährigen, die gerade aus Australien gekommen ist und sich in Deutschland eine neue Existenz als Mannequin aufbauen möchte. Petra von Kant verliebt sich auf den ersten Blick in die junge Frau und lädt sie unter dem Vorwand, mit ihr über eine Mannequin-Tätigkeit sprechen zu wollen, für den nächsten Abend ein.

2. Akt:

Karin ist bei Petra von Kant zu Besuch. Ihr Vater war Werkzeugmacher. Als er wegen seines Alters den Arbeitsplatz verlor, betrank er sich in einer Wirtschaft, ging dann nach Hause, erschlug seine Frau und erhängte sich. Karin wanderte damals nach Australien aus und heiratete einen Mann namens Freddy.

Petra von Kant ist gern bereit, ihr dabei zu helfen, ein erfolgreiches Mannequin zu werden, und als sie erfährt, dass Karin in einem Hotel abgestiegen ist, lädt sie die junge Frau ein, bei ihr zu wohnen und sich die Ausgaben für das Zimmer zu sparen.

3. Akt:

Ein halbes Jahr ist vergangen.

Obwohl es mitten am Tag ist, liegt Karin im Bett und blättert gelangweilt in einer Illustrierten. Sie gibt sich keine Mühe mehr, Petra von Kant zu gefallen und ist ihrer Küsse und Liebkosungen überdrüssig. Sie nimmt, was Petra von Kant ihr bietet – Luxus und Beziehungen –, aber sie macht ihr nichts vor und verheimlicht ihr nicht, dass sie die Nacht mit einem Mann verbrachte („mit einem großen schwarzen Mann mit einem großen schwarzen Schwanz“). Petra von Kant bleibt nichts anderes übrig, als es zu akzeptieren, denn Karin hilft ihr über ihre Einsamkeit hinweg. Die beiden Frauen trinken Gin, Petra von Kant aus Verzweiflung, Karin aus Langeweile.

Durch einen Anruf ihres Mannes aus Zürich erfährt Karin, dass er in Europa ist. Sie wollen sich in Frankfurt am Main treffen. Petra von Kant, die angenommen hat, Karin werde nicht mehr zu ihrem Mann zurückkehren und sich von ihm scheiden lassen, ist entsetzt, aber sie zeigt Haltung, bucht für Karin einen Flug erster Klasse und gibt ihr statt der erbetenen 500 Mark die doppelte Summe. Erst beim Abschied wird Petra von Kant hysterisch, beschimpft ihre Geliebte als „kleine, miese Hure“ und spuckt ihr ins Gesicht. Gleich darauf beteuert sie, dass sie Karin liebe.

4. Akt:

Petra von Kant tröstet sich mit Gin über die Enttäuschung hinweg. Weil sie Geburtstag hat, kommen zuerst ihre Tochter Gabriele (Eva Mattes) und später auch ihre Mutter Valerie (Gisela Fackeldey) vorbei, um ihr zu gratulieren. Sidonie Baronin von Grasenabb schenkt ihr eine nackte Puppe. In ihrem Kummer verabscheut Petra von Kant sie alle und verbirgt es auch nicht vor ihnen.

5. Akt:

Gabriele von Kant hat aufgrund des Verhaltens ihrer Mutter einen Schock erlitten und liegt nebenan im Bett. Valerie von Kant ist noch bei ihrer egomanischen Tochter, die inzwischen einsieht, was sie falsch gemacht hat: „Man muss lernen zu lieben, ohne zu fordern.“ Als Karin anruft, um ebenfalls zum Geburtstag zu gratulieren, gibt Petra von Kant sich ganz gelassen.

Sobald ihre Mutter gegangen ist, entschuldigt sie sich bei Marlene für ihr Verhalten ihr gegenüber und fordert sie auf, etwas aus ihrem Leben zu erzählen. Aber Marlene packt schweigend ihren Koffer und verlässt Petra von Kant, ohne ein Wort zu sagen.

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Rainer Werner Fassbinder inszenierte seinen Film „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ wie ein Bühnenstück in fünf klar voneinander unterscheidbaren Akten, und tatsächlich hatte er das Kammerspiel ursprünglich fürs Theater geschrieben. Margit Carstensen spricht denn auch bewusst theatralisch. Alle fünf Akte spielen in Petra von Kants Wohnatelier; kein einziges Mal verlässt die Kamera diesen Raum. Die Zahl der Schnitte ist minimal.

Bei dem einzigen Mann, der in „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ zu sehen ist, handelt es sich um Bacchus, der nackt auf einem riesigen Wandgemälde von Nicolas Poussin (1594 – 1665) abgebildet ist.

Petra von Kant ist eine egozentrische, pseudoemanzipierte Karrierefrau in einem extravaganten, mondänen Ambiente, die sich darüber hinwegzutäuschen versucht, dass sie ihre Identität verloren hat und deshalb vereinsamt ist. In „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ geht es zwar um eine lesbische Liebesbeziehung, aber das eigentliche Thema sind Macht und Besitz, Abhängigkeit und Unterdrückung. Wie auch in anderen Filmen beschäftigt Rainer Werner Fassbinder sich in „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ mit Menschen, die Beziehungen nach ihrer Nützlichkeit und ihrem Tauschwert beurteilen.

Trotz der eingeschränkten Möglichkeiten ist es Michael von Ballhaus wieder gelungen, die Kamera elegant zu führen. Bei allen sechs Schauspielerinnen handelt es sich um Idealbesetzungen.

Den Namen Sidonie von Grasenabb nahm Rainer Werner Fassbinder aus Theodor Fontanes Roman „Effi Briest“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005

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