Philomena

Philomena

Philomena

Philomena – Originaltitel: Philomena – Regie: Stephen Frears – Drehbuch: Steve Coogan und Jeff Pope nach dem Buch "Philomena. Eine Mutter sucht ihren Sohn" von Martin Sixsmith – Kamera: Robbie Ryan – Schnitt: Valerio Bonelli – Musik: Alexandre Desplat – Darsteller: Judi Dench, Steve Coogan, Sophie Kennedy Clark, Anna Maxwell, Michelle Fairley u.a. – 2013; 95 Minuten

Inhaltsangabe

Als die Irin Philomena Lee 1952 im Alter von 18 Jahren schwanger wird, schickt der Vater sie wegen der Schande in ein Kloster. Dort bringt sie ihren Sohn Anthony zur Welt und wird von den Nonnen jahrelang als Arbeits­kraft ausgebeutet. Außerdem vermittelt das Kloster Anthony gegen viel Geld an Adoptiv­eltern aus den USA. 50 Jahre lang schweigt Philomena. Dann sucht sie mit dem Journalisten Martin Sixsmith zusammen nach ihrem Sohn. Vom Kloster bekommen sie keine Unterstützung, aber in Washington entdecken sie Hinweise auf Anthony ...
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Kritik

Trotz der erschütternden Geschichte handelt es sich bei "Philomena" um eine Tragikomödie. Peter Frears ver­lässt sich auf die Wirkung der auf Tatsachen basierenden Handlung und die Konfrontation der beiden her­vor­ragend gespielten Haupt­figuren.
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Die geschiedene Irin Philomena Lee (Sophie Kennedy Clark / Judi Dench) arbeitete 30 Jahre lang als Krankenschwester. Inzwischen ist sie im Ruhestand. Eines Abends vertraut sie ihrer erwachsenen Tochter Jane (Anna Maxwell Martin) an, dass dies der 50. Geburtstag ihres Sohnes ist. Jane wuchs zwar mit ihrem Bruder Kevin auf, wusste jedoch noch nichts von einem älteren Halbbruder.

Zwölf Jahre nach dem Tod ihrer Mutter hatte Philomena auf einem Rummelplatz einen jungen Mann (D. J. McGrath) kennengelernt und war 1951 im Alter von 18 Jahren schwanger geworden. Der Vater hatte sie daraufhin ins Roscrea Kloster der Schwestern Herz Jesu abgeschoben. Dort gebar Philomena 1952 ihren Sohn Anthony (Tadhg Bowen / Harrison D’Ampney / Xavier Atkins / Sean Mahon). Nicht nur um für die Sünde der Fleischeslust zu büßen, sondern auch, um die Kosten des Klosters auszugleichen, mussten die dort aufgenommenen unverheirateten Mütter mindestens vier Jahre lang hart arbeiten. Und die Kinder wurden zur Adoption freigegeben.

Philomena freundete sich mit ihrer Leidensgenossin Kathleen (Charlie Murphy) an. Auch der kleine Anthony und Kathleens Tochter Mary (Saoirse Bowen / Mare Winningham) waren unzertrennlich. Eines Tages fuhr ein Ehepaar in einer großen Limousine vor. Eigentlich waren die Besucher nur gekommen, um Mary zu adoptieren, aber sie nahmen dann auch deren Spielgefährten Anthony mit.

50 Jahre lang schwieg Philomena, obwohl sie jeden Tag an ihren Sohn dachte.

An dem Abend, an dem sie ihrer Tochter davon erzählt hat, lernt diese den kürzlich entlassenen BBC-Reporter Martin Sixsmith (Steve Coogan) kennen. Obwohl er wenige Minuten zuvor von Sally Mitchell (Michelle Fairly), der Chefredakteurin eines Boulevard-Magazins, das Angebot für eine freiberufliche Mitarbeit bekam, zeigt der arrogante Journalist kein Interesse an Philomenas Geschichte. Das wäre eine „Human-Interest“-Story, erklärt er Jane, und so etwas mache er nicht. Er plant stattdessen, ein Buch über die Geschichte Russlands zu verfassen, obwohl ihn seine Freunde bereits darauf hingewiesen haben, dass es dafür in England kaum Leser geben würde.

Am nächsten Tag überlegt er es sich anders, und Sally wittert einen Auflage steigernden Beitrag.

Martin Sixsmith begleitet Philomena Lee bei einem Besuch im Kloster. Schwester Claire (Cathy Belton) bietet ihnen Tee und Kekse an, aber als der Reporter anfängt, Fragen zu stellen, ersucht sie ihn höflich, sie mit Philomena allein zu lassen. Sie behauptet, fast alle älteren Unterlagen des Klosters seien durch ein Feuer vernichtet worden. Deshalb wisse sie leider nicht, wohin Anthony damals gebracht wurde.

Martin Sixsmith wundert sich darüber, dass zwar angeblich alle Unterlagen über Anthony fehlen, nicht aber der Vertrag, den Philomena 1955 unterschreiben musste. Darin verzichtete sie ausdrücklich auf alle Rechte in Bezug auf ihren Sohn.

Am Abend erfährt Martin Sixsmith vom Wirt (Frankie McCafferty) des Gasthauses, in dem er und Philomena übernachten, dass es im Kloster nie einen Brand gegeben habe, allerdings sehr wohl ein Feuer auf dem Feld, in dem die Nonnen alte Papiere verbrannten. Der Wirt und seine Mutter (Marie Jones) vermuten, dass das Kloster früher Kinder gegen viel Geld an Adoptiveltern in den USA vermittelte und die Unterlagen darüber vernichtet wurden.

Daraufhin plant Martin Sixsmith, der früher als Korrespondent in Washington arbeitete, die Nachforschungen auf die USA auszuweiten. Weil man ihm als Außenstehenden kaum Auskunft erteilen würde, überredet er Philomena zum Mitkommen. Sallys Blatt übernimmt die Spesen. Dafür muss Sixsmith sich allerdings vertraglich verpflichten, einen entsprechenden Artikel zu schreiben.

Für die einfache Krankenschwester ist alles neu und aufregend: kostenloser Service in der Business Class, teures Hotel, amerikanisches Frühstück. In ihrer Euphorie schwärmt sie über die Freundlichkeit des Hotelpersonals und erzählt ihrem intellektuellen Begleiter haarklein die Handlung eines Trivialromans. Währenddessen sitzt Martin Sixsmith vor seinem Laptop und recherchiert. Schließlich findet er heraus, dass Anthony nach der Adoption den Namen Michael A. Hess bekommen hatte und sowohl unter Ronald Reagan als auch unter George H. W. Bush leitender Rechtsberater im Weißen Haus war. Allerdings ist er bereits tot. Er starb 1995 an AIDS.

Dass ihr Sohn schwul war, überrascht Philomena nicht. Aber sie gewinnt den Eindruck, dass er nichts von ihr und über seine Herkunft wissen wollte. Enttäuscht will sie mit der nächsten Maschine zurück zu ihrer Tochter. Weitere Nachforschungen interessieren sie nicht länger. Martin Sixsmith ist entsetzt, denn wie soll er ohne Philomena seinen Vertrag erfüllen?

Am Flughafen ändert Philomena ihre Meinung. Sie will nun doch mit Menschen sprechen, die ihren Sohn kannten.

Martin Sixsmith fährt mit ihr als Erstes zu Mary, die mit Anthony zusammen adoptiert worden war. Die gemeinsame Kindheit in der Adoptivfamilie sei nicht besonders glücklich gewesen, sagt sie. Später hatten sie und Michael dann offenbar kaum noch Kontakt. Von Irland oder seiner Mutter habe Michael nie gesprochen, behauptet Mary.

Frustriert will Philomena die Nachforschungen erneut abbrechen. Aber Martin Sixsmith ist auf einem Foto ein Abzeichen mit einer keltischen Harfe an Michaels Jackett aufgefallen. Offenbar interessierte er sich also doch für seine Herkunft. Auf einem Foto von einer Pressekonferenz im Weißen Haus entdeckt Philomena neben Michael auch Martin Sixsmith, und angesichts der Aufnahme erinnert sich der Reporter, mit dem Juristen damals einen Händedruck getauscht zu haben.

Michaels Lebensgefährte Pete Olsson (Peter Hermann) lässt sich im Büro verleugnen und ruft auch nicht zurück. Als Martin Sixsmith ihn mit einem Besuch in seinem Privathaus zu überrumpeln versucht, schlägt er ihm die Türe vor der Nase zu und droht mit der Polizei. Aber Philomena gelingt es, an ihn heranzukommen. Er zeigt seinen Besuchern alte Filme aus Michaels Jugend und der gemeinsamen Zeit. Darunter sind auch Aufnahmen vor dem Roscrea Kloster der Schwestern Herz Jesu. Pete berichtet, dass sie gemeinsam dort waren, die Nonnen ihnen jedoch erklärten, sie wüssten nichts über Michaels bzw. Anthonys Mutter. Der AIDS-Kranke wollte auf dem Friedhof des Klosters begraben werden, in dem er zur Welt gekommen war, denn er hoffte, dass seine Mutter eines Tages das Grab finden würde. Nach Michaels Tod sorgte Pete dafür, dass der Wunsch seines Gefährten in Erfüllung ging.

Also statten Philomena und Martin Sixsmith dem Roscrea Kloster der Schwestern Herz Jesu einen weiteren Besuch ab. Während sie auf Schwester Claire warten sollen, dringt der Reporter zu deren Vorgängerin Schwester Hildegard (Kate Fleetwood / Barbara Jefford) vor und stellt sie zur Rede. Zu Schwester Hildegards Zeiten beuteten die Nonnen nicht nur die Arbeitskraft der ledigen Mütter aus, sondern verkauften auch noch in großem Stil die Kinder an amerikanische Adoptiveltern. Außerdem wurden sowohl Anthony/Michael als auch Philomena belogen. Die Greisin ist sich jedoch keiner Schuld bewusst: Sie habe sich das ganze Leben über an das Keuschheitsgebot gehalten, erklärt sie, und das Leid der Mütter unehelicher Kinder sei die gerechte Strafe für die Sünde der Fleischeslust. Philomena kommt dazu, redet beruhigend auf den zornigen Reporter ein und erklärt Schwester Hildegard, dass sie ihr verziehen habe. Dann bittet sie Schwester Claire, ihr das Grab ihres Sohnes zu zeigen.

Martin Sixsmith kommt zu der Auffassung, dass er kein Recht habe, Philomenas tragische Geschichte für einen Zeitungsartikel zu verwenden. Aber Philomena, die einer Veröffentlichung bisher skeptisch gegenüberstand, meint jetzt, die Öffentlichkeit müsse erfahren, was in dem irischen Kloster passiert sei. Mit ihrer Erlaubnis schreibt Martin Sixsmith darüber ein Buch.

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Durch die 1998 ausgestrahlte Fernseh-Dokumentation „Sex in a Cold Climate“ wurde der schottische Schauspieler und Regisseur Peter Mullan auf die Verhältnisse in den sogenannten Magdalenen-Heimen aufmerksam, die er dann in seinem Film „Die unbarmherzigen Schwestern“ anprangerte.

Die ersten nach Maria Magdalena benannten Heime wurden Anfang des 19. Jahrhunderts im Vereinigten Königreich gegründet, um Prostituierte zu läutern. Die Magdalenen-Heime waren zunächst anglikanisch, doch bald schon unterstützte auch die katholische Kirche diese Einrichtungen, und zu Beginn des 20. Jahr­hunderts wurden einige vom katholischen Orden der Sisters of Mercy (Barmherzige Schwestern) übernommen. Weil die Magdalenen-Heime auf sich selbst angewiesen waren, übernahmen sie bezahlte Tätigkeiten wie sie beispielsweise in einer Wäscherei anfielen und zwangen die Mädchen und Frauen, sie auszuführen. Peter Mullan stellt die Magdalene Asylums als katholische Arbeitslager dar, repressive Umerziehungsanstalten. Wie rechtlose Sklavinnen wurden die Prostituierten und unverheirateten Mütter in den einträglichen Großwäschereien ausgebeutet. Schätzungsweise 30 000 junge Frauen waren im Verlauf der Zeit in Magdalenen-Heimen eingesperrt. Die letzte dieser Einrichtungen wurde erst am 25. September 1996 geschlossen. Eine irische Sonderkommission untersuchte die Vorwürfe gegen die Einrichtungen neun Jahre lang. Aufgrund des im Mai 2009 vorgelegten Berichts entschuldigten sich Bertie Ahern (irischer Ministerpräsident von 1997 bis 2008) und Kardinal Seán Brady (Erzbischof von Armagh und Primas der römisch-katholischen Kirche von ganz Irland) für den jahrzehntelangen Missbrauch von Frauen und Mädchen in Magdalenen-Heimen. Kardinal Seán Brady sagte unter anderem: „Es tut mir aufrichtig leid und ich bin zutiefst beschämt, dass Kinder so grauenhaft in diesen Einrichtungen leiden mussten.“

Martin Sixsmith schildert in seinem 2009 veröffentlichten Buch „The Lost Child of Philomena Lee“ das Schicksal von Philomena Lee, die 1952 als 18-Jährige in der Sean Ross Abbey in Roscrea (County Tipperary) einen Sohn geboren hatte („Philomena: Eine Mutter sucht ihren Sohn“, Übersetzung: Heike Holtsch und Michael Windgassen, Ullstein, Berlin 2014, 446 Seiten, ISBN 978-3-548-37558-8).

Stephen Frears (Regie), Steve Coogan und Jeff Pope (Drehbuch) adaptierten das Buch fürs Kino: „Philomena“.

Trotz der erschütternden Geschichte handelt es sich um eine Tragikomödie. Die Komik entsteht durch die Konfrontation eines arrogant-zynischen Journalisten und einer naiven, gottgläubigen und gutmütigen Greisin. Dabei entwickelt sich der desillusionierte und abgeklärte Reporter zum zornigen Ankläger.

Judi Dench und Steve Coogan verkörpern diese beiden Rollen sehr überzeugend. Dabei vermeiden sie große Gesten. Ebenso zurückhaltend ist die Inszenierung. Peter Frears verlässt sich auf die Wirkung der auf Tatsachen basierenden Handlung und verzichtet darauf, die Emotionen zu betonen. Er versucht auch keine ambitionierten Experimente; formal ist „Philomena“ ein konservativer Film.

Die Uraufführung fand am 31. August 2013 bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig statt.

„Philomena“ wurde in vier Kategorien für einen „Oscar“ nominiert: Bester Film, Bestes adaptiertes Drehbuch, Beste Hauptdarstellerin (Judi Dench) und Beste Filmmusik (Alexandre Desplat).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014

Stephen Frears (kurze Biografie / Filmografie)

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Philippe Besson - Eine italienische Liebe
Philippe Besson entwickelt die Dreiecksgeschichte Schritt für Schritt, indem er Anna, Leo und – wie selbstverständlich – den toten Luca abwechselnd zu Wort kommen lässt, oder genauer: ihre innere Monologe verfolgt, die auf präzisen, eingehenden und subtilen Beobachtungen psychischer Vorgänge beruhen.
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