Nikola Hahn : Baumgesicht

Baumgesicht
Baumgesicht Erstausgabe: Verlag Dr. Hänsel-Hohenhausen, Egelsbach 1995 Überarbeitete und erweiterte Ausgabe: Nikola Hahn, BoD, 2003 Überarbeitete und illustrierte Neuausgabe: Thoni Verlag, Rödermark 2013 ISBN 978-3-944177-23-6, 208 Seiten eBook: ISBN 978-3-944177-23-6
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Geschichten: Der kleine Junge – Wochenende – Sandkörner im Kofferraum – Der blaue Anzug – Nur ein Prosit – Panne um Mitternacht – Ottos Schreibmaschine – Das Denkmal – Jahr der Behinderten – ...
Gedichte: Somalia – Blume – Silberlöffel – Gute Bürger – Keine Zeit – Rattenberge – Südseetraum – Pusteblume – Regen – Jahreszeiten – Entdeckung – Wer glaubt schon an Geister – ...
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Kritik

In den Geschichten und Gedichten, die Nikola Hahn unter dem Titel "Baumgesicht" zusammengestellt hat, geht es weder um ambitionierte noch um spektakuläre Themen, sondern um teils nachdenkliche, teils schalkhafte, immer einfühlsame Erlebnisse von Durchschnitts­menschen im Alltag.

Gibt es Schöneres, als Gefühle und Gedanken in Worte zu fassen, Begegnungen, Erfahrungen mit Fantasie zu mischen und daraus Geschichten zu formen? Eine Idee fließt in Sätze, Szenen entstehen. Und eine neue Welt.

So heißt es in „Warum ich Geschichten schreibe“. Diese kleine Prosa bildet den Auftakt für 24 Geschichten und 26 Gedichte, die Nikola Hahn in ihrem 2013 neu aufgelegten und nun auch illustrierten Erstlingswerk aus dem Jahr 1995 zusammengestellt hat.

Warum ich Gedichte schreibe
Gedichte sind
Gedanken
Wörter-Welten
Träumen Wachen
Trauern Lachen
Leben
Auf den Punkt gebracht.
(Nikola Hahn: Baumgesicht, Ausgabe von 2003)

Es geht weder um ambitionierte noch um spektakuläre Themen, sondern um teils nachdenkliche, teils schalkhafte, immer einfühlsame Geschichten und Gedichte über Erlebnisse von Durchschnittsmenschen. Nikola Hahn spricht selbst von „Alltagsliteratur“ und meint damit – erläutert Michael Neuner im Vorwort der Erstausgabe –, dass es sich um die „Verarbeitung des Alltags in der Literatur“ handelt.

Die Begegnung mit einem von zu Hause fortgelaufenen kleinen Jungen hält eine erwachsene Frau davon ab, ihren Mann nach fünf Jahren Ehe zu verlassen („Der kleine Junge“). Ein Mann sieht ein, dass seine frühere Beziehung endgültig kaputt ist („Der blaue Anzug“). Eine junge Frau trennt sich von ihrem verheirateten Liebhaber, der zu schwach ist, um sich zwischen ihr und seiner Ehefrau zu entscheiden („Offener Brief an dich“). Eine andere junge Frau denkt während der hohlen Rede des Pfarrers bei der Bestattung ihres Stiefvaters über diesen, ihre Mutter und ihren vor zwanzig Jahren verstorbenen leiblichen Vater nach („Dem Kind ein Vater“). Nach einer Autopanne gerät jemand auf der Suche nach einem Telefon an eine alte Frau, die sich nicht vom Leichnam ihres seit Wochen toten Mannes trennen will („Panne um Mitternacht“).

Die Titelgeschichte „Baumgesicht“ handelt von zwei Mädchen, die in einem Dorf am Rande des Westerwalds zusammen aufwachsen: die stille Astrid und die quirlige Sandra. Ihre Freundschaft endet, als Sandra sich mit dem „Ökofreak“ Bernhard befreundet, ein Jahr vor dem Abitur die Schule verlässt und mit Bernhard fortgeht.

Wenn Astrid später jemand fragte, warum sie mit ihrem guten Abitur nicht studiert habe, gab sie finanzielle Gründe an. Tatsächlich war es so, dass sie sich nicht vorstellen konnte, Jahre damit zu verbringen, in Hörsälen herumzusitzen. Was sie aber bewog, sich einen Beruf auszusuchen, der weder ihrem Wesen noch ihren Interessen entsprach, blieb ihr selbst unklar. Vielleicht war es ein Stückchen jener Sehnsucht nach dem wahren Leben, die Sandra weggezogen hatte, vielleicht die Suche einer jungen Frau nach Anerkennung? Astrid beschloss, Polizistin zu werden.

Bei einem Einsatz an der Frankfurter Startbahn West sehen sich Astrid und Sandra erstmals wieder, die eine als Polizistin, die andere als Demonstrantin. „Hau ab, du Verräterin!“, herrscht Sandra ihre frühere Busenfreundin an. Schließlich beginnt Astrid, Sandra zu suchen, fragt Bernhard, ehemalige Nachbarn – vergeblich.

Als Astrid den Namen las, wusste sie, dass ihre Suche zu Ende war. Trotzdem dauerte es einen Moment, bis sie die Bedeutung des Wortes begriff, das in nüchternem Amtsdeutsch auf der Akte stand und keinen Platz mehr für Gefühle ließ: Leichensache. Sie blätterte, bis sie zu der Seite mit den Fotos kam, starrte auf den ausgemergelten Körper, das zerstörte Gesicht, die langen blonden Haare, auf die sie früher so neidisch gewesen war …

„Der goldene Schuss“, kommentiert ein Kollege.

Eigentlich stellte Nikola Hahn sich schon die Erstausgabe als illustriertes Buch vor, aber die Texte erschienen 1995 erst einmal ohne Abbildungen. Gut fünfzehn Jahre später fand die Autorin das vergilbte Originaltyposkript mit den eingeklebten Fotos ihres Ehemanns Thomas Hahn auf dem Dachboden. Statt die Aufnahmen durch neue Digitalfotos zu ersetzen, beschloss Nikola Hahn, die alten Bilder zu verwenden.

Wie die Texte stammen die Bilder aus einer vergangenen Zeit, sie spiegeln eine (analoge) Welt, die es so nicht mehr und doch genauso immer weiter geben wird.

Die Illustration zu dem Gedicht „Pusteblume“ stammt von der Kalligrafin Charlotte Till.

Nikola Hahn wurde 1963 in Wehrda bei Marburg geboren. Nach dem Abitur im Jahr 1983 absolvierte sie 1984 bis 1986 die Ausbildung für den mittleren Polizeidienst und fing bei der Bereitschaftspolizei an. 1990 wechselte sie zur Kriminalpolizei. Heute befasst sie sich als Kriminalhauptkommissarin mit Raub-, Erpressungs- und Tötungsdelikten. Parallel dazu bereitete sie sich 1985 bis 1988 mit einem Fernstudium auf eine Autorentätigkeit vor, schrieb danach jahrelang für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften und veröffentlichte 1995 ihr erstes Buch: „Baumgesicht“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003 / 2013
Textauszüge: © Nikola Hahn

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.