Patricia Highsmith : "Small g" – eine Sommeridylle
Inhaltsangabe
Kritik
Bei einem Raubüberfall auf einer Straße in Zürich wird der zwanzigjährige Student Peter Ritter erstochen. Peter war seit einem Jahr mit dem sechsundzwanzig Jahre älteren Werbegrafiker Rickie Markwalder zusammen und wurde von Luisa Zimmermann angehimmelt, einer Achtzehnjährigen, die seit ihrem zehnten oder elften Lebensjahr von ihrem Stiefvater missbraucht worden war. Vor einem Jahr lief sie deshalb weg und verließ sowohl ihren Heimatort Brig als auch ihre Lehrstelle. Seither kümmert sich Renate Hagnauer in Zürich um sie, eine geschiedene Kostümschneiderin über fünfzig, die zwar ihren Klumpfuß (Talipes) unter langen Röcken verbirgt, aber durch ihr Humpeln auffällt. Luisa wohnt bei Renate und wird von ihr zusammen mit drei anderen jungen Frauen – Vera, Elsie, Stephanie – ausgebildet.
Luisa und Renate gehören zu den Stammgästen in „Jakobs Gaststube“, in der auch Rickie und einige andere Homosexuelle verkehren und die deshalb inoffiziell auch „Small g“ genannt wird, wobei das „g“ für gay steht. Renate, die Schwule und Lesben verabscheut, unterhält sich im „Small g“ nur mit einem Debilen namens Willi Bieber und achtet darauf, dass Luisa nicht wieder Kontakt zu einem Homosexuellen wie Peter aufnimmt, aber sie kann nicht verhindern, dass Luisa sich mit Rickie befreundet und parallel dazu mit Dorrie Wyss, einer lesbischen Schaufensterdekorateurin Mitte zwanzig, und Teddy Stevenson, einem Zwanzigjährigen, der gerade unter dem Pseudonym „Georg Stefan“ seine ersten Artikel für den „Tages-Anzeiger“ schreibt und Journalistik zu studieren beabsichtigt.
Weil Willi Bieber Rickie und Teddy zusammen sah und es Renate erzählte, hält Luisas Ersatzmutter auch den angehenden Journalisten für einen Schwulen und ist entsetzt, als sie merkt, dass Luisa sich in Teddy verliebt hat. Um Teddy aus dem Stadtviertel zu vertreiben, stiftet sie Willi Bieber an, ihm einen gehörigen Schrecken einzujagen. Als Teddy an diesem Abend vom „Small g“ zu seinem Auto geht, trifft ihn von hinten eine Eisenstange in den Rücken, und er geht zu Boden. Rickie nimmt ihn mit zu sich und holt seinen Hausarzt, der die Wunde versorgt. Obwohl Teddy den Angreifer nicht sehen konnte, ist Rickie überzeugt, dass es Willi Bieber war. Deshalb geht er mit seinem Freund Ernst Koelliker zu der Behausung des Debilen hinter dem Café „L’Eclair“, und als der Bewohner nicht öffnet, tritt Rickie zwei Türen ein. Sie rühren Willi Bieber zwar nicht an, aber er ist völlig verängstigt. Noch in derselben Nacht erhält Rickie Besuch von der Polizei: Willi Biebers Vermieterin Therese Wenger hat offenbar Anzeige gegen Rickie erstattet. Rickie beschuldigt nun seinerseits Willi Bieber, Teddy niedergeschlagen zu haben.
Da trifft es sich gut, dass Rickie gerade eine Affäre mit dem achtunddreißigjährigen verheirateten Streifenpolizisten Freddie Schimmelmann angefangen hat. Freddie schaltet sich in die Vernehmungen ein und sorgt dafür, dass Rickie nur für den Schaden an den Türen aufzukommen braucht. Willi Bieber gibt nichts zu, und weil ihm nichts nachgewiesen werden kann, verlaufen die Ermittlungen im Sand.
Seit drei Monaten glaubt Rickie, HIV-positiv zu sein. Dann klärt ihn sein Hausarzt, Dr. Oberdorfer, darüber auf, dass es sich bei der angeblichen Diagnose um eine Zwecklüge gehandelt habe, um Rickie zu zwingen, safer sex zu praktizieren. Rickie ist heilfroh über die unverhoffte Entwarnung und dankt seinem Arzt, denn inzwischen ist er von safer sex überzeugt.
Eines Abends möchte Dorrie das Zimmer ihrer neuen Freundin sehen, doch Renate überrascht die beiden jungen Frauen und wirft die Besucherin hinaus. Um ihrem Schützling Luisa ein schlechtes Gewissen zu machen, bildet sie sich ein, durch die Aufregung auf einem Auge zu erblinden, aber der Augenarzt kann keine krankhafte Veränderung feststellen.
Für den Fall, dass Luisa von Renate ausgesperrt wird, erhält sie sowohl von Dorrie als auch von Rickie Schlüssel zu deren Wohnungen.
Immer dreister trifft Luisa sich mit Rickie, Teddy und Dorrie. Sie übernachtet mehrmals bei Rickie und einmal bei Dorrie. Um Renate zu provozieren, beschließen Dorrie und Luisa, sich von ihr noch einmal in Luisas Zimmer ertappen zu lassen. Diesmal legen sie es jedoch darauf an, dass sie dabei zusammen nackt im Bett liegen. Wie beabsichtigt, stürmt Renate herein und schlägt nach Dorrie, die sich rasch anzieht und davonläuft. Renate verfolgt sie ins Treppenhaus, stolpert über den Saum ihres langen Morgenmantels, stürzt über die Stufen hinunter und bleibt auf dem nächsten Absatz mit gebrochenem Genick liegen.
Zur großen Überraschung aller stellt sich heraus, dass Renate ihre Schwester Edwiga Elisabeta Dvaldivi und Luisa als Erben eingesetzt hat. Weitere Nachforschungen ergeben, dass Edwiga vor einem Jahr in Görlitz starb. Luisa erbt alles.
Zusammen mit Vera sorgt Luisa dafür, dass der Betrieb weiterläuft und findet nach drei Monaten eine Schneidermeisterin, die bereit ist, die vier Mädchen fertig auszubilden.
Luisa schläft mit Dorrie und mitunter auch mit Teddy. Dorrie nimmt die Beziehung nicht so ernst und ist auf Teddy in keiner Weise eifersüchtig. Teddy drängt Luisa zwar, sich zu entscheiden, ob sie lesbisch oder heterosexuell sein möchte, doch solange er ihr keinen Heiratsantrag macht, fühlt Luisa sich zu nichts verpflichtet. Neben Dorrie und Teddy ist Rickie ihr engster Freund, und sie weiß, dass er immer für sie da ist.
Auf den Mord zu Beginn kommt Patricia Highsmith im weiteren Verlauf ihres Romans „‚Small g‘ – eine Sommeridylle“ kaum noch zurück; die Bluttat soll offenbar nur einen Schatten werfen. Die Handlung ist unspektakulär und spielt vorwiegend in Alltagssituationen; sie dreht sich um die Freundschaft von drei Männern und zwei Frauen, die sich ungeachtet ihrer sexuellen Orientierung gegenseitig unterstützen. Obwohl Luisas Besitz ergreifende Ersatzmutter Renate wie die Personfikation des Negativen wirkt (es wird schließlich mit ihrer Leiche eingeäschert), erkennt man nach ihrem Tod, dass sie auch gute Seiten hatte. Möglicherweise war ihr Hass auf Lesben und Schwule nur ein Symptom ihrer eigenen verdrängten sexuellen Einstellung.
„‚Small g‘ – eine Sommeridylle“ wurde vom Verlag Alfred Knopf, New York, abgelehnt und erst posthum 1995 bei Bloomsbury Publishing Plc, London, sowie im Verlag Diogenes, Zürich, veröffentlicht. Es handelt sich wohl kaum um Patricia Highsmiths bestes Werk, aber um eine leichte, unterhaltsame Lektüre und ein Plädoyer für Toleranz und Solidarität.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
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