Patricia Highsmith : Venedig kann sehr kalt sein

Venedig kann sehr kalt sein
Originalausgabe: Those Who Walk Away, 1967 Deutschsprachige Erstausgabe: Zürich 1968 Venedig kann sehr kalt sein Übersetzung: Matthias Jendis Diogenes Verlag, Zürich 2004 Süddeutsche Zeitung / Kriminalbibliothek Band 3, München 2006, 231 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ray Garretts Frau hat sich die Pulsadern aufgeschnitten. Weil ihr Vater Ed Coleman glaubt, dass Ray schuld an ihrem Tod ist, will er seine Tochter rächen und schießt in Rom auf seinen Schwiegersohn, aber die Kugel streift nur Rays Arm. Statt Ed nun aus dem Weg zu gehen, verfolgt Ray ihn nach Venedig, denn er will ihn von seiner Unschuld überzeugen. In den Gassen jagen sich die beiden Männer gegenseitig ...
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Kritik

"Venedig kann sehr kalt sein" ist ein Kriminalroman von Patricia Highsmith, in dem es nicht um die Aufklärung eines Verbrechens geht, sondern um eine Fallstudie über die Frage, wie ein Mensch, der in eine Lebenskrise gerät, kriminell werden kann.
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Das amerikanische Künstlerpaar Peggy und Rayburn („Ray“) Cook Garrett zieht sich kurz nach der Hochzeit für ein Jahr nach Xanuanx auf Mallorca zurück. Ray ist siebenundzwanzig, Peggy feierte gerade ihren einundzwanzigsten Geburtstag. Finanzielle Sorgen haben sie nicht: Rays Vater ist Vorstandsvorsitzender der „Garrett-Salm Oil Company“ in St. Louis, Missouri. Peggy kehrte nach dem Tod ihrer Mutter Louise, die ein Jahr nach der Ehescheidung bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war, zu ihrem Vater Edward („Ed“) Venner Colemann zurück, der inzwischen in Paris lebte. Sie wuchs in Internaten auf und wurde während der Ferien von ihrem Vater behütet, der vor fünfzehn Jahren seine Tätigkeit als Bauingenieur aufgab, um nur noch zu malen. Geld verdient er damit kaum, aber für Peggy hatte Louise Coleman einen Treuhandfonds eingerichtet. Die junge Frau wirkt noch sehr unreif und verträumt. Sie hat zwar Lust auf Sex, aber sie sehnt sich bei der körperlichen Vereinigung nach mehr Romantik.

Eines Tages, als Ray sich mittags Zeichnungen der etwa gleichaltrigen Amerikanerin Elizabeth Bayard anschaut, weil er in New York eine Galerie eröffnen möchte und Künstler sucht, deren Werke er dort ausstellen und anbieten kann, schneidet Peggy sich in der Badewanne die Pulsadern auf und verblutet.

Ed Coleman, der seine einzige Tochter vergötterte, ist überzeugt, dass Ray der falsche Mann für sie war und ihren Suizid mit etwas mehr Aufmerksamkeit hätte verhindern können. Um seinem zweiundfünfzigjährigen Schwiegervater davon abzubringen, ihm die Schuld an Peggys Tod zu geben, fliegt Ray nach der Beerdigung zu Coleman, der seit einiger Zeit eine Wohnung in Rom hat und mit der zweimal geschiedenen, vier Jahre jüngeren Französin Inez Schneider zusammen ist. Inez bezahlt nicht nur die Restaurantrechnungen, wenn sie mit Coleman ausgeht, sondern hält außer ihm auch noch den Gigolo Antonio Santini aus. Coleman weiß, dass Inez mit diesen jungen Männern nur zwei- oder dreimal ins Bett geht, sich dann aber nur schwer von ihnen trennen kann.

Es gelingt Ray nicht, Ed Coleman von seinem Wahn abzubringen und ihn zu besänftigen. Auf der Straße zieht Coleman unvermittelt eine Pistole aus der Manteltasche und schießt auf seinen verhassten Schwiegersohn. Weil Ray rückwärts in eine Hecke fällt, glaubt Coleman, er habe ihn getötet und läuft fort. Tatsächlich bekam Ray nur einen Streifschuss am Arm ab.

Weil er weiß, dass Coleman, Inez und Antonio am nächsten Tag nach Venedig wollten, fliegt er ebenfalls dorthin, statt, wie geplant, über Paris nach New York zurückzukehren. In Venedig quartiert er sich in der Pension „Seguso“ ein. Inez rät ihm bei einem heimlichen Treffen, Venedig sofort wieder zu verlassen und Coleman aus dem Weg zu gehen, denn es werde Ray nicht gelingen, diesen von seiner Unschuld zu überzeugen. Ray will jedoch unbedingt noch einmal mit seinem Schwiegervater reden und ruft ihn im Hotel „Bauer-Grünwald“ an. Coleman ist nicht bereit, sich allein mit ihm zu treffen, sagt ihm aber, wo er mit Inez und Antonio beim Abendessen sein wird. Colemans Freunde Laura und Francis Smith-Peters – Amerikaner, die in Florenz leben und gerade ein paar Wochen in Venedig verbringen – sitzen mit am Tisch. Erst als alle bis auf Coleman und dessen Schwiegersohn aufgebrochen sind, kann Ray ansprechen, was ihn bedrückt. Coleman geht nicht darauf ein, sondern drängt zum Aufbruch und nimmt Ray in seinem von einem Venezianer namens Corrado Mancini geliehenen Motorboot „Marianna II“ mit. In der Lagune greift Coleman seinen Schwiegersohn plötzlich an und wirft ihn über Bord.

Ray tut sich schwer, mit Schuhen, Anzug und Mantel zu schwimmen, aber er schafft es bis zu einer Boje. Dort klammert er sich an, bis ihn endlich jemand entdeckt und rettet. Es handelt sich um einen Gondoliere, der gerade zur Ponte Scalzi unterwegs ist, weil er sein Geld mit dem Transport von Öl und Gemüse verdient. Ray lässt sich an der Piazza San Marco absetzen und geht mit seinen nassen Kleidern in eine Café-Bar, um nach einem Zimmer zu fragen, denn in die Pension „Seguso“ will er vorerst nicht zurückkehren, sondern sich ein paar Tage lang tot stellen. „Venedig kann sehr kalt sein“, meint er fröstelnd (Seite 65). Elisabetta Stefano, eine gut aussehende zweiundzwanzigjährige Bedienung, vermittelt Ray – der sich als Filipo Gordon ausgibt – ein Privatzimmer bei einer Nachbarin: Signora Calliuoli.

Als Ray in der Pension „Seguso“ nicht mehr auftaucht, obwohl er dort nicht nur sein Gepäck, sondern auch seinen Pass zurückgelassen hat, sucht die Polizei unter Leitung von Capitano Dell’Isola nach dem Vermissten. Coleman, der offenbar als Letzter am 11. November mit Ray zusammen war, sagt aus, er habe ihn am Zattere-Kai abgesetzt und sei dann weitergefahren. Das amerikanische Konsulat benachrichtigt die Eltern in St. Louis, die unverzüglich den Privatdetektiv Sam Zordyi nach Venedig schicken.

Ed Coleman nimmt an, dass sein Schwiegersohn ertrank.

Er weiß, dass er zu Gewaltausbrüchen neigt. Als Sechzehnjähriger prügelte sich Ed mit seinem Vater, einem mittelmäßigen Architekten, der wollte, dass sein Sohn denselben Beruf ergriff. Ed setzte sich durch und studierte stattdessen an einer technischen Hochschule. Von da an respektierte ihn seine Mutter als Mann. Kurz darauf kam es zu einer weiteren Auseinandersetzung zwischen Ed und seinem Vater. Diesmal ging es um eine Freundin – Estella –, die dem Vater nicht gefiel. Deshalb verweigerte er seinem Sohn die Benutzung des Autos, doch Ed nahm es sich einfach und fuhr auf seinen Vater zu, der mit ausgestreckten Armen in der Einfahrt stand, bis dieser zur Seite sprang. Später in Chicago machte sich ein gewisser Quentin Doyle an seine Frau Louise heran. Da besorgte Coleman sich eine Pistole und ließ sie Doyle beiläufig sehen. Damit war der Fall erledigt.

Inez, Antonio und das Ehepaar Smith-Peters, die bei dem gemeinsamen Abendessen merkten, wie sehr Coleman seinen Schwiegersohn hasst, befürchten, dass er ihn umgebracht hat. Gegenüber Inez gibt Ed Coleman zu, Ray ins Wasser geworfen zu haben. Sie geht jedoch nicht zur Polizei, weil sie ihren Geliebten nicht verlieren möchte.

Als Ray am 18. November sein Foto in der Zeitung sieht, verlässt er sofort sein Zimmer. Am Ponte Scalzi erkundigt er sich, wo Öl und Gemüse geladen werden, und dort befragt er die Gondolieri, bis er den Namen und die Adresse seines Retters vor einer Woche herausfindet. Er sucht Luigi Lotto auf, übernachtet bei ihm und kommt dann unter dem Namen John Wilson bei Luigis Freund Paolo Ciardi auf Giudecca unter, einem verwitweten Großhändler für Fischereibedarf, dem Ray alias John Wilson erzählt, er suche in Venedig nach einem Mädchen, das er liebe, müsse sich jedoch vor einem Rivalen in Acht nehmen: dem Mann, der ihn ins Wasser gestoßen habe.

Am selben Tag – am 19. November – sehen Ray und Coleman sich zufällig auf der Straße. Nun weiß Coleman, dass sein Schwiegersohn nicht ertrunken ist.

Ray trifft sich mit Elisabetta, die in der Zeitung den Artikel über ihn gelesen hat und ihn beruhigt, dass auch Signora Calliuoli nicht zur Polizei gehen wird, weil sie sonst wegen der ungemeldeten Vermietungen Ärger mit dem Finanzamt bekäme.

Ed Coleman ärgert sich, dass er die Pistole in Rom wegwarf. Als er Ray am 23. November wieder in einer Gasse entdeckt, folgt er ihm und schlägt ihn mit einem Stein nieder. Ray kämpft gegen eine Ohnmacht, während Coleman ihn zum nächsten Kanal schleift. Bevor Coleman ihn ins Wasser wirft, holt er noch einmal mit dem Stein aus, aber Ray packt seine Beine und reißt ihn um. Coleman bleibt bewusstlos auf dem Pflaster liegen: Offenbar schlug er mit dem Hinterkopf auf.

Ray blutet aus einer Kopfverletzung. Bei Paolo Ciardi behauptet er, gestürzt zu sein. Ein Arzt näht die Wunde mit einigen Stichen und verbindet Ray.

Aus der Zeitung erfährt Ray, dass Ed Coleman vermisst wird.

Am 25. November meldet Ray sich bei Capitano Dell’Isola auf der questura am Piazzale Roma. Er berichtet zwar über die Schlägerei mit seinem Schwiegervater, verschweigt aber die zwei anderen Mordanschläge, und als Zordyi, der seine Sachen in der Pension „Seguso“ durchsucht hat, sich erkundigt, woher das Schussloch in Rays Mantel stammt, beteuert der Künstler, es habe nichts mit Coleman zu tun.

Es steht zu befürchten, dass Coleman tot ist. Vielleicht zog er sich beim Aufprall aufs Pflaster eine tödliche Kopfverletzung zu. Aber selbst wenn er noch lebte, kann ihn ein Ganove ausgeraubt, getötet und ins Wasser geworfen haben.

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Indessen versteckt Coleman sich bei dem Fischer Mario Martucci und dessen Frau Filomena in Chioggia, denen er erzählte, er sei in einer Gasse überfallen worden und müsse sich vor dem eifersüchtigen Ehemann einer Geliebten verstecken. Er hofft, dass Ray unter Mordverdacht gerät und eingesperrt wird.

In der Zeitung steht, dass Ray sich der Polizei gestellt hat. Auch Coleman ist abgebildet. Mario wird neugierig und beginnt, Fragen zu stellen. Da packt Ed Coleman ihn wütend und prügelt sich mit Mario, bis Filomena einen Topf heißer Suppe vom Herd nimmt und ihm über die Beine kippt. Danach entschuldigt Coleman sich bei den beiden, steckt ihnen Geld zu und sucht sich ein anderes Zimmer.

Paolo Ciardi erfährt ebenfalls aus der Zeitung, dass es sich bei seinem Gast nicht um John Wilson, sondern um Rayburn Garrett handelt. Als Ray ihm und Luigi erzählt, was wirklich vorgefallen ist, lässt Luigi es sich nicht nehmen, seinem neuen Freund bei der Suche nach Coleman zu helfen.

Am 26. November stoßen sie in Chioggia auf den Gesuchten. Coleman hebt ein Eisenrohr vom Straßenrand auf, versteckt sich kurz in einer Seitengasse und folgt den beiden. Als er Ray von hinten auf den Kopf schlagen will, stößt Luigi ihn zur Seite; Passanten halten ihn fest und bringen ihn zu Fall.

In Polizeibegleitung kehren Ray, Luigi und Ed Coleman nach Venedig zurück.

Weil Ray seinen Schwiegervater nicht anzeigt, kommt dieser mit einer Geldstrafe davon.

Am nächsten Tag fliegt Ray nach Paris, um dort Künstler für seine in New York geplante Galerie anzuwerben.

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„Venedig kann sehr kalt sein“ ist ein Kriminalroman von Patricia Highsmith, in dem es nicht um die Aufklärung eines Verbrechens geht, sondern um eine Fallstudie über die Frage, wie ein Mensch, der in eine Lebenskrise gerät, kriminell werden kann. Faszinierend sind die sehr verschiedenen Charaktere und das Beziehungsgefüge zwischen ihnen. Einer Gruppe exaltierter Amerikaner stehen biedere, gutmütige, hilfsbereite und gastfreundliche Italiener gegenüber. Die Spannung entsteht durch ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem Ed Coleman und Ray Garrett mehrmals die Rollen tauschen. Die Atmosphäre wird nicht zuletzt von der Kulisse geprägt: Venedig im November.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
Textauszüge: © Diogenes Verlag

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.