Toni Morrison : Sehr blaue Augen

Sehr blaue Augen
Originalausgabe: The Bluest Eye, New York 1970 Sehr blaue Augen Übersetzung: Susanna Rademacher Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1979
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

"Wenn auch niemand darüber spricht: es gab im Herbst 1941 keine Ringelblumen. Wir glaubten damals, die Ringelblumen gingen nicht auf, weil Pecola von ihrem Vater ein Baby bekam." So lauten die ersten Zeilen des Romans. Pecola ist ein elfjähriges schwarzes Mädchen, das sich blaue Augen wünscht, seit es beobachtet hat, dass blauäugige weiße Mädchen von ihren Eltern geliebt werden.
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Kritik

Jedem Kapitel in "Sehr blaue Augen" ist ein Zitat aus einem amerikanischen Schulbuch vorangestellt, das eine heile Welt vortäuscht. Der Kontrast zu der expressiven Sprache der Autorin und den drastischen Szenen könnte nicht größer sein.
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„Wenn auch niemand darüber spricht: es gab im Herbst 1941 keine Ringelblumen. Wir glaubten damals, die Ringelblumen gingen nicht auf, weil Pecola von ihrem Vater ein Baby bekam.“

So lauten die ersten Zeilen des Romans „Sehr blaue Augen“. Sie stammen von einer Schulfreundin Pecolas. Die Handlung spielt in Lorain, Ohio, wo die Nobelpreisträgerin Toni Morrison geboren wurde und handelt von dem schwarzen Mädchen Pecola Breedlove, das in seinen Gebeten um blaue Augen fleht, weil es hofft, damit von seiner Mutter geliebt zu werden.

Pauline Breedlove dient der weißen Familie Fisher als Hausmädchen. Um deren kleine blauäugige Tochter kümmert sie sich rührend. Zu Hause muss sie Waschwasser in Eimern auf dem Herd erhitzen. Bei Familie Fisher badet sie das Kind dagegen in einer Porzellanwanne mit silbrigen Wasserhähnen und reibt es danach mit flauschigen Handtüchern trocken. Wenn sie das blonde Haar der Kleinen bürstet, erfreut sie sich „an dem geschmeidigen Rollen der Locken zwischen ihren Fingern“. Bei den Fishers kann Pauline „Dinge ordnen, Dinge reinigen, Dinge in säuberlichen Reihen aufstellen“; in dem Haus findet sie „Macht, Lob und Anerkennung“. Ihre eigene Wohnung beginnt sie zu vernachlässigen. Sie strengt sich den ganzen Tag über so an, ihre Arbeit bei den Fishers gut zu machen, dass sie erschöpft ist, wenn sie abends zu ihrem Mann Cholly, ihrem Sohn Sammy und ihrer Tochter Pecola heimkommt.

Cholly Breedlove ist fast ständig betrunken, und in seinem Jähzorn verprügelt er Pauline.

Als er vier Tage alt war, wickelte ihn seine Mutter in zwei Decken und eine Zeitung und setzte ihn auf einem Müllhaufen aus. Seine Großtante Jimmy beobachtete ihre Nichte, rettete ihn und zog ihn auf. Als sie starb, lief Cholly während des Traueressens mit einem Mädchen in den nahen Kiefernwald. Unmittelbar vor dem Orgasmus erstarrte Darlene und schrie auf. Zwei Weiße richteten eine Spirituslampe und ihre Gewehre auf das schwarze Paar, zwangen Cholly wenigstens so zu tun, als nehme er das Mädchen erneut und verspotteten ihn dabei. Diese Demütigung bei seinem ersten Geschlechtsverkehr hat Cholly nie verwunden. Ein zweites Trauma folgte: Als er seinen Vater Samson Fuller fand, fühlte sich dieser beim Würfelspiel gestört und wünschte ihn zum Teufel. Da machte er sich voll wie ein Kleinkind.

Später lernte er Pauline Williams kennen. Sie heirateten. Aber „die Unveränderlichkeit, die Abwechslungslosigkeit, das reine Gewicht des ewig Gleichen trieben ihn zur Verzweiflung und ließen seine Fantasie einfrieren.

Dass er ein für allemal mit derselben Frau schlafen sollte, war für ihn eine merkwürdige und unnatürliche Vorstellung …“ Da begann er zu trinken und wurde gewalttätig. Pauline übernahm die „volle Verantwortung und Anerkennung als Brotverdiener“. Die Möglichkeit, sich über ihren Mann zu entrüsten braucht sie „wie das liebe Brot“, denn sie hält sich für eine „aufrechte, christliche Frau, die mit einem Taugenichts“ geschlagen ist. Umgekehrt ist Cholly auf seine Frau angewiesen, denn über sie kann er „die Summe all seiner sprachlosen Wut und seiner fruchtlosen Begierden“ ausschütten. Sie kamen nur stillschweigend überein, sich nicht gegenseitig umzubringen.

Als Pecola elf Jahre alt ist, kommt ihr Vater wieder einmal betrunken nach Hause. Pecola spült gerade Geschirr. Er blickt auf ihren Rücken. „Schuldgefühl, Mitleid, dann Liebe, eine heftige Reaktion auf ihre junge, hilflose, hoffnungslose Gegenwart.“ Er erinnert sich, wie er Pauline zum ersten Mal sah. Zärtlichkeit wallt in ihm auf. Auf den Knien rutscht er zu seiner Tochter. Sie stolpert. Er fängt sie auf. „Die Starre ihres erschrockenen Körpers“ weckt seine Begierde. Nach dem Verebben des Gefühlsausbruchs wird „er sich ihrer nassen, seifigen Hände, ihrer eingekrallten Finger an seinen Handgelenken bewusst“.

Das Baby kommt zu früh zur Welt und lebt nur kurz. Pecula wird verrückt. Erst der Wahnsinn schützt sie vor den anderen Menschen.

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Im Original heißt Toni Morrisons Roman „The Bluest Eye“. Blue (blau) hat im Amerikanischen auch die Bedeutung von traurig, und eye (Auge) klingt wie I (ich). Jedem Kapitel ist ein Zitat aus einem amerikanischen Schulbuch vorangestellt, das eine heile Welt vortäuscht. Der Kontrast zu der expressiven Sprache der Autorin und den drastischen Szenen könnte nicht größer sein. Ein schockierendes Buch, über dessen Wirkung Toni Morrison allerdings klagt: „Viele Leser wurden nur gerührt, nicht aber bewegt.“

Nach der Geburt am 18. Februar 1931 in Lorain, Ohio, hieß Toni Morrison erst einmal Chloe Anthony („Toni“) Wofford. Ihre Eltern waren wegen der Rassendiskriminierung in den Südenstaaten nach Ohio gezogen. George Wofford übte mitunter bis zu drei Jobs parallel aus, um genügend Geld für den Lebensunterhalt der Familie zu bekommen. Während des Studiums an der Howard University beteiligte sich Toni an einer Schauspielgruppe. Nachdem ihre Ehe mit dem aus Jamaika stammenden Architekten Harold Morrison gescheitert war, kehrte sie mit ihren beiden Söhnen ins Elternhaus zurück, bis sie von Random House als Lektorin angestellt wurde und später anfing, in Princeton englische Literatur zu lehren. 1970 veröffentlichte Toni Morrison ihren ersten Roman: „Sehr blaue Augen“. 1993 wurde sie mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Toni Morrison starb am 5. August 2019.

Literatur über Toni Morrison

  • Heidi Thomann Tewarson: Toni Morrison (Rowohlt Verlag, ISBN: 3-499-50651-3)

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.