James Salter : Alles, was ist
Inhaltsangabe
Kritik
Nach der Schlacht von Okinawa kehrt Philip Bowman, Lieutenant junior der US-Marine, 1945 aus dem Krieg im Pazifik zurück nach New York zu seiner Mutter Beatrice, ihrer älteren Schwester Dorothy und seinem Onkel Frank.
Philip wurde 1925 in einem Krankenhaus in Manhattan geboren. Seine Mutter war damals 27 Jahre alt. Zwei Jahre später verließ sein Vater, ein Rechtsanwalt, ihn und seine Mutter. Nach der Scheidung heiratete der Jurist noch zweimal, jedes Mal eine reichere Frau.
Obwohl Philip 1946 zunächst ein Biologie-Studium in Harvard beginnt, strebt er schließlich eine Journalistenlaufbahn an. Aber der Vater eines Kommilitonen vermittelt ihm nicht, wie erhofft, eine Anstellung bei einer Zeitung. Philip fängt deshalb bei einer Firma an, die Theaterbroschüren herausgibt und arbeitet beim Anzeigenteil mit. Erst nach einiger Zeit stellt ihn der New Yorker Verleger Robert Baum ein, zunächst nur als Gutachter, aber bald schon wird Philip zum Lektor bei Braden & Baum.
Robert Baum war 18, als er Diana Lindner kennenlernte. Deren Vater besaß eine kleine Textilimportfirma, bis er sich bei einer Investition vertat und bankrott ging. In der U-Bahn trifft Diana einmal eine frühere Schulfreundin wieder. Beinahe hätte sie die Obdachlose mit den kaputten Zähnen und Plastiktüten in den Händen nicht erkannt.
In einer Mittagspause lernt Philip die sechs Jahre jüngere Vivian Amussen kennen, die eigentlich bei ihrem Vater auf einer Farm in der Nähe von Washington, D. C., lebt, aber gerade ihre Freundin Louise in New York besucht. Philip und Vivian werden ein Paar. Die 20-Jährige stellt ihren neuen Freund dem Vater vor und auch der seit der Scheidung in einem Apartment in Washington wohnenden Mutter.
George Amussen hatte 1928 Caroline kennengelernt, die 20-jährige, in Detroit aufgewachsene Tochter des Architekten Warren Wain. Nach vier Monaten heirateten sie, und ein halbes Jahr nach der Hochzeit brachte Caroline ihre Tochter Beverly zur Welt. Vivian folgte eineinhalb Jahre später. Als die Kinder zehn bzw. acht Jahre alt waren, ließ George sich wegen der Alkoholkrankheit seiner Frau scheiden. Caroline bekam zwar das Sorgerecht für Beverly und Vivian zugesprochen, ließ die Kinder jedoch beim Vater.
Obwohl George nicht glaubt, dass Vivian und Philip zusammenpassen, möchte er seiner Tochter nicht im Weg stehen und erhebt keine Einsprüche gegen die Eheschließung.
An Weihnachten besuchen Vivian, ihr Mann, ihr Vater, ihre Schwester Beverly und ihr Schwager Bryan Liz Bohannon und deren dritten Ehemann Travis Gates. Von ihrem ersten Mann ließ Liz sich scheiden, nachdem sie ihn in einer Nacht, in der sie mit dem Auto liegen geblieben waren und sich zusammen mit Liz‘ jüngerer Schwester das letzte verfügbare Hotelzimmer hatten teilen müssen, mit Laura ertappt hatte.
Während eines geschäftlichen Aufenthalts in London wohnt Philip bei der befreundeten Lektorin Edina Dell, die aus einer Ehe mit einem Sudanesen eine Tochter namens Siri hat, inzwischen aber mit dem Griechen Aleksei Paros zusammen lebt.
Auf einer Party des Londoner Verlegers Bernard Wiberg lernt Philip Enid Amour kennen – und geht mit ihr ins Bett.
Als Caroline Amussen einen Schlaganfall erlitten hat, wird sie zu ihrem Vater Warren Wain nach Cornersville/Maryland gebracht. Vivian reist ebenfalls hin, um ihrer Mutter beizustehen. Sie erschrickt über den desolaten Zustand des Hauses. Schuld daran ist ihr alkoholkranker Bruder Cook, ein Architekt wie sein Vater, der mit Schecks seines Vaters einkauft, obwohl dessen Bankkonto bereits überzogen ist. Aus Cornersville schreibt Vivian ihrem Mann einen Brief, in dem sie ihm die Scheidung vorschlägt, nicht weil sie etwas von seinem Seitensprung in London ahnt, sondern weil sie von Anfang an nicht zueinander passten.
Im Herbst 1963 unternehmen Philip und Enid miteinander eine Spanienreise.
Bald nach dem Tod seiner geschiedenen Frau heiratet George Amussen noch einmal. Peggy Algood ist etwa zehn Jahre jünger als er.
Philip wird am Grand Central Terminal von einer Frau angesprochen. Er drückt ihr etwas Geld in die Hand und schickt sie fort.
Bei einer Party anlässlich des 25-jährigen Bestehens von Braden & Baum sieht Philip Gretchen wieder. Als er im Verlag anfing, war sie Assistentin. Inzwischen arbeitet sie in einem anderen Verlag als Lektorin. Obwohl sie verheiratet ist, gesteht sie Philip, dass sie in ihn verliebt war und es immer noch ist. Er solle sie anrufen, sagt sie.
Für die Wochenenden mietet Philip ein Haus bei Bridgehampton.
Seine über 70 Jahre alte Mutter erkrankt an Lewy-Körperchen-Demenz.
Bei seinem Onkel Frank wird ein Gehirntumor diagnostiziert. Er hatte Jura studiert, war dann aber Koch geworden, statt seinen Anschluss zu machen, und hatte ein Restaurant eröffnet. Nun brennt er mit einer der Kellnerinnen durch. Dorothy zieht daraufhin zu ihrer Schwester Beatrice und pflegt sie.
Neil Eddins, Philips Lektorenkollege im Verlag Braden & Baum, wechselte 1968 zu dem Literaturagenten Charles Delovet, der eingesandte Manuskripte gegen Gebühr begutachten ließ. Nachdem er ein Haus in Piermont/New York gefunden hatte, lernte er Dena Beseler kennen, die Mutter eines fünfjährigen Sohnes namens Leon. Dena ließ sich von ihrem Mann Vernon Beseler scheiden, der zu diesem Zeitpunkt bereits mit einer Dichterin liiert war, und zog mit Leon zu Neil. Später übernahm Neil mit einem Kollegen zusammen die Literaturagentur Delovet. Als Dena mit Leon nach Dallas fahren möchte, begleitet Neil sie zum Bahnhof. Im Zug bricht während der Fahrt ein Schwelbrand aus. Sieben Reisende ersticken, darunter auch Dena und Leon. Das ist ein schwerer Schlag für Neil. Einige Zeit später tröstet er sich jedoch mit der geschiedenen Irene Keating. Sie wird seine zweite Ehefrau.
Als Philip von einer Buchmesse in London zurückkehrt, muss er sich in New York mit einer Frau ein Taxi teilen. Sie heißt Christine Vassilaros und brachte gerade ihre 15-jährige Tochter Anet zu deren Vater in Athen, von dem sie sich getrennt hat. Die 34-Jährige zieht in Philips Haus bei Bridgehampton, und wenn Anet nicht bei ihrem Vater ist, wohnt sie ebenfalls da. Christine erneuert ihre Lizenz als Immobilienmaklerin und fängt bei Evelyn Hinds an, deren erster Mann bei einem Unfall auf See starb und die danach noch zweimal verheiratet war.
Philip sucht schon seit einiger Zeit nach einem Anwesen, das im besser gefällt. Christine findet ein preiswertes altes Haus in der richtigen Größe an einem Teich. Philip kauft es in ihrer beider Namen und zieht mit seiner Lebensgefährtin und deren Tochter dort ein.
Eines Tages schaut Christine sich einen Neubau an. Ken Rochet errichtet ihn, um ihn zu verkaufen und dabei ein Geschäft zu machen. Sie kommen ins Gespräch. Der Bauherr erzählt der Maklerin von seinem Bruder, der nach einem Verkehrsunfall hirntot war. Kens Schwägerin ließ die Maschinen zunächst nicht abschalten, weil sie ein Kind wollte und die Ärzte sie deshalb mit Sperma des Hirntoten befruchten sollten. Am Ende verwendeten sie Kens Sperma. Christine lässt sich auf eine Affäre mit Ken ein.
Philip, der davon nichts ahnt, hält sich 1974 gerade geschäftlich in Chicago auf, als er darüber unterrichtet wird, dass Christine das alleinige Eigentum an dem Haus am Teich einzuklagen versucht. Das gelingt ihr dann auch.
Vier Jahre später trifft Philip zufällig Anet wieder. Er nimmt sie mit zu einer Party von Edina Dell, raucht Haschisch mit ihr und geht mit ihr ins Bett. Sie fliegen zusammen nach Paris. Als Anet am nächsten Morgen aufwacht, ist Philip weg. Auf diese Weise hat er sich an ihrer Mutter gerächt.
Nachdem Philip sich ein Haus in Tivoli/New York gekauft hat, lernt er Russell Cutler kennen, einen Professor für Ökonomie. Bei ihm und seiner Frau Claire begegnet er Katherine. Sie hatte mit 18 einen Mann aus reicher Familie geheiratet, der allerdings drogensüchtig war und sein ganzes Geld verbrauchte. Philip und Katherine kommen sich näher. Als Bruce Kimmel, mit dem Philip sich während des Kriegs im Pazifik eine Schiffskajüte geteilt hatte, ihn zufällig mit seiner neuen Geliebten trifft, hält dieser Katherine für Philips Tochter. Bruce Kimmel ist verheiratet, aber nicht mit Vicky Hollins, von der er 1945 schwärmte, sondern mit einer Frau namens Donna. Sie leben in Fort Lauderdale. Donna war vorher schon einmal verheiratet, mit einem Mann, den sie für reich gehalten hatte, bis sie herausfand, dass das Geld seiner Mutter gehörte.
Anet heiratet 1984 Evan Anders, den vier Jahre älteren Sohn eines New Yorker Rechtsanwalts und einer venezolanischen Mutter. Er möchte Schriftsteller werden, schlägt sich aber vorerst noch als Barkeeper durch.
Nach einem Abendessen mit Kenneth und Michelle Wells begleitet Philip Robert Baums frühere Geliebte Ann Hennessy nach Hause, und sie nimmt ihn mit in ihr Apartment.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Er war sich nicht sicher, was sie und ihn betraf. Er war zu alt, um zu heiraten. Er wollte keinen späten, sentimentalen Kompromiss. Dafür hatte er zu viel erlebt. Er hatte einmal geheiratet, mit ganzem Herzen, und sich geirrt. Er hatte sich unfassbar in eine Frau in London verliebt, und es war irgendwie verblasst. Wie vom Schicksal getroffen hatte er eines Abends in der romantischsten Begegnung seines Lebens eine Frau kennengelernt und war hintergangen worden. Er glaubte an die Liebe – er hatte das immer getan –, aber jetzt war es wohl zu spät.
James Salter beginnt seinen Roman „Alles, was ist“ mit Kamikaze-Angriffen in der Schlacht um Okinawa (1. April – 30. Juni 1945) und der Versenkung des japanischen Schlachtschiffes Yamato am 7. April 1945. Durch die Kriegserlebnisse wird der – wie James Salter – 1925 geborene US-Marineoffizier Philip Bowman geprägt. Aber auch durch seine Erfahrungen in den folgenden vier Jahrzehnten setzt sich bei ihm die Überzeugung fest, dass nichts von Dauer sei.
Das einzig Wertvolle in Salters Welt sind Momente der Intensität, der Lust und Gefahr. Die Literatur hat den Zweck, die Erinnerung an diese Exaltationen zu beschwören. (Patrick Bahners, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. September 2013)
„Alles, was ist“ kann man als melancholischen Abgesang eines gealterten Mannes auf die Kontrolle über das Leben verstehen. Philips Beziehungen scheitern ebenso wie die aller anderen Bekannten an Untreue und Verrat, Alkohol, Bankrott oder weil die Partner von Anfang an nicht zusammenpassten.
Es gibt viele Gründe für das Scheitern einer Ehe: Untreue, seelische Entfremdung, Trunksucht, wirtschaftlicher Ruin. Der neue Roman des 88-jährigen amerikanischen Schriftstellers James Salter lässt keinen aus. Und es zerbrechen in diesem Roman mit dem lapidaren Titel Alles, was ist wahrhaft viele Ehen. Genau genommen ist es bei keiner der zahlreichen, bisweilen kaum überblickbaren Neben- und Peripherfiguren mit einer einzigen Ehe oder einer bis zum Ende haltenden Liebe getan. (Ursula März, „Die Zeit“, 12. September 2013)
Es ist ermüdend, alle paar Seiten in „Alles, was ist“ von einer weiteren gescheiterten Beziehung zu lesen. James Salter führt manche Figuren wie Stanley Palm, Kenneth Wells oder Donald Beckerman offenbar auch nur ein, um noch ein weiteres Beispiel anführen zu können. Aber auch sonst wimmelt es in den 31 Kapiteln von Nebenfiguren, die für den Fortgang der Handlung keine erkennbare Bedeutung haben. Dem Roman „Alles, was ist“ fehlt es an Stringenz.
Mitten im Satz, mitten in einer Passage tauchen Menschen aus dem Nebel auf, die nichts zum eigentlichen Gang der Erzählung beitragen außer einer weiteren Scheidungszahl und genauso wieder verschwinden. Die Jahre Philip Bowmans addieren sich, wie sich viele der Sätze einfach addieren, und diesen wie jenen mangelt es auf eine leise Art an einem festen Zentrum und einem definierenden Zusammenhang. (Ursula März, a. a. O.)
Gelassen und fatalistisch schaut der auktoriale Erzähler dem Protagonisten und den vielen anderen Figuren zu.
[…] so konsequent das desillusionierende Bilanzierungsprinzip als literarischen Kerngedanken anwendend hat man den unbekanntesten der bekannten Altmeister der amerikanischen Gegenwartsliteratur noch nicht erlebt. […] Aus diesem Stigma der Vergeblichkeit ergibt sich der kühl-melancholische Sound von Salters Prosa. Ihre atemberaubende Meisterschaft aber erweist sich an der Erzähltechnik des unfixierten Entgleitens, die das indifferente Leben des Protagonisten nachbildet. (Ursula März, a. a. O.)
Es heißt, Robert Baum sei eine Hommage an Roger Straus, den Gründer des renommierten New Yorker Verlags Farrar, Straus and Giroux. Bernard Wiberg soll dem britischen Verleger Arthur George Weidenfeld, Baron Weidenfeld, nachempfunden sein, und der Kölner Verleger Karl Maria Löhr erinnert an Heinrich Maria Ledig-Rowohlt.
Bei „Alles, was ist“ handelt es sich um den ersten Roman, den James Salter seit 34 Jahren schrieb. Nach „Solo Faces“ (1979) hatte er nur kleinere Werke, ein Theaterstück („Threshold“), eine Autobiografie („Burning the Days“) und eine Neubearbeitung eines Romans aus dem Jahr 1961 („Cassada“) veröffentlicht.
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