Colm Tóibín : Porträt des Meisters in mittleren Jahren
Inhaltsangabe
Kritik
Frustriert vom zu geringen Erfolg seiner Romane, setzt der amerikanische Schriftsteller Henry James, der seit 1876 in London lebt, 1895 seine Hoffnungen auf das Drama „Guy Domville“. Aber das Theaterpublikum, das seit Jahresanfang das Stück „Ein idealer Gatte“ von Oscar Wilde beklatscht, kann mit „Guy Domville“ nichts anfangen. Mutlos, einsam und verbittert verlässt Henry James daraufhin London, um in Rom, Venedig, Paris sowie an der englischen Südküste auf andere Gedanken zu kommen. Der hochsensible, introvertierte Künstler denkt über sich nach, aber dabei beobachtet er sein Innenleben ebenso wie das Geschehen um ihn herum wie ein Schriftsteller, gewissermaßen von außen. Henry James ist unfähig, eine enge Beziehung zu einem anderen Menschen aufzubauen, auch nicht zu der klugen Constance Fenimore Woolson, mit der er seit 1887 befreundet ist. Es irritiert ihn, dass er sich zu Frauen und Männern gleichermaßen hingezogen fühlt. Ebenso wenig kann er sich zwischen einem kontemplativen Leben und dem eines Gastgebers von Gesellschaften entscheiden. Verzweifelt versucht er, sich über seine eigene Identität klarzuwerden.
In seinem Roman „Porträt des Meisters in mittleren Jahren“ beschäftigt sich der irische Schriftsteller Colm Tóibín (* 1955) mit Henry James (1843 – 1916). Offenbar hat er bei der Vorbereitung gründlich recherchiert, aber es ging Colm Tóibín nicht darum, eine faktenreiche Biografie über seinen amerikanischen Kollegen zu schreiben, sondern er porträtiert ihn als Mitfünfziger in den Jahren 1895 bis 1899. Das Ergebnis ist eine kunstvolle und außergewöhnlich differenzierte psychologische Charakterstudie über einen komplizierten Menschen. Es ist Colm Tóibín gelungen, eine melancholische Atmosphäre zu kreieren, die an Romane von Henry James erinnert, sodass der „Meister in mittleren Jahren“ beinahe wie eine Figur aus einem seiner eigenen Romane wirkt. Hervorzuheben ist auch die sprachliche Geschliffenheit, mit der Colm Tóibín seine Hommage an Henry James verfasst hat.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
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