Michaela Kastel : Ich bin der Sturm

Ich bin der Sturm
Ich bin der Sturm Originalausgabe Emons Verlag, Köln 2020 ISBN 978-3-7408-0914-0, 269 Seiten ISBN 978-3-96041-650-0 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Nach jahrelanger Zwangsprostitution in einem von ihr "Schlachthaus" genannten Bordell kann "Madonna" fliehen. Sie erinnert sich daran, wie ihre Mutter getötet wurde. Damals war sie 13 Jahre alt, strandete im "Funkhaus", ebenfalls einem Bordell, und träumte von einer gemeinsamen Zukunft mit dem Betreiber "Shark". Aber der verkaufte sie den Teufeln. Nun sucht sie nach ihm ...
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Kritik

"Ich bin der Sturm" ist mehr als ein Thriller und bleibt abseits der in diesem Genre gewohnten Plots. Michaela Kastel überlässt das Wort ihrer Hauptfigur. Aus der verzerrten Sicht dieser traumatisierten, seit der Kindheit grausam missbrauchten jungen Frau erleben wir das düstere Geschehen. Die Darstellung ist so bildhaft und suggestiv, dass beim Lesen ein furioses Kopfkino abläuft.
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Hölle

„Mach die Augen auf!“, brüllt er. Der Teufel, der mit mir im Kerker ist. […]
Der Griff um meinen Nacken lockert sich. Schritte entfernen sich. Eine Tür wird auf- und wieder zugemacht.
„Die ist hinüber“, brummt die Stimme von draußen.
„Sollen wir sie munter machen?“
„Ist nicht nötig.“
„Es geht ganz schnell. Nur ein kleiner Nadelstich.“
„Ich will eine andere.“
„Sehr wohl.“

Die gehörnten Teufel suchen die Mädchen in den Kellerräumen des „Schlachthauses“ auf, deren Türen sich nur von außen öffnen lassen.

Sie kommen mit Messern, Peitschen, Glasflaschen, ihre Phantasie ist grenzenlos.

Schöne Zähne sind wichtig. Eigentlich dürfen die Teufel sie uns nicht ausschlagen, aber manchmal passiert es. Sie bekommen dann eine Weile Hausverbot, und wir bekommen ein neues Gebiss. Man sorgt hier für uns.

Am Morgen holt Greta, eine blinde alte Frau, Madonna aus dem Kerker und wäscht ihr im Duschraum das Blut ab, während ein Putztrupp die Zelle aufwischt.

Madonna leidet bereits seit Jahren unter den Teufeln, als ein augenscheinlich in sie verliebter junger Mann, den sie „Geist“ nennt, nachts um drei die Tür ihres Kerkers öffnet, die Wache tötet und mit ihr wegrennt, während die Sirene heult und die Hunde bellen. Zuflucht finden Geist und Madonna in einer kleinen Hütte.

Er ist für mich menschlich geworden. Das Biest hat sich in die Beute verliebt.

Madonna dankt ihrem Retter – und ersticht ihn im selben Augenblick mit einem Küchenmesser. Bevor sie losgeht, zündet sie die Hütte mit dem Toten an.

Auferstehung

Im Bahnhof versteckt ein alter Mann die verstörte junge Frau zwischen Wischmopps und Putzmittel im Versorgungsraum. Dafür erwartet er nur „eine kleine schmutzige Gefälligkeit. Das, was alle Männer wollen, wenn ihnen sonst nichts einfällt.“ Jiri, so heißt er, erklärt ihr nach zehn Tagen, dass sie wegen der monatlichen Polizeikontrolle nicht bleiben könne. Er nimmt sie mit in seine Dachkammer, die er sich mit seiner ausgestopften Katze teilt.

Jiri ist sehr einsam. Und ich glaube, er schämt sich. Dafür, was er von mir wollte und was er auch bekommen hat. Er hat es kein zweites Mal verlangt.

Als Jiri schläft, nimmt Madonna eine Schere, aber dann bringt sie ihn doch nicht um, denn er war gut zu ihr. Sie stiehlt ihm nur seine Ersparnisse. Am Bahnhof kauft sie eine Fahrkarte und nimmt einen Zug nach Westen.

Weil sie keine Papiere hat, quartiert sie sich in einer Absteige ein, wo der junge Mann an der Rezeption Barbezahlung verlangt und sie mit dem Namen Linda Burghart einträgt. Während sie duscht, kommt er zu ihr ins Zimmer, aber sie wirft ihn hinaus. Obwohl Madonna im Voraus bezahlt hat und es bereits Nacht ist, verlässt sie auf der Stelle die Unterkunft.

Ein junger Polizist bietet ihr zunächst an, sie zum nächsten Revier zu fahren, aber am Ende lässt er sich von ihr überreden, sie in seiner Wohnung schlafen zu lassen.

Am nächsten Tag geht Madonna zu einem Bordell, das als „Funkhaus“ bekannt ist.

Als ich das erste Mal vor diesem Gebäude stand, war ich dreizehn. Obdachlos, verstört, allein, auf der Flucht.

Sie wird durchgewunken. Offenbar haben Frauen nach wie vor freien Zutritt. An der Bar fragt sie nach Shark, dem Besitzer des stark frequentierten Etablissements. Für die Hälfte von Jiris Ersparnissen darf sie zu Star, dem attraktivsten der Go-go-Tänzer in die 13. Das war früher ihr Zimmer. Sie lässt den erschöpften Jungen schlafen, denn sie will nur an die Sachen in ihrem Geheimfach unter einer losen Diele herankommen. Aber es ist leer. Plötzlich steht ein Mädchen vor Madonna. Sie muss sich im Schrank versteckt haben. Es ist Stars Schwester Moonlight. Sie ist stumm wie ihr Bruder und dazu noch gehörlos.

Madonna dringt in den Keller vor, wo Sharks Büro ist. Er ist nicht da. Speedy, der neue Betreiber des „Funkhauses“, überrascht sie und fragt, was sie da suche, aber als sie selbstsicher nach Shark fragt, stammelt er:

„Bist du eine von denen? Scheiße, ich hab deinen Kollegen doch neulich schon alles gesagt. Ich weiß nicht, wo der Mistkerl steckt. Ich habe keine verfickte Ahnung.“
Er starrt mich an. Ich weiß, was er sieht. Hörner. Feuerrot, brennend, tödlich. Er denkt, ich sei eine von ihnen. Eine Schlächterin, eine Handlangerin, unterwegs, um neues Vieh zu akquirieren. Er denkt, ich besäße Macht. Die Macht des Höllenfeuers.

Sie schleudert ihn gegen Sharks Aquarium, das durch die Wucht des Aufpralls kippt, auf ihn stürzt und zerbirst. Er schafft es nicht einmal, zu schreien.

Madonna holt die eingelagerten Benzinkanister, reiht sie auf und gießt den Inhalt des letzten Kanisters aus. Da steht plötzlich Moonlight. Madonna hebt fünf Finger: Fünf Minuten gibt sie Madonna und ihrem Bruder, um sich in Sicherheit zu bringen. Dann zündet sie das Benzin an, und das „Funkhaus“ brennt nieder.

Sie wird auf der Straße festgenommen. Der Polizist, der sie in seiner Wohnung schlafen ließ, führt die Vernehmung. Es gibt nur drei Überlebende: Madonna und das Geschwisterpaar. Weil die Kinder aussagen, dass Madonna bereits im Freien gewesen sei, als das Feuer ausbrach, wird sie freigelassen.

Zu dritt setzen sie sich in ein Café, um über das Weitere zu beratschlagen. Madonna will weiter nach Shark suchen. Er ist der Schlüssel. Sie versucht es bei Sharks Vater und erzählt ihm, wie Shark sie den Teufeln auslieferte.

„Sie kamen zu dritt. Männer ohne Gesicht und ohne Worte. Sie nahmen mich mit, und Shark ließ es geschehen. Erst später wurde mir klar, dass es schon lange Zeit so geplant gewesen war. Wahrscheinlich hatten sie ihm bereits vor Wochen ihre Wünsche diktiert und eine schöne Summe Geld überwiesen. Und alles, was er tun musste, war, auszuwählen. Zu liefern. Seine Wahl fiel auf mich. Geschäft, würde er sagen. Am Ende ist alles bloß Geschäft. Ich erfüllte die Anforderungen. Der Kunde ist König. Der Kunde nahm die Ware mit nach Hause.“

Sharks Vater beteuert, er wisse nicht, wohin sein Sohn sich abgesetzt habe. Nachdem er in der Küche telefoniert hat, entreißt Madonna ihm das Handy und drückt auf Wahlwiederholung. Sie erkennt den lungenkranken „Direktor“ des „Schlachthauses“ schon am Röcheln. „Madonna“, sagt Shadow bevor sie den roten Knopf drückt.

Warum er sie verraten habe, fragt Madonna Sharks Vater, und er versucht ihr zu erklären, dass er keine andere Wahl hatte. Nachdem sein Sohn verschwunden war, suchten ihn Shadows Männer auf. Sie behaupteten, Shark in ihrer Gewalt zu haben und drohten, ihn zu töten. Er musste ihnen versprechen, sich zu melden, sobald die frühere Freundin seines Sohnes auftauchen würde.

Der verzweifelte Mann schneidet sich vor den Augen der Besucher mit einem Küchenmesser die Kehle durch.

Madonna flieht mit dem Geschwisterpaar im Pick-up des Toten.

Sie fahren zum Bordell „Venushügel“, das von Sharks früherem Geschäftspartner Beck betrieben wird. Statt ihr bei der Suche nach Shark weiterzuhelfen wirft er sie hinaus. Aber Madonna wartet drei Stunden, bis er aus dem Gebäude kommt und schlägt ihn mit einem Ziegelstein nieder. Mit Hilfe der Kinder wuchtet sie ihn auf die Ladefläche des Pick-up. An einem Baum im Wald gefesselt, kommt er wieder zu sich. Damit er redet, muss sie ihm mit einer Zange zwei Zähne reißen.

„Sie bezahlen im Voraus. Sie bezahlen gut. Scheiße, du hast keine Ahnung, was eine von euch diesen Kerlen wert ist. Da ist nicht bloß ein kleiner Urlaub drin. Ich rede von Millionen. Deine Fotze ist Millionen wert. Macht dich das nicht stolz?“
„Weiter. Wieso ist Shark verschwunden?“
„Ganz einfach, weil er schlau ist. Oder dachtest du, dein Verschwinden hat nicht die Runde gemacht? Bei ihm haben sie als Erstes an der Tür geklingelt. Und du kannst dir denken, dass diese Leute nicht einfach mal nett fragen. Er ist der Händler, und er hat ihnen schlechte Ware verkauft. Bockige Ware. Ware, die nicht mehr da ist. Wäre ich an seiner Stelle, würde ich mehr als nur einen Kontinent zwischen mich und diese Typen bringen.“

Offenbar weiß auch Beck nicht, wo Shark sich versteckt.

Zu dritt haben sie keine Chance gegen die teuflische Organisation. Sie benötigen Hilfe. Madonna fährt deshalb mit Star und Moonlight zur Wohnung des Polizisten. Dem berichtet sie vom „Schlachthaus“, kann allerdings nicht mehr sagen, wo es zu finden ist. Madonna glaubt, einen älteren Bruder gehabt zu haben, erinnert sich jedoch kaum noch an ihn und noch weniger an den Vater. Deutlich hat sie dagegen ihre Mutter vor Augen.

Meine Mutter war auch wunderschön. Ein Engel mit langem dunklen Haar und blauen Augen wie ich. Wölfe haben sie zerfleischt. Im Rudel fielen sie über sie her, ich musste zusehen. Sie schrie: „Lauf!“ Also bin ich gelaufen.

Der Polizist hört aufmerksam zu, denn er vermutet, dass seine Schwester seit zwei Monaten in der Gewalt der Verbrecher ist. Madonna hat sie vor ihrer Flucht gesehen, sie heißt Flora, wird von den Teufeln jedoch „Fairy“ gerufen.

Am nächsten Tag nimmt der Polizist Madonna, Star und Moonlight mit ins Polizeipräsidium, wo sie von vier Kollegen erwartet werden, denen er vertraut. Nachdem sie gehört haben, was sie wissen müssen, fordern sie Madonna auf, Shadows Nummer anzurufen. Madonna tut so, als würde sie es bereuen, weggelaufen zu sein. Sie wolle wieder „nach Hause“, sagt sie, und er bestellt sie ins stillgelegte Kraftwerk.

Ein Sondereinsatzkommando verbirgt sich auf dem Gelände. Über Funk erhält Madonna Anweisungen ins Ohr. Sie betritt das Gebäude. Shadow ist nicht da; er hat zwei seiner Handlanger geschickt, die sie beschuldigen, den Sohn des Direktors getötet zu haben. Das Tor fliegt auf, und die Polizei stürmt herein.

Madonna kennt die beiden Festgenommenen nicht, behauptet jedoch, sie gehörten zu den Männern, die sie eingesperrt und vergewaltigt hatten, damit die Polizei sie nicht laufen lassen muss. Erst nach langer Zeit verraten sie, wo sich das „Schlachthaus“ befindet, und ein Sondereinsatzkommando macht sich auf den Weg.

Um die Kinder nicht weiter zu gefährden, will Madonna allein weiter nach Shark suchen, aber Star lässt sich nicht abschütteln. Moonlight bleibt bei dem Polizisten zurück, dessen Schwester im „Schlachthaus“ vermutet wird und der deshalb von dem SEK-Einsatz ausgeschlossen ist.

Erlösung

Madonna fährt mit Star noch einmal zum Haus von Sharks Vater. Die Polizei hat es abgesperrt, aber sie geht hinein und findet in einem Versteck einen Zettel mit einer Adresse im Norden.

Dort steht nur noch die Ruine eines Wohnhauses. Die Familie sei weggezogen, sagt ein Nachbar, nachdem einer der beiden Söhne beim Einsturz eines Stollens im aufgelassenen Bergwerk ganz in der Nähe umgekommen war. Der Zugang ist verboten und mit Brettern verbarrikadiert, aber Madonna und Star dringen ein und finden eine wohl von Shark versteckte Kiste mit Fotos. Sie stammen aus dem „Schlachthaus“. Gehörte Shark zu den Teufeln, bevor Madonna ihn kennenlernte? Hat er das Verbrechen dokumentiert?

Sie fahren weiter nach Norden, wo Sharks Familie ein Jagdhaus besaß.

Dort werden sie von zwei Männern aus dem „Schlachthaus“ niedergeschlagen und auf Stühle gefesselt. Wieder heißt es: „Du hast den Sohn des Direktors getötet.“ Und die Männer wissen auch, dass Madonna die Polizeieinsätze auslöste. Aber die Organisation war bereits fort, als das SEK das „Schlachthaus“ stürmte. Shadow und seine Männer wollen Shark finden, denn dessen Belastungsmaterial könnte ihnen gefährlich werden. Vergeblich beteuert Madonna, dass sie Shark hier vermutet habe und nicht wisse, wo er sei. Weil ihr die Männer nicht glauben und sie stärker unter Druck setzen wollen, erschießen sie den Jungen vor ihren Augen.

Im nächsten Augenblick sieht sie Shark hereinschleichen. Er hat eine Axt in der Hand. Nachdem er die beiden anderen Männer niedergestreckt hat, befreit er die junge Frau, die er nicht Madonna, sondern Anja nennt, von den Fesseln, verschüttet Benzin und setzt alles in Brand.

Mit dem Pick-up seines Vaters fahren sie los. Die Pistole von Stars Mörder nehmen sie mit.

Anja erinnert sich, wie sie im Alter von 13 Jahren fortgelaufen und in einer Stadt gestrandet war. Im „Funkhaus“ gab Shark ihr etwas zu essen und bot ihr einen Schlafplatz an. Sie schaffte dort in Zimmer 13 für ihn an und träumte von einer gemeinsamen Zukunft – bis er sie an die Organisation verriet. Er versucht, ihr sein Verhalten verständlich zu machen.

„Ich war jung. Verdammt, Anja, ich war doch noch so jung. Und ich war wütend. Hab ich dir je von meinem Bruder erzählt? Er war nur um ein paar Jahre älter als ich. Wir haben immer bei diesem Bergwerk gespielt, das seit Jahren stillgelegt war. Eines Tages hielten wir uns für besonders mutig. Du weißt bestimmt, was passiert ist. {…] Sie haben über eine Woche nach ihm gesucht. Zwei Freunde von ihm wurden ebenfalls verschüttet. Nur ich hatte es von dort rausgeschafft. […] Meine Eltern haben danach nie wieder ein freundliches Wort miteinander gewechselt. Es war einfach aus. Alles war plötzlich aus. Als wären wir alle dort drin gestorben. Also bin ich abgehauen. Kaum dass ich alt genug war, um mir ein Moped zu klauen, war ich weg.“

Er sei damals an Shadows Organisation geraten, erklärt er. Man köderte ihn mit Geld und stellte ihm gewissermaßen als Boni Mädchen zur Verfügung. Dafür musste er Zellen schrubben.

„Sie haben den Leuten etwas gegeben, das es sonst nirgends gab. Totale Kontrolle. Für eine Nacht mal König zu sein. Herrscher über Leben und Tod. Und es war echt. Deswegen waren sie so erfolgreich damit. Weil alles echt war.“

Als er endlich begriff, welche Verbrechen da stattfanden, fing er an, Fotos zu machen. Dann floh er, änderte seine Identität, wurde zu Shark und eröffnete das „Funkhaus“.

Lange Zeit hörte er nichts mehr von der Organisation. Dann standen Abgesandte vor ihm.

„Aber sie töteten mich nicht. Stattdessen sprachen sie von dir. Sie waren wie besessen von dir. Ich war ihnen völlig egal. Deshalb hatten sie mich all die Jahre in Ruhe gelassen, verstehst du? Ich war gar nicht wichtig für sie. Aber du, du warst wichtig. Du warst alles, was sie wollten. Sie sagten, sie seien schon ewig auf der Suche nach dir. Sie schlugen mir einen Deal vor, quasi als Belohnung dafür, dass ich den Mund gehalten hatte: Entweder überlasse ich dich ihnen oder …“

Das geschah vor mehreren Jahren. Kürzlich waren sie erneut da und sagten ihm, Madonna sei geflohen.

„Ich wusste, du würdest zu mir kommen. Um mich umzubringen oder um bei mir Schutz zu suchen. Und dann hätten sie uns beide erwischt. Auf einen Schlag. Ich musste verschwinden, verstehst du, ich hatte keine Wahl! Nicht nur, um mich zu schützen, sondern auch dich! Denn als sie auch noch sagten, du hättest seinen Sohn getötet … da war mir klar, dass sie dich jagen würden. Bis du aufgibst oder stirbst.“

Anja verlangt von ihm, dass er sie dorthin bringt, wo sie aufwuchs. Ohne ihn könnte sie den Ort nicht finden.

„Du weißt, wo das liegt. Bring mich nach Hause, Shark.“


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Spoiler

Zwei Tage lang fahren Anja und Shark mit dem Pick-up, zuerst nach Süden, dann Richtung Osten. Vor einem Haus, das Anja sofort erkennt, halten sie. Anja bückt sich unter dem polizeiliche Absperrband hindurch und geht hinein. Das Innere ist verwüstet. Sie steigt über zersplittertes Glas und Patronenhülsen. Im Keller findet sie die Zelle, in der sie die Hälfte ihres Lebens verbrachte.

Lange Verdrängtes ist wieder da. Schon ihre Mutter war hier eine der Gefangenen. Der „Direktor“ Shadow ist ihr Vater, auch der ihres älteren Bruders, den er später zu einem seiner Helfer im „Schlachthaus“ machte. Shadow ließ seine Auserwählte und die Tochter nach Belieben aus dem Kerker holen und setzte sich mit ihnen und dem Sohn zum Essen an den Tisch, als wären sie eine normale Familie. Der Junge blieb beim Vater, als die Mutter mit Anja zu fliehen versuchte. Aber sie kam nicht weit. „Lauf!“, schrie sie ihre Tochter an, bevor die losgelassenen Hunde sie zerfleischten. Als Anja nach ihrer Zeit bei Shark im „Funkhaus“ erneut ins „Schlachthaus“ kam, erkannte sie ihren Bruder nicht. Sie nannte ihn „Geist“.

Shark wartet im Freien auf sie. Anja richtet die Pistole auf ihn. Während sie ihn darüber aufklärt, dass sein Vater tot und das „Funkhaus“ abgebrannt sei, schießt sie ihm zuerst ins rechte, dann ins linke Bein. Erst nach einem weiteren Treffer in den Bauch tötet sie ihn mit einem Kopfschuss.

Über den Bergen am Horizont braut sich ein Sturm zusammen. Ich sollte Zuflucht suchen, aber ich fürchte mich nicht vor dem, was kommt.

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„Ich bin der Sturm“ lässt sich als Thriller lesen, ist aber mehr als das und bleibt abseits der in diesem Genre gewohnten Plots. Es geht um Menschenhandel und Zwangsprostitution, Gewalt und Sexualität, Geld und Macht, Korruption und Doppelmoral. Aber die Polizei spielt kaum eine Rolle, und es braucht auch kein Verbrechen aufgeklärt zu werden, denn die Ich-Erzählerin weiß aus eigener Erfahrung von den Taten der Teufel.

Michaela Kastel überlässt das Wort ihrer Hauptfigur in „Ich bin der Sturm“. Aus der verzerrten Sicht dieser traumatisierten, seit der Kindheit grausam missbrauchten jungen Frau erleben wir das düstere Geschehen. „Madonna“, wie sie in der Hölle des von ihr als „Schlachthaus“ bezeichneten Bordells gerufen wird, sieht die Vergewaltiger als feurige Teufel. Dass sie trotz ihrer jahrelang geschundenen Psyche und der körperlichen Verletzungen nicht ganz zerbrochen ist, verdankt sie ihrem Überlebenswillen. Auch nach der Flucht und während ihres Rachefeldzugs wird sie ihre Dämonen nicht los. Mit ihrer Grausamkeit setzt sie die erlebte Gewalt fort.

Die subjektive Perspektive der Ich-Erzählerin wird von Michaela Kastel konsequent eingehalten und lediglich durch ein paar Einschübe in kursiver Schrift ergänzt, die schildern, was Anjas Mutter vor ihrem Tod widerfuhr.

Die Darstellung in „Ich bin der Sturm“ ist so bildhaft und suggestiv, dass beim Lesen ein mitreißendes Kopfkino abläuft. Diesen Effekt erreicht Michaela Kastel mit einer außergewöhnlichen Vorstellungs- und Gestaltungskraft. Dazu kommt der Furor, mit dem sie die Handlung stringent und temporeich entwickelt. Der Titel „Ich bin der Sturm“ passt perfekt. Dass sie die Rohfassung in nur zwölf Tagen geschrieben habe, erwähnt Michaela Kastel im Nachwort.

Gegliedert ist „Ich bin der Sturm“ in drei Teile, die mit christlichen Begriffen überschrieben sind: „Hölle“, „Auferstehung“, „Erlösung“.

Erst in einer überraschenden Wendung auf den letzten Seiten von „Ich bin der Sturm“ werden entscheidende Zusammenhänge deutlich. Das Ende lässt Michaela Kastel offen, und das ist gut so.

Unter dem Titel „Mit mir die Nacht“ veröffentlichte Michaela Kastel eine Fortsetzung.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2021
Textauszüge: © Emons Verlag

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