Thomas Pynchon : Vineland

Vineland
Vineland Little, Brown and Company, New York 1990 Vineland Übersetzung: Dirk van Gunsteren Rowohlt Verlag, Reinbek 1993 ISBN 978-3-498-05276-8, 479 Seiten ISBN 978-3-644-54511-3 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die Handlung des Romans "Vineland" spielt 1984 in Kalifornien, ist aber auch mit Rückblenden in die 60er- und 70er-Jahre durchsetzt. Es ist eine Zeit der staatlichen Repression. Unter dem Deckmantel des Kalten Krieges und des Kampfes gegen Drogen und Terror werden immer auch Bürgerinnen und Bürger verfolgt, die ihre individuelle Freiheit verteidigen, und ein Staatsanwalt wie Brock Vond zwingt rebellische Studentinnen und Studenten zu Spitzeldiensten.
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Kritik

Thomas Pynchon warnt in seinem gesellschaftskritischen Roman "Vineland" vor dem repressiven Polizeistaat. Die finstere, aber mit Humor und Ironie durchzogene Geschichte geht zunehmend ins Surreale über, und mit überbordender Fabulierlaune fällt Thomas Pynchon immer noch etwas ein. Auf Stringenz kommt es ihm nicht an. Nur wer seine stilistische Virtuosität schätzt, wird die Lektüre als etwas Besonderes in der anspruchsvollen Literatur erleben.
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Transfenestration

Der kiffende Althippie Zoyd Herbert Wheeler lebt mit seiner 1970 geborenen Tochter Prairie in Vineland nördlich von San Francisco. Einmal im Jahr kauft sich der alleinerziehende Vater ein Kleid in Übergröße, zieht es an, nimmt eine Kettensäge in die Hand und springt durch die Fensterscheibe eines Ladens oder Restaurants. Warum er das tut? Weil der Freigänger aus der örtlichen Nervenheilanstalt mit der „Transfenestration“ das Fortbestehen seiner Geistesgestörtheit demonstriert und deshalb weiter Sozialhilfe beanspruchen kann.

Im Sommer 1984 wählt er das bodentiefe Vorderfenster der Cucumber Lounge („Cuke“). Draußen warten die rechtzeitig verständigten Medienvertreter, Polizei und Sanitäter. Nachdem er sich noch einmal im Spiegel hinter der Theke angeschaut hat, rafft er sich auf.

Zoyd […] raste mit Gebrüll und leerem Hirn auf die Fensterscheibe zu und mit einem Scheppern durch sie hindurch. In dem Augenblick, da er sie berührte, merkte er schon, daß irgendwas nicht stimmte. Er spürte kaum einen Aufprall, und alles fühlte sich anders an und klang auch anders, kein Klirren und Vibrieren, auch kein lauter Krach, nur eine Art zartes, gedämpftes Splittern.

Ralph Wayvone jun., der Geschäftsführer des „Cuke“, der eines Tages von seinem gleichnamigen Vater die Leitung der Ralph Wayvone Enterprises übernehmen soll, hat das Glas durch eine Scheibe aus Zucker ersetzt, wie Filmleute sie bei Dreharbeiten verwenden. Als Zoyd sich am Abend in einer von Skip Tromblay moderierten TV-Sendung sieht, wird das Splittergeräusch einer echten Glasscheibe eingespielt.

Hector Zuñiga

Bei der Transfenestration 1984 zerbeißt Zoyds langjähriger Verfolger Hector Zuñiga von der Drug Enforcement Administration (DEA) medienwirksam Glasscherben.

Zum ersten Mal war er kurz nach der Wahl Reagans zum Gouverneur von Kalifornien in Zoyds Leben aufgetaucht. Zoyd wohnte damals unten im Süden, in Gordita Beach, wo er sich mit ein paar Typen einer Surf-Band namens The Corvairs, in der er schon seit der Highschool-Unterstufe die Keyboards spielte, und mehr oder weniger zeitweiligen Freunden ein Haus teilte.

Hector verabredet sich mit Zoyd im Bodhi Dharma Pizza Temple, um ihm mitzuteilen, dass dessen Ex-Frau Frenesi Margaret Gates aufgrund der Budgetkürzungen im Rahmen der „Reaganomics“ aus dem Zeugenschutzprogramm geflogen ist.

Kaum hat er das gesagt, wird er von einem Sondereinsatzkommando gejagt. Ein „Dr. Dennis Deeply, M.S.W., Ph.D.“ von der „Stiftung für Umerziehung und Rehabilitation von Fernsehgeschädigten“ drückt Zoyd eine Visitenkarte in die Hand. Hector Zuñiga soll zwangsweise in einem Umerziehungs-Sanatorium therapiert werden.

Brock Vond

Durch einen Anruf erfährt Zoyd, dass ein SEK des Justizministeriums mit Militärunterstützung unter dem Kommando des Bundesstaatsanwalts Brock Vond sein Haus gestürmt hat. Das hört sich nach MAGMA an, also nach einer militärunterstützten Aktion gegen Marihuana-Anbau. In sein beschlagnahmtes Haus kann Zoyd also nicht zurückkehren.

Um verkleidet untertauchen zu können, wendet sich Zoyd an Millard Hobbs, einen ehemaligen Schauspieler, der inzwischen für den Inhaber einer Firma für Landschaftsgestaltung und einen Rasenmäh-Service mit dem Namen „Maquis de Saat“ gehalten wird.

Ursprünglich war Millard nur als Darsteller für ein paar spätnächtliche Werbespots im Lokalfernsehen engagiert worden, in denen er, eine riesige Peitsche in der Hand, in Kniestrümpfen, Schnallenschuhen, abgeschnittenen Hosen, einer Bluse und einer platinblonden Perücke auftrat – alles von seiner Gattin Blodwen ausgeliehen. „Das vär-flixte Gras will sisch nischt fü-gänn?“ fragte er mit heftig näselndem Akzent. „Dahs isch nischt lach – kein Problämm! Ru-fen Sie nurr – den Marquis de Saat … Ärr peitscht Ihr Gras ins reschte Maß!“ Es dauerte nicht lange, und der Laden boomte, expandierte in Swimmingpool-Service und Baumschnitt und warf soviel Profit ab, daß Millard auf die Idee kam, sich statt seines Honorars ein paar Anteile überschreiben zu lassen. In der wirklichen Welt außerhalb der Glotze begannen die Leute ihn für den Eigentümer zu halten, der in Wahrheit inzwischen meist irgendwo Urlaub machte, und Millard, ganz Schauspieler, fing an, ihnen zu glauben. Immer weiter kaufte er sich ein, lernte das Geschäft und feilte auch an den Skripts der Werbespots […], in dem er nun beispielsweise einen Dialog mit einem nicht ganz standesgemäßen Rasen führte, dem er die Peitsche gab, während eine extreme Nahaufnahme die kleinen Gesichter und Münder der einzelnen Grashalme zeigte, welche in tausendfältigem, mit künstlichem Echo überlagerten Chor „Gib’s uns, gib’s uns, wir liiiieben das!“ zirpten. Schelmisch beugte sich der Marquis vor: „Lautärr, isch kann nischt ‚öränn!“

Prairie

Zoyds 14-jährige Tochter Prairie verlässt Vineland ebenfalls. Sie begleitet ihren Freund Jesaja, ein Mitglied der Heavy-Metal-Combo „Billy Barf and the Vomitones“, nach San Francisco.

„Schau mal bei Ralph Wayvone jun. drüben im ‚Cuke‘ vorbei“, riet Zoyd. „Seine Schwester heiratet nächstes Wochenende unten in Frisco, die Band hat plötzlich abgesagt, und er scheint ziemlich verzweifelt nach Ersatz zu suchen.“

Um für die Mafia-Hochzeit von Gelsomina, der Tochter von Shondra und Ralph Wayvone sen., mit einen Universitätsprofessor aus Los Angeles auf dem fünf Hektar großen Familienanwesen in San Francisco engagiert zu werden, geben sich „Billy Barf and the Vomitones“ als „Gino Baglione and the Paisans“ aus.

Weil Prairie ahnt, dass die Verfolgung durch den Bundesanwalt mit ihrer Mutter zu tun hat, die sie als Kleinkind bei ihrem Vater zurückgelassen hat, macht sie sich auf die Suche nach Frenesi Gates.

Zoyd gab seiner Tochter noch eine Visitenkarte als Amulett mit. Sie stammt von Takeshi Fumimota, einem Japaner, der ein Büro für karmische Schadensregulierung betreibt. Nach einiger Zeit löst die Karte auf dem Scanner in der abgewetzten rindledernen Schultertasche einer zufällig neben Prairie stehenden Ninja ein Signal aus, und es stellt sich heraus, dass es sich bei Takeshi Fumimotas Partnerin Darryl Louise Chastain („DL“) um eine Jugendfreundin von Frenesi handelt.

„Deine Mutter und ich … wir waren viel zusammen, damals. […] Das ist jetzt, warte mal, so fünfzehn Jahre her, ungefähr dein Alter …“

Frenesi Gates

Frenesi Margaret Gates wird kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als Tochter der Filmdramaturgin Sasha Traverse und des Beleuchters bzw. Schiffshilfselektrikers Hubbell Gates geboren und nach einem durch den Klarinettisten Artie Shaw populären Musikstück benannt, das 1939 von dem Mexikaner Alberto Domínguez Borrás komponiert wurde. Das spanische Wort Frenesí bedeutet Raserei. Die Großeltern mütterlicherseits heißen Eula Becker und Jess Traverse.

In den Sechzigerjahren engagiert sich Frenesi als Dokumentarfilmerin im Untergrund. Sie gehört sowohl zum Filmkollektiv „24fps“ als auch zum „College of the Surf“ im Trasero County in Kalifornien, das sich schließlich zur souveränen „Volksrepublik Rock ’n‘ Roll“ („PR³“) proklamiert. Mit ihren Filmen dokumentiert Frenesi die Übergriffe der als „Faschisten“ beschimpften Behörden gegen die Freiheitsideale der Hippie-Bewegung.

Zu den mit Frenesi und DL befreundeten Bombenlegerinnen gehören auch die Schwestern Zipi und Ditzah Pisk, die das Archiv verwalten.

Frenesi wird festgenommen und für ein Politisches Umerziehungsprogramm (PUP) in ein Lager gebracht, das es offiziell noch gar nicht gibt, weil der Kongress die finanziellen Mittel noch nicht genehmigt hat. Initiator ist der Bundesstaatsanwalt Brock Vond, der vorhat, „PR³“ zu zerstören, die Beteiligten in vom Justizministerium unterhaltene Reservate zu bringen und sie dort auf ihre Eignung für Spitzeldienste zu prüfen.

Wer die Prüfung bestand, konnte wählen zwischen strafrechtlicher Verfolgung oder einer Tätigkeit für die politische Abteilung der Justizbehörde, und zwar als freier informeller Mitarbeiter […].

Später, 1984, wird DL Frenesis Tochter berichten:

„Brock Vond […] hatte damals seine eigene Anklagejury. Die waren überall, haben Kriegsgegner plattgemacht und radikale Studenten, haben Anklagen erhoben, mindestens eine auch gegen deine Mutter. Und weil es dafür keine Verjährung gibt, ist sie immer noch in Kraft.“

Brock Vond erpresst Frenesi mit einer Anklage, undercover für ihn zu arbeiten. Sie wird auch seine Geliebte. Mit ihrer Hilfe lässt der Staatsanwalt Weed Atman ermorden, einen Mathematikprofessor, der als faktischer Studentenführer von „PR³“ gilt, von dem es aber auch heißt, er sei als Agent Provocateur fürs FBI tätig gewesen.

Als […] Frenesi den Scheinwerfer ausgerichtet hatte, lag Weed auf dem Gesicht, überall auf dem Zementboden war sein Blut, der Stoff des Hemdes rings um die schwarz aufgeworfene Austrittswunde brannte noch mit blassen Flämmchen, die flackernd verloschen, und Rex starrte in die Kamera, stellte sich in Pose und tat so, als blase er den Rauch von der Mündung des 38ers.

In Las Suegras, wohin sich Frenesi nach dem Mord abgesetzt hat, begegnet sie Zoyd Wheeler, der dort mit den „Corvairs“ einen Zwei-Wochen-Gig in „Phil’s Cottonwood Oasis“ hat. Es ist Liebe auf den ersten Blick.

Sie zog in das Haus am Gordita Beach und war erst „Zoyds Neue“ und dann „Zoyds Alte“.

Als Frenesi merkt, dass sie schwanger ist, rastet sie aus. Aber sie bringt das ungewollte Kind zur Welt.

Das Baby folgte seinem eigenen Programm, beraubte sie ihrer Milch und ihres Schlafs und betrachtete sie lediglich als Servicestation.

Frenesi überlässt Pariie zumeist ihrer Mutter Sasha. Dann verschwindet sie, aber Brock Vond spürt sie zwischen Pico und Fairfax auf.

[…] und bevor sie wusste, wie ihr geschah, waren sie schon wieder in einem Motelzimmer, und nach einer Weile wurden ihre Besuche bei Sasha seltener, und wenn sie Sasha besuchte, dann roch sie nach Vonds Schweiß, nach Vonds Sperma – konnte Sasha denn nicht riechen, was los war? –, und sein erigierter Penis war zu einem Joystick geworden, mit dem sie auf ihrer rasenden Fahrt in die Zukunft an den Hindernissen und Gefahren vorbei zu steuern versuchte, an den vorschnellenden Monstern und feindlichen Projektilen eines jeden Spiels, vor dem sie sich Jahr für Jahr wiederfinden würde, wenn sie sich wieder einmal lange nach der Zeit, da sie im Bett sein sollte, mit einem schwindenden Vorrat von Münzen und ohne einen Gedanken daran, zu Hause anzurufen, über die leuchtenden Bildschirme in der hintersten Reihe der verbotenen Spielhalle beugte.

Brock Vond sorgt dafür, dass Frenesi in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wird, während er den DEA-Agenten Hector Zuñiga dazu bringt, Zoyd in seinem Haus am Gordita Beach einen Monolithen aus Haschisch unterzuschieben und ihn zu verhaften.

Ein halbes Dutzend Kerle mit schwarzen Schirmmützen und Jacken mit der Aufschrift „Bureau of Narcotics and Dangerous Drugs“ kam hereingetrampelt […].

Seine Schwiegermutter Sasha holt ihre Enkelin Prairie zu sich.

In der Gefängniszelle erhält Zoyd nächtlichen Besuch von Brock Vond.

„Wenn man in den Knast muß, hat das eine Menge Folgen“, erklärte Brock Vond. „Zum Beispiel wird einem das Sorgerecht entzogen. Die staatliche Gefängnisverwaltung ist nicht herzlos – vielleicht wird deine Tochter dich mal besuchen dürfen, allerdings eher selten. Wenn du dich gut führst, darfst du vielleicht – unter Bewachung, versteht sich – zu ihrer Hochzeit, hm? Beim Empfang ein Schlückchen Sekt trinken, obwohl das strenggenommen Drogenkonsum wäre.“

Unter der Bedingung, dass Zoyd einer Spitzeltätigkeit zustimmt, lässt Brock Vond ihn frei, und Hector Zuñiga schärft ihm ein, sich an die Abmachungen zu halten:

„Nur damit wir im Bilde sind, wo du bist“, hatte Hector erklärt. „Solange du die Schecks einlöst, lassen wir dich in Ruhe, aber wenn du das auch nur ein einziges Mal vergißt, geht der Alarm los, und dann wissen wir, dass du versuchst abzuhauen.“

DL

Darryl Louise Chastain nimmt Prairie mit ins Bergkloster der Schwesternschaft der Kunoichi-Adeptinnen, das in der Fachzeitschrift „Aggro World“ als „eine Art Esales Institut für wehrhafte Damen“ beschrieben wird.

In den Sechzigerjahren hatten sich die Kunoichis, die ihrerseits nach Möglichkeiten der Umsatzsteigerung suchten, auf Selbsterfahrung verlegt – eine Branche, die damals noch nicht ganz so boomte wie einige Jahre später – und boten schließlich Fantasy-Marathons für Freunde der östlichen Philosophie, gruppenermäßigte Ninja-Wochenenden für Kinder, Hilfe für ausgestiegene Zen-Mönche […] und andere fernöstliche Methoden an.

Schwester Rochelle, die Mutter Oberin bzw. Erste Besorgerin des Klosters, begrüßt ihre langjährige Schülerin.

DL wurde gleich nach dem Krieg in Leavenworth/Kansas als Tochter von Norleen und Moody Chastain geboren. Ihr Vater war Militärpolizist, weil ein mit der Familie befreundeter Hilfssheriff dem Kleinkriminellen nahegelegt hatte, sich zwischen Armee und Gefängnis zu entscheiden. Kurz nach ihrer Menarche lernte sie den Japaner Inoshiro Sensei kennen und ließ sich von ihm in Jiu Jitsu ausbilden. Während des Studiums in Berkley schloss sie sich in den Sechzigerjahren – ebenso wie ihre Kommilitonin Frenesi Gates – der radikalen Studentenbewegung in Kalifornien an.

Nachdem Frenesi „PR³“ verraten hatte und verschwunden war, suchte DL nach Brock Vond.

„Ich hatte Jahre meines Lebens davon geträumt, mich an Brock Vond zu rächen. Ich wollte ihn umbringen – er hatte auf die verschiedenste Art und Weise Leuten, die ich liebte, das Leben genommen, und ich fand es vertretbar, ihn zu töten.“

Um an den Staatsanwalt heranzukommen, nahm DL an einer Auktion teil, bei der sie von Ralph Wayvone ersteigert wurde, und zwar zu einem Preis, für den er auch einen Lamborghini mit allen Extras hätte kriegen können. Der Unternehmer hatte es wie sie auf Brock Vond angesehen. Als dieser an einem internationalen Kongress von Kriminalbeamten und Staatsanwälten in Shinjuku teilnahm, wartete sie im Edelbordell „Haru no Depaato“ auf ihn.

Und da lag DL auf dem Bett, mit Hut, langen Ohrringen und … einem Minirock? Unglaublich! Dieser Vond schien ebenfalls ein Minirock-Typ zu sein! Sie lächelte. „Mach schnell, Brock! Zieh diese blöden Sachen aus!“ Holla – eine Frau, die weiß, was sie will!

Mit den blauen Kontaktlinsen, die DL trug, sah sie den Mann nur schemenhaft, den sie mit der unmerklichen Technik der Vibrierenden Hand zu einem baldigen Tod verurteilte. Als er beim Orgasmus in breitestem Straßenjapanisch zu schreien begann, merkte DL, dass etwas nicht stimmte.

„Wer sind Sie? Ach, egal …“ Sie fuhr herum und floh […].

Bei ihrem Opfer handelte es sich um Takeshi Fumimota, den Ex-Mann der japanischen Filmschauspielerin Michiko Yomama. Brock Vond war im letzten Augenblick gewarnt worden.

Ein Arzt, von dem sich Takeshi untersuchen ließ, fragte ihn, ob er schon einmal von der Vibrierenden Hand gehört habe.

„Ja, da bin ich ein- oder zweimal gewesen.“
„Das ist keine Bar, Fumimota-san, sondern eine Methode, jemanden umzubringen – mit einem eingebauten Zeitzünder! Wurde vor Jahrhunderten von einem malayischen Chinesen erfunden und dann von unseren Ninja und Yakuza übernommen.“

Takeshi erfuhr, dass nur die Ninja mit der Vibrierenden Hand die tödliche Wirkung zurücknehmen konnte und spürte DL mit Hilfe des für Ralph Wayvone sen. arbeitenden Mafioso Carmine Torpidini im Kunoichi-Kloster auf. Dort brachte eine Puncutechnikerin seine guten alten Meridiane wieder auf Vordermann. Danach musste er DL als Partnerin akzeptieren und zugleich geloben, in den nächsten Jahren die Finger von ihrem Körper zu lassen.

„Schwester Rochelle und ein Team von Expertinnen für chinesische Medizin haben dich von den Toten zurückgeholt, du Wichser! Meinst du vielleicht, die machen das umsonst? Ich bin deine Arztrechnung!“

Thanatoide

Hector, der aus der Entzugsanstalt ausbrach, ohne von seiner Fernsehsucht geheilt zu sein und auf dem Rücksitz seines Autos einen gestohlenen tragbaren Fernseher hat, auf den der Rückspiegel eingestellt ist, will einen Film über die Sechzigerjahre drehen und gewinnt dafür Frenesi als Regisseurin. Sie wagt sich mit ihrem Lebensgefährten Flash und dem Sohn Justin nach Vineland. Für die Dauer der Dreharbeiten logiert sie auf Kosten von Triglyph Productions im Vineland Palace.

Endlich sieht Prairie ihre Mutter wieder.

Aber Brock Vond richtet seine Kommandozentrale im Flughafen von Vineland ein und unternimmt Fernaufklärungs-Patrouillen mit MAGMAs Spür- und Vernichtungstrupps, darunter einer Formation aus drei Hubschraubern. Nach einer Woche entdeckt er Prairie schlafend auf einer Waldlichtung und lässt sich vom Hubschrauber abseilen. Aber als er sie gerade packen will, trifft bei den Piloten die Meldung ein, dass US-Präsident Ronald Reagan die Übung REX 84 für beendet erklärt hat. Die mobilen Teams der Staatsanwälte sind mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Ohne auf Brock Vonds Protest zu achten, hievt ihn der Hubschrauber-Pilot mit der Winde wieder nach oben.

Nach der Landung schien er ruhiger, blieb jedoch in der Nähe seines Kommandohubschraubers, zog plötzlich seinen Dienstrevolver, setzte sich auf den Pilotensitz und ließ den Motor an.

Der Staatsanwalt kracht mit dem geraubten Hubschrauber in einen Hügel und findet sich danach seltsamerweise in einem Auto wieder, das gleich darauf vor einer Telefonzelle liegen bleibt. Er ruft den juristisch fragwürdigen Abschleppdienst der Zwillinge Eusebio („Vato“) Gomez und Cleveland („Blood“) Bonnifoy an. Die beiden holen ihn ab und bringen ihn zu einem Fluss, wo er im Zwielicht herumliegende Knochen und Schädel bemerkt.

„Was ist das?“ fragte er. „Bitte.“
„Sie nehmen dir die Knochen raus“, sagte Vato. „Die Knochen müssen auf dieser Seite bleiben. Der Rest von dir wird übergesetzt. Du wirst ziemlich anders aussehen und dich in der ersten Zeit ziemlich komisch bewegen, aber es heißt, dass man sich dran gewöhnt. Gib diesen Dritte-Welt-Leuten ’ne Chance – es kann eine Menge Spaß machen.“
„Bis dann, Brock“, sagte Blood.

Brock Vond gehört nun wie Weed Atman zu den den Thanatoiden in The Tube, deren Anzahl seit dem Ende des Vietnam-Krieges stark zugenommen hat.

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Die Handlung des Romans „Vineland“ spielt auf mehreren Zeitebenen. 1984 ist die Gegenwart. Damit spielt Thomas Pynchon (*1937) auf die Dystopie „1984“ an. Ähnlich wie George Orwell warnt Thomas Pynchon vor einem repressiven Polizei- und Überwachungsstaat.

In der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre organisierte der amerikanische Senator Joseph McCarthy vor dem Hintergrund des Kalten Krieges eine Hexenjagd auf echte und vermeintliche Kommunisten und alle, die als Sympathisanten verdächtigt wurden. 1972, als die Widerstandsbewegung aus Bürgerrechtlern, Black Panther, Gegnern des Vietnamkriegs, Studenten und Hippies den Zenit bereits überschritten hatte, rief US-Präsident Richard Nixon zum „War on Drugs“ auf und setzte den Sicherheitsapparat dafür ein. Eine weitere Welle der Repression löste Ronald W. Reagan aus, der von 1981 bis 1989 als US-Präsident amtierte. Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Warschauer Pakt, Drogen und Terror wurden immer auch Bürgerinnen und Bürger verfolgt, die ihre individuelle Freiheit verteidigten.

Thomas Pynchon kritisiert in „Vineland“ aber nicht nur staatlichen Machtmissbrauch, sondern auch eine Gesellschaft, die es bequem haben möchte und sich viel zu leicht vom Fernsehen (aber auch von Sport und Shopping) ablenken lässt. Thomas Pynchon geißelt in seinem Gesellschaftsroman Menschen, die aus Furcht vor negativen Konsequenzen nicht nur ihre Ideale der Freiheit verraten, sondern sich von einem Faschisten wie dem Bundesstaatsanwalt Brock Vond zu Spitzeldiensten erpressen lassen.

„Vineland“ ist trotz des finsteren Gesellschaftsbildes kein deprimierender, sondern ein mit Witz und Ironie durchzogener Roman.

Bei dem schrägen Althippie Zoyd Wheeler denkt man an „The Dude“ Jeff Lebowski in der Thrillergroteske „The Big Lebowski“ von Joel und Ethan Coen, und bei der Asiatin DL an Beatrix Kiddo („Black Mamba“) in „Kill Bill“ von Quentin Tarantino. Die Figuren in „Vineland“ sind alles andere als tief ausgeleuchtete differenzierte Charaktere. Thomas Pynchon dienen sie lediglich als Träger der Geschichte.

Die 1984 agierenden Romanfiguren in „Vineland“ berichten von früheren Erlebnissen in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Dabei kommt es zu verschachtelten Rückblenden, beispielsweise wenn sich jemand daran erinnert, wie er vor Jahren von einem noch weiter zurückliegenden Erlebnis erzählte. Thomas Pynchon mäandert durch verschiedene Handlungsstränge, und es ist nicht einfach, den Überblick zu bewahren, zumal die Geschichte zunehmend ins Surreale übergeht, etwa wenn Tote als Thanatoide weiterexistieren. Mit überbordender Fabulierlaune fällt Thomas Pynchon immer noch etwas ein, bis alles ein wenig verworren wirkt. Das führt auch zu Längen und Weitschweifigkeit.

Thomas Pynchon kommt es ohnehin nicht auf Stringenz oder einen konventionellen Handlungsablauf an. Man könnte „Vineland“ dem Slipstream-Genre zuordnen, also einer postmodernen „Literatur, die Tropen und Techniken des Science-Fiction- und Fantasy-Genres verwendet, aber nicht als Science-Fiction oder Fantasy gilt“ (Jeff Prucher, Brave New Words. The Oxford Dictionary of Science Fiction).

Nur wer Thomas Pynchons nicht auf sprachliche Formulierungen beschränkte stilistische Virtuosität schätzt, wird die Lektüre seiner Werke als etwas Besonderes in der anspruchsvollen Literatur erleben. Dabei gilt „Vineland“ als sein am leichtesten lesbarer Roman.

Vineland ist übrigens eine fiktive Region in Kalifornien. Bei dem Titel dachte Thomas Pynchon wohl an den Isländer Leif Eriksson, der um 1000 als erster Europäer nach Nordamerika gelangte und das Land „Vinland“ nannte. Das altnordische Wort Vin konnte sowohl Wein als auch Weide bedeuten.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2020
Textauszüge: © Rowohlt Verlag

Henry James - Das Durchdrehen der Schraube
Die angekündigte, an Grässlichkeit und Qual nicht zu übertreffende Geschichte ist für den den heutigen, abgehärteten Leser zwar nicht gar so schaurig, aber sie hält ihn bis zum Schluss in Spannung: "Das Durchdrehen der Schraube".
Das Durchdrehen der Schraube