Ingeborg Bachmann : Malina

Malina
Malina Originalausgabe: Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 1971 Süddeutsche Zeitung / Bibliothek,Band 97, München 2008, 299 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die Ich-Erzählerin, eine bekannte Schriftstellerin, lebt in Wien mit Malina zusammen, einem rationalen 40-Jährigen, der nie die Beherrschung verliert und sich von keinen Emotionen fortreißen lässt. Ihre leidenschaftliche Liebe gehört jedoch dem etwas jüngeren Ungarn Ivan, der mit seinen beiden kleinen Söhnen in der Nachbarschaft wohnt. Die heftigen Gefühle seiner Geliebten erwidert Ivan allerdings nicht ...
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Kritik

Eine Handlung im herkömmlichen Sinn gibt es in "Malina" nicht; Ingeborg Bachmann hat den verstörenden Roman aus inneren Monologen und Reflexionen, Albträumen, Dialogen und nicht abgeschickten Briefen sprachgewaltig komponiert.
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Bei der Ich-Erzählerin, deren Namen wir nicht erfahren, handelt es sich um eine bekannte österreichische Schriftstellerin. Die in Klagenfurt geborene Frau hatte Psychologie studiert und promoviert. Inzwischen lebt die sensible, hysterische, unter Agoraphobie leidende Frau in Wien mit einem vierzigjährigen Mann namens Malina zusammen, der nach dem Studium der Geschichte und Kunstgeschichte Staatsbeamter beim österreichischen Heeresmuseum geworden war. Ihre Leidenschaft gehört jedoch einem seit einigen Jahren mit seinen beiden sieben bzw. fünf Jahre alten Söhnen Béla und András in der Nachbarschaft wohnenden Ungarn. Er heißt Ivan, wurde 1935 geboren – ist also neun Jahre jünger als seine Geliebte – und arbeitet in einem „Institut für äußerst notwendige Angelegenheiten“. Die Mutter der beiden Kinder erwähnt er kein einziges Mal.

Die Schriftstellerin wird vom Verlag gedrängt, endlich ein neues Buch fertigzustellen, aber sie fühlt sich außerstande, ihre Korrespondenz zu erledigen, Anrufe entgegenzunehmen, geschweige denn, mit ihrem Roman voranzukommen. Entnervt sagt sie zu ihrer Sekretärin, Fräulein Jellinek, die in Kürze den Neurologen Dr. Krawanja heiraten und zu arbeiten aufhören wird:

Ach, schreiben Sie doch einfach, was Ihnen einfällt, dass ich verhindert bin oder verreist oder dass ich krank sein werde. (Seite 44)

Nächtelang formuliert sie Briefe, die sie anschließend zerreißt und in den Papierkorb wirft.

Sehr geehrter Herr Präsident,
Ihr Brief überbringt mir, in Ihrem Namen und im Namen aller, Glückwünsche zu meinem Geburtstag. Verzeihen Sie mein Befremden. Dieser Tag scheint mir nämlich, meiner Eltern wegen, in die Intimität zweier Menschen zu gehören, die Sie und die anderen nicht kennen. Ich selber habe nie die Kühnheit aufgebracht, mir meine Zeugung und meine Geburt vorzustellen […] Sie, ein Gelehrter von hohem Rang, wissen besser als ich, welche Würde die Wilden, die letzten, nicht ausgerotteten, in allem zeigen, was Geburt, Initiation, Zeugung und Tod betrifft, und bei uns ist es nicht nur der Übermut der Ämter, der uns um einen letzten Rest von Scham bringt, sondern vor der Datenverarbeitung und den Fragebögen wirkte ja ein vorauseilender, verwandter Geist, der sich siegessicher auf diese Aufklärung beruft, die schon die größten Verheerungen unter den verwirrten Unmündigen anrichtet. Die Menschheit wird noch zur totalen Unmündigkeit erniedrigt werden, nach ihrer endgültigen Befreiung von allen Tabus. (Seite 94)

Ivan fällt einmal ein Blatt Papier mit der Überschrift „Todesarten“ auf:

Ist das nicht deine Schrift, hast du das hingeschrieben? Da ich nicht antworte, sagt Ivan: Das gefällt mir nicht, ich habe mir schon so etwas Ähnliches gedacht, und alle diese Bücher, die hier herumstehen in deiner Gruft, die will doch niemand, warum gibt es nur solche Bücher, es muss auch andere geben, die müssen sein, wie Esultate Jubilare, damit man vor Freude aus der Haut fahren kann, du fährst doch auch oft vor Freude aus der Haut, warum schreibst du nicht so. Dieses Elend auf den Markt tragen, es noch vermehren auf einer Welt, das ist doch widerlich, all diese Bücher sind widerwärtig. Was ist denn das für eine Obsession, mit dieser Finsternis, alles ist immer traurig und die machen es noch trauriger in diesen Folianten. Bitte, hier: AUS EINEM TOTENHAUS, ich entschuldige mich ja schon.
Ja aber, sage ich eingeschüchtert.
Nichts aber, sagt Ivan, und immer leiden sie gleich für die ganze Menschheit und ihre Scherereien und denken an die Kriege und stellen sich neue vor […] (Seite 46)

Die Schriftstellerin wünscht sich, dass Ivan auch einmal andere Seiten an ihr entdecken würde:

Nur sollte doch ein einziges Mal, aber auch nur ein Mal der Zufall es wollen, dass Ivan und ich einander begegnen in der Stadt, er mit Leuten, ich mit Leuten, dann wüsste er wenigstens, dass ich auch anders aussehen kann, dass ich mich anziehen kann (was er bezweifelt), dass ich gesprächig bin (was er noch mehr bezweifelt). Denn in seiner Gegenwart werde ich still, weil die geringsten Worte: ja, gleich, so, und, aber, dann, ach! so geladen sind, aus mir mit einer hundertfachen Bedeutung kommen für ihn, tausendmal mehr bewirkend als die unterhaltsamen Erzählungen, Anekdoten, herausfordernden Wortscheingefechte, die Freunde und Leute von mir kennen, und Gesten, Capricen, Allüren zum Schein, denn für Ivan habe ich nichts zum Schein, tu ich nichts, um zu scheinen […] (Seite 33)

Für ihn wird nie sichtbar, dass ich doppelt bin. Ich bin auch Malinas Geschöpf. (Seite 90)

Weil sie sich nicht zutraut, Ivan als Person zu beeindrucken („ich selbst vermag Ivan nicht zu fesseln“ – Seite 72), sucht sie in Kochbüchern („Alt Österreich bittet zu Tisch“, „Kleine ungarische Küche“) nach Rezepten für Gerichte, die Ivan nicht aus dem Restaurant kennt. Den ganzen Tag müht sie sich ab, die Zutaten zu bekommen und freut sich auf die Belohnung: das Zusammensein mit Ivan von 7 Uhr abends bis Mitternacht.

Ivan vergisst jedoch, ihr – wie versprochen – Zigaretten mitzubringen und weiß auch nicht mehr, welche Marke sie raucht. Sie würde gern mit ihm für ein paar Tage an den Wolfgangsee oder nach Dürnstein an der Donau fahren, aber er hat nie Zeit. Und weil er morgens um 7 Uhr aufstehen muss, ist er häufig müde, wenn er mit ihr zusammen ist. Nachdem er sich angezogen hat, geht er stets ohne Gruß.

Wie traurig bin ich, und warum tut Ivan nichts dagegen, warum drückt er wirklich die Zigarette aus, anstatt den Aschenbecher gegen die Wand zu werfen […] (Seite 42)

Sie achtet darauf, dass Ivan und Malina sich nicht begegnen. In der Regel kommt Malina erst, wenn Ivan fort ist.

Malina ist nach Hause gekommen, er findet mich noch im Wohnzimmer, das Schachbrett steht da, die Gläser habe ich noch nicht in die Küche getragen. Malina, der nicht wissen kann, wo ich gesessen bin, weil ich in der Ecke neben der Stehlampe auf dem Schaukelstuhl wippe, mit einem Buch in der Hand, RED STAR OVER CHINA, beugt sich über das Schachbrett, pfeift leise und sagt: Haushoch hättest du verloren! Ich bitte, was heißt ‚haushoch‘, und ich hätte vielleicht doch nicht verloren. Aber Malina erwägt und rechnet die Züge aus. Wie kann er wissen, dass ich Schwarz gehabt habe, denn Schwarz hätte, seiner Rechnung nach, am Ende verloren. Malina greift nach meinem Whiskyglas. Wie kann er wissen, dass es mein Glas ist und nicht das Glas, das Ivan, auch halbvoll, stehengelassen hat […] (Seite 109)

Aber ganz verstehe ich nicht, warum Malina nie über Ivan spricht. Er erwähnt ihn nicht, wie beiläufig nicht, er vermeidet es, unheimlich geschickt, meine Telefongespräche mit Ivan zu hören oder Ivan im Stiegenhaus zu begegnen. Er tut, als kennte er Ivans Wagen noch immer nicht, obwohl mein Auto sehr oft vor oder hinter Ivans Wagen in der Münzgasse steht […] (Seite 75)

Malina quält mich mit seiner tadellosen Beherrschung. (Seite 75)

Ivan und ich: die konvergierende Welt.
Malina und ich, weil wir eins sind: die divergierende Welt. (Seite 109)

Einmal bringt Ivan seine beiden Söhne mit:

Wenn Ivan die Lausbuben, die Fratzen, die Banditen, die Wechselbälge bei mir abstellt, diese gyerekek, weil er noch einen Weg machen muss, nur auf einen Sprung weg muss, und das habe ich mir ausgebeten, entsteht eine Turbulenz in der Wohnung, von der [ihre Putzhilfe] Lina sich nichts träumen lässt. Zuerst wird Linas Marmorkuchen von beiden zertrümmert, aber kaum gegessen, und ich räume Messer, Gabel, Scher‘ und Licht überall weg.

Ich habe nicht gewusst, dass meine Wohnung so voll von gefährlichen Gegenständen ist, auch habe ich die Tür angelehnt gelassen für Ivan, aber András ist schon ins Stiegenhaus entkommen. Ich habe eine entsetzliche Verantwortung auf mich geladen, ich sehe Gefahren in jeder Sekunde, ungeahnte, überraschende, denn wenn auch nur einem von Ivans Kindern das geringste zustößt, könnte ich Ivan nie mehr unter die Augen kommen, aber es sind ja gleich zwei, und sie sind schneller, erfinderischer, geistesgegenwärtiger als ich […] Béla sammelt, auf ein Wort von Ivan hin, widerspruchslos die größten Brocken von dem Kuchen ein, aber András hat jetzt das Grammophon entdeckt, hat schon die Hand an dem Hebel mit der neuen Saphirnadel […] Ich laufe in die Küche und hole die Coca-Cola-Flaschen aus dem Eisschrank. Ivan, könntest du bitte wenigstens die Flaschen aufmachen, nein, dort liegt doch der Öffner! Mit dem Öffner ist aber Béla verschwunden, wir sollen raten, wo der Öffner ist, und wir spielen und raten: kalt, lauwarm, kühler, heiß, sehr heiß! der Öffner liegt unter dem Schaukelstuhl. Die Kinder wollen heute kein Coca Cola trinken […] Ich sage: Aber Kinder, könntet ihr nicht einen Moment, ich habe mit Ivan etwas zu reden, Herrgott, nur einen Augenblick, gebt bitte Ruhe! […] Béla und András haben jetzt im Korridor Malinas und meine Schuhe gefunden, sie stecken mit ihren kleinen Füßen darin, kommen damit angewackelt, András fällt brüllend um, ich hebe ihn auf und nehme ihn auf den Schoß. Ivan zerrt Béla aus Malinas Schuhen, wir kämpfen uns mit den Kindern ab […] Siebenmeilenstiefel! schreit Béla […] Aber Ivan, lass ihm doch die Schuhe, wenn er unbedingt mit den Siebenmeilenstiefeln gehen will […] (Seite 126ff)

In einem Fieberdelirium wird sie von grauenhaften Vorstellungen heimgesucht. Malina sitzt an ihrem Bett und versucht, sie vor weiteren Albträumen zu bewahren, aber sie entgleitet ihm immer wieder. Sie träumt von ihrem Vater, der verwirrenderweise auch Gesichtszüge ihrer Mutter aufweist. Er will sich von seiner Frau trennen, kehrt aus Amerika mit einer Geliebten zurück, bei der es sich um Melanie handelt, eine Mitschülerin seiner Tochter. Er verletzt seine Tochter und lässt ihre Bücherregale herausreißen. Er verprügelt Melanie, und während das Mädchen wimmernd am Boden liegt, vergewaltigt er seine Tochter. Dann will er sie aus Wien wegbringen, in ein anderes Land, damit es nicht herauskommt.

Mein Vater hat mich eingeschlossen, und ich will ihn fragen, was er vorhat mit mir, aber es fehlt mir wieder der Mut, ihn zu fragen […] Warum habe ich die Schläuche nicht schon früher bemerkt, denn sie müssen von Anfang an da gewesen sein! […] und eh ich schreien kann, atme ich schon das Gas ein, immer mehr Gas. Ich bin in der Gaskammer, das ist sie, die größte Gaskammer der Welt, und ich bin allein darin. Man wehrt sich nicht im Gas. (Seite 154)

Die neuen Wintermorde sind angekommen, sie werden schon in den wichtigsten Mordhäusern vorgeführt. Mein Vater ist der erste Couturier der Stadt. Ich weigere mich, aber ich soll die Braut-Modelle vorführen […] im Eispalast, bei 50 Grad Kälte, man wird dort lebend für das Publikum und vor dem Publikum getraut, in Eisschleiern und mit Eisblumen. Die Brautleute müssen nackt sein. (Seite 184)

An der Mündung der Donau ins Schwarze Meer lauert der Vater ihr als Krokodil auf, und sie weiß, dass er sie nicht durchlassen wird.

Als der Fieberwahn vorbei ist, redet sie mit Malina:

Die Männer sind nämlich verschieden voneinander, und eigentlich müsste man in jedem einzelnen einen unheilbaren klinischen Fall sehen […] Man könnte sagen, die ganze Einstellung des Mannes einer Frau gegenüber ist krankhaft, obendrein ganz einzigartig krankhaft […] Was ich meine, hat nichts damit zu tun, dass es angeblich einige gute Liebhaber gibt, es gibt nämlich keine. Das ist eine Legende, die muss einmal zerstört werden, es gibt höchstens Männer, mit denen es völlig hoffnungslos ist, und einige, mit denen es nicht ganz so hoffnungslos ist. Darin ist der Grund dafür zu suchen, nach dem noch niemand gesucht hat, warum nur die Frauen immerzu den Kopf voll haben mit ihren Gefühlen und ihren Geschichten, mit ihrem Mann oder ihren Männern. Das Denken daran nimmt tatsächlich den größten Teil der Zeit jeder Frau in Anspruch. Sie muss aber daran denken, weil sie sonst buchstäblich, ohne ihr nie erlahmendes Gefühlstreiben, Gefühlsantreiben, es niemals mit einem Mann aushalten könnte, der ja ein Kranker ist und sich kaum mit ihr beschäftigt. Für ihn ist es ja leicht, wenig an die Frauen zu denken, denn sein krankes System ist unfehlbar, er wiederholt, er hat sich wiederholt, er wird sich wiederholen. Wenn er gerne die Füße küsst, wird er noch fünfzig Frauen die Füße küssen, warum soll er sich also beschäftigen in Gedanken, bedenklich wegen eines Geschöpfs, das sich zur Zeit gern von ihm die Füße küssen lässt, so meint er jedenfalls. Eine Frau muss aber damit fertig werden, dass jetzt ausgerechnet ihre Füße an der Reihe sind, sie muss sich unglaubliche Gefühle erfinden und den ganzen Tag ihre wirklichen Gefühle in den erfundenen unterbringen, einmal damit sie das mit den Füßen aushält, dann vor allem, damit sie den größeren fehlenden Rest aushält, denn jemand, der so an Füßen hängt, vernachlässigt sehr viel anderes. Überdies gibt es noch die ruckartigen Umstellungen, von einem Mann zum andern muss sich ein Frauenkörper alles abgewöhnen und wieder an etwas Neues gewöhnen. Aber ein Mann zieht mit seinen Gewohnheiten friedlich weiter […] (Seite 237ff)

Natürlich haben mich immer Männer interessiert, aber eben deswegen, man muss sie ja nicht gleich mögen, die meisten habe ich überhaupt nicht gemocht, nur fasziniert haben sie mich immer, schon weil man denkt: wie wird das jetzt nach dem Biss in die Schulter weitergehen, was verspricht er sich davon? (Seite 239)

Malina muss lachen, aber entsetzt tun: Du willst doch nicht behaupten, dass die Frauen unglücklicher sind als die Männer!
Nein, natürlich nicht, ich sage ja nur, dass das Unglück der Frauen ein besonders unvermeidliches und ganz und gar unnützes ist. (Seite 241)

Malina versucht ihr einzureden, Ivan und dessen Kinder zu töten, aber das bringt sie nicht fertig. Eines Morgens sind alle ihre Kleider bis auf eines und die gesamte Wäsche bis auf einen Büstenhalter verschwunden, und das einzige Kleid brennt auf ihrem Körper wie ein Nessusgewand. Am Abend zählt Malina ihre Schlaftabletten nach und stellt fest, dass sie drei geschluckt hat. Sicherheitshalber nimmt er das Röhrchen mit hinüber in sein Zimmer, doch während er schläft, holt sie sich noch zwei Tabletten. Am nächsten Tag hebt Malina das Telefon ab und erklärt jemandem – vermutlich Ivan –, dass es in dieser Wohnung keine Frau gebe:

Hier ist keine Frau.
Ich sage doch, hier war nie jemand dieses Namens.
Es gibt sonst niemand hier.“ (Seite 297)

Währenddessen denkt die Ich-Erzählerin:

Ich habe in Ivan gelebt und ich sterbe in Malina. (Seite 296)

Sie verschwindet in der Wand des Zimmers.

Es kommt niemand zu Hilfe. Der Rettungswagen nicht und nicht die Polizei. Es ist eine sehr alte, eine sehr starke Wand, aus der niemand fallen kann, die niemand aufbrechen kann, aus der nie mehr etwas laut werden kann.

Es war Mord. (Seite 298)

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Wie bei einem Theaterstück listet Ingeborg Bachmann in ihrem Roman „Malina“ zunächst die Figuren auf (Ivan, Béla, András, Malina, Ich) und gibt Auskunft über die Zeit (heute) und den Ort (Wien) der Handlung, die wie ein Drama in drei Akten gegliedert ist, nur dass die Teile hier „Kapitel“ heißen und Überschriften haben (Glücklich mit Ivan, Der dritte Mann, Von letzten Dingen).

Vordergründig handelt es sich bei „Malina“ um eine Dreiecksgeschichte. Doch eine Handlung im herkömmlichen Sinn gibt es nicht; Ingeborg Bachmann hat den Roman aus inneren Monologen und Reflexionen, Albträumen, Dialogen und nicht abgeschickten Briefen komponiert.

Im Mittelpunkt steht das Innenleben der Ich-Erzählerin, deren Namen wir nicht erfahren, die jedoch autobiografische Züge der Autorin Ingeborg Bachmann aufweist. Diese Frau ist innerlich zerrissen: Da sind zum einen ihre heftigen Gefühle für ihren Geliebten Ivan, die dieser in dieser Intensität nicht zu erwidern vermag, und zum anderen die Beziehung mit ihrem Lebenspartner Malina, einem im Gegensatz zu ihr mit beiden Beinen auf dem Boden stehenden Mann, der nie die Beherrschung verliert und am Ende von ihr verlangt, sich gegen die leidenschaftliche Liebe zu entscheiden.

Malina ist wohl keine reale Figur, sondern ein Teil der Persönlichkeit der Protagonistin: die Stimme der Vernunft, das Über-Ich (in der Terminologie Sigmund Freuds), der männliche Teil ihres Ichs, der am Ende den weiblichen Teil unterdrückt und zugrundegehen lässt.

Der letzte Satz des Malina-Romans lautet: „Es war Mord“. Die Ich-Figur, die in einer Mauer verschwunden ist, „aus der niemand fallen kann, die niemand aufbrechen kann, aus der nie mehr etwas laut werden kann“, kann diesen Satz – der klingt wie ihr Vermächtnis – nicht ausgesprochen und nicht aufgeschrieben haben, ihrer Grabstätte ist die Kommunikationslosigkeit wesenhaft. Die erstmalige Verwendung des Präteritums deutet darauf hin, dass die Stimme, die bisher von sich erzählt hat, verstummt ist und jetzt die Zeit der Chronisten begonnen hat. Diesem Satz kommt seine Bedeutung nicht nur durch seinen Vermächtnischarakter und durch seine exponierte Stellung zu, der Leser meint in ihm auch – gesprochen von der Stimme der Autorin, in Vertretung für ihre stimmlose Protagonistin – einen abschließenden Kommentar, sogar eine Interpretationsvorgabe zum Romangeschehen zu hören. (Doris Hildesheim: Ingeborg Bachmann. Todesbilder. Todessehnsucht und Sprachverlust in „Malina“ und „Antigone“, Weißensee Verlag, Berlin 2000)

Den Hintergrund des Konfliktes zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen, der die Protagonistin innerlich zu zerreißen droht, bildet die Herrschaft des Vaters über die Familie und des Mannes über die Frau. Verstörend ist vor allem die kafkaeske Figur des tyrannischen, lüsternen und blutrünstigen Vaters, der seine Tochter vergewaltigt, ihr die Gedärme aus dem Leib reißt und sie in einer Gaskammer erstickt (Holocaust).

„Malina“ ist keine unterhaltsame, sondern eine beklemmende Lektüre, und der mittlere Teil („Der dritte Mann“) verstört mit kafkaesken Albträumen. Was das Lesen des Romans trotz des erschütternden Inhalts zu einem literarischen Genuss macht, ist die außergewöhnliche Sprachgewalt der Autorin. Ingeborg Bachmann versteht es meisterhaft, die Hysterie der innerlich zerrissenen Protagonistin wiederzugeben, und in den Reflexionen über das Verhältnis von Mann und Frau blitzen witzige und sarkastische Formulierungen auf.

1962 hatte Ingeborg Bachmann sich vorgenommen, einen Zyklus über Todesarten zu schreiben. Jahrelang plagte sie sich mit dem Projekt herum und trieb damit nicht nur sich, sondern auch ihren Verleger zur Verzweiflung. 1971 erschien „Malina“ als erster Teil der geplanten Trilogie. Die beiden anderen Romane – „Requiem für Fanny Goldmann“, „Der Fall Franza“ – blieben unvollendet und wurden erst nach ihrem Tod veröffentlicht (1978).

Werner Schroeter verfilmte den Roman „Malina“ von Ingeborg Bachmann.

Originaltitel: Malina – Regie: Werner Schroeter – Drehbuch: Elfriede Jelinek, nach dem Roman „Malina“ von Ingeborg Bachmann – Kamera: Elfi Mikesch – Schnitt: Andrea Wenzler – Musik: Bernhard Fritsch – Darsteller: Isabelle Huppert, Matthieu Carrière, Can Togay, Fritz Schediwy, Isolde Barth, Libgart Schwarz, Elisabeth Krejcir, Peter Kern, Jenny Drivala, Wiebke Frost, Lolita Chamma u.a. – 1990; 115 Minuten

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag

Ingeborg Bachmann (Kurzbiografie)

Selma Mahlknecht - Helena
Selma Mahlknecht hat die griechische Sage über die schöne Helena zum historischen Roman erweitert und lässt Helena statt von männlichen Heldentaten vom Leid der Frauen erzählen. Die zeitlos wirkende Handlung wird geradlinig und schnörkellos entwickelt.
Helena

 

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.