Ingrid Noll : Halali

Halali
Halali Originalausgabe: Diogenes Verlag, Zürich 2017 ISBN: 978-3-257-06996-9, 320 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

1955 verlässt die 20 Jahre alte Bäckers­tochter Holda das Eifeldorf, in dem sie aufwuchs, und zieht nach Bad Godesberg. Sie bekommt ein Zimmer im Haus einer Kriegswitwe und fängt als Stenotypistin im Bundes­innen­ministerium an. Ihre Kollegin Karin wird eine enge Freundin. Als ein Mann, den die beiden kurz zuvor noch mit dem Regierungsrat Burkhard Jäger zusam­men sahen, tot im Rhein treibt, halten sie den Beamten für einen Geheimagenten und gehen dem Verdacht nach ...
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Kritik

Obwohl einige Romanfiguren gewalt­sam ums Leben kommen, ist "Halali" kein Krimi. Ingrid Noll geht es ohnehin weniger um die Handlung, als um ein amüsantes Zeitkolorit: Bilder aus dem Alltag in der Nach­kriegs­zeit kontras­tieren mit heutigen Gewohnheiten.
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Holda ist die Tochter eines Ehepaars, das in der Eifel eine Bäckerei betreibt. Weil sie weder im Dorf noch in der Umgebung eine geeignete Arbeitsstelle fand, verließ sie 1955 im Alter von 20 Jahren ihren Geburtsort und zog nach Bad Godesberg. Dort wohnt sie bei einer Kriegswitwe.

Herrenbesuch war nicht gestattet, denn es galt ja noch der Paragraph 180, der Kuppelparagraph. Eine Vermieterin konnte sogar mit Gefängnis bestraft werden, wenn sie der ‚Unzucht‘ Vorschub leistete.

Weil warmes Badewasser nicht in der Miete enthalten ist, nutzt Holda die Möglichkeit, im Keller des Innenministeriums – wo sie als Stenotypistin arbeitet – zu duschen. Allerdings ist es ihr unangenehm, weil es keine Kabinen gibt, sondern nur einen großen Duschraum, in den dienstags die Männer und freitags die Frauen dürfen.

Holda freundet sich mit ihrer Kollegin Karin Bolwer an. Deren Mutter war mit den Kindern aus Ostpreußen geflüchtet und bei einer Verwandten in Bad Godesberg untergekommen. Helena Victoria Mary Gräfin von der Wachenheide ist zwar nicht reich, besitzt jedoch eine Stadtvilla. Obwohl Karins verwitwete Mutter inzwischen in Krefeld lebt, blieb sie bei ihrer Tante. Sie überredet die Aristokratin, einen Kredit aufzunehmen, vier Zimmer zu renovieren und diese zu vermieten.

Einen der neuen Zimmerherren kennen Karin und Holda aus dem Innenministerium: Regierungsrat Burkhard Jäger.

Als die beiden Freundinnen den Hund von Holdas Vermieterin im Büschelchen ausführen, einem verwilderten Terrain am Godesberger Bach im Bonner Stadtteil Plittersdorf, finden sie in einem Starenkasten, der ihnen auffällt, weil er viel zu niedrig hängt, einem Zettel mit der Nachricht: „ONKEL HERMANN GESTORBEN. 22.7.11.45“. Was bedeutet das?

Am folgenden Sonntag, dem 22. Juli, essen Holda und Karin im Schaumburger Hof ein Eis. Es ist 11.45 Uhr, als ihnen Herr Jäger auffällt. Er spricht kurz mit einem anderen Mann und übergibt ihm eine Aktenmappe. 22. Juli, 11.45 Uhr: das kann kein Zufall sein; es muss mit der geheimnisvollen Botschaft im Starenkasten zusammenhängen.

Karin ist inzwischen mit einem der drei anderen Zimmerherren in der Villa ihrer Tante intim. Franz Josef („Jupp“) Küppermann hat sich in Karin verliebt, aber für sie ist es nur eine Affäre. Heimlich nennen sie und Holda ihn „Grizzly“. Er verdient seinen Lebensunterhalt als Hausmeister in einem Ministerium. Von Karin und Holda lässt er sich dazu überreden, die Tür des Regierungsrats in dessen Abwesenheit mit einem Dietrich zu öffnen, denn die beiden Frauen vermuten, dass Jäger etwas zu verbergen hat. Sie finden ein Bündel Hundertmarkscheine im Wert des Jahresgehalts einer Sekretärin. Das bestärkt ihren Verdacht.

Von einem Studenten namens Helmuth bekommt Holda am Rheinufer ihren ersten Kuss. Sie sehen, dass jemand im Wasser treibt. Helmuth holt den Mann ans Ufer, aber er ist bereits tot. Es ist der Mann, mit dem Jäger sich am 22. Juli um 11.45 Uhr traf. Holda und Helmuth lassen die Leiche am Ufer liegen.

Aus der Zeitung erfährt Holda, dass es sich bei dem Toten um German Sokolow handelt, einen russischen Mitarbeiter der sowjetischen Botschaft in Bonn.

Onkel Hermann gestorben! Und jetzt ist ein German tatsächlich tot.

Ihre Volljährigkeit feiert Holda mit Karin und den Eltern bei einem Italiener. Es gibt Pizza Margherita und Spumante.

Nach einem zweiwöchigen Urlaub in London, wo sie bei einer Verwandten Karins im Londoner Stadtteil Chelsea wohnten, dringen die beiden Freundinnen nochmals in das Zimmer des verdächtigen Regierungsrats ein und finden im Kulturbeutel einen Zettel mit dem Namen Hermann Falkenstein. Der Tote hieß Sokolow. Sokol lässt sich mit Falke übersetzen. Die Annahme, dass mit German Sokolow und Hermann Falkenstein bzw. Onkel Hermann ein und dieselbe Person gemeint ist, liegt nahe.

Zwei Wochen nachdem die ersten Soldaten der Bundeswehr am 12. November 1955 ihre Ernennungsurkunden bekommen haben, feiert Karin in der Villa der Gräfin ihren 22. Geburtstag, und zwar mit Toast Hawaii, wie Fliegenpilze dekorierten Tomaten und Eierlikör.

Karin liest einen von ihrer Tante versehentlich geöffneten, an den Zimmerherrn Jäger adressierten Brief.

Lieber Burkhard, um sicher zu sein, dass dieser Brief nicht in fremde Hände gerät, wird ihn meine Kusine mit in den Westen nehmen und in Hannover einwerfen. Seit Lilo inhaftiert ist, habe ich das unbestimmte Gefühl, dass auch ich von der Stasi bespitzelt werde. Einmal im Monat darf ich meine Tochter besuchen, es geht ihr den Umständen entsprechend nicht gerade gut. Sie sitzt bis auf weiteres in politischer Haft. Ihre Zugehörigkeit zu unserer Glaubensgemeinschaft wird als Gegnerschaft zum Kommunismus angesehen. Kannst Du nicht Deine Beziehungen zu prominenten Politikern spielen lassen, um Lilo im Austausch endlich freizubekommen? Es ist immer tragisch, wenn ein liebendes Paar durch willkürliche Repressionen getrennt wird, in Eurem Fall aber besonders. Nach Deinen schweren Jahren im Krieg und in russischer Gefangenschaft. […] Mutti Martha

Bei Martha Piontek, der Absenderin, handelt es sich offenbar um Jägers Schwiegermutter in spe.

Gleich zu Beginn des Jahres 1956 stürzt Helena Victoria Mary von der Wachenheide und wird ins Johanniter-Krankenhaus Bonn gebracht.

Holda, Karin und Jupp verbringen viel Zeit zusammen in der Villa. Als sie eines Abends in der Küche Monopoly spielen, beschwert sich Burkhard Jäger über den Lärm.

„Ich habe Ihrer Frau Tante versprochen, dass ich als Ältester ein wenig nach dem Rechten sehe“, fuhr der Jäger unbeirrt fort. „Was ich hier leider zur Kenntnis nehmen muss, kann ich auf keinen Fall billigen. Abgesehen davon leben Sie in Sünde, nicht nur vor Gott, sondern auch vor dem Gesetz!“

Auf die Androhung, er werde der Hausherrin raten, dem „unmoralischen“ Zimmerherrn zu kündigen, erwidert Karin ungehalten:

„Das würde ich mir an Ihrer Stelle gut überlegen, Herr Jäger! Wir haben etwas gegen Sie in der Hand, das Ihrem bequemen Beamtenstatus ein für alle Mal ein Ende machen könnte.“


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Karin bezichtigt den Regierungsrat, German Sokolow alias Onkel Hermann ermordet zu haben. Jäger beteuert seine Unschuld und meint, der russische Geheimagent sei von seinen eigenen Leuten umgebracht worden. „Onkel Hermann gestorben“ bedeutete, dass German Sokolow enttarnt worden war. Jägers Verlobte Lilo sitzt in einem DDR-Gefängnis. In der Hoffnung, sie freizubekommen, ging der Bräutigam auf die Forderung der Stasi ein, Sokolow geheime Informationen aus dem Innenministerium der Bundesrepublik zu beschaffen. Karin sagt, sie glaube Jäger kein Wort und werde am nächsten Arbeitstag ihren Chef über den Landesverrat aufklären. Da packt Jäger ein in der Spüle liegendes Messer und hält es Karin vors Gesicht. Holda zieht die Waffe aus einem Stockdegen der Gräfin und sticht zu. Jäger schreit auf, lässt das Messer fallen und geht zu Boden. Karin schnappt sich den Degen und rammt ihn dem Wehrlosen in die Brust.

Zu dritt schaffen sie die Leiche in Jägers VW, fahren damit zu einem Waldparkplatz im Kottenforst, setzen den Toten hinters Lenkrad – was ohne Sicherheitsgurt nicht so einfach ist –, verschütten das Benzin aus dem Reservekanister und werfen ein brennendes Zündholz ins Auto. Zu Fuß kehren sie nach Bad Godesberg zurück.

Ein weiteres Mal schleichen sich Holda, Karin und Jupp in Berthold Jägers Zimmer. Erneut finden sie einen Umschlag mit Bargeld. Es sind 6000 Mark. Die drei Eindringlinge teilen das Geld unter sich auf.

Waldarbeiter stoßen im Kottenforst auf das ausgebrannte Auto und die Leiche.

In der nächsten Nacht hört Jupp ein Gepolter. Als er nachsieht, findet er den Zimmernachbarn Habek mit klaffender Kehle am Boden. Die Tür zu Jägers Zimmer steht offen. Darin liegt alles durcheinander. Offenbar kam Habek einem Einbrecher in die Quere, als dieser das Zimmer des Toten durchwühlte. Obwohl Habek sofort im Krankenhaus operiert wird, erliegt er seiner Verletzung.

Holda kündigt den Mietvertrag bei der Kriegswitwe, und als die Polizei Berthold Jägers Zimmer freigibt, zieht sie dort ein.

Nachdem Jupp der Gräfin für Habeks leerstehendes Zimmer Henk Bakker empfohlen hat, einen Chauffeur der niederländischen Botschaft, kündigt er selbst und wandert in die Türkei aus, denn Karin hat ihn mit einem Gerichtsreferendar betrogen.

Während Holda gedankenverloren auf einer Parkbank sitzt, lässt jemand vor ihr eine Tüte fallen und geht weiter. In der Tüte findet sie eine Botschaft: Jemand weiß, dass sie zumindest an der nächtlichen Beseitigung von Jägers Leiche beteiligt war. Damit erpresst er sie nun zur Spionage.

Holda vertraut sich Karin an, und die beiden basteln ein gefälschtes Geheimdokument aus dem Innenministerium über eine atomgetriebene U-Boot-Flotte der NATO. Offenbar fällt der Geheimdienst darauf herein, denn die Freundinnen erhalten bald darauf je einen Umschlag mit 500 Mark. In einer konspirativ zugestellten Nachricht werden sie aufgefordert, geheime Dokumente über die NATO zu beschaffen.

Als sie ihre als Sekretärin im Verteidigungsministerium beschäftigte Bekannte Ulla Fischer besuchen, stellt sie ihnen ihren neuen Freund vor, den Versicherungs­kaufmann Horst Müller. Weil er ebenso hinkt wie der Unbekannte, der den anonymen Brief für sie bei der Haushälterin der Gräfin abgab, halten ihn Holda und Karin für den Absender, also den Geheimagenten, der Informationen über die NATO von ihnen erwartet.

Beim Polterabend einer gemeinsamen Bekannten treffen Holda und Karin erneut mit Ulla und ihrem hinkenden Freund zusammen. Nach der Party nehmen Horst Müller und die beiden Freundinnen die letzte Rheinfähre. Karin kann sich nicht verkneifen, dem Mann vorzuwerfen, er habe sich an die leichtgläubige Sekretärin des Verteidigungsministeriums herangemacht, um an Geheimdokumente zu kommen. Als er mit seinem Wissen über das Feuer im Kottenforst kontert und mit einer Anzeige droht, tritt Karin ihn. Müller stürzt und schlittert über die nassen Planken. Reflexartig greift Holda nach seinem Fuß. Aber sie kriegt nur eine Unterschenkelprothese zu packen. Müller fällt ins Wasser, gerät in einen Strudel und geht unter. Niemand außer den beiden Frauen bemerkt es. Erst nachdem Holda das Holzbein in den Rhein geworfen hat und von dem Agenten nichts mehr zu sehen ist, schlagen sie und Karin Alarm.

Der Tote wird eine Woche später am Ufer der Rheininsel Herseler Werth gefunden.

Karin und Holda kündigen im Innenministerium.

Holda arbeitet zunächst in einem Fachgeschäft für Bürobedarf, dann bis zum Rentenalter als Schulsekretärin. Der aus ihrem Heimatdorf stammende Student Heinrich („Heiner“) Ludwig, der Jupps frei gewordenes Zimmer bezieht, wird ihre große Liebe. 1958 heiraten die beiden, und bald darauf bekommen sie zwei Kinder. Aber Heiner stirbt viel zu früh.

Karin, die bei einer internationalen Spedition anfängt, entscheidet sich nach einigem Hin und Her für den Juristen und Diplomaten Christian von Saasem als Ehemann. Nach dessen Tod wird sie die Gattin des Botschafters von Starewitz. Als dieser an Alzheimer erkrankt, bringt sie ihn in einem Heim unter. Holda fragt schließlich ihre Freundin, woran Christian gestorben sei.

Karin grinste. „Er war auf ganzer Linie eine Fehlbesetzung, ein totaler Versager, und hätte es niemals zum Botschafter gebracht. Ganz zu schweigen davon, dass er auch im Bett eine Niete war. Das Einzige, wofür er sich interessierte, war die Diplomatenjagd. Ob ich wollte oder nicht, ich musste schießen lernen und wurde oft genug zur Teilnahme am Kesseltreiben gezwungen. Im Grunde blieb mir gar nichts anderes übrig. Halali!“

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„Halali“ ist kein Kriminalroman, wie man es von Ingrid Noll vielleicht erwarten würde. Zwar kommen einige Personen gewaltsam ums Leben, aber es treten keine Ermittler auf. Gewiss untersucht die Polizei die Todesfälle, aber das spielt in „Halali“ keine Rolle.

Die Handlung ist hanebüchen, aber Ingrid Noll geht es, wie gesagt, nicht um die spannende Aufklärung von Mordfällen, sondern sie nutzt die mit Humor und leichter Hand entworfene Geschichte, um den Alltag in der Nachkriegszeit ein wenig zu bebildern: In „Halali“ gibt es noch eine Dorfbäckerei ohne Telefon­anschluss. Bevor sich ein Regierungsrat einen VW-Käfer leistet, fährt er mit einer Vespa ins Ministerium. Dort korrigieren die mit „Fräulein“ angesprochenen unverheirateten Stenotypistinnen Tippfehler mit speziellen Folienblättchen. (Flüssiges Tipp-Ex kam erst Mitte der Sechzigerjahre auf.) Sie arbeiten mit Kohlepapier und Durchschlägen. Falls mehr als drei Kopien benötigt werden, muss eine von ihnen in die Dunkelkammer, denn die Xerografie kennt man noch nicht. Weil Bäder in Privatwohnungen noch rar sind, dürfen die Mitarbeiter des Ministeriums einmal pro Woche einen Gemeinschaftsduschraum im Keller benutzen, die Männer dienstags, die Frauen freitags. Allein­stehenden Zimmer­herren bzw. -fräulein sind Besuche von Personen des anderen Geschlechts zumindest nach 22 Uhr untersagt, denn die Vermieter könnten sonst nach dem Kuppelei-Paragrafen belangt werden. (Dass es auch homosexuelle Kontakte geben könnte, ist völlig undenkbar.)

Dieses amüsante Zeitkolorit macht den eigentlich Reiz der nicht besonders anspruchsvollen Lektüre von „Halali“ aus. Ingrid Noll akzentuiert den Unterschied zum modernen Leben durch die Rahmenhandlung, in der die 82 Jahre alte Holda die ganze Geschichte ihrer Enkelin Laura erzählt, einer Betriebswirtin für Controlling Mitte 20.

Den Roman „Halali“ von Ingrid Noll gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Nina Petri (ISBN 978-3-257-80383-9).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017
Textauszüge: © Diogenes Verlag

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.