Peter Prange : Die Philosophin

Die Philosophin
Die Philosophin Droemer Verlag, München 2003 ISBN 3-426-19590-9, 558 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Nachdem ihre Mutter 1740 in einem französischen Dorf auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, schlägt Sophie sich als Kellnerin in Paris durch. Sie wird die Geliebte Diderots, der dabei ist, das Wissen der Menschheit in einer Enzyklopädie zusammenzufassen und gerät selbst in die Intrigen gegen dieses von Kirche und Staat für gefährlich gehaltene Vorhaben hinein.
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Kritik

Die Romanfiguren Sophie Volland, Diderot, d'Alembert, Le Bréton, Rousseau, Madame de Pompadour, Sartine, de Malesherbes hat es tatsächlich gegeben; Peter Prange bettet in "Die Philosophin" historische Fakten in eine fulminante, atemberaubende Geschichte ein und vermittelt auf spannende Weise Grundgedanken der Aufklärung.
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Wir schreiben das Jahr 1740. Madeleine Volland lebt mit ihrer elfjährigen Tochter Sophie im Kirchspiel Beaulieu an der Loire. Ihren Lebensunterhalt verdient sie als Näherin im nahen Schloss des Barons de Laterre. Verheiratet ist sie nicht: Sophie ist das Kind des vor drei Jahren in der Ferne verstorbenen Hausierers Dorval, der jedes Jahr an Kirchweih vorbeigekommen war.

Weil Sophie heute zum ersten Mal die heilige Kommunion empfangen soll, muss sie nüchtern bleiben und fühlt sich etwas flau im Magen. Madeleine flöst ihr einen Löffel Kräutermedizin ein. Auf dem Weg redet Sophie solange auf ihre Mutter ein, bis diese verspricht, mit ihr nach vorne zum Altar zu gehen, obwohl sie von Abbé Morel wegen des unehelichen Kindes von den Sakramenten ausgeschlossen worden ist. Der Dorfgeistliche zuckt zunächst zurück, legt Madeleine dann aber doch die Hostie auf die Zunge. Sophie freut sich darüber, doch als Abbé Morel ihr die Hostie reicht, verkrampft sich ihr Magen; sie übergibt sich und spuckt die Hostie aus.

Ein Jurist aus Paris, der zu Besuch auf dem Schloss des Barons de Laterre ist, zeigt Madeleine Volland wegen schwarzer Magie und Giftmischerei an. Der Edelmann hatte sie auf dem Schloss gesehen und ihr den Hof gemacht, war aber von ihr zurückgewiesen worden. Nun rächt er sich: Bei der Gerichtsverhandlung in Roanne sagt er aus, Madeleine Volland habe ihr Kind mit einem Gifttrank verhext und verweist auf ein königliches Edikt von 1682, das „alle Taten von Magie oder Aberglauben“ unter Strafe stellt. Baron de Laterre überwirft sich mit dem Edelmann und eilt nach Paris, um seine Näherin zu retten. Mit einer Verfügung des Parlamentspräsidenten, die Vollstreckung des Urteils aufzuschieben, kehrt er zurück. Doch er kommt um wenige Stunden zu spät: Madeleine Volland wurde bereits erhängt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Auf gerichtliche Anordnung hin musste Sophie dabei zusehen.

Baron de Laterre nimmt die Waise bei sich auf, aber nach der Menarche kann er sie nicht länger im Schloss behalten. Abbé Morel bringt Sophie in ein Kloster.

Einige Jahre später verlässt Sophie das Kloster. 1745 schlägt sie sich nach Paris durch und findet dort eine Anstellung als Kellnerin im Café „Procope“, einem Treffpunkt von Intellektuellen, in dem zum Beispiel Denis Diderot, Jean le Rond d’Alembert und Jean-Jacques Rousseau verkehren.

Diderot redete mit solcher Begeisterung, dass er weder das Kneifen seines engen grauen Rocks noch das Kratzen seiner schwarzen Wollstrümpfe spürte. In seinem Leben gab es zwei Leidenschaften: die Frauen und die Literatur, und wenn er mit einer von beiden beschäftigt war, existierte nichts anderes für ihn auf dieser Welt – weder die Geldnot, die ihn wie sein eigener Schatten verfolgte, sodass er oft nicht wusste, wovon er das nächste Tintenfass oder die nächste Tasse Schokolade bezahlen sollte, noch die Spitzel der Polizei, die sich im Café „Procope“ eingenistet hatten wie Flöhe in einer alten Perücke. (Seite 58)

In einer Ecke des Café „Procope“ sitzt regelmäßig der Polizeioffizier Antoine Sartine, dessen Aufgabe es ist, die Philosophen in den Kaffeehäusern von Paris zu bespitzeln. 1747 belauscht er den Verleger Le Bréton, der Diderot zu überreden versucht, die 1728 unter dem Titel „Cyclopaedia or An Universal Dictionary of Arts and Sciences“ veröffentlichten zwei Bände von Ephraim Chambers aus dem Englischen zu übersetzen. Der schlägt das Angebot aus und unterbreitet Le Bréton einen Gegenvorschlag:

„Nein, statt den Chambers zu übersetzen, sollten wir etwas völlig Neues wagen. Das Wissen eines einzelnen Menschen in einem Buch zu versammeln ist nicht genug – wir müssen das Wissen der ganzen Menschheit zusammentragen in einer wirklich vollständigen Enzyklopädie der Wissenschaften, Künste und Handwerke, die alle Zweige möglicher Erkenntnis umfasst. […] Dutzende, Hunderte von Autoren, die besten Köpfe Frankreichs […] Gemeinsam werden sie ein Buch schreiben, das die Welt aus den Angeln hebt, aufräumt mit dem Aberglauben und den Vorurteilen, die so viel Unglück über die Menschheit gebracht haben. Ein Buch, das nicht nur das Leben abbildet, wie es ist, sondern zeigt, wie es sein kann und sein soll. Ein Buch wie das Buch der Bücher, ein Buch wie die Bibel, ein wirklich neues Testament für eine neue Zeit!“ (Seite 63f)

Le Bréton wittert ein gutes Geschäft. Diderot und d’Alembert fungieren als Herausgeber, sammeln Ideen und Themen für die Artikel.

Als der knapp vierzigjährige polnische Jesuit Radominsky, der als Beichtvater der ebenfalls aus Polen stammenden Königin Maria Leszczynska nach Versailles kam, von dem Vorhaben erfährt, ist er alarmiert.

Ausgestattet mit weitgehenden Vollmachten der Kurie, sollte er seinen Einfluss am Hof von Versailles zu einem einzigen Zweck nutzen: dass in der Hauptstadt des französischen Königreiches Gottes Wille geschehe, zumindest aber der Wille des Papstes. (Seite 74f)

Wenn die Enzyklopädie all die zerstrittenen Geister in Paris, die im Namen der Vernunft Zwietracht und Zweifel säten, zu einer geschlossenen Kampftruppe wider den Glauben einte, konnte das geplante Wörterbuch Kirche und Staat in eine ähnlich schwere Krise stürzen wie zwei Jahrhunderte zuvor der Teufel Martin Luther mit seiner verdammten Reformation. Wissen war Macht, und wer den Menschen Wissen gab, verlieh ihnen Macht über das eigene Leben. Damit würde das Gesetz Gottes außer Kraft gesetzt und zugleich alles, was auf Erden von seiner himmlischen Allmacht zeugte: die Vorherrschaft der katholischen Kirche, das Gottesgnadentum des Königs, die ewige Ordnung der Dinge. (Seite 79)

„Bildung ist ein Segen für einige wenige Auserwählte, für das Volk ist sie Gift – je mehr es weiß, desto größer werden seine Zweifel. Wenn wir, die Vertreter der Kirche und des Staats, zulassen, dass die Philosophen ihre von Gott verdammten Lehren ausstreuen, betreiben wir unseren eigenen Untergang.“ (Seite 184f)

Radominsky spricht mit der Marquise de Pompadour, der offiziellen Mätresse des Königs, über einen geeigneten Kandidaten für das Amt des Direktors der Hofbibliothek und obersten Zensors von Frankreich. Sie einigen sich auf Chrétien de Malesherbes de Lamoignon, den Sohn des Kanzlers.

Immer wieder versucht Denis Diderot, mit der hübschen Kellnerin im Café „Procope“ zu flirten, aber Sophie geht nicht darauf ein. In seiner Verliebtheit verfasst er ein orientalisches Märchen, eine Liebesgeschichte mit dem Titel „Die Prinzessin Mirzoza und der Sultan Mongagul“. Versehentlich lässt er das Manuskript auf einem Tisch im Café liegen, und als alle Gäste gegangen sind, beginnt Sophie darin zu lesen. Diderot kommt zurück und ist überrascht, dass das einfache Mädchen schreiben und lesen kann. Zusammen gehen sie durch die Straßen. Als er Sophie küsst, werden sie von einer keifenden Frau gestört. Zunächst nimmt Sophie an, es handele sich um Diderots Mätresse Madame de Puisieux, aber es ist seine Ehefrau Nanette. Sophie, die nicht wusste, dass er verheiratet ist, wirft ihm enttäuscht das Manuskript vor die Füße und läuft fort.

Kurze Zeit später nimmt sie den Heiratsantrag Antoine Sartines an. Weil der Polizeioffizier weiß, dass eine Ehefrau zu einer geordneten Laufbahn gehört, beschloss er, die sympathische Kellnerin im Café „Procope“ zu fragen, ob sie seine Frau werden wolle. Angstvoll wartet Sophie in der Hochzeitsnacht, was auf sie zukommt, doch ihr Mann berührt sie nicht. Erleichtert erzählt Sophie ihm ihre Geschichte. Sartine meint, er könne möglicherweise den Unbekannten ausfindig machen, der ihre Mutter auf den Scheiterhaufen gebracht hatte, denn von dem Gerichtsverfahren müssten noch Akten existieren. Zwar sorgt er liebevoll für sie, aber er scheut sich, mit ihr allein zu sein, nimmt wohl aus diesem Grund sonntags einen Kostesser auf und versucht nie, die Ehe zu vollziehen. (Später begreift Sophie, dass er impotent ist.)

Wütend über Sophies Verhalten zerreißt Diderot das Manuskript „Die Prinzessin Mirzoza und der Sultan Mongagul“ und schreibt stattdessen ein anderes Märchen über die beiden orientalischen Märchenfiguren: „Die geschwätzigen Kleinode“.

Zwei Jahre später entdeckt Sophie auf einer Kommode das Buch, in dem ihr Mann seit einiger Zeit ständig blättert. Der Titel lautet „Die geschwätzigen Kleinode“. Neugierig schlägt sie die erste Seite auf. Entsetzt merkt sie, dass das Märchen zwar von Sultan Mongagul und Prinzessin Mirzoza handelt, aber keine Liebesgeschichte ist. Mongagul erhält von dem Zauberer Cucufa einen Wunderring, mit dem er die „Kleinode“ der Frauen zum Sprechen bringen kann. Weiter kommt Sophie nicht: Sie wird von ihrem Mann ertappt, der ebenfalls nicht ahnte, dass sie lesen kann. Verwirrt über die Veränderung des Märchens stammelt sie: „Die Geschichte gehört mir. Er hat sie mir doch geschenkt …“ Da ist es für Sartine ein Leichtes, von ihr auch den Namen des Autors dieses schweinischen Buches zu erfahren, nach dem er schon lange gefahndet hat. Wegen Verbreitung sittengefährdender Schriften wird Diderot am 24. Juli 1749 verhaftet.

In Beaulieu lässt Sartine sich von Abbé Morel die Akten über das Gerichtsverfahren gegen Madeleine Volland im Jahr 1740 vorlegen. Erschrocken stellt er fest, um wen es sich bei dem Belastungszeugen handelte. Wieder in Paris, lügt er seiner Frau vor, das Kirchenarchiv sei abgebrannt und seine Reise deshalb vergeblich gewesen.

Während seiner Abwesenheit erfuhr Sophie, dass Denis Diderot wegen eines unzüchtigen Buches eingesperrt wurde. Zur Rede gestellt, gibt Sartine zu, die Verhaftung veranlasst zu haben. Sophie ist entsetzt, denn sie selbst nannte ihm den Namen des Autors. Es kommt zu einem heftigen Streit. Als Sartine seine Frau verdächtigt, mit Diderot herumgehurt zu haben, verlässt sie ihn.

Rousseau besucht seinen Freund Diderot im Gefängnis und erzählt ihm, er wolle sich an einem Aufsatzwettbewerb der Académie Dijon beteiligen. Thema sei die Frage, ob der Fortschritt der Wissenschaften und Künste zur Verderbnis oder zur Läuterung der Sitten beigetragen habe. Natürlich werde er im Sinne des Fortschritts schreiben. Darauf entgegnet Diderot: „Jeder Esel, der sich an dem Wettbewerb beteiligt, wird in die Fanfare des Fortschritts stoßen. Wo ist da der Witz? Wenn du den Preis gewinnen willst, musst du eine Partei ergreifen, die sonst keiner einnimmt.“ Und er formuliert die These: „Wirklicher Fortschritt ist nichts anderes als die Wiederherstellung der Dinge in ihrem Naturzustand.“

Um nicht länger eingesperrt zu bleiben, unterschreibt Diderot ein Geständnis und verspricht zukünftiges Wohlverhalten. Am 3. November 1749 wird er entlassen. Er trennt sich von Madame de Puisieux, bleibt zwar bei seiner Frau, trifft sich von nun an aber täglich mit Sophie, die ihre Anstellung im Café „Procope“ aufgibt, um als Zofe im Haus von François-Abel Poisson zu arbeiten. Der Bruder der Marquise de Pompadour ist Generalinspektor für das Bauwesen und die Künste in Paris. In ihrer Freizeit hilft Sophie ihrem Liebhaber bei der Herausgabe der Enzyklopädie, kopiert Manuskripte, korrigiert Druckfahnen, exzerpiert wissenschaftliche Werke und schreibt schließlich selbst Artikel – natürlich unter männlichen Pseudonymen. Den Aberglauben ihrer Kindheit hat sie überwunden. Die Subskription für die geplante Enzyklopädie verläuft so erfolgreich, dass Le Bréton die Auflage erhöht. Am 28. Juni 1751 beginnt die Auslieferung des ersten Bandes der „Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une société des gens de lettres“. Rousseau ärgert sich, weil Diderot und d’Alembert ihn nicht das Vorwort schreiben ließen.

Statt des albernen Fortschrittswahns, der nun darin gepriesen wurde, hätte er der Menschheit die Wahrheit verkündet: dass alles, was die Gesellschaft je hervorgebracht hatte, nun gegen die Natur missbraucht wurde. (Seite 243)

Einem Beitrag von Abbé de Prades fügt Sophie einen Satz hinzu: „Die Wunder der Bibel können nur historische Wahrheit beanspruchen; selbst die wundersamen Heilungen Jesu Christi haben keine wirkliche Wunderkraft […]“ Obwohl Diderot die Gefährlichkeit einer solchen Aussage erkennt, akzeptiert er die redaktionelle Änderung. Antoine Sartine, der inzwischen Sekretär des Generalleutnants geworden ist, durchschaut das System der Enzyklopädisten: Artikel mit verdächtigen Titeln geben unanfechtbare Lehrmeinungen wieder, harmlos aussehende Beiträge, zu denen die Leser durch ein ausgeklügeltes Verweissystem geleitet werden, beinhalten dagegen revolutionäre Thesen. Als er in dem am 1. Januar 1752 veröffentlichten zweiten Band der Enzyklopädie den Artikel mit der Verleugnung von Wundern entdeckt, erinnert er sich daran, dass de Prades bereits in seiner Dissertation den christlichen Glauben verunglimpft hatte. Das war nur nicht aufgefallen, weil die Professoren an der theologischen Fakultät der Sorbonne die Arbeit nicht gelesen hatten. Aufgrund des neuen Artikels erreicht Sartine, dass die Sorbonne de Prades den Doktortitel aberkennt. Die Jesuiten verbreiten das Gerücht, dass der Autor zu einer groß angelegten Verschwörung gehöre. Der Erzbischof von Paris verdammt am 29. Januar die Enzyklopädie und lässt Plakate anschlagen, auf denen die Wunder Jesu ausdrücklich bestätigt werden. Um das Geschäft zu retten, lässt Le Bréton sich beim obersten Zensor melden, aber der empfängt ihn nicht. Stattdessen erlässt er am 7. Februar eine Ratsverfügung über das Verbot der Enzyklopädie. Heimlich setzt Malesherbes sich jedoch für die Enzyklopädie ein: Weil er Diderot am 25. Februar vor einer von ihm selbst angeordneten Hausdurchsuchung warnt, kann dieser alles belastende Material beseitigen, bevor einige Stunden später Antoine Sartine bei ihm erscheint.

Als die Marquise de Pompadour wieder einmal ihren Bruder besucht, bittet Sophie die königliche Mätresse, sich für eine Aufhebung des Verbots einzusetzen. Inspiriert von Diderots orientalischem Märchen „Die geschwätzigen Kleinode“ hat die Pompadour inzwischen im Versailler Hirschpark ein kleines Bordell exklusiv für den König eingerichtet. Als Gegenleistung für ihre Unterstützung verlangt sie von Sophie, in den Pavillon zu ziehen, doch dazu ist diese aus Liebe zu Diderot nicht bereit. Gerührt beschließt die Pompadour, sich dennoch für die Enzyklopädie zu verwenden und wartet auf eine Gelegenheit dazu. Die ergibt sich bei einem Souper in Versailles, als der König erzählt, er sei von einem Jagdausflug erschöpft und enttäuscht, weil seine Büchse Ladehemmung hatte, gerade als er einen kapitalen Zwölfender hätte erlegen können. „Da benutze ich täglich ein Gewehr“, fährt er fort, „ohne wirklich zu wissen, wie es funktioniert.“ Niemand am Tisch kann es ihm erklären. Die Marquise de Pompadour antwortet: „Was wollen Sie, Sire? Ist es mit dem Puder, den wir Frauen täglich gebrauchen, etwa anders? Auch wir sind ahnungslos, wie er sich zusammensetzt und seine Wirkung entfaltet.“ Nach einer Weile meint sie: „Wie nützlich wäre es doch, wenn man solche Dinge irgendwo nachschlagen könnte.“ Auf ein Zeichen von ihr werden die beiden Bände der Enzyklopädie hereingebracht, und Ludwig XV. stellt fest, dass sich die gestellten Fragen mit Hilfe der Bücher beantworten lassen. Daraufhin sorgt er dafür, dass die weiteren Bände der Enzyklopädie vorbereitet werden können.

Trotz des glimpflichen Ausgangs lehnt Diderot eine weitere Mitarbeit seiner Geliebten an dem Projekt ab. Darüber kommt es zwischen ihm und Sophie zum Streit. Als er ihr gesteht, die Enzyklopädie sei ihm wichtiger als alles andere auf der Welt, verschweigt sie ihm, dass sie schwanger ist und verlässt ihn.

Als Vorleserin der Maitresse en titre kommt sie 1754 mit ihrem kleinen Sohn Dorval an den Hof von Versailles. Diderots Briefe schickt sie ungeöffnet zurück. Er fährt zwar fort, ihr weiterhin täglich zu schreiben – aber er schickt die Briefe nicht mehr ab.

Am 5. Januar 1757 wird Ludwig XV. bei einem Anschlag mit einem Messer leicht verletzt. Sartine, der inzwischen Untersuchungskommissar geworden ist, leitet die Ermittlungen gegen den Attentäter Robert Damiens, bei dem es sich um einen früheren Leibdiener Monsieur Poissons handelt, der vor Jahren verschwunden war und damals offenbar nicht nur Tafelsilber, sondern auch einen von Sophie entliehenen Band der Enzyklopädie gestohlen hatte. Das gibt Sartine die Möglichkeit, einen Zusammenhang zwischen der Enzyklopädie und der Tat herzustellen und erneut auf die Gefährlichkeit der Veröffentlichung hinzuweisen. Um die öffentliche Folterung und Vierteilung Damiens‘ am 28. März 1757 auf der Place de Grève bequem verfolgen zu können, mietet Madame de Pompadour eine Etage in einem Bürgerhaus, und sie besteht darauf, dass auch Sophie mitkommt. Als Folge des Attentats werden die Gesetze gegen aufrührerische Schriften verschärft. Dennoch kann im November der siebte Band der Enzyklopädie erscheinen.

Nach heftigen Angriffen Rousseaus gegen einen seiner Artikel in der Enzyklopädie legt d’Alembert im Januar 1758 das Amt des Herausgebers nieder.

Ein Jahr später, am 23. Januar 1759, wird die Enzyklopädie vom französischen Parlament verboten, am 4. März von der Kurie auf den Index gesetzt, und am 3. September droht der Papst jedem Leser der Enzyklopädie mit der Exkommunikation. Malesherbes hebt die Druckerlaubnis offiziell auf, genehmigt jedoch eine „Sammlung von tausend Tafeln über die Wissenschaften, die Freien Künste und die Technik“, wohl wissend, dass es sich dabei um die geplanten Tafelbände der Enzyklopädie handelt. Heimlich arbeitet Diderot auch weiter an den Textbänden.

Die Pompadour erfüllt einen Wunsch de Malesherbes‘ und macht ihn mit Sophie bekannt. Der oberste Zensor hat zwar eine Familie auf dem Land, aber in Versailles gehört es zum guten Ton, auch mit einer Mätresse gesehen zu werden. Nachdem sie 1759 ein Paar geworden sind, erzählt Sophie ihrem Liebhaber von ihrer Kindheit in Beaulieu. Mit starrer Miene hört er ihr zu.

Weil Malesherbes den inzwischen achtjährigen Sohn seiner Mätresse adoptieren möchte, versucht er, Antoine Sartine, der noch immer rechtmäßig mit ihr verheiratet ist, zur Ehescheidung zu überreden. Der Kommissar, der nach dem Fehlschlag der Hausdurchsuchung bei Denis Diderot Verdacht geschöpft und eine Akte über seinen Vorgesetzten angelegt hatte, weigert sich, und als Malesherbes ihm droht, offenbart er ihm, dass er weiß, wer 1740 in Beaulieu als Belastungszeuge gegen Madeleine Vollant aufgetreten war. Um Sartine zu besänftigen, setzt Malesherbes sich dafür ein, dass er am 24. November 1759 zum Polizeipräfekten von Paris ernannt und zugleich in den Adelsstand erhoben wird.

Doch er kann nicht verhindern, dass Sartine Sophie in einem Brief mitteilt, wer Schuld an der Verurteilung ihrer Mutter war: Chrétien de Malesherbes de Lamoignon. Sophie kann es kaum glauben und stellt ihren Liebhaber zur Rede. Zerknirscht gibt er alles zu. Da schreit Sophie: „Sie haben den Aberglauben der Menschen missbraucht, ihre Unwissenheit, die Gesetze, alles, um meine Mutter auf den Scheiterhaufen zu bringen? Nur weil sie Ihre Gefühle verletzt hatte, Ihren Stolz, Ihre Eitelkeit …“ Malesherbes stammelt: „Ich habe versucht, das Schicksal zu korrigieren. Aber … es war ein schrecklicher Irrtum. Niemand kann das Schicksal korrigieren … Das Schicksal ist stärker.“ Sophie trennt sich von ihm. Im Oktober 1763 ersucht Malesherbes um seinen Abschied. Zur gleichen Zeit fällt sein Vater in Ungnade und demissioniert ebenfalls. Maupéou, der neue Kanzler, ernennt Sardine als Nachfolger Malesherbes zum Direktor der Hofbibliothek und obersten Zensor.

Madame de Pompadour stirbt am 15. April 1764. Aus Dankbarkeit hinterlässt sie Sophie eine Pension, die es ihr ermöglicht, für sich und Dorval ein kleines Haus in Paris zu mieten.

Inzwischen wurden die ersten Tafelbände der Enzyklopädie ausgeliefert. Le Bréton macht das Geschäft seines Lebens. Sophie ahnt, dass die Artikel in den Textbänden entschärft werden müssen, um die Enzyklopädie zu retten. Weil sie weiß, dass Diderot zu keinen Kompromissen bereit wäre, schlägt sie dem Verleger vor, die druckfertigen Artikel heimlich nochmals zu überarbeiten.

Sie musste die Vollkommenheit des Werkes zerstören, Worte der Wahrheit und der Vernunft für immer auslöschen, um das Ganze vor der Vernichtung zu bewahren. (Seite 475)

Beim Überfliegen eines seiner eigenen Artikel auf einem fertigen Druckbogen fällt Diderot 1764 auf, dass sein Text abgeändert wurde. „Sie haben mein Werk verfälscht, verstümmelt, kastriert!“, wirft er Le Bréton vor, denn er verdächtigt den Verleger, aus kommerziellem Eigeninteresse gehandelt zu haben. Deprimiert wirft er die Arbeit hin.

In einem Vorort von Paris lagert Le Bréton die fertig gestellten restlichen Textbände ein, bis er 1766 alle zehn in ganz Frankreich auf einen Schlag ausliefern kann. Vorsichtshalber gibt er als Drucker die Werkstatt von Samuel Fauche & Compagnie in Neuchâtel an, damit es so aussieht, als handele es sich um einen Import aus der Schweiz. Bevor Kirche und Polizei etwas davon merken, hat er fast alle Exemplare an den Mann gebracht. Doch als er im April zwanzig Partien persönlich nach Versailles bringt, wird er verhaftet und in die Bastille gesperrt. Trotz des Konflikts wegen der heimlichen Korrekturen setzt Diderot sich für den Verleger ein, bis er wieder freigelassen wird.

Aus Rache verrät Sartine Diderot, dass Sophie die Artikel entschärft hatte. Malesherbes klärt ihn jedoch darüber auf, dass dies nicht aus Bosheit geschehen war, sondern um das Werk zu retten. „… eines habe ich in den Jahren dieses misslichen Amtes gelernt: Wenn es eine Zensur geben muss, aus welchen Gründen auch immer, ist es das Beste, sie wird durch einen Gegner der Zensur ausgeübt.“ Sophie habe die Enzyklopädie über ihre Liebe zu Diderot gestellt. Der will zunächst nichts davon wissen und begibt sich nach Jahren zum ersten Mal wieder ins Café „Procope“, um dort eine Tasse Schokolade zu trinken. Er wird von einem jungen Mädchen bedient, das von der Bekömmlichkeit der Schokolade schwärmt und dabei ein paar Zeilen aus der Enzyklopädie zitiert, die ihr der Besitzer des Cafés vorgelesen hat. Da begreift Diderot, „dass alles, was wir tun, um gegen das Elend und die Dummheit und die Not anzukämpfen, und sei es noch so unvollkommen, doch besser ist, als gar nichts zu tun.“ Er eilt zu Sophie, die gerade mit ihrem Sohn auf die Postkutsche wartet, um Paris für immer zu verlassen und versöhnt sich mit ihr.

Einige Jahre nachdem der Jesuitenorden in Frankreich aufgelöst wurde, legt Radominsky sein Amt als Beichtvater der Königin nieder und zieht sich in das Kloster Jasna Góra bei Krakau zurück. Dort wartet er ungeduldig auf die neuen Bände der Enzyklopädie. Ursprünglich hatte Le Bréton acht Text- und zwei Tafelbände angekündigt. Daraus werden bis 1772 siebzehn Textbände und elf Bände mit Illustrationen. Radominsky sieht ein, dass er das Werk nicht verhindern konnte, weil das Streben der Menschen nach Wissen und Wahrheit in der Schöpfung angelegt ist wie das Wachstum der Körper.

Diderot stirbt am 31. Juli 1784.

Knapp zehn Jahre später begibt sich Sophie zum Gefängnis von Port Libre in der Vorstadt Saint-Jacques. Den Passierschein für die Fünfundsechzigjährige hat ihr mittlerweile von den Jakobinern zum Kommissar für Bildung und Erziehung ernannter Sohn Dorval besorgt. Nach einem Vierteljahrhundert stehen Sophie und Malesherbes sich erstmals wieder gegenüber. Weil er Ludwig XVI. 1793 vor dem Revolutionstribunal verteidigt hatte, wurde er im Jahr darauf wegen „Verschwörung gegen die Freiheit des französischen Volkes“ zum Tod verurteilt. Er hat ausdrücklich um Sophies Besuch gebeten, damit er sie vor seiner Hinrichtung am 22. April 1794 um Vergebung bitten kann.

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In Denis Diderots Leben gab es tatsächlich eine Frau namens Sophie Volland, doch außer ein paar von ihm an sie gerichteten Briefen ist nichts von ihr überliefert. Diderot, d’Alembert, Le Bréton, Rousseau, Madame de Pompadour, Antoine Sartine, Chrétien Guillaume Lamoigne de Malesherbes – es hat sie alle gegeben; Peter Prange bettet historische Fakten in eine fiktive Geschichte ein.

Der historische Roman „Die Philosophin“ bringt den Leserinnen und Lesern auf unterhaltsame Weise das Gedankengut der Aufklärung näher. Die Forderung der Enzyklopädisten nach dem irdischen Glück erscheint heute wie eine Selbstverständlichkeit, doch im 18. Jahrhundert wurde noch versucht, die Armen und Notleidenden auf das Paradies im Jenseits zu vertrösten, denn die Herrschenden und die Aristokraten wollten ihre Privilegien nicht durch gesellschaftliche Veränderungen gefährden.

Die ungeheure Stofffülle hat Peter Prange in „Die Philosophin“ auf wohl durchdachte Weise geordnet: Elegant führt er die Figuren und Themen ein; nahtlos fügen sich die einzelnen Episoden zusammen, und der Autor erzählt die Geschichte trotz der Komplexität klar und geradlinig. Durch Andeutungen und Szenenwechsel im richtigen Augenblick baut er Spannung auf. Wenn er philosophische Gedanken aufgreift oder beispielsweise konkrete Lebensbedingungen im 18. Jahrhundert beschreibt, verpackt er das in farbigen, kraftvollen Szenen und konfliktträchtigen Dialogen.

Ein Mädchen vom Land ohne Schulbildung schreibt und redigiert Artikel für die Enzyklopädie, also für eines der anspruchsvollsten wissenschaftlichen Werke des 18. Jahrhunderts. Ist das plausibel? Die Frage vergisst man rasch, wenn man von diesem fulminanten, temporeichen und atemberaubenden historischen Roman gepackt wird.

„Die Philosophin“ ist der zweite Teil einer von Peter Prange geplanten Trilogie, die er mit dem im Barockzeitalter in Rom spielenden Bestseller „Die Principessa“ begann. Im September 2005 erschien der dritte Roman – „Die Rebellin“ –, der Mitte des 19. Jahrhunderts in London spielt und den grenzenlosen Fortschrittsglauben zu Beginn des technischen Zeitalters thematisiert.

Peter Prange (*1955) promovierte nach dem Studium der Romanistik, Germanistik und Philosophie mit einer Arbeit zur Sittengeschichte der Aufklärung. Er lebt als freier Schriftsteller in Tübingen.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003
Textauszüge: © Droemer Verlag

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