Peter Prange : Miss Emily Paxton

Miss Emily Paxton
Originalausgabe: Miss Emily Paxton Droemer Verlag, München 2005 ISBN 3-426-19656-5, 559 Seiten Knaur-Taschenbuch: Die Rebellin München 2007 SIBN 978-3-426-63160-7, 559 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der Bauernsohn Joseph Paxton bringt es zum Gärtner und Eisenbahndirektor. 1850 entwirft er für die geplante Weltausstellung in London eine riesige Halle aus Gusseisen und Glas, den "Kristallpalast". Seine Tochter Emily teilt mit ihm den Glauben an den technischen Fortschritt. Ihr Jugendfreund Victor, der Sohn einer Wäscherin, will auch die Welt verbessern, doch weil er den Kapitalismus von der anderen Seite her kennt, setzt er dabei auf die Arbeiterbewegung ...
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Kritik

Es ist Peter Prange gelungen, eine Geschichte mit einer komplexen, spannenden Handlung zu erzählen und dabei ein eindrucksvolles Panorama der viktorianischen Gesellschaft zwischen den Polen Fortschrittsglaube und Kapitalismus entstehen zu lassen: "Miss Emily Paxton".
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Seit Mitte der Zwanzigerjahre des 19. Jahrhunderts arbeitet Joseph Paxton in Chatsworth als Gärtner für den Herzog von Devonshire und baut Gewächshäuser. Im Gegensatz zu seiner drei Jahre ältere Ehefrau Sarah stammt er aus ärmlichen Verhältnissen. Aber durch die Gunst des Herzogs bringt er es zum Verwalter und schließlich zum Direktor der Midland-Eisenbahngesellschaft.

Seine 1827 geborene Tochter Emily – eines von acht Kindern – bewundert ihn und glaubt wie er an den technischen Fortschritt.

Als Emily Paxton 1849 in London eine Druckerei sucht, die einige von ihr angefertigte Zeichnungen von Seerosen detailgenau wiedergeben kann, stößt sie unerwartet auf den unehelichen Sohn einer inzwischen verstorbenen Wäscherin, mit dem sie in ihrer Kindheit befreundet war: Victor Springfield.

Weil der Junge bei einem Besuch von Königin Victoria, Prinz Albert und Feldmarschall Wellington 1843 in Chatsworth auf ein Gewächshaus geklettert war, um Rosenblüten auf Emily regnen zu lassen, hatte ihn Joseph Paxton fortgejagt. Victor absolvierte in London eine Lehre als Drucker und arbeitete außerdem in einer Ziegelei, weil sonst das Geld für die medizinische Behandlung seiner kranken Mutter nicht gereicht hätte. Gerade verbüßte er eine Haftstrafe von über 19 Monaten, weil er während eines Streiks einem Polizisten den Arm gebrochen hatte. Nun arbeitet er in der Druckerei des Säufers Jeremy Finch. Sein Kollege Robert gehört zu den Anhängern von Joseph Raynor Stephens, der die Arbeiter zum gewaltsamen Aufstand gegen die Kapitalisten aufruft. Victor und sein vierzehn oder fünfzehnjähriger Freund Toby haben vor, sich den Chartisten anzuschließen, einer in den Dreißigerjahren entstandenen Arbeiterbewegung, die eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Werktätigen fordert. Die beiden sparen bereits eifrig für die Aufnahmegebühr – und werden schwer enttäuscht, als sich herausstellt, dass der irische Chartisten-Führer Feargus O’Connor die eingesammelten Gelder seiner Anhänger veruntreut hat.

Trotz des Standesunterschieds fühlt Emily Paxton sich nach wie vor zu Victor hingezogen. Davon dürfen ihre Eltern nichts wissen. Die würden sie gern als Ehefrau von Henry Cole sehen, einem einundvierzig Jahre alten Sekretär der Society of Arts, der Joseph Paxton von der Idee einer internationalen Industrie- und Gewerbeausstellung in London begeistert hat. Emily Paxton ahnt nicht, dass Cole verheiratet ist. Seine Frau Marian ist an Tuberkulose erkrankt und möchte, dass ihr Mann sich bereits vor ihrem Tod nach einer Ersatzmutter für die acht Kinder umschaut.

Am 13. März 1850 wird ein internationaler Wettbewerb für die Halle ausgeschrieben, die für die geplante Weltausstellung im Hyde Park errichtet werden soll. Keiner der eingereichten Entwürfe gefällt der Jury. Um das gefährdete Projekt zu retten, macht Joseph Paxton sich Gedanken über eine Halle aus Gusseisen und Glas. Sein Konzept überzeugt die Mitglieder einer königlichen Kommission, die daraufhin beschließt, die Halle nach seinen Vorstellungen zu bauen.

Nach der Enttäuschung durch den Chartistenführer nehmen sich Victor und Toby vor, als Heizer und Küchenjunge auf der „Liberty“ oder einem anderen Schiff nach Amerika auszuwandern. Doch bevor ihnen das Vorhaben gelingt, kommt Toby ums Leben. Er ist bei seinem früheren Kollegen Richard verschuldet, weil er so gern Bratfisch isst und hin und wieder zu der Prostituierten Fanny geht. Als Toby seine Schulden nicht tilgen kann, erpresst Richard ihn, in Victors Namen in drei verschiedenen Apotheken bestimmte Chemikalien zu besorgen. Daraus mischt ein französischer Revolutionär Nitroglyzerin für einen Sprengstoffanschlag auf Anlagen der Midland-Eisenbahngesellschaft. Die Explosion tötet den Franzosen, und Toby wird von den Wachmännern erschossen, die Joseph Paxton aufgestellt hat. Victor, der Toby heimlich gefolgt ist und ihn sterben sieht, schwört Rache.

Cole verlobt sich zwar mit Emily Paxton, aber nur inoffiziell, und er begründet das damit, dass niemand wissen dürfe, dass einer der Organisatoren der Weltausstellung und der Architekt der Ausstellungshalle eine private Beziehung haben.

Über zweitausend Arbeiter der Firma Fox & Henderson sind 1850/51 an der Baustelle im Hyde Park im Einsatz. Victor lässt sich als Hilfskraft einstellen. Auf diese Weise, hofft er, werde er eine Gelegenheit finden, den Bau zu sabotieren, die Weltausstellung zu verhindern und Joseph Paxton zu ruinieren. Den Mann, der ihn aus Chatsworth vertrieben hatte und Wachleute auf seinen Bahnanlagen aufstellte, macht er für Tobys Tod verantwortlich. – Doch es kommt ganz anders: Als die Arbeiter gegen mehrmals angehobene Leistungsnormen protestieren, verhindert ausgerechnet Victor durch geschickte Verhandlungen einen Streik.

Emily Paxton entdeckt Victor zufällig auf der Baustelle. Kurze Zeit später beobachtet Sarah Paxton einen Kuss er beiden. Daraufhin drängt sie ihren Mann, Victor hinauszuwerfen. Als Emily das erfährt, will sie ihren Verlobten überreden, Victor eine Stelle zu geben und sucht Cole deshalb zum ersten Mal in seiner Privatwohnung in London auf. Dabei findet sie heraus, dass er in einem armseligen Hinterhaus wohnt, verheiratet ist und acht Kinder hat. Noch entsetzter ist sie, als sie ihren Eltern darüber berichtet und begreift, dass diese über Coles Familienverhältnisse Bescheid wussten.

Aus Verärgerung über ihre Eltern bleibt Emily Paxton der Eröffnung der Weltausstellung am 1. Mai 1851 in dem von ihrem Vater gebauten „Kristallpalast“ fern. Angeblich verbringt sie ein paar Wochen bei ihrer Tante Rebecca in Manchester. Tatsächlich ist sie mit Victor zusammen, lässt sich von ihm im Elendsviertel von London herumführen und hält die Not der Menschen auf eindrucksvollen Zeichnungen fest, die von der Zeitung „Northern Star“ veröffentlicht werden. Obwohl man ihr für eine Zeichnung so viel Geld bietet, wie ein Hafenarbeiter in zwei Tagen verdient, nimmt sie kein Honorar an, sondern beginnt stattdessen als Arbeiterin in einer Weberei und Baumwollspinnerei zu arbeiten. Im Oktober wollen Emily und Victor genügend Geld gespart haben, um auf einem Frachter nach Amerika auswandern zu können.

Vorher wollen sie noch auf der Weltausstellung darauf aufmerksam machen, dass die ausgestellten Wunderwerke der Technik nur dazu dienen, die „Kuchenesser“ auf Kosten der „Steckrübenesser“ noch reicher zu machen. Sie planen, durch die gezielte Sprengung einer Dampfleitung das Innere des „Kristallpalastes“ in Nebel zu hüllen und zugleich 1000 Flugblätter von der Galerie zu werfen.

Um den Anschlag durchführen zu können, lässt Victor sich in der Ausstellungshalle als Heizer anstellen. Emily Paxton stiehlt Aufrisse, Grundrisse und Querschnitte aus dem Büro ihres Vaters. Nachdem ihnen das gelungen ist, lässt Emily sich in dem nachts geschlossenen Kristallpalast von Victor deflorieren.

Auf der Weltausstellung entdeckt Cole einen so genannten Respirator. Das von einem Deutschen erfundene Gerät wird seiner Frau helfen, die Tuberkulose-Erkrankung auszukurieren.

Von einer Geschäftsreise nach Paris kommt Joseph Paxton mit einer Gonorrhoe zurück, und seine Frau sieht sich in ihrer Eifersucht bestätigt.

Als Sarah Paxton herausfindet, dass ihre Tochter mit Victor Springfield zusammen wohnt, passt sie Emily ab und klärt sie darüber auf, dass es sich bei dem Jugendfreund um ihren Halbbruder handele.

Emily Paxton schickt Victor einen Brief, in dem sie ihm geschrieben hat, warum sie sich nicht mehr sehen dürfen.

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In seiner Verzweiflung beschließt Victor, sich am letzten Ausstellungstag während des Besuchs von Königin Victoria und Prinz Albert mit dem Kristallpalast in die Luft zu sprengen. Als Emily ahnt, was er vorhat, dringt sie in den Keller der Ausstellungshalle vor und findet Victor bei einem großen Dampfkessel. Er hat bereits den Druck hochgefahren. Der Kessel droht zu explodieren. Emily Paxton überredet Victor, von seinem Vorhaben abzulassen und die Überdruckventile zu öffnen. Da wird sie plötzlich von hinten gepackt; Robert hält ihr ein Messer an den Hals und zwingt Victor auf diese Weise, einen Nitroglyzerin-Sprengsatz mit Zeitzünder unter dem Kessel zu montieren. Cole kommt dazu. Bei dem folgenden Handgemenge wird Robert erstochen. Victor entschärft die Bombe. Kurz darauf verhaftet ihn die Polizei.

Joseph Paxton verhilft Victor jedoch zur Flucht aus dem Gefängnis und verschafft ihm Papiere auf den Namen Victor Chatsworth sowie eine Schiffspassage auf der „Fortune“ nach Australien. Beim Abschied beteuert er, nicht sein Vater zu sein.

Emily Paxton beabsichtigt, auf der „Discovery“ eine einjährige Forschungsreise nach Südamerika mitzumachen und lässt sich für die Zeichnungen der dabei entdeckten Tiere und Pflanzen vom „Northern Star“ unter Vertrag nehmen.

Dann erfährt sie von ihrem Vater, dass Victor gar nicht mit ihr verwandt ist. Das hat sich ihre eifersüchtige Mutter nur eingebildet. Schweren Herzens verrät Joseph Paxton seiner Tochter, wo sie Victor finden kann. Sie nimmt den Zug nach Plymouth, wo die „Fortune“ noch einmal anlegt. Statt an Bord zu gehen, lässt Emily Paxton unmittelbar vor dem Auslaufen des Schiffes dem Kapitän einen Brief für „Victor Chatsworth“ übergeben, in dem sie ihrem Geliebten mitteilt, sie benötige noch etwas Zeit, um mit sich ins Reine zu kommen und werde ihm dann nach Australien folgen.

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Joseph Paxton (1803 – 1865), den Kristallpalast und die Weltausstellung 1851 in London gab es tatsächlich. Von seiner Tochter Emily Paxton ist allerdings nur der Name überliefert, und die Figur Victor Springfield ist völlig frei erfunden. Einige Szenen sind unglaubwürdig; Redensarten wie „Hat dir jemand ins Gehirn geschissen?“ (Seite 219), „Hast du Scheiße auf den Augen?“ (Seite 236) hat es 1850 bestimmt noch nicht gegeben. Abgesehen von solchen Ausrutschern ist es Peter Prange gelungen, mit großem Einfühlungsvermögen eine fiktive Geschichte mit einer komplexen, spannenden Handlung zu erzählen und dabei ein eindrucksvolles Panorama der viktorianischen Gesellschaft zwischen den Polen Fortschrittsglaube und Manchesterkapitalismus, Wohlstand und Elend entstehen zu lassen. Geschickt spiegelt er die Figuren Joseph Paxton und Victor Springfield: Beide kämpfen für eine bessere Welt, wobei der gesellschaftlich avancierte Unternehmer auf den technischen Fortschritt baut, während der mittellose Proletarier, der den Kapitalismus von der anderen Seite her kennt, auf soziale Veränderungen durch die Arbeiterbewegung hofft.

Mit dem Roman „Miss Emily Paxton“ – die Taschenbuchausgabe trägt den Titel „Die Rebellin“ – hat Peter Prange seine mit „Die Principessa“ und „Die Philosophin“ begonnene „Weltenbauer“-Trilogie eigentlich abgeschlossen, aber er scheint inzwischen eine Erweiterung der Buchreihe zu erwägen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005 / 2008

Joseph Paxton
Kristallpalast
Weltausstellungen

Peter Prange: Das Bernstein-Amulett
Peter Prange: Die Principessa
Peter Prange: Die Philosophin
Peter Prange: Himmelsdiebe
Peter Prange: Der Kinderpapst
Peter Prange: Ich, Maximilian – Kaiser der Welt
Peter Prange: Die Rose der Welt
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Peter Prange: Eine Familie in Deutschland

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