Peter Prange : Das Bernstein-Amulett
Inhaltsangabe
Kritik
Barbara von Ganski vermählt sich an ihrem neunzehnten Geburtstag im Oktober 1944 auf dem Familiengut Daggelin bei Boddenhagen im Landkreis Greifswald mit dem sechs Jahre älteren Physiker und Infanterieleutnant Alexander Reichenbach. Zum Geburtstag schenkt Alex seiner Braut eine Halskette mit einem Bernstein-Amulett, in dem eine Bienenkönigin eingeschlossen ist. Wegen seines „Hochzeitsgeschenks“ kommt es zum Eklat: Statt Uniform trägt er einen Frack und eröffnet Barbara, nicht mehr an die Front zurückkehren zu müssen, sondern an seiner kriegswichtigen Doktorarbeit weiterarbeiten zu dürfen. Albin von Ganski bezichtigt seinen Schwiegersohn daraufhin der Feigheit, und es kommt zu einem ernsten Zerwürfnis zwischen dem jungen Paar und den Eltern der Braut.
Erst als Barbara Anfang Februar 1945 in Greifswald durch einen heimlichen Brief der siebzehnjährigen Gutssekretärin Elisabeth Markwitz erfährt, dass wegen zahlreicher Flüchtlinge auf Daggelin alles drunter und drüber geht, kehrt sie zu ihren Eltern zurück, um ihnen beizustehen. Alex muss ohnehin nach Dresden.
In der Nacht vom 13./14. Februar und am folgenden Tag um die Mittagszeit werfen 773 britische und 311 amerikanische Flugzeuge 3 700 Tonnen Bomben über dem mit 250 000 schlesischen Flüchtlingen überfüllten Dresden ab. Die Flammen verursachen einen Orkan. Zehntausende sterben in dem Inferno [Luftangriffe auf Dresden]. Barbara macht sich große Sorgen um ihren Mann, zumal sie keine Nachricht von ihm erhalten kann, denn die Telefonleitungen in Dresden sind zerstört. In ihrer Verzweiflung wendet sie sich an den unsympathischen SA-Standartenführer Dr. jur. Karl-Heinz Luschnat – der um sie geworben hatte, aber von ihr zurückgewiesen worden war – und bittet ihn, Nachrichten aus Dresden einzuholen. Sie ist froh, als Alex einige Tage später in der Tür steht. Aber seine Eltern – der Bankier Konstantin Reichenbach und dessen Ehefrau Christel, eine frühere Filmschauspielerin – sind ums Leben gekommen.
Zum Entsetzen Barbaras bleibt Alex nur eine Nacht. Er hat sich noch in Dresden zum Frontdienst zurückgemeldet und reist am nächsten Morgen ab. Vergeblich versucht Barbara herauszufinden, was ihn zu diesem unerwarteten Schritt veranlasst hat.
Luschnat hat sich tatsächlich in Dresden nach den Reichenbachs erkundigt und herausgefunden, dass es sich bei Christel Reichenbach um eine Halbjüdin mit Mädchennamen Rosenberg handelte. Aufgrund dessen sieht er eine Chance, Barbara doch noch für sich zu gewinnen: Er rät Albin von Ganski, die Ehe seiner Tochter unter Verweis auf die Rassengesetze annullieren zu lassen. Aber der Gutsherr will nichts davon wissen.
Als die Russen im Frühjahr 1945 nach Boddenhagen vorstoßen, stellt der Gutsverwalter Fritz Broszat einen Treck für die Flucht nach Westen zusammen, dem sich alle Bediensteten anschließen. Nur die Familie von Ganski bleibt auf ihrem Anwesen. Unvermittelt fährt Luschnat im schwarzen Mercedes in den Schlosshof, erklärt Barbara, ihre Ehe sei annulliert und fordert sie zum Einsteigen auf. Als sie sich weigert, will er in seiner Wut und Enttäuschung den Gutsverwalter mit vorgehaltener Pistole zwingen, den abmarschbereiten Treck aufzulösen. Albin von Ganski fällt ihm in den Arm. Ein Schuss löst sich und trifft den Zwangsarbeiter Iwan tödlich. Luschnat lässt die Pistole fallen und rast davon. Hastig werden die Leiche und die Waffe verscharrt, damit die Russen sie nicht finden.
Wie die Vandalen hausen die Russen im Schloss. Zwei von ihnen halten Elisabeth fest, während ein dritter Soldat sie vergewaltigt. Als Albin ins Zimmer kommt, reißt er den Vergewaltiger fort. Der richtet sich auf und zieht seine Pistole. Er hätte den Gutsherrn erschossen, wenn nicht in diesem Augenblick ein etwa dreißigjähriger russischer Major aufgetaucht wäre. Michail Belajew sorgt von da an für Ordnung.
Als Barbara eines Abends auf dem Flügel spielt, nähert er sich ihr und fragt sie auch nach dem Bernstein-Amulett auf ihrem Busen. Sie nimmt es ab, damit er es bewundern kann. Da kommt plötzlich ihre Mutter Hilde herein. Erschrocken lässt Barbara den russischen Offizier stehen und folgt Hilde zu den Schlafzimmern. Dann kehrt sie noch einmal zurück, um das Amulett zu holen. Eh sie sich versieht, liegt sie in Michail Belajews Armen. Zufällig sieht Elisabeth Markwitz, wie der Major mit einem Fuß die Tür zuschiebt.
Albin von Ganski muss den Russen die Wege in der Umgebung erklären. Weil er versucht, sie in die Irre zu führen, bringen sie ihn gefesselt zurück. Ein Kriegstribunal unter dem Vorsitz von Major Belajew tritt zusammen. Um dem Gutsherrn das Leben zu retten, lässt Belajew die Zeugin Elisabeth Markwitz bestätigen, dass der Angeklagte nicht mit den Nationalsozialisten sympathisierte. Barbara atmet auf. Ihr Vater tuschelt kurz mit Elisabeth. Daraufhin verhärten sich deren Gesichtszüge, sie meldet sich noch einmal zu Wort und beschuldigt ihn, den Zwangsarbeiter Iwan umgebracht zu haben. Als Beweis gibt sie die Stelle an, wo die Leiche vergraben ist. Unmittelbar nach Abschluss der Verhandlung wird Albin von Ganski auf dem Schlosshof erschossen.
Nach der Beerdigung ihres Vaters beobachtet Barbara, wie Michail Belajew ans offene Grab tritt, das Bernstein-Amulett küsst und auf den Sarg wirft.
Alex geriet bei Stargard in russische Gefangenschaft und erfährt deshalb nicht, dass seine Frau im Dezember 1945 nach sieben Monaten Schwangerschaft von einem Sohn entbunden wird, dem sie den Namen Christian gibt. Er kann auch nicht wissen, dass es Elisabeth Markwitz inzwischen zur stellvertretenden Leiterin der Bodenreformkommission in Boddenhagen gebracht hat und in dieser Funktion die Enteignung von Daggelin durchsetzt. Hilde und Barbara mit ihrem Säugling müssen vom Schloss in eine Hütte hinter dem Schweinestall umziehen.
Elisabeth Markwitz ist es auch, die Barbara darüber unterrichtet, dass Alex bei einem Fluchtversuch erschossen wurde.
Kurze Zeit später taucht Michail Belajew auf, schaut nach Christian und versichert Barbara, dass Alex noch lebt. Er sei Politoffizier im Arbeitslager in Grasnoworsk gewesen und habe dort mit ihm gesprochen. Alex sei mit zwei anderen Männern geflohen und als Einziger von ihnen durchgekommen. In ihrer Gefühlsaufwallung gibt Barbara sich dem Russen erneut hin, aber am anderen Morgen schickt sie ihn entschlossen fort.
Christian erkrankt noch am gleichen Tag. Der Arzt diagnostiziert Typhus. Elisabeth kommt vorbei, um über die Aufnahme des Kindes ins Krankenhaus zu entscheiden. Die Augen Christians erinnern sie an Michail Belajew, von dem sie seit dem Abend träumt, an dem sie ihn zusammen mit Barbara ertappte. Um sich zu vergewissern, dass Belajew der Vater des Kleinen ist, erkundigt sie sich nach dem Geburtsdatum. Eine Einweisung ins Krankenhaus lehnt sie ab.
Als kaum noch Hoffnung auf eine Genesung Christians besteht, schlägt Barbara sich illegal nach Berlin durch, um Penicillin aufzutreiben, das es im Osten nicht gibt. Susanne („Susi“) Ackermann, eine mollige Prostituierte, der sie auf der Straße begegnet, bringt sie in den „Grünen Kakadu“ zum „größten Schieber von Berlin“. Verblüfft steht Barbara dort vor Karl-Heinz Luschnat. Der legt ein Röhrchen mit Penicillin-Tabletten auf den Tisch und weidet sich an ihrer Verzweiflung, wenigstens sechs davon zu bekommen. Vergeblich bietet sie ihm drei Flaschen alten Cognacs, seine Pistole von damals und sogar ihr Auto an. Stattdessen knöpft er seine Hose auf, zwingt sie auf die Knie und verlangt von ihr, dass sie seinen anschwellenden Penis in den Mund nimmt. Sie glaubt zunächst, das widerliche Geschäft rasch hinter sich bringen zu können, aber dann wird ihr übel und sie erbricht sich. Er beschimpft sie und schlägt nach ihr. Barbara packt die Pistole, schießt auf ihn, greift nach den Tabletten und läuft davon.
Endlich kommt Alex zu ihr zurück. Als sie merkt, wie er sich über das Kind freut, bringt sie es nicht fertig, ihm zu sagen, dass er nicht der Vater ist.
Alex hatte es vom Lager Grasnoworsk bis zum Bahnhof von Cernigow geschafft. Dort ist gerade eine Gruppe deutscher Heimkehrer Zählappell angetreten. Einer der hundert Männer fehlte. Beim zweiten Zählappell reihte Alex sich unbemerkt ein, und als diesmal der Letzte „hundert“ brüllte, wurde Einsteigen befohlen. Der fehlende Mann starb kurz nach der Abfahrt im Waggon, und Alex übernahm den Namen des alleinstehenden Mathematiklehrers aus dem Sudetenland: Joachim Schewesta.
Niemand auf Daggelin erkennt ihn, nicht zuletzt aufgrund seiner während der Kriegsgefangenschaft ausgeschlagenen Schneidezähne sowie seiner gebrochenen und schief zusammengewachsenen Nase. Unter dem Namen Joachim Schwesta heiratet er Barbara zum zweiten Mal. Zweieinhalb Jahre nach Christian bringt sie ihren Sohn Werner zur Welt.
Alex alias Achim schreibt an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald eine Dissertation, mit der er seinen Doktorvater stark beeindruckt. Um die zu erwartende glänzende Universitätskarriere nicht zu gefährden, unterschreibt er widerwillig einen Aufruf gegen die Freilassung der am 17. Juni 1953 verhafteten „Provokateure“ und „Konterrevolutionäre“.
Nach der entscheidenden Besprechung mit seinem Doktorvater kauft er für Barbara eine Kette mit einem Bernstein-Amulett, in dem allerdings keine Bienenkönigin, sondern nur eine Ameise eingeschlossen ist. (Das Bernstein-Amulett, das er ihr zum neunzehnten Geburtstag geschenkt hatte, wurde von den Russen gestohlen, hat Barbara ihm erzählt.) Er muss dafür immerhin vier Monatsgehälter bezahlen. Weil er nicht so viel Geld bei sich hat, hinterlegt er in dem Juweliergeschäft seinen Ausweis als Pfand.
Auf dem Weg zum Bahnhof gerät er in eine Demonstration. Ohne zu überlegen, fällt er einem Polizisten, der mit seinem Knüppel auf einen am Boden liegenden Demonstranten einprügelt, in den Arm. Der Polizist verlangt seinen Ausweis. Achim rennt fort.
Barbara erschrickt, als er ihr das Bernstein-Amulett schenkt, aber sie heuchelt Freude.
Bald darauf kommt sie mit einem Mädchen nieder, das den Namen Tina erhält.
In einer Westberliner Illustrierten entdeckt Elisabeth Markwitz, zu deren Aufgaben die Beobachtung der Propaganda des „Klassenfeindes“ gehört, ein Foto von Alex Reichenbach, der einem Polizisten in den Arm fällt. Zwei Stasi-Beamte nehmen ihn fest. Wegen seiner Flucht aus einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager, Betrugs und anderer Delikte wird er zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht erklärt seine unter falschem Namen erfolgte Eheschließung für ungültig.
Im Rahmen einer Amnestie wird Alex im Herbst 1960 aus der Strafanstalt Kujau entlassen. Gleichgültig nimmt er alles hin: Barbara arbeitet inzwischen als Angestellte auf dem zur LPG „Rotes Banner“ gehörenden Familiengut, Christian war bei der Jugendweihe, und Werner engagiert sich bei den Pionieren. Auch in diesem Jahr erhalten sie wieder ein Weihnachtspaket von Barbaras in Essen lebenden Cousin Richard Westphal. Im Kuchen finden sie einen Zettel mit der Aufforderung, sich in die Bundesrepublik Deutschland abzusetzen. Barbara überredet Alex, mit Tina in den Westen zu gehen. Sie will später mit den beiden Söhnen nachkommen.
Barbaras eitler Cousin Richard steht im Schatten seines fast siebzigjährigen Vaters Alfred Westphal, dem Besitzer der Zeche „Glückauf“, der mit ihm zusammen die Westphal AG in Essen leitet. Aufgrund eines gut begründeten Vorschlags des neuen Mitarbeiters Dr. Alexander Reichenbach beschließt Alfred Westphal den Bau eines Versuchsreaktors und ernennt seinen Verwandten zum Direktor des neuen Unternehmensbereiches Kernenergie / Atomwirtschaft. Alex‘ siebenundzwanzigjährige Halbtagssekretärin Liselotte („Lilo“) Bauer kümmert sich jeden Nachmittag um seine Tochter Tina. Weil Lilo kein Geld dafür nimmt, lädt Alex sie hin und wieder zum Essen ein. Einmal führt sie ihn und seine Tochter zu einem Spaghetti-Essen in eine Pizzeria. Die werden jetzt überall in der Bundesrepublik von Italienern eröffnet. Anschließend bringt Alex sie nach Hause – und hätte sie zum Abschied beinahe geküsst.
Wegen der Flucht ihres Mannes wird Barbara in der LPG zur Melkerin degradiert. Christian muss die Schule verlassen und sich in einer Baubrigade bewähren. Werner beschimpft Republikflüchtlinge wie seinen Vater als Verräter und darf deshalb weiterhin die Schule besuchen.
In Daggelin hat Elisabeth Markwitz ein Waisenheim eingerichtet. Eines Tages lässt Norbert Petzold, der Produktionsleiter der LPG „Rotes Banner“, die Gräber auf dem kleinen Friedhof des Guts leeren, damit dort ein Tiergehege angelegt werden kann. Vor Aufregung bricht Hilde von Ganski am Grab ihres Mannes tot zusammen. Noch am gleichen Tag will Petzold seiner Geliebten Elisabeth Markwitz ein Bernstein-Amulett mit einer eingeschlossenen Bienenkönigin schenken, das er angeblich für sie gekauft hat. Aber sie erkennt es. Da behauptet er, nur einen Scherz gemacht zu haben und gibt zu, dass er es im Grab des erschossenen Gutsherrn fand.
Traurig schaut Barbara sich die Hinterlassenschaft ihrer Mutter an. Dabei ist auch ein Brief ihres Vaters, aus dem Barbara erfährt, dass Elisabeth Markwitz eine illegitime Tochter von ihm ist.
Am 13. August 1961, wenige Tage bevor Barbara mit Christian und Werner ihrem Mann nach Essen folgen will, lässt Walter Ulbricht wegen der rapide angewachsenen Flüchtlingszahlen die Grenze zu den Westsektoren in Berlin abriegeln. Quer durch die Stadt wird eine Mauer errichtet. Michail Belajew sucht Barbara auf, gesteht ihr, sie nie aus den Augen verloren zu haben und versucht, ihr klarzumachen, dass sie ihren Mann aufgrund der Teilung Deutschlands nicht wiedersehen werde. Dennoch lehnt Barbara es ab, ihn nach Russland zu begleiten.
Alex bespricht sich mit Gottfried Maluschke, einem Fluchthelfer, der vorgibt, nicht aus pekuniären Interessen, sondern aus ideellen Motiven zu handeln. In Wahrheit hat er dem rachsüchtigen und inzwischen zum Ministerialdirigenten im Bundesinnenministerium avancierten Karl-Heinz Luschnat versprochen, für eine Fortdauer der Trennung von Alex und Barbara zu sorgen. Maluschke weist Barbara, die inzwischen als Musiklehrerin an der Musikschule der evangelischen Landeskirche in Ostberlin arbeitet, auf eine Stelle hin, von der aus sie auf das zum Bahnhof Friedrichstraße gehörende Gelände klettern und auf einen der anfahrenden Züge springen kann, um über die Grenze nach Westberlin zu kommen. Fast jeden Abend zieht es Barbara zu dem in einem Hinterhof hinter einem Kohlenhaufen versteckten Mauerloch. Einmal glaubt sie sich von einem Mann beobachtet. Plötzlich rennt er an ihr vorbei und schlüpft durch das Loch. Von Bahnhof hört sie die Lautsprecherdurchsage: Gleich wird ein Zug Richtung Westen abfahren. Von dem Beispiel mitgerissen, folgt Barbara dem vermeintlichen Flüchtling – und wird von ihm auf dem Bahngelände festgenommen. Es handelt sich um einen Stasi-Beamten, der sie in eine Falle lockte. Am nächsten Morgen erhält Barbara zu ihrer Verblüffung eine Ausreisegenehmigung für sich und ihre beiden Söhne. Das geschehe im Rahmen der Familienzusammenführung und sei ein Beweis für die humanitäre Einstellung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, erklärt man ihr. Dabei gilt sie offiziell als unverheiratet. Auf dem Weg zum Ausgang begegnet sie Michail Belajew. Leise und unauffällig bedankt sie sich bei ihm.
Sobald Alex von der bevorstehenden Ausreise seiner Frau erfährt, lässt er Lilo den Termin für die geplante Nasenkorrektur in einer Klinik absagen und eröffnet ihr, sie brauche sich von jetzt an nicht mehr um Tina zu kümmern, er habe eine Gymnasiastin gefunden, die das übernehme. Lilo versteht: Die Affäre ist beendet, bevor sie anfing.
Ihrem linientreuen Sohn Werner macht Barbara vor, sich heimlich mit Alex in Stettin treffen zu wollen. Er schöpft keinen Verdacht, als sie zum Bahnhof Friedrichstraße fahren, aber sie macht sich Sorgen um Christian, der kurz vor der Abfahrt des Zuges, für den die Ausreisegenehmigung gilt, noch nicht da ist. Im letzten Augenblick, als Werner gerade begreift, dass die Fahrt in den Westen gehen soll, kommt er gelaufen – aber nur, um sich zu verabschieden. In dieser Nacht war er zum ersten Mal mit seiner Freundin Gisela Lachmund zusammen, und er bringt es nicht fertig, sich von ihr zu trennen. Werner weigert sich ebenfalls, in den Zug einzusteigen. Da bleibt auch Barbara in Ostberlin.
Niedergeschlagen kehrt Alex von Westberlin, wo er seine Familie in Empfang nehmen wollte, nach Essen zurück – und beginnt ein Verhältnis mit Lilo.
Einmal kommt er vorzeitig nach Hause und ertappt seine Tochter mit einigen anderen Jugendlichen im Partykeller. Sie liegt mit einem langhaarigen Typen namens Ingo auf einer Matratze und raucht Haschisch. Als ihr dann auch noch eine Packung Antibabypillen aus der Handtasche fällt, begreift Alex, dass Tina keine Jungfrau mehr ist. Daraufhin bringt er sie gegen ihren Willen in einem Internat unter.
Im Oktober 1970 schenkt Werner seiner Mutter zum Geburtstag das Geld für ein Klavier, das in drei Wochen geliefert werden soll. Um den Betrag zusammenzukriegen, benötigte der Zweiundzwanzigjährige ein Jahr, doch als seine Mutter meint, das viele Geld habe er sich vom Mund abgespart, prahlt er, als Unterleutnant der Nationalen Volksarmee nicht schlecht zu verdienen, und außerdem bekomme er Zulagen. Zulagen? Christian lässt seinem Bruder keine Ruhe, bis er zugibt, die Zulagen für die Ergreifung von Republikflüchtlingen zu bekommen. Barbara, die mit dem DDR-Regime nichts zu tun haben will, lehnt daraufhin die Annahme des Geschenks ab. Frustriert läuft Werner fort.
Obwohl Christian noch immer mit Gisela Lachmund befreundet ist, die inzwischen als Ärztin in der Charité in Berlin arbeitet, lässt er sich auf ein Verhältnis mit Elisabeth Markwitz ein, die es zur Parteisekretärin der Humboldt-Universität gebracht hat und dem Doktoranden vorzeitig nicht nur eine Assistentenstelle, sondern auch ein Apartment im Dozentenwohnheim verschafft. Als sie zum ersten Mal ihre Bluse aufknöpft, bemerkt er zwischen ihren Brüsten ein Bernstein-Amulett mit einer Bienenkönigin.
Hinter den Kulissen verhandelt Luschnat mit Stasi-Oberst Jukureit über die Freilassung von Dissidenten und ihre Abschiebung in die Bundesrepublik. Als Gegenleistung soll die Westphal AG mit westlicher Technologie den Bau eines Atomkraftwerks bei Dresden unterstützen. Außerdem ist Luschnat an Einzelheiten über Machenschaften Konstantin Reichenbachs interessiert, von denen er gerüchtweise erfahren hat.
Im Januar 1971 wird Werner Reichenbach zum Leutnant befördert.
Im Monat darauf erhält Barbara überraschend die Erlaubnis, an einer Musikveranstaltung in Stockholm teilzunehmen. Sie beschließt, die Reise zur Flucht in den Westen zu nutzen. Alex beendet sein Verhältnis mit Lilo, die daraufhin ihre Kündigung einreicht, und fliegt nach Stockholm, um dort seine Frau im Empfang zu nehmen. Michail Belajew verabschiedet sich am Flughafen Berlin-Schönefeld von Barbara: Er ahnt dass sie nicht in die DDR zurückkehren wird. In Stockholm wundert Barbara sich über Alex‘ Nase: Sie sieht wieder gerade aus, wirkt aber irgendwie fremd wie auch die Jackettkronen. Es wird wohl nichts mehr so wie früher sein.
Christian begleitet Elisabeth nach Daggelin, wo sie mit einem Ehepaar aus Leipzig verabredet ist, das ein dreijähriges Mädchen adoptieren möchte. Die zukünftigen Adoptiveltern fragen unter anderem, ob die leiblichen Eltern das Kind nach Verbüßung ihrer Haftstrafe zurückfordern können. Da begreift Christian, dass Elisabeth ihn belogen hat: Angeblich handelt es sich bei den Kindern auf Daggelin um von ihren republikflüchtigen Eltern im Stich gelassenen Sprösslinge; tatsächlich sind es die Kinder politischer Hälftlinge, die gegen den Willen ihrer Eltern zur Adoption freigegeben werden. Aufgebracht trennt Christian sich von Elisabeth. Zum Abschied klärt sie ihn darüber auf, dass sie ein Kind von ihm erwartet.
„Und du bist der Vater! Oder der Cousin! Such es dir aus!“ (Seite 392)
Um seinen Bruder über die erschreckenden Vorgänge auf Daggelin zu unterrichten, sucht Christian ihn auf – und trifft Gisela in Werners Wohnung an.
Aus Frustration darüber, dass Elisabeth ihn belogen und Gisela und Werner ihn hintergangen haben, stürzt Christian sich in eine Party nach der anderen. Er verfügt über Haschisch, das er von seiner Schwester – in Kuchenpäckchen versteckt – geschickt bekommt.
Aufgrund von Zeitungsberichten über die Unterstützung der Nationalsozialisten durch seinen Vater wird Alex gezwungen, die Westphal AG zu verlassen. Endlich gesteht er Barbara, warum er sich im Februar 1945 an die Front meldete. Am Hochzeitstag hatte ihm sein Vater ein versiegeltes Kuvert übergeben, das er nach dem Tod der Eltern öffnete. Aus dem Schreiben erfuhr er nicht nur, dass seine Mutter Halbjüdin war, sondern auch, dass sein Vater mit den Nationalsozialisten paktiert hatte, um sie und ihn vor einer Verfolgung zu schützen. Mit Krediten seiner Bank waren Teile von Vernichtungslagern in Polen errichtet worden. Ohne den Schutz seines Vaters glaubte Alex damals, an der Front sicherer zu sein als in der Heimat. Aber er kommt nicht darüber hinweg, dass er von den Machenschaften seines Vaters bzw. dem Leid der Opfer profitiert hatte.
Barbara überlegt, ob auch sie die Wahrheit sagen soll, beschließt dann aber, ihr Verhältnis zu Michail Belajew weiter zu verschweigen.
Um sich an ihrem Vater zu rächen, verrät Tina ihrer Mutter, dass er ein Verhältnis mit seiner Sekretärin hatte. Barbara will jedoch nicht in der Vergangenheit wühlen.
Elisabeth Markwitz gibt das Mädchen, von sie dem entbunden wird und das sie Barbara nennt, kurz nach der Geburt zur Adoption frei. Sobald sie sich von der Geburt erholt hat, sucht sie Werner auf, der wegen der Republikflucht seiner Mutter aus der Nationalen Volksarmee entlassen werden soll. Sie stellt ihm eine Revision der Entscheidung in Aussicht und verlangt dafür, dass er sie über verdächtige Äußerungen seines Bruders auf dem Laufenden hält. Schließlich sind es aber nicht Werners Informationen, die Christian ins Gefängnis bringen, sondern eine junge Frau namens Cordula, die mit ihm ins Bett geht und dabei herausfindet, dass er in seinem Apartment vorübergehend einen von der Stasi gesuchten Bekannten seines Freundes Sascha Hendersen versteckt hat.
Nach der Verbüßung seiner Haftstrafe soll Christian sich als Arbeiter im Straßenbau bewähren. Im Sommer 1976 darf er unverhofft wieder an die Universität zurück. Er promoviert und erhält schließlich eine Professur an der Humboldt-Universität.
1989 kann er sogar nach Bochum reisen, zu einem Gastvortrag an der Ruhr-Universität. Seine Eltern sind natürlich unter den Zuhörern. Nach dem Applaus entdeckt Alex plötzlich General Michail Belajew und stellt ihn Barbara als seinen Lebensretter vor, denn er ist überzeugt, dass der Offizier bei seiner Flucht damals absichtlich wegschaute.
Werner, der längst mit Gisela verheiratet ist und mit ihr zwei Kinder hat, schlägt die Beförderung zum Oberst aus, weil er aufgrund der politischen Entwicklung befürchtet, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen könnte und er die „gottverdammten Demonstranten“ nicht zusammenschießen will, obwohl sie „alles zerstören, was wir in diesem Land aufgebaut haben“ (Seite 461).
Christian fragt Elisabeth, wo er sein Kind – er weiß nicht einmal, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist – sehen kann, aber sie verweigert ihm jede Auskunft. Aus Wut darüber unterrichtet er seinen Vater über die von ihr veranlassten Zwangsadoptionen, und Alex trifft sich in Königswinter mit dem inzwischen fünfundsiebzig Jahre alten Karl-Heinz Luschnat, um die Information auf diesem Weg an die Bundesregierung weiterzuleiten. (Er ahnt noch immer nicht, dass Luschnat die Pressemeldungen über seinen Vater lancierte.) Obwohl Alex um Vertraulichkeit gebeten hat, gelangen die Nachrichten über das Waisenhaus im Schloss von Daggelin an die Öffentlichkeit. Werner warnt seinen Bruder, man habe ihn als Informanten der Westmedien ermittelt und seine Verhaftung stehe unmittelbar bevor. Gisela bringt ihn zu einem Abschnitt der Bahnstrecke, die von den Zügen langsam durchfahren wird. Christian gelingt es, auf einen Zug in den Westen aufzuspringen.
In der Nacht vom 9./10. November 1989 werden die Grenzübergänge in Berlin geöffnet.
Werner reicht seinen Abschied bei der Nationalen Volksarmee ein und gründet mit Hilfe seines Vaters ein Beratungsunternehmen für den Ost-West-Handel.
Christian kehrt an die Humboldt-Universität in Berlin zurück. Nach der Wiedervereinigung wird er jedoch suspendiert, weil ihn sein früherer Freund Sascha Hendersen als inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi angezeigt hat. Es wird behauptet, dass Elisabeth Markwitz, die im Ministerium für Staatssicherheit den Rang eines Majors hatte, seine Führungsoffizierin gewesen sei und ihm Vergünstigungen verschafft habe.
Tina und Ingo, die bis zur Geburt ihres Sohnes Till im Jahr 1989 eine Schafzucht auf Kreta betrieben, beschließen, ein „stinknormales Spießerehepaar“ zu werden und pachten im sauerländischen Wiblingwerde einen Bauernhof, auf dem sie Obst und Gemüse nach ökologischen Prinzipien anbauen.
Barbara reist nach Berlin und sucht ihre Halbschwester auf, um sich mit ihr zu versöhnen. Elisabeth ist jedoch zu verbittert, um darauf einzugehen. Sie beklagt sich darüber, dass sie erst während des Tribunals im Frühjahr 1945 erfuhr, dass der Gutsherr, für den sie gearbeitet hatte, ihr Vater war. Als Albin von Ganski sich flüsternd für ihre Zeugenaussage bedankte, versprach er, sie als Tochter anzuerkennen. Da begriff sie, dass er sie siebzehn Jahre lang verleugnet hatte, meldete sich in ihrer Wut noch einmal zu Wort und sorgte durch ihre falsche Beschuldigung dafür, dass er erschossen wurde. Zu ihrem Entsetzen erfährt Barbara auch noch, dass Christian mit seiner Tante ein Kind gezeugt hat.
Im Fernsehen wird ein Bericht über die Zwangsadoptionen in Daggelin ausgestrahlt. Christian fährt sofort mit einem Taxi zur Datsche Elisabeths, denn falls sie die Sendung gesehen hat, wird sie versuchen, alle Beweise zu vernichten. Während er auf das Haus zugeht, hört er einen Schuss. Elisabeth verbrannte alle Unterlagen über die adoptierten Kinder, um zu verhindern, dass die inzwischen entstandenen Familien auseinandergerissen werden. Und weil sie damit rechnete, dass man sie unter Druck setzen würde, die in ihrem Kopf gespeicherten Informationen preiszugeben, erschoss sie sich vor dem heimlich aufgenommenen Foto ihrer Tochter. Die Pistole – mit der 1945 der Zwangsarbeiter Luschnat getötet worden war – hatte sie ihrem Dossier über Barbara Reichenbach entnommen. In dem Aktenbündel, in dem Christian auch eine Halskette mit einem Bernstein-Amulett findet, liest er, was Elisabeth im Verlauf von mehr als vierzig Jahren über seine Mutter und die Familie aufgeschrieben hat. Auf diese Weise erfährt er vom Verrat Werners und dass nicht Alex, sondern ein russischer Offizier sein leiblicher Vater ist.
Drei Wochen nach Elisabeths Beerdigung auf dem wieder hergerichteten Friedhof von Daggelin feiert Barbara in der Gaststätte, die seit der Schließung des Waisenhauses im Schloss betrieben wird, ihren fünfundsechzigsten Geburtstag. General Michail Belajew, der auf dem Weg nach Russland ist und seinen Fahrer gebeten hat, einen Umweg über Daggelin zu machen, beobachtet vor seiner Weiterfahrt seinen Sohn, der verspätet und betrunken zu der Geburtstagsfeier torkelt.
Im Saal hält Christian seiner Mutter eine Halskette hin. Verwirrt greift sie nach dem Bernstein-Amulett mit der eingeschlossenen Ameise auf ihrer Brust. Kein Zweifel: Christian hat das Amulett mit der Bienenkönigin in der Hand. Alex fragt verblüfft, wie das sein könne, das hätten doch damals die Russen gestohlen. Dann klärt Christian ihn auch noch darüber auf, dass er nicht sein Vater ist.
Alex verständigt sich schließlich mit Christian darauf, dass er ihn trotz allem als seinen Sohn betrachtet. Am Heiligen Abend 1990 heiraten Alex und Barbara ein weiteres Mal.
Während das vor der Gründung der DDR enteignete Gut Groß-Daggelin in staatlichem Besitz bleibt, erhält Barbara Alt-Daggelin mit dem Schloss zurück. Dort richten sie und Alex ein Heim für Waisenkinder aus den Staaten des ehemaligen Ostblocks ein, das sie nach Elisabeth Markwitz benennen. 1992 verkaufen sie ihren Bungalow in Essen, um ihren Lebensabend zusammen mit den Kindern und Enkeln auf Daggelin zu verbringen. Im Jahr darauf übernehmen Werner und Christian die kaufmännische bzw. pädagogische Leitung des Elisabeth-Markwitz-Heims. Im März 1994 ziehen auch Tina und Ingo mit ihrer Kinderschar nach Daggelin.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)
„Die Geschichte einer Familie aus Deutschland“, so der Untertitel des grandiosen Romans „Das Bernstein-Amulett“, beginnt im Oktober 1944 und endet auf den Tag genau 46 Jahre später. In einem Epilog wird die weitere Entwicklung bis 1994 skizziert.
Vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in Deutschland erzählt Peter Prange die dramatische und spannende Geschichte einer zuerst durch die Folgen des Zweiten Weltkriegs und dann aufgrund der deutschen Teilung wieder zerrissenen Familie. Die Protagonistin Barbara von Ganski steht dabei zwischen ihrem deutschen Mann und dem russischen Vater ihres ersten Sohnes, zwischen Vernunft und Leidenschaft. Geheimnisse, die ihre Familie unterminieren, drängen unaufhaltsam ans Licht.
Peter Prange versteht es, eine in historische Zusammenhänge eingebettete komplexe Geschichte mit einer unglaublichen Fülle von Einzelheiten ergreifend und mitreißend zu gestalten. Er schreibt außergewöhnlich bildhaft und überrascht die Leser alle paar Seiten mit einer unerwarteten Wendung. Leider ist der Roman „Das Bernstein-Amulett“ nicht frei von Klischees. Und ein wenig mehr Lektorierung hätte dem Buch gut getan. Dann wäre aufgefallen, dass Barbara auf Seite 304 die von Mischa auf Seite 297 abgerissene Halskette mit dem Bernstein-Amulett trägt, und es hätten sich einige Stilfehler wie der folgende vermeiden lassen.
Sie […] bekämpfte sein Fieber durch Vollbäder in einer großen Zinkwanne, in die sie Christian alle drei Stunden […] hineintrug und dabei das Wasser vom Fußende aus langsam erkältete. (Seite 161)
Gabi Kubach verfilmte „Das Bernstein-Amulett“ fürs Fernsehen:
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Das Bernstein-Amulett – Regie: Gabi Kubach – Drehbuch: Sue Schwerin von Krosigk und Wilfried Schwerin von Krosigk, nach dem Roman „Das Bernstein-Amulett“ von Peter Prange – Kamera: Thomas Etzold – Schnitt: Ute A. Rall – Musik: Rainer Oleak – Darsteller: Muriel Baumeister, Nadeshda Brennicke, Michael von Au, Merab Ninidze, Nadja Tiller, Walter Giller, Jürgen Hentsch, Ursela Monn, Eva-Maria Hagen, Günther Schramm, Matthias Brandt, Michaela Schaffrath u. a. – 2004; 180 Minuten
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004
Textauszüge: © Scherz Verlag. – Seitenangaben beziehen sich auf eine
Lizenzausgabe der RM Buch und Medien Vertrieb GmbH aus dem Jahr 2003
Peter Prange: Die Principessa
Peter Prange: Die Philosophin
Peter Prange: Miss Emily Paxton / Die Rebellin
Peter Prange: Himmelsdiebe
Peter Prange: Der Kinderpapst
Peter Prange: Ich, Maximilian – Kaiser der Welt
Peter Prange: Die Rose der Welt
Peter Prange: Unsere wunderbaren Jahre
Peter Prange: Eine Familie in Deutschland