Philip Roth : Empörung

Empörung
Originalausgabe: Indignation Houghton Mifflin, Boston 2008 Empörung Übersetzung: Werner Schmitz Carl Hanser Verlag, München 2009 ISBN: 978-3-446-23278-5, 205 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Marcus Messner studiert, um nicht dem blutigen Handwerk seines Vaters nachgehen zu müssen – er ist koscherer Metzger in Newark – und um nicht einberufen zu werden. Auf dem College strebt er danach, Jahrgangsbester zu werden, weil er hofft, nach einem erfolgreichen Studium nicht als Kanonenfutter nach Korea geschickt zu werden, sondern – wenn es sein muss – als Offizier. Seinem Vater raubt die Sorge um den Sohn den Verstand ...
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Kritik

Blut ist in "Empörung" ein Leitmotiv: Die stringent erzählte Geschichte bewegt sich zwischen Schlachtbank und Schlachtfeld. Philip Roth hält einer Gesellschaft den Spiegel vor, die unerfahrene Wehrpflichtige in den Krieg schickt und Nonkonformisten argwöhnisch belauert.
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Marcus („Markie“) Messner ist der einzige Sohn eines koscheren Metzgers in Newark und dessen Ehefrau. Bevor er zweieinhalb Monate nach dem Beginn des Korea-Kriegs (25. Juni 1950) am Robert Treat College in Newark ein Jura-Studium mit Hauptfach Politologie beginnt, arbeitet der Siebzehnjährige sieben Monate lang ganztags in der Metzgerei seines Vaters, die wegen eines in der Nähe eröffneten Supermarkts Kunden verloren hat.

Ich musste die Hühner nicht nur rupfen, sondern auch ausnehmen. Dazu schlitzt man den Hintern ein wenig auf, schiebt die Hand hinein, packt die Eingeweide und zieht sie raus. Eine sehr unangenehme Arbeit. Ekelhaft, widerlich, aber es musste ja getan werden. Das habe ich von meinem Vater gelernt, und ich habe es gern von ihm gelernt: Dass man tut, was zu tun ist. (Seite 12)

Ich war das erste Mitglied unserer Familie, das nach höherer Bildung strebte. (Seite 9)

Obwohl ich mich auf ein Jurastudium vorbereitete, lag mir in Wirklichkeit nicht viel daran, Anwalt zu werden. Ich wusste kaum, was ein Anwalt eigentlich machte. Ich wollte Bestnoten sammeln, ich wollte schlafen, ich wollte nicht mit dem Vater kämpfen, den ich liebte, dessen routinierter Umgang mit den langen, rasiermesserscharfen Klingen und dem schweren Fleischerbeil ihn zum ersten faszinierenden Helden meiner Kindheit gemacht hatte. Immer wenn ich von den Bajonettgefechten gegen die Chinesen in Korea las, stellte ich mir die Messer und Beile meines Vaters vor. Ich wusste, wie mörderisch scharf scharf sein konnte. Und ich wusste, wie Blut aussah: Blut, das am Hals der rituell geschlachteten Hühner verkrustete, das aus Rindfleisch auf meine Hände tropfte, wenn ich ein Rippensteak am Knochen auslöste, das die braunen Papiertüten durchweichte, auch wenn das Fleisch darin in Wachspapier gewickelt war, das in die von zahllosen Beilhieben stammenden Furchen und Kerben des Hackblocks sickerte. Mein Vater trug eine Schürze, die im Nacken und unten am Rücken zugebunden war, und immer war sie blutig, jeden Morgen eine frische Schürze, die nach einer Stunde von oben bis unten mit Blut beschmiert war. Auch meine Mutter war immer mit Blut bedeckt […] Ich war mit Blut aufgewachsen – mit Blut und Fett und Wetzsteinen und Schneidmaschien und amputierten Fingern oder fehlenden Fingergliedern an den Händen meiner drei Onkel ebenso wie denen meines Vaters –, und ich hatte mich nie daran gewöhnt und es niemals gemocht […]
Anwalt werden, das bedeutete für mich vor allem, so weit wie nur möglich davon wegzukommen, mein Arbeitsleben in einer stinkenden, mit Blut beschmierten Schürze verbringen zu müssen – in einer Schürze, die von Blut, Fett und Fetzen von Innereien starrte, weil man sich ständig die Hände daran abwischte. (Seite 37f)

Seit zwei seiner Neffen im Zweiten Weltkrieg fielen, befürchtet der Vater, seinem Sohn könne auch etwas passieren. Aus Sorge überwacht er jeden Schritt von Marcus. Als dieser einmal nach einem langen Tag in der Newark Public Library nach Hause kommt, ist sein Vater auf der Suche nach ihm. Aber statt auf die Idee zu kommen, in der Bibliothek nachzufragen, schaut er im Billardsalon nach, weil ihm der Klempner Pearlgreen erzählte, sein Sohn Eddie sei nach Scranton zum Billardspielen gefahren. Nach zwei Semestern am Robert Treat College hält Marcus die Überwachung nicht länger aus und wechselt zum Winesburg College in Ohio. Um das Studium bezahlen zu können, entlässt sein Vater den Gehilfen Isaac, und die Mutter muss dessen Arbeit übernehmen.

In Winesburg weist man Marcus ein bereits mit drei anderen jüdischen Studenten belegtes Zimmer zu. Im Etagenbett über ihm liegt Bertram Flusser. Der macht sich einen Spaß daraus, Schallplatten mit klassischer Musik aufzulegen, wenn Marcus schlafen will – bis dieser eines Abends eine Platte mit Beethovens Quartett in F-Dur zertrümmert.

Am nächsten Tag ersetzt Marcus die Schallplatte. Aber er sucht sich ein ruhigeres Zimmer, denn er braucht seinen Schlaf, um lernen zu können, zumal er auch noch im New Willard House als Kellner jobbt. Er zieht zu dem Nichtjuden Elwyn Ayers jr., einem ebenso eifrigen wie wortkargen Autonarren im letzten Semester.

Der Besuch des Gottesdienstes ist in Winesburg Pflicht. Unabhängig von der Konfession muss jeder Student vor der Abschlussprüfung mindestens vierzig Mal in den Anwesenheitslisten eingetragen sein. Für Marcus, der an keinen Gott glaubt, ist es kaum erträglich, die Predigten des Baptistenpfarrers Dr. Chester Donehower, des Dekans der Theologischen Fakultät, anhören zu müssen. Um sich abzulenken, sagt er in der Kirche um die hundertmal im Stillen die Nationalhymne der Volksrepublik China auf:

Steht auf! ihr, die ihr nicht Sklaven sein wollt.
Mit unserem Fleisch und Blut
Lasst uns eine neue Große Mauer bauen!
In größter Bedrängnis ist Chinas Volk.
Empörung füllt die Herzen unserer Landsleute.
Steht auf! Steht auf! Steht auf! […] (Seite 76)

Vor allem das Wort Empörung hat es Marcus angetan.

Es gibt in Winesburg eine Reihe von Verbindungen, aber nur zwei davon nehmen Juden auf: Die jüdische und eine konfessionslose Verbindung. Von beiden wird Marcus eingeladen, aber er geht nicht hin, denn er bleibt lieber allein.

Eine Ausnahme macht er für Olivia Hutton, eine attraktive Kommilitonin in seinem Alter, die bei den Vorlesungen in amerikanischer Geschichte vor ihm sitzt. Nachdem sie sich verabredet haben, leiht Marcus sich von Elwyn dessen Oldtimer und fährt mit Olivia in ein Restaurant, in dem er fast die Hälfte seines wöchentlichen Verdienstes bezahlt. Danach hält er auf der Straße am Friedhof, stellt den Motor ab und küsst sie. Olivia erwidert seinen Kuss und wehrt sich auch nicht, als er ihr die Bluse aufknöpft und zaghaft über ihren BH streichelt.

Was dann geschah, gab mir noch wochenlang Rätsel auf. Und selbst als Toten, der ich bin, und zwar seit wer weiß wie lange schon, beschäftigt mich immer noch die Rekonstruktion der Sitten, die damals auf diesem Campus herrschten, und die Rekapitulation der nervösen Bemühungen, mich diesen Sitten zu entziehen, die jene Reihe von Missgeschicken herbeiführten, die zu meinem Tod im Alter von neunzehn Jahren führten. (Seite 53)

Die unerwartete Fellatio verwirrt Marcus, der außer ein wenig Fummeln noch keine sexuellen Erfahrungen mit Mädchen hatte.

Olivias Eltern sind geschieden. Ihr Vater Dr. Tylor Hutton arbeitet als Chirurg in Hunting Valley, einer Vorstadt von Cleveland. Als Marcus ihr gesteht, dass es für ihn das erste Mal war, behauptet sie, vor ihm auch erst einen Jungen mit dem Mund befriedigt zu haben. Und dabei sei sie betrunken gewesen und habe sich anschließend die Pulsadern aufschneiden wollen; das sei ihr allerdings nach zehn Whiskeys missglückt. Sie sei deshalb vom Mount Holyoke College geflogen und habe drei Monate in einer Entzugsklinik verbracht, in der Menninger Clinic in Topeka, Kansas [Alkoholkrankheit]. Die Narbe an ihrem Unterarm ist deutlich zu sehen.

Nachdem Elwyn sich verächtlich über Olivia geäußert hat, zieht Marcus in eine schäbige Dachkammer. Dort ist er wenigstens ungestört.

Kurz darauf erhält er eine Vorladung von Hawes D. Caudwell, dem Dean des College, der wissen möchte, warum er in zwei Monaten zweimal umzog und ihm vorwirft, er sei intolerant und laufe vor Problemen davon, statt sich ihnen zu stellen. Vergeblich beteuert Marcus:

Ich bin kein Unzufriedener. Ich bin kein Rebell […] Ich habe nichts getan, womit ich diese Predigt verdient hätte, ich habe lediglich ein Zimmer gesucht, in dem ich mich ungestört meinen Studien widmen und den Schlaf finden kann, den ich brauche, um meine Arbeit zu tun. Ich habe gegen keine Vorschrift verstoßen. (Seite 98)

Während des Gesprächs, das Marcus nicht zu Unrecht als Verhör empfindet, äußert der Dean den Verdacht, dass Marcus sein Judentum zu verbergen versuche und schneidet das Thema Religion an. Marcus bekennt sich als Atheist und versucht, den Dean mit Argumenten aus einem Essay zu beeindrucken, den Bertrand Russell am 6. März 1927 als Vortrag in der Battersea Town Hall in London gehalten hatte: „Warum ich kein Christ bin“. Caudwell akzeptiert den Friedensnobelpreisträger jedoch nicht als Autorität: Russell sei nicht nur Sozialist und Pazifist, schimpft er, sondern außerdem blasphemisch und sittenlos, ein viermal verheirateter Ehebrecher und Befürworter der freien Liebe. Die Unterredung endet, als Marcus sich erbricht und ein gerahmtes Foto des unbesiegten Winesburger Footballteam von 1924 besudelt.

Das hat nur deshalb keine Folgen, weil Marcus kurz darauf mit einem Blinddarmdurchbruch ins Krankenhaus gebracht werden muss.

Olivia besucht ihn dort am 26. Oktober 1951 als Erste. Marcus hebt die Bettdecke an, zeigt ihr seine Erektion und fordert sie auf, seinen Penis erneut in den Mund zu nehmen. Doch bei der ersten Berührung ihrer Hand ejakuliert er bereits. In diesem Augenblick öffnet die bisher so freundliche Krankenschwester Miss Clement die Tür, murmelt eine Entschuldigung und geht sofort wieder.

Marcus‘ Mutter kommt angereist, nicht nur, weil andernfalls der besorgte Vater die Metzgerei geschlossen hätte und nach Ohio gefahren wäre, sondern auch, um Marcus anzuvertrauen, dass sie bei einem Rechtsanwalt war und nach fünfundzwanzig Jahren Ehe die Scheidung vorbereiten lässt. Eine Scheidung gilt in der jüdischen Gemeinde von Newark als Skandal, aber mit dem Mann, der vor Sorge um seinen Sohn den Verstand zu verlieren droht, hält sie es nicht länger aus.

„Angst, Marcus, Angst dringt ihm aus allen Poren, Wut dringt ihm aus allen Poren.“ (Seite 133)

Die Narbe am Unterarm der neunzehnjährigen Besucherin ihres Sohnes entgeht seiner Mutter nicht. Vor der Abreise am nächsten Tag schaut die Mutter noch einmal vorbei und drängt ihren Sohn zu einem Deal: Sie verzichtet auf die Scheidung und er auf Olivia. Eine junge Frau, die bereits einen Selbstmordversuch hinter sich habe, sei nichts für ihn.

Als Marcus auf die Krankenstation des College verlegt wird, stellt er fest, dass Olivia nicht mehr da ist. Weil niemand ihm verraten will, was geschehen ist, sucht er den Dean auf. Olivia erlitt einen Nervenzusammenbruch, wird in einer psychiatrischen Klinik behandelt – und ist schwanger.

„Eine hilfloe junge Frau, eine zutiefst unglückliche Person, die seit vielen Jahren unter psychischen und emotionalen Problemen leidet und nicht in der Lage ist, sich vor den Gefahren zu schützen, die im Leben einer jungen Frau lauern, ist von jemandem ausgenutzt worden.“ (Seite 167)

Aufgrund des Berichts von Miss Clement wird Marcus verdächtigt, Olivia geschwängert zu haben. Er beteuert, noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, weder mit Olivia noch mit einer anderen Frau, aber der Dean glaubt ihm nicht.

Marcus‘ Zimmer ist verwüstet. Socken und andere Kleidungsstücke sind verklebt und riechen nach Sperma. In seiner Not wendet Marcus sich an Donald („Sonny“) Cottler, den selbstsicheren Vorsitzenden der jüdischen Studentenverbindung, Sohn der Erbin eines Kaufhauses in Cleveland und des Besitzers einer Versicherungsgesellschaft. Als Urheber der Schweinerei verdächtigen sie den homosexuellen Kommilitonen Bertram Flusser. Sonny nimmt Marcus mit ins Verbindungshaus, teilt ihm ein Bett zu und gibt ihm frische Sachen zum Anziehen. Weil er bei einem früheren Gespräch mit Marcus erfahren hat, dass dieser ungern in die Kirche geht, sorgt er dafür, dass sein Verbindungsbruder Marty Ziegler sich bereit erklärt, vierzig Mal für Marcus am Gottesdienst teilzunehmen und für diesen Job statt der üblichen 2 Dollar nur 1.50 Dollar verlangt.

Nach einem Blizzard im November liefern sich die Studenten eine Schneeballschlacht. Weil sie dabei Bier trinken und sich mit leeren Dosen bewerfen, kommt es zu Verletzungen. Der Anblick des in den Schnee getropften Blutes lässt das anfangs harmlose Vergnügen ausarten: Die Studenten stürmen die drei Mädchenwohnheime Dowland, Koons und Fleming Hall, durchwühlen die Schubfächer nach Wäsche und werfen die Höschen, die sie finden, aus den Fenstern. Einige ejakulieren vorher hinein. Weil die Straßen nach dem Schneesturm unpassierbar sind, trifft die Polizei erst nach längerer Zeit ein und beendet den „Großen Weißen Höschenklau vom College Winesburg“ (so die Schlagzeile im „Winesburg Eagle“ am nächsten Tag). Achtzehn Studenten müssen Winesburg verlassen, und den übrigen redet der Direktor Albin Lentz ins Gewissen.

Lentz war zwei Amtsperioden lang Gouverneur in West Virginia und während des Zweiten Weltkriegs Staatssekretär im Kriegsministerium. Freunde verschafften ihm anschließend den Posten in Winesburg. In seiner Antrittsrede kündigte er an, was er aus dem College machen werde:

„[…] einen Hort für den sittlichen Anstand und den Patriotismus und die hehren Prinzipien persönlichen Betragens, die von jedem jungen Menschen in diesem Land erwartet werden müssen, wenn wir aus dem weltweiten Kampf um moralische Überlegenheit, in den wir mit dem gottlosen Sowjetkommunismus eingetreten sind, als Sieger hervorgehen wollen“. (Seite 186)

Elwyn Ayers jr. nahm nicht an dem „Höschenklau“ teil, sondern trotzte zur selben Zeit mit seinem Wagen dem Schnee. Als der Einundzwanzigjährige auf einem Bahnübergang ins Schleudern kam, wurde er von einem Güterzug erfasst und zerfetzt. In der Zeitung hieß es, er habe den Überfall auf die Mädchenwohnheime angezettelt und sei auf der Flucht vor der Polizei ums Leben gekommen.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Marcus Messner wird weder wegen des unsittlichen Verhaltens im Krankenhaus noch wegen des „Großen Weißen Höschenklaus“ relegiert, sondern weil Marty Ziegler aufflog, als er beim Gottesdienst einen falschen Namen angab. Hawes D. Caudwell wollte Marcus noch eine Chance geben, wenn er sich schriftlich entschuldigen und verpflichten würde, bis zum Examen achtzigmal am Gottesdienst teilzunehmen. Marcus wies das Angebot jedoch brüsk zurück: „Sie können mich mal!“ (Im Original: „Fuck you!“)

Aber er konnte nicht! Konnte nicht wie ein Kind an irgendeinen blöden Gott glauben! Konnte sich ihre kriecherischen Lieder nicht anhören! Konnte nicht in ihrer heiligen Kirche sitzen! (Seite 199)

Wie von ihm und besonders von seinem Vater befürchtet, wird Marcus nach dem Hinauswurf zum Militärdienst einberufen und nach Korea abkommandiert. Chinesische Soldaten überrennen die Schützenlöcher seiner Einheit. Einer von ihnen trennt dem Gefreiten Messner mit einem Bajonett beinahe das Bein ab und zerhackt seine Eingeweide und Genitalien.

Noch nie war er von so viel Blut umgeben gewesen, nie seit seinen Kindheitstagen im Schlachthaus, als er bei der den jüdischen Vorschriften folgenden rituellen Tötung von Tieren zugesehen hatte. (Seite 195)

Die Pfleger können nichts mehr für ihn tun, außer ihm Morphium gegen die Schmerzen zu injizieren. Damit füllen sie „den Tank seines Hirns […] mit Gedächtnistreibstoff“ (Seite 195). Bevor Marcus am 31. März 1952 stirbt – drei Monate vor seinem zwanzigsten Geburtstag –, erinnert er sich an die Ereignisse während der kurzen Studienzeit.

[Marcus hatte] das Pech […], im Koreakrieg getötet zu werden, jenem Krieg, der am 27. Juli 1953 mit der Unterzeichnung einer Waffenstillstandsvereinbarung zu Ende ging, ganze elf Monate bevor Marcus, wäre er fähig gewesen, den Gottesdienst zu ertragen und den Mund zu halten, sehr wahrscheinlich als Jahrgangsbester sein Examen am Winesburger College gemacht hätte und auf diese Weise wohl erst später hätte erfahren müssen, was sein ungebildeter Vater ihm von Anfang an hatte beibringen wollen: auf welch furchtbare, unbegreifliche Weise die banalsten, zufälligsten und sogar komischsten Entscheidungen die unverhältnismäßigsten Folgen haben können. (Seite 200)

Der Vater kommt nicht über den Tod seines Sohnes hinweg und stirbt achtzehn Monate nach ihm.

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Von Anfang beschwört Philip Roth in seinem Roman „Empörung“ den Korea-Krieg herauf. Marcus Messner studiert, um nicht dem blutigen Handwerk seines Vaters nachgehen zu müssen – er ist koscherer Metzger in Newark – und um nicht einberufen zu werden. Auf dem College strebt er danach, Jahrgangsbester zu werden, weil er hofft, nach einem erfolgreichen Studium nicht als Kanonenfutter nach Korea geschickt zu werden, sondern – wenn es sein muss – als Offizier. Seinem Vater raubt die Sorge um den Sohn den Verstand. Philip Roth empört sich darüber, dass die US-Regierung unerfahrene Wehrpflichtige in das Gemetzel in Korea abkommandierte. Zugleich hält er einer heuchlerischen Gesellschaft den Spiegel vor, in der nonkonformes Verhalten für Rebellion gehalten wird. In einem eindrucksvollen Dialog, den der Dean des College mit Marcus führt, veranschaulicht Philip Roth das Überwachungssystem, mit dem die Gesinnung von Einzelgängern und Außenseitern kontrolliert wird. Vermutlich dachte er dabei auch an Senator Joseph McCarthy.

In einer „historischen Anmerkung“ auf Seite 201 in „Empörung“ erwähnt Philip Roth einen Studentenaufstand 1969 im Winesburg College, der Liberalisierungen bewirkt habe. So sei zum Beispiel die Pflicht zum Gottesdienstbesuch abgeschafft worden. Tatsächlich handelt es sich um einen fiktiven Ort. Der Name Winesburg stammt aus einer Sammlung von Kurzgeschichten des amerikanischen Schriftstellers Sherwood Anderson (1876 – 1941), die 1919 unter dem Titel „Winesburg, Ohio“ erschien („Winesburg, Ohio. Roman um eine kleine Stadt“, Übersetzung: Hans Erich Nossack, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 1958; Neuausgabe unter dem Titel „Winesburg, Ohio. Eine Reihe Erzählungen aus dem Kleinstadtleben Ohios“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 2000).

Philip Roth lässt den Protagonisten in der Ich-Form zu Wort kommen. Zunächst wundert man sich darüber, dass der erste Teil des Romans „Empörung“ mit „Unter Morphium“ überschrieben ist. Auf Seite 53 heißt es dann zum ersten Mal, dass Marcus Messner bereits tot sei. Nach weiteren 140 Seiten verstummt der Ich-Erzähler. In einer Art Epilog („Aus und vorbei“) erfahren wir sodann, was es damit auf sich hat.

Das Blut in der Metzgerei des Vaters erweist sich als Leitmotiv: „Empörung“ bewegt sich zwischen Schlachtbank und Schlachtfeld.

Weil Philip Roth stringent, schnörkellos und mit bitterer Ironie erzählt, stellt „Empörung“ eine packende Lektüre dar.

Nicht alles in dem Roman ist plausibel. So bleibt beispielsweise unverständlich, wieso der Jude Marcus sich im College zwar ungestraft als Atheist bekennen darf, aber verpflichtet ist, dem baptistischen Gottesdienst beizuwohnen – wie alle anderen Studenten auch, unabhängig davon, welcher Konfession sie angehören.

Mit „Empörung“ beginnt Philip Roth eine auf fünf Bände angelegte Buchreihe. Der Titel des zweiten Bandes lautet: „Die Demütigung“.

Den Roman „Empörung“ von Philip Roth gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Joachim Schönfeld (Regie: Ralph Schäfer, Der Hörverlag, München 2009, 5 CDs).

James Schmamus verfilmte den Roman „Empörung“ von Philip Roth:

Empörung – Originaltitel: Indignation – Regie: James Schamus – Drehbuch: James Schamus, nach dem Roman „Empörung“ von Philip Roth – Kamera: Christopher Blauvelt – Schnitt: Andrew Marcus – Musik: Jay Wadley – Darsteller: Logan Lerman, Sarah Gadon, Noah Robbins, Ben Rosenfield, Tracy Letts, Linda Emond, Philip Ettinger, Joanne Baron, Pico Alexander, Susan Varon, Bryan Burton u.a. – 2016; 110 Minuten

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009
Textauszüge: © Carl Hanser Verlag

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.