Zeruya Shalev : Späte Familie
Inhaltsangabe
Kritik
Die israelische Archäologin Ella Miller erforscht die Geschichte der Insel Thera. Nach zehn Jahren hält die Mitdreißigerin es an der Seite ihres unreifen, nörglerischen Ehemanns Amnon nicht mehr aus. Trotz der Warnungen ihrer Freunde und Eltern verstößt sie ihn aus der Wohnung, um mit dem verwöhnten sechsjährigen Sohn Gil’ad („Gili“) ein neues Leben anzufangen.
Doch statt – wie erwartet – die ersehnte Freiheit zu genießen, verfällt Ella ins Grübeln und gerät nun erst recht in eine Lebenskrise, die sie verunsichert. Sie kommt sich einsam vor, leidet unter Depressionen und fühlt sich schuldig, weil sie ihrem Sohn wegen ihrer egoistischen Wünsche den Vater weggenommen hat. Ella steht vor einem Scherbenhaufen und bereut ihre Entscheidung, aber Amnon, der sich überraschend gut an seine neue Situation gewöhnt hat, ist nicht bereit, zu ihr zurückzukehren. (Als er seine Meinung doch noch ändert, ist es zu spät.)
Sie sucht schließlich verzweifelt den Psychiater Obed Schefer auf, der die Psychoanalyse mit der Archäologie vergleicht. Ella verliebt sich in ihn. Seine Ehe ist ebenfalls gescheitert, und er will sich deshalb von seiner Ehefrau Michal trennen. Gemeinsam mit Obed träumt Ella von einem Neuanfang, einer „späten Familie“ mit ihrem Sohn und den beiden Kindern Obeds.
Ellas Zuversicht weicht jedoch bald wieder neuen Ängsten, denn sie stellt fest, dass Obed sich zwar höflich benimmt und charismatisch wirkt, aber im Grunde seines Herzens ein ehrgeiziger Egomane ist. Am Ende bleibt Ella erschöpft, leer und ausgebrannt zurück.
In ihrem Roman „Späte Familie“ (im Original: „Thera“) beschäftigt Zeruya Shalev sich sehr sensibel und nuanciert mit dem Scheitern einer Ehe, der daraus folgenden Lebenskrise, einem hoffnungsvollen Neuanfang und erneuter Desillusionierung. Wie die anderen Figuren auch, sucht die Ich-Erzählerin Ella vergeblich nach Glück, Liebe und Geborgenheit. Ihr atemloser Gedankenstrom ergibt seitenlange, nur durch Kommata getrennte Satzketten. Auch wenn man sich damit anfangs vielleicht schwer tut, wird man beim Lesen bald mitgerissen. „Späte Familie“ ist ein sprachgewaltiger und gedankenreicher, unpathetischer, feinfühliger und erschütternder Roman.
Es wäre zu wenig, dieses Buch als spannend zu bezeichnen. Alles scheint jederzeit möglich, atemlos wartet man, was als Nächstes passiert; das Buch weiß es sozusagen selbst noch nicht, so sehr geht es in seiner jeweils erzählten Gegenwart auf […] Das Buch ahmt kunstvoll die Ahnungslosigkeit des Lebens nach […] – des Lebens, von dem Kierkegaard bemerkt hat, es habe das Missliche an sich, dass es nur rückblickend Sinn und Zusammenhang gewinne, aber nach vorn gelebt werden muss. (Burkhard Müller in „Süddeutsche Zeitung“, 1. Dezember 2005)
Mit „Späte Familie“ hat Zeruya Shalev ihre mit den Romanen „Liebesleben“ und „Mann und Frau“ begonnene Trilogie abgeschlossen.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Zeruya Shalev (kurze Biografie)
Zeruya Shalev: Liebesleben
Zeruya Shalev: Mann und Frau
Zeruya Shalev: Schmerz
Zeruya Shalev: Schicksal
Zeruya Shalev: Nicht ich