Zeruya Shalev : Liebesleben

Liebesleben
Originalausgabe: Chajej ahawa Keter Verlag, Jerusalem 1997 Liebesleben Übersetzung: Mirjam Pressler Berlin Verlag, Berlin 2000 ISBN: 3-8270-0277-X, 367 Seiten Spiegel-Verlag, Hamburg 2007 ISBN: 978-3-87763-037-2, 376 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ja'ara ist seit 5 Jahren mit Joni verheiratet. Als sie Arie begegnet, einem Jugendfreund ihres Vaters, der jahrezehntelang im Ausland lebte, wird sie aus der Bahn geworfen: Sie verfällt dem älteren Mann. Der Egozentriker schläft mit ihr, scheint sich aber nichts daraus zu machen, und obwohl er Ja'ara immer wieder demütigt, kommt sie nicht von ihm los. Ihre Ehe, ihre Abschlussarbeit an der Universität, ihre Zukunftspläne – das alles zählt nicht mehr für sie ...
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Kritik

Zeruya Shalev erzählt die erschütternde Geschichte in Form eines inneren Monologs der Protagonistin. Dabei formt sie Ketten aus Haupt- und Nebensätzen, ohne Punkt, nur durch Kommata gegliedert. "Liebesleben" ist ein subtiler und vielschichtiger Roman.
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Ja’ara studiert in Jerusalem Bibelwissenschaften und arbeitet als Hilfskraft an der Universität. Seit fünf Jahren ist sie mit Joni verheiratet, einem sanften, unauffälligen Mann, der im Computer-Service-Unternehmen seines Vaters beschäftigt ist. Ja’ara plant, bis zum Jahresende ihre Abschlussarbeit einzureichen; für die Zeit danach wünscht sie sich ein Kind und eine Eigentumswohnung.

Als Ja’ara neun Jahre alt war, wurde ihr kleiner Bruder Avschalom krank. Weil sich die Eltern an seinem Bett im Krankenhaus ablösten, fühlte sich Ja’ara vernachlässigt; einen Monat lang sah sie nur entweder ihre Mutter oder ihren Vater – bis sie eines Tages gemeinsam aus dem Krankenhaus kamen. Rachel eilte auf Ja’ara zu, knöpfte noch im Laufen ihre Bluse auf und stieß ihr eine tropfende Brustwarze in den Mund.

[…] und ich wurde von ihrem Wahnsinn angesteckt, ich machte den Mund auf, obwohl ich schon fast zehn war, und begann ihre Milch zu trinken, diese dünne, süßliche Milch, die von einem Moment zum anderen nutzlos geworden war. (Seite 149)

Als Ja’ara ihre Eltern besucht, stößt sie auf einen ihr fremden Besucher: Arie Even, ein früherer Freund und Kommilitone ihres sechzigjährigen Vaters Schlomo Korman, lebte jahrzehntelang in Frankreich und kehrte erst kürzlich nach Israel zurück. Gerüchten zufolge soll er für den Mossad tätig sein. Ja’aras Mutter Rachel liegt im Schlafzimmer. Den Männern gegenüber behauptete sie, sich nicht wohlzufühlen, aber ihrer Tochter verrät sie, dass ihr der Besuch Aries unangenehm sei; sie könne ihn nicht ausstehen.

Auch Ja’ara entflieht dem Besucher: Sie verabschiedet sich nach wenigen Minuten und schaut bei ihrer Freundin Schira vorbei. Die ist nicht zu Hause, aber ihr Kater Tulja springt aus dem offenen Küchenfenster und läuft Ja’ara nach – bis er von einem Auto totgefahren wird. Ja’ara geht weiter. Als Schira ein paar Stunden später verzweifelt bei ihr anruft, verschweigt Ja’ara, dass sie bei ihrer Wohnung war und die Katze überfahren wurde. Sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie Schira bereits Joni wegnahm. Jetzt hat Schira durch Ja’aras Schuld nicht einmal mehr ihren Kater.

Zufällig sieht Ja’ara den Freund ihres Vaters in einem Bekleidungsgeschäft. Unter dem Vorwand, ein Kleid aus dem Schaufenster anprobieren zu wollen, betritt Ja’ara das Geschäft. Arie stellt sie seiner Begleiterin, einer jungen Französin, als „Kormans Tochter“ vor.

Kurz darauf besucht Ja’ara ihn.

Er nahm meine Hand […] und legte sie mit einer natürlichen, sogar müden Bewegung auf seinen Hosenschlitz und sagte, dafür bist du doch gekommen, und drückte sie fest dagegen, du kannst jetzt gleich gehen und du kannst in ein paar Minuten gehen, nachdem du ihn bekommen hast […] Das ist deine Entscheidung, sagte er, und ich fragte, aber was willst du, und er sagte, für mich spielt es wirklich keine Rolle. Schließlich bist du zu mir gekommen und nicht ich zu dir und trotzdem öffnete er langsam seinen braunen Gürtel. (Seite 37f)

Arie nimmt Ja’ara rasch im Stehen und schickt sie dann fort. Angeblich erwartet er seine Ehefrau.

Ja’ara versäumt ihre Termine an der Universität; sie kann kaum noch an etwas anderes als an Arie denken und will ihn unbedingt wiedersehen.

Nur noch ein einziges Mal, versprach ich mir, dieses eine Mal, das das vorherige auslöschen und die Demütigung in einen Sieg verwandeln wird […] schließlich gab es keinen Unterschied zwischen einmal betrügen oder zweimal […] Wie konnte ich ihn wiedersehen, ich war sicher, nur wenn ich ihn wiedersah, würde ich mich von ihm befreien können. (Seite 43f)

Während ihres zweiten Besuches meint er, es gebe zwischen ihnen kein Gleichgewicht:

Du bist so hungrig, und ich bin so satt. (Seite 52)

Er […] sagte kühl, komm, lassen wir es so, ich will dir nur Unannehmlichkeiten ersparen, aber ich konnte offenbar auf Unannehmlichkeiten nicht verzichten. (Seite 53)

Ein paar Tage später schlägt Arie ihr einen gemeinsamen Ausflug nach Jaffo vor, nicht ohne zu betonen, dass seine anderen Geliebten keine Zeit hätten und Ja’ara die letzte auf seiner Liste sei. Trotz dieser Demütigung nimmt Ja’ara die Einladung an. Und im Auto folgt sie seiner Aufforderung, ihren Slip auszuziehen. Er fährt mit ihr zu einem Richter namens Schaul. Der schaut zu, als Arie mit Ja’ara ins Bett geht. Nach einer Weile überlässt Arie sie Schaul, dessen Erektion allerdings nicht ausreicht, um in sie einzudringen. Nachdem er den Versuch aufgegeben hat und Arie seinen Platz wieder übernommen hat, lehnt Ja’ara sich gegen Schaul. Beide Männer kommen gleichzeitig zum Orgasmus.

Auf dem Rückweg erklärt Arie:

Ja, mich langweilt schon alles. Ich weiß, du glaubst jetzt, das ist gegen dich gerichtet, aber du irrst dich. Es ist eine allgemeine Langeweile, die schwer zu überwinden ist. Jedesmal sind stärkere Reize nötig, bis auch die aufhören zu wirken. Ein einfacher Fick, Mann und Frau, rein, raus, kommt mir weniger spannend vor als Gymnastik vor dem Fernseher […] was ich dir über Sex gesagt habe, gilt auch für Gespräche. Die Reize müssen immer stärker werden. Und Gefühle? Ich weiß schon nicht mehr, was das ist. (Seite 80f)

Aus einer Laune heraus besucht Ja’ara ihre Tante Tirza im Krankenhaus. Sie findet es faszinierend, dass Tirza sich nach dreißig Ehejahren von Rachels Bruder Alex scheiden ließ. In dem Zimmer ist noch ein Bett. Darin liegt eine Sterbende. Arie kommt zur Tür herein – und ist ebenso überrascht wie Ja’ara. Er besucht seine Ehefrau Joséphine.

Am nächsten Tag reserviert der Dekan eine Freistunde für Ja’ara, um mit ihr über das Thema der Abschlussarbeit zu reden. Weil sie seit einiger Zeit ihre Pflichten in der Universität versäumt hat, ist er zunehmend unter Druck geraten, die Ja’ara in Aussicht gestellte Assistentenstelle an eine andere Studentin zu vergeben. Aber er mag Ja’ara und versucht, ihr zu helfen.

Auf dem Weg zur Universität steigt Ja’ara beim Krankenhaus aus. Tirza ist nicht im Zimmer. Joséphine erzählt ihr, dass sie Arie an dem Tag zum ersten Mal gesehen habe, an dem Ja’ara geboren wurde. Rachel war damals seine Freundin. Ja’ara glaubt zunächst, sich verhört zu haben, denn sie dachte, Arie sei mit ihrem Vater befreundet gewesen, aber die Sterbende wiederholt ihre Aussage. Kurz nach Ja’aras Geburt zog Joséphine zu Arie. Sie war schwanger, und weil er nicht das Kind eines anderen Mannes wollte, unterzog sie sich einer Abtreibung.

Als Ja’ara das Krankenhaus verlässt, ist es zu spät, um den Dekan aufzusuchen. Sie schreibt ihm einen Entschuldigungsbrief.

Bald darauf stirbt Joséphine.

Joni überrascht seine Frau mit einer nachgeholten Hochzeitsreise nach Istanbul. Das Geld dafür bekam er von ihren Eltern. Ja’ara beginnt, einen Koffer zu packen, denn Joni hat einen Flug am nächsten Morgen gebucht. Sie freut sich auf die Reise.

Am Abend ruft Arie an und fordert sie auf, zu ihm zu kommen.

Ja’ara wartet, bis Joni eingeschlafen ist. Dann schleicht sie sich mit einem Koffer voller Reizwäsche davon und geht zu Arie. In völliger Selbstaufgabe lässt sie alles mit sich geschehen.

Als sie am Morgen aufwacht, stellt sie fest, dass sie in seinem Schlafzimmer eingesperrt ist. Aus dem Wohnzimmer hört sie die Trauergäste, die zur Schiwa gekommen sind. Auch ihre Eltern sind da. Ihr Vater erzählt stolz, dass seine Tochter mit ihrem Ehemann nach Istanbul gereist sei. Arie schwärmt von Istanbul: Die Stadt sei voller Widersprüche und deshalb ebenso anziehend wie abstoßend, nicht so langweilig wie eine vollkommene Stadt, beispielsweise Prag.

Und ich dachte, genau so würde ich ihn beschreiben voller Fehler, voller Widersprüche, vermutlich war er mein Istanbul, während Joni mein Prag war, und vielleicht war ich in einem bestimmten Sinn doch nach Istanbul gefahren. (Seite 232)

Den ganzen Tag wartet Ja’ara auf Arie. Am Abend, als er schläft, wühlt sie in einer Schuhschachtel voller Fotos. Sie zeigen Arie mit verschiedenen Frauen; die meisten von ihnen sind nackt: „das Liebesleben eines gewissen Arie Even“ (Seite 263). Auch ein Bild ihrer zum Zeitpunkt der Aufnahme noch jungen Mutter ist dabei.

[…] dieser Mann ist zu verdorben für dich, so wie es nicht ratsam war, in einer Mülltonne zu leben, war es auch nicht ratsam, in seinem Bett zu liegen (Seite 265)

Arie isst im Bett Pralinen aus einer Schachtel, die er bei Joséphines Sachen im Krankenhaus fand. Dabei beißt er sich an einem Kirschkern einen Schneidezahn aus.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Ja’ara kommt auf sein Liebesverhältnis mit ihrer Mutter zu sprechen. Dass er damals bereits wegen einer Kriegsverletzung zeugungsunfähig war, weiß sie inzwischen. Arie erinnert sich:

Nur sich selbst hat sie geliebt, ich war für sie ein Stück Nostalgie, eine Erinnerung an den Krieg, ein gemeinsamer Abschnitt, aber mit mir wrklich eine Beziehung einzugehen, das fiel ihr nicht ein. Ich war dunkel, aus einem Armenviertel, mit einer zweifelhaften Vergangenheit und einer unklaren Zukunft, nicht wie dein Vater, mit seinen Eltern aus Deutschland, den Ärzten, mit seiner ordentlichen Erziehung […] ich passte nicht zu der Zukunft, die sie für sich im Kopf hatte, sie wollte einen gesunden Mann heiraten, in geordneten Verhältnissen, sie wollte viele Kinder bekommen, eine normale Familie wollte sie, und ich sagte, ich flehte sie an, Rachel, du darfst der Liebe nicht den Rücken kehren, dafür bezahlt man sein Leben lang, aber sie wusste es besser als alle anderen, und ohne mir auch nur Bescheid zu sagen, heiratete sie meinen besten Freund, und ich brach mein Studium ab und verließ das Land und ließ nur einen Fluch zurück, ich verfluchte sie, sie sollte nie Kinder bekommen. (Seite 297)

Die Zurückweisung verzieh er ihr nicht.

Ja’ara begreift, warum ihre Mutter kein inniges Verhältnis zu ihr entwickeln konnte: Rachel hatte auf Arie verzichtet, um Ja’ara und Avschalom auf die Welt zu bringen.

Zu Beginn des vierten Tages der Schiwa stellt Ja’ara fest, dass sowohl die Zimmer- als auch die Balkontüre unverschlossen sind. Sie stellt ihren Koffer auf den Balkon, verlässt das Schlafzimmer, sucht die Toilette auf, betätigt die Spülung und geht dann zu den Frauen in der Küche, als ob sie gerade zu einem Kondolenzbesuch gekommen wäre. Die Männer beten im Wohnzimmer. Aries jüngere Schwester Ajala lässt sich nicht täuschen: Sie rät Ja’ara, fortzugehen und auch dann nicht wiederzukommen, wenn Arie sie dazu auffordere.

Ajala war zehn Jahre lang unglücklich verheiratet und hatte vier Kinder, als sie die Scheidung verlangte. Sie musste es akzeptieren, dass ihr Mann die Kinder mitnahm. Er lebt jetzt mit ihnen und seiner zweiten Ehefrau in den USA.

Im Treppenhaus trifft Ja’ara auf eine verzweifelte Nachbarin, die soeben von ihrem Mann verprügelt wurde. Ihr erst sechs Monate altes Kind sei noch in der Wohnung, sagt sie unter Tränen. Ja’ara sorgt dafür, dass sie sich versteckt. Dann klingelt sie und behauptet, die Trauernden nebenan würden noch einen zehnten Mann fürs Gebet benötigen. Und sie erklärt sich bereit, auf das schreiende Kind aufzupassen. Sobald der Mann die Wohnung verlassen hat, laufen die beiden Frauen mit dem Kind auf die Straße. Sie setzen sich in ein Café. Durchs Fenster sehen sie, wie der Mann nach seiner Frau sucht. Er habe sich wieder beruhigt, meint sie und steht auf, um zu ihm zu gehen. Bis zum nächsten Mal werde er friedlich sein, versichert sie Ja’ara beim Abschied.

Joni ist nicht zu Hause. Offenbar flog er allein nach Istanbul.

Ja’ara ruft den Dekan an, entschuldigt sich dafür, dass sie seit zwei Monaten nicht mehr in der Universität war und lügt, ihre Mutter sei gestorben. Aus Mitleid gibt er ihr einen Termin für den nächsten Tag.

Dann telefoniert sie mit ihrer Mutter. Rachel nimmt an, sie sei in Istanbul, aber Ja’ara deutet nach ein paar Minuten an, dass sie nicht verreist ist. Der Vater soll aber nichts davon erfahren.

Es klingelt. Arie steht draußen.

Wie kann ich ihn hier empfangen, wo ich doch selbst nur zu Gast bin, dachte ich, diese Wohnung gehört zu meinem früheren Leben, aber ein neues habe ich nicht. (Seite 332)

Nachdem sie in einem chinesischen Restaurant gegessen haben, folgt Ja’ara ihm erneut in seine Wohnung. Sie geht ins Schlafzimmer, zieht sich aus, legt sich aufs Bett und wartet auf ihn.

Als er am nächsten Morgen aufwacht und sieht, dass sie bereits angezogen ist und fortgehen will, wird er wütend. Sie hätte ihn um Erlaubnis fragen müssen. Obwohl er mit dem Abbruch der Beziehung droht, verlässt Ja’ara seine Wohnung und fährt zur Universität.

Der Dekan gibt ihr eine letzte Chance: Wenn sie innerhalb einer Woche ein Exposé ihrer Abschlussarbeit abgibt, wird er sie weiter unterstützen. Ja’ara diskutiert mit ihm über eine alte Geschichte. Ein Zimmermann, der Geld benötigt, schickt seine Ehefrau zu seinem Gehilfen, der bereit ist, ihm die erforderliche Summe zu leihen. Die Frau kehrt nicht zurück. Am dritten Tag sucht der Ehemann nach ihr und erkundigt sich bei dem Gehilfen nach ihr. Der behauptet, er habe gehört, sie sei auf dem Heimweg von jungen Männern vergewaltigt worden. Er rät dem Zimmermann, die Frau zu verstoßen und leiht ihm das Geld. Kurz darauf heiratet er die geschiedene Frau. Als der Zimmermann das Darlehen nicht zurückzahlen kann, muss er für den Gehilfen arbeiten. Dazu gehört, dass er seinen Gläubiger und dessen Frau bei Tisch bedient. – Üblicherweise hält man den Ehemann in dieser Geschichte für das Opfer, aber Ja’ara sieht ihn als den Schuldigen an, denn er ließ seine Frau im Stich. Darüber möchte sie ihre Abschlussarbeit schreiben.

An ihrer Wohnungstüre findet sie einen Zettel von ihrer Mutter. Rachel teilt ihr mit, dass Joni am Nachmittag aus Istanbul zurückkommt und rät ihr, ihn vom Flughafen abzuholen.

Ja’ara putzt, schmückt die Wohnung mit Blumen, kauft ein, um den Kühlschrank zu füllen und backt einen Schokoladenkuchen für Joni. Begeistert glaubt sie an einen Neuanfang.

In dieser euphorischen Stimmung fährt sie zum Flughafen. Sie sieht Joni kommen. Er sucht mit den Augen nach ihr, aber sie versteckt sich hinter anderen Wartenden, lässt ihn vorbeigehen und folgt ihm zum Taxistand. Ja’ana beobachtet, wie er in der Warteschlange vorrückt und schließlich in ein Taxi steigt.

Statt nach Hause fährt Ja’ara zur Universität und begibt sich eine Viertelstunde vor dem Ende der Öffnungszeit in die Bibliothek. Dort versteckt sie sich hinter Bücherregalen und lässt sich einschließen.

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In dem Roman „Liebesleben“ von Zeruya Shalev geht es um Macht und selbstzerstörerische Abhängigkeit.

Weil Ja’ara sich als Kind von ihren Eltern vernachlässigt fühlte und deren Streitigkeiten miterlebte, heiratete sie einen sanften Mann, von dem sie sich Harmonie und Geborgenheit versprach. Aber sie sehnt sich nach einem starken Mann, nicht zuletzt, weil ihr Vater eher ein Schwächling ist. Als sie Arie begegnet, wird sie aus der Bahn geworfen. Dass der frühere Kommilitone ihres sechzigjährigen Vaters sie kaum beachtet, treibt Ja’ara in seine Arme. Schon beim ersten Zusammensein demütigt er sie. In völliger Selbstaufgabe lässt sie alles mit sich geschehen und kehrt immer wieder zu ihm zurück. Ihre Ehe, ihre Abschlussarbeit, ihre Zukunftspläne – das alles zählt nicht mehr für Ja’ara. Sie verliert die Kontrolle über ihr Leben. Es handelt sich um eine amour fou ohne jede Schwärmerei. Sie erkennt durchaus, dass der egomanische Tyrann gar nicht fähig wäre, sie oder eine andere Frau zu lieben, sondern sich nur an ihrer Unterwerfung aufgeilt. Den Grund dafür findet sie schließlich in der Vergangenheit. Die erschütternde Erfahrung hilft ihr aber auch, zu sich selbst zu finden und fortan ihren eigenen Weg zu gehen.

„Liebesleben“ ist die Geschichte einer Befreiung. Einer Befreiung durch Unterwerfung, durch vor allem sexuelle Unterwerfung. Die Geschichte einer Verwirrung, die frei macht. (Elmar Krekeler, „Die Welt“, 7. November 2007)

Zeruya Shalev erzählt die Geschichte konsequent aus Ja’aras Perspektive, in der ersten Person Singular und in Form eines flow of consciousness, eines inneren Monologs. Die Wiedergabe wörtlicher Rede wird nicht durch Anführungszeichen markiert. Zeruya Shalev formt Ketten aus Haupt- und Nebensätzen, ohne Punkt, nur durch Kommata gegliedert. Das Stakkato unterstreicht die Gehetztheit der Protagonistin, und das „Erzählgewitter“ (Reinhard Baumgart, „Die Zeit“, 10. August 2000) reißt uns in Ja’aras Gedankenwelt hinein.

Liebe mag ein zu weites, vages Wort sein für die Sucht, die Ja’ara über Nacht befallen hat, die sie in einem ihrer unendlichen, bald metaphorischen, bald reflexiven Diagnoseversuche „Feuerschlucken“ nennt […] Doch die Erzählerin verfügt weder über Einblick, noch Überblick und Weitblick. Sie befindet sich erzählend immer nur und notwendig atemlos im jeweiligen Augenblick, auf ihn festgenagelt durch etwas, was weniger ist und wilder als nur Liebe, durch Begehren, Begierde, ja Hörigkeit, ausgelöst von einem alten, kalten Mann und seiner ebenso satten wie versauten Sexualität […] Shalev treibt ihre Erzählerin in einen sie und uns mitreißenden Redestrom und entfesselt ein Leseabenteuer, spannend, feurig, clever, gewagt […] Ein Wunder, dass Shalevs Roman, obwohl doch die Liebesakte, die Obsession und ihre Reflexion sich in serieller Wiederholung zu erschöpfen drohen, seine Erzähl- wie Sprachspannung durchhält. (Reinhard Baumgart, „Die Zeit“, 10. August 2000)

„Liebesleben“ ist ein subtiler und vielschichtiger Roman, in den Zeruya Shalev biblische Motive und andere Gleichnisse verwoben hat.

Maria Schrader verfilmte den Roman von Zeruya Shalev: „Liebesleben“.

„Liebesleben“ ist der zweite Roman der israelischen Schriftstellerin. Im Rahmen einer Trilogie ließ Zeruya Shalev zwei weitere Bücher folgen: „Mann und Frau“, „Späte Familie“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005 / 2009

Maria Schrader: Liebesleben

Zeruya Shalev (kurze Biografie)
Zeruya Shalev: Mann und Frau
Zeruya Shalev: Späte Familie
Zeruya Shalev: Schmerz
Zeruya Shalev: Schicksal

Paula Fox - Was am Ende bleibt
Die Geschichte, die sich auf drei Nerven anspannende Tage erstreckt, wird vornehmlich aus der Sicht der Protagonistin erzählt. Der Stil von "Was am Ende bleibt" ist meistenteils unaufgeregt, wobei aber eine untergründige Emotion durchaus zu spüren ist.
Was am Ende bleibt