Lola rennt
Lola rennt
Inhaltsangabe
Kritik
Zeit und Tempo sind schon Thema des Vorspanns: Die Kamera fährt langsam vom Pendel einer altmodischen Uhr hoch zu einer geschnitzten Raubtierfratze und in das geöffnete Maul hinein, hinaus auf Plätze und Straßen, wo Menschen herumhasten. Hin und wieder wird die Kameralinse auf einen einzelnen Menschen fokussiert (Personen, denen Lola im Film begegnen wird), zuletzt auf einen Wachtmann. „Der Ball ist rund, ein Spiel dauert 90 Minuten. So viel ist schon mal klar. Alles andere ist Theorie“, sagt er und schießt einen Ball hoch in die Luft. Die Kamera folgt dem Ball und filmt von oben, wie sich die vielen Menschen am Boden zu den Buchstaben des Filmtitels formieren. Gleich darauf fällt die Kamera mit dem Ball nach unten und durchschlägt das „O“ in „Lola rennt“. Eine Zeichentrickfigur mit roten Haaren rennt durch einen imaginären Tunnel und wird am Ende in den Strudel einer Spirale gesogen. Schnitt. Die Kamera rast aus großer Höhe auf Berlin hinab, über einen Hinterhof, durch ein Fenster in eine Wohnung hinein und auf ein rotes Telefon zu, das in diesem Augenblick läutet.
Aufgeregt ruft der Ganove Manni (Moritz Bleibtreu) seine rothaarige Freundin Lola (Franka Potente) aus einer Telefonzelle an. Sie hatten sich verpasst, weil Lola zu spät nach Hause kam. Deshalb machte er sich allein mit der U-Bahn auf den Weg, um seinem Chef (Heino Ferch) hunderttausend Mark von einem Deal mit einem gestohlenen Auto zu überbringen. Es ist jetzt 11.40 Uhr. Punkt 12 Uhr muss er das Geld übergeben, sonst bringt ihn der Boss um. Aber er hat das Geld nicht mehr! Als Kontrolleure einstiegen, sprang er aus der U-Bahn — und ließ die
Plastiktüte mit dem Geld liegen. Wahrscheinlich hat sie jetzt der Penner (Joachim Król), der sich auf seinen Platz setzte. In seiner Verzweiflung will Manni den Supermarkt auf der anderen Straßenseite überfallen. Doch Lola nimmt ihm das Versprechen ab, bis 12.00 Uhr auf sie zu warten. Ihr werde schon etwas einfallen.
Sie rennt los. Quer durch Berlin. Versucht, das Geld von ihrem Vater (Herbert Knaup) zu bekommen, aber der Bankdirektor ist gerade dabei, einer leitenden Mitarbeiterin (Nina Petri), die ein Kind bekommt, zu versprechen, dass er seine Familie verlässt und ein gemeinsames Leben mit ihr beginnt. Seine Tochter wirft er hinaus. Lola kommt um Sekunden zu spät, sieht gerade noch, wie Manni in den Supermarkt geht. Natürlich hilft sie ihm, die Kassen auszurauben. Dann laufen sie davon. Doch auf der Flucht wird Lola von einem Polizisten erschossen.
Schnitt. Lola und Manni liegen im Bett und reden. Sie will wissen, wie er sich sicher sein kann, dass er sie liebt.
Dann beginnt sie erneut zu rennen. Dieses Mal sind einige zufällige Begegnungen auf dem Weg variiert. Ihren Vater zwingt sie mit der Pistole, die sie dem Wachtmann (Armin Rohde) abgenommen hat, ihr das Geld auszuhändigen. Als sie den Platz mit der Telefonzelle erreicht, von der Manni angerufen hat, will er gerade in den Supermarkt hineingehen. „Manni!“, schreit sie. Er dreht sich um, sie kommt mit dem Geld gelaufen, er geht ein paar Schritte auf sie zu — und wird von einem Sanitätsauto totgefahren.
Schnitt. Lola und Manni liegen im Bett und reden. Wenn er heute oder morgen stürbe, was würde sie dann tun, fragt er.
Wieder läuft Lola los. Als sie dieses Mal zur Bank ihres Vaters kommt, sieht sie ihn gerade mit dem Auto wegfahren. Das ganze Geld, das sie bei sich hat, 100 Mark, setzt sie im Spielcasino auf „20 schwarz“ und gewinnt. Den kompletten Gewinn setzt sie noch einmal und gewinnt wieder. Jetzt hat sie die hunderttausend Mark, die Manni braucht. Sie weiß nicht, dass Manni inzwischen dem Penner begegnete und ihm nach einer Verfolgungsjagd mit vorgehaltener Pistole die Plastiktüte mit dem Geld abnahm. Einige Minuten, nachdem sie auf dem Platz mit der Telefonzelle eingetroffen ist, hält ein Auto; Manni steigt aus und verabschiedet sich freundschaftlich von seinem Boss. Was in Lolas Plastiktüte sei, fragt er.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)In dieser Gangsterballade in drei Variationen spielt Tom Tykwer mit dem Zufall und veranschaulicht das Tempo und den Zeitmangel im heutigen Großstadtleben. Kaum etwas an diesem Film entspricht unseren Sehgewohnheiten. Zeichentrickszenen, rasante Kamerafahrten, atemberaubende Schnittfolgen, und wenn Lola – eine abstrakte Figur wie aus einem Comic – auf andere Personen stößt, werden rasch Fotos aus deren zukünftigem Leben durchgeblättert. Das wirkt so frisch wie der bahnbrechende Vorspann. In Anspielung auf den Film „Das Leben ist eine Baustelle“, für den Tom Tykwer zusammen mit Wolfgang Becker das Drehbuch schrieb, meint Michael Althen in der Süddeutschen Zeitung: „Das Leben ist hier keine Baustelle, sondern eine Konstruktionsskizze.“ Zu Beginn des Filmes wird ein Spruch von T. S. Eliot eingeblendet: „Wir lassen nie vom Suchen ab, und doch, am Ende allen unseren Suchens, sind wir am Ausgangspunkt zurück und werden diesen Ort zum ersten Mal erfassen.“ Oder, wie Sepp Herberger sagte: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“
Übrigens: Um Filme wie „Winterschläfer“, „Lola rennt“, „Meschugge“, „Das Leben ist eine Baustelle“ und „Absolute Giganten“ verwirklichen zu können, gründeten die Filmregisseure Dani Levy, Tom Tykwer, Wolfgang Becker mit dem Produzenten Stefan Arndt 1994 die Gesellschaft „X-Filme Creative Pool GmbH“.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002
Tom Tykwer (kurze Biografie / Filmografie)
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