Frederic Vester : Neuland des Denkens

Neuland des Denkens
Neuland des Denkens. Vom technokratischen zum kybernetischen Zeitalter Das Buch basiert teilweise auf Frederic Vester: Das kybernetische Zeitalter (S. Fischer Verlag, Frankfurt/M 1974) Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1980 Taschenbuchausgabe: dtv 1984
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

In diesem Buch fasst Frederic Vester seine in vielen Schriften verbreiteten Überzeugungen anschaulich und leicht verständlich zusammen. Mehr als 20 Jahre nach der Erstausgabe wird "Neuland des Denkens" nach wie vor viel gelesen, immer wieder nachgedruckt und gilt zu Recht als populärwissenschaftliches Standardwerk.
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Kritik

Einfaches Ursache-Wirkung-Denken entspricht nicht den komplexen Zusammenhängen und kybernetischen Wechselwirkungen in der Natur. Für die erforderliche neue Art des Denkens führte Frederic Vester den Begriff "vernetztes Denken" ein.

Der Psychologe Dietrich Dörner simulierte im Computer eine afrikanische Region und bat die Probanden, die Lebensbedingungen der Menschen in „Tanaland“ im Verlauf eines Jahrhunderts zu verbessern. „Sie konnten Staudämme bauen, Industrie- und Kraftwerke ansiedeln, Medizin und Hygiene verbessern und Anbauarten und Düngung ebenso verändern wie etwa die Jagdgewohnheiten durch Bereitstellen von Gewehren.“ Das erschütternde Ergebnis: Häufig erzielten die Teilnehmer zunächst Verbesserungen, aber in allen Fällen kam es nach einiger Zeit zu verheerenden Katastrophen. Einer der Hauptfehler der Teilnehmer bestand darin, dass sie zielstrebig einen Bereich verbesserten, aber die Nebenwirkungen ihrer Eingriffe vernachlässigten. (Dietrich Dörner: Problemlösen als Informationsverarbeitung. Kohlhammer, Stuttgart 1976)

Vor allem durch die Diskussion über Umweltschäden begannen wir zu verstehen, dass einfaches Wenn-Dann- bzw. Ursache-Wirkung-Denken den komplexen Zusammenhängen und kybernetischen Wechselwirkungen innerhalb von Systemen und zwischen Subsystemen nicht adäquat ist.

In einem anderen Buch (Unsere Welt – ein vernetztes System) schreibt Frederic Vester:

Damit ist neben dem neuen Denken auch eine neue Art des Planens notwendig geworden, eine neue Art der Entscheidungsfindung, wenn wir aus dem Hickhack der Kurzschlusshandlungen und Gewaltoperationen herauskommen wollen, die derzeit unser Handeln – auch das politische Handeln – beherrschen und sich allmählich in einem immer teureren Reparaturverhalten erschöpfen. Fast nichts funktioniert ja mehr in unserer Industriegesellschaft mit ihren verkorksten Organisationsformen. Und wenn, dann unter Erzeugung zusätzlicher Belastungen. Das einzige System, das noch treu und brav seine Arbeit tut – ohne dabei die Welt zu zerstören –, ist die Biosphäre, sind Blätter und Bäume, Vögel, Würmer und Gräser. Und ausgerechnet diese unerschütterlichen Helfer greifen wir laufend an, entziehen ihnen die Lebensgrundlage, vergiften und zerstören sie. Nicht zuletzt, weil wir keine Ahnung haben, wie dieses System funktioniert …

Wie lassen sich Fehler vermeiden und die Sünden der Zivilisation überwinden? – Durch eine neue Art, an ökologische Fragestellungen heranzugehen, für die Frederic Vester den Begriff „vernetztes Denken“ einführte.

„Vernetztes Denken“ – oder „ganzheitliches Denken“, wie andere Autoren sagen – beruht auf Kybernetik (Norbert Wiener: Cybernetics, 1948), Informationstheorie (Claude Elwood Shannon u.a.: Mathematical Theory of Communication, 1949) und Systemtheorie (Ludwig von Bertalanffy: Allgemeine Systemtheorie, 1968). Frederic Vester erfand also nichts völlig Neues, aber niemand hat dieses überlebenswichtige Konzept so popularisiert und verbreitet wie er.

Ohne vernetztes Denken wären heute keine sinnvollen politischen oder wirtschaftlichen Entscheidungen mehr möglich.

„Lineares Denken“ führt zu Scheinlösungen. Der angestrebte Erfolg stellt sich vielleicht rasch ein, aber nach einiger Zeit zeigen sich die unbeabsichtigten Nebenwirkungen. Besonders gefährlich ist das, wenn Wirkungen und Rückwirkungen sich gegenseitig verstärken (positive Rückkopplung), wie es zum Beispiel bei der Lohn-Preis-Spirale geschehen kann. Da gerät ein Prozess leicht außer Kontrolle und wird zum Teufelskreis.

Wenn wissenschaftliche Lösungen echte Lösungen sein sollen, muss neben der wissenschaftlichen Schulung im gleichen Maße eine neue Einsicht in die politischen, sozialen und ökologischen Konsequenzen solcher Ergebnisse erwachsen. Wenn gesellschaftliche Lösungen echte Lösungen sein sollen, können diese ebensowenig an den naturwissenschaftlichen Gegebenheiten, vor allem den biologischen Grundprinzipien vorbeigehen. Eine kluge, das Leben der menschlichen Gemeinschaft erhaltende Lenkung des Gesamtgeschehens auf dieser Erde muss auch im Sinne einer Symbiose zwischen Wissenschaft und Gesellschaft kybernetisch sein.

In seinem Buch „Neuland des Denkens“ fasst Frederic Vester seine in vielen populärwissenschaftlichen Schriften und Büchern verbreiteten Überzeugungen anschaulich und leicht verständlich zusammen.

Das Buch ist so aufgebaut, dass wir uns zunächst mit einem neuen Verständnis der Wirklichkeit befassen werden. Im ersten Teil, unter dem Stichwort „Organisation“, versuche ich, die Welt als lebendiges System nahezubringen und daraus, von der Kybernetik über Computer und Verkehr, einen neuen Ansatz für gesellschaftspolitische Programme und ihre Planung zu skizzieren, der für die Bewältigung der heutigen Situation sicher tauglicher ist als das bisherige mehr lineare Vorgehen.

Im zweiten Teil geht Frederic Vester der Frage nach, „wo Organisation und damit Information und Kommunikation ihren Ursprung haben“, wie sie in der toten materiellen Welt entstanden. Das Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt ist das Thema des dritten und vierten Teils. Abschließend stellt der Autor seine Ausführungen in einen größeren zeitlichen Rahmen und versucht, „die Schwellenangst vor einem Neuland des Denkens abzubauen“.

„Was verspreche ich mir von diesem Buch?“, fragt Frederic Vester rhetorisch. „Ich habe ein unbeirrbares Vertrauen in die Macht der Information.“

Mehr als 20 Jahre nach der Erstausgabe wird „Neuland des Denkens“ nach wie vor viel gelesen, immer wieder nachgedruckt und gilt zu Recht als populärwissenschaftliches Standardwerk.

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Inhaltsangabe, Rezension und Kurzbiografie: © Dieter Wunderlich 2003
Textauszüge: © Deutsche Verlags-Anstalt

Kybernetik, Systemtheorie

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