Martin Walser : Ehen in Philippsburg
Inhaltsangabe
Kritik
Hans Beumann wuchs als uneheliches Kind einer Kellnerin in Kümmertshausen auf. Seinen Vater hat er nie gesehen. Der Vermessungsingenieur hatte vier Wochen lang in dem Dorf zu tun und in dieser Zeit mit Lissi Beumann ein Kind gezeugt. Als ihre Regel ausblieb, war er bereits nach Australien ausgewandert. In ihrer Verzweiflung suchte Lissi einen Eisenbahner auf, der im Krieg Sanitäter gewesen war und heimlich Abtreibungen einleitete, aber nachdem er seine Frau und die Kinder aus dem Zimmer geschickt hatte, verlangte er von Lissi als Vorleistung Geschlechtsverkehr – und dazu war sie nicht bereit. Ärzte, die sie um Hilfe bat, schwärmten ihr von der Würde der Mutterschaft vor. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als das Kind auszutragen.
Nach dem Studium am Zeitungswissenschaftlichen Institut der Landesuniversität zieht Hans nach Philippsburg und sucht den größten Verlag in der Landeshauptstadt auf, um sich für eine Position in der Redaktion der „Weltschau“ zu bewerben. Obwohl er ein Empfehlungsschreiben von Professor Beauvais an den Chefredakteur Harry Büsgen vorweisen kann, wimmelt die Chefsekretärin ihn ab.
Unverdrossen nimmt Hans sich bei Frau Färber, einer geschwätzigen Vierzigerin, ein Zimmer in Untermiete. Ihr Ehemann Eugen ist Vorarbeiter in einer Edelmetallfabrik. Darauf, dass ihr Mann mit Edelmetall zu tun hat, ist sie besonders stolz! Ihren mit fünfzehn Jahren ältesten Sohn kann sie trotz seiner Begabung keine Lehre machen lassen oder gar auf eine höhere Schule schicken, denn die Familie ist auf seinen Lohn als Hilfsarbeiter in einem Karosseriewerk angewiesen. Jeden Tag um 16 Uhr – eine Stunde bevor der Vater nach Hause kommt und sich um die drei kleineren Kinder kümmern kann – beginnt Frau Färber ihre Tätigkeit als Putzhilfe im Polizeigebäude. Erst um 23 Uhr hat auch sie Feierabend.
Ein zweiter Untermieter wohnt unter dem Dach. Frau Färber wundert sich über den jungen Mann, der auch noch keine dreißig ist, arbeitslos, von seiner Frau verlassen, ein einsamer Sonderling, der den ganzen Tag in seinem Zimmer sitzt und schreibt. Berthold Klaff heißt er. Hans hört ihn nachts ruhelos herumwandern. Es klingt, als trage er eine Prothese. Tatsächlich hatte man Klaff nach einem Straßenbahnunfall das linkes Bein bis zum Knie amputiert.
Auch über die Nachbarn erzählt Frau Färber ihrem neuen Untermieter alles, etwa über die Hauswirtschaftslehrerin Lina, die bei jedem Mann darum bangt, ihn zu behalten – und ihn umso rascher verliert, oder die Prostituierte Johanna, die ihren Vermietern für jeden Besuch eines Freiers 5 D-Mark abliefern muss.
An einem der ersten Tage in Philippsburg besucht Hans Beumann seine frühere Kommilitonin Anne Volkmann, die ihr Studium nach vier Semestern abgebrochen hatte. Ihre Mutter Berta empfängt ihn, und obwohl er sich zurückhaltend als „Studienkollege“ Annes vorstellt, wertet sie ihn gleich zum „Studienfreund“ auf. Anne möchte auf keinen Fall so eine extravertierte, oberflächliche und leutselige Frau wie ihre Mutter werden – und droht deshalb, sich zur alten Jungfer zu entwickeln. Hans muss bleiben, bis Herr Volkmann nach Hause kommt, der Besitzer der marktbeherrschenden Fabrik von UKW- und Fernsehgeräten. Das nach feierlichen Gongschlägen servierte Essen in der Fabrikantenvilla stellt für den vom Land kommenden mittellosen Universitätsabsolventen ein ebenso aufregendes wie eindrucksvolles Erlebnis dar.
Herr Volkmann will für den Industrieverband, dessen Präsident er ist, einen Pressedienst („programm-press“) einrichten und beauftragt Hans damit. Anne soll ihm dabei zuarbeiten.
Bei einer von Frau Volksmanns Partys begegnet Hans dem homosexuellen Chefredakteur Harry Büsgen. Anne erklärt ihm, ihr Vater sorge dafür, dass die Radioindustrie in den Zeitungen des Molle-Konzerns, für den Büsgen arbeitet, regelmäßig Anzeigen schaltet, weil dessen Programmzeitschriften den Absatz von Rundfunkgeräten fördern. Andererseits sei Büsgen ein Gegner Volkmanns, weil die Geräteindustrie die Einrichtung eines zweiten, durch Werbung finanzierten Fernsehprogramms anstrebt, um den Markt zu erweitern, während die Zeitungen aus Sorge um ihre Werbeeinnahmen dagegen sind.
Als Berthold Klaff erfährt, dass Frau Färbers neuer Untermieter einen Pressedienst leitet, drängt er Hans Beumann, ihn als Kritiker zu beschäftigen, aber Herr Volkmann lehnt es kategorisch ab, einen Künstler einzustellen.
Nach einem Presseempfang des Rundfunkintendanten Dr. ten Bergen schreibt Hans einen Artikel, aus dem Volkmann alles Positive über Dr. ten Bergen herausstreicht. Erstaunt stellt Hans am nächsten Tag fest, dass auch nahezu alle anderen Kommentare negativ sind. Kurze Zeit später wählen die Rundfunkräte statt Dr. ten Bergen Prof. Mirkenreuth zum neuen Intendanten.
„Sehen Sie“, sagte Herr Volkmann, „wir hätten uns blamiert, wenn wir ten Bergen gelobt hätten.“ (Seite 103)
Unübersehbar macht Anne ihrem Kollegen Avancen.
Alles, was Anne heute sagte, klang wie eine Aufforderung. Hans suchte einen freundlichen Satz zusammen, probierte ihn einmal in Gedanken und sagte ihn. Anne war glücklich. Er hätte sie gerne geliebt. Aber sie war keine Frau wie Cécile oder Marga. Sie war ein altes Mädchen.
[…] Von mir aus, dachte er; sie liebt mich wenigstens, sie lacht nicht so unverständlich, sie weiß, wer ich bin, ich muss nicht dauernd auf den Zehenspitzen herumtanzen, um mich ein bisschen größer zu machen, als ich bin, und schließlich ist eine Frau eine Frau, basta! (Seite 94)
Obwohl Hans sie schließlich als Geliebte akzeptiert, sträubt er sich mit immer neuen Ausflüchten gegen ihren Wunsch, zu heiraten. Selbst als sie schwanger ist, versucht er ihr einzureden, dass eine Eheschließung nicht in Frage komme.
Anne widersprach bald nicht mehr. Vor allem, als Hans ihre Mutter erwähnt hatte und die Augen der Philippsburger Gesellschaft; als er ihr vorrechnete, wie man diese Eheschließung kommentieren würde; dass sie in den Ruf kommen würde, sie habe Hans nur deswegen geheiratet; und er würde verdächtigt werden, er habe Anne in voller Absicht in diesen Zustand gebracht, um sie zu bekommen, er, der mittellose und unbekannte Journalist die reiche Fabrikantentochter: das würde sein Ansehen ein für allemal vernichten. Heiraten könne man später immer noch, wenn sie wolle, wenn ihre Eltern einverstanden seien und er sich als ein Mann bewährt habe, der eine Familie gründen dürfe … (Seite 105)
Der angesehene Gynäkologe Dr. Alf Benrath, den Hans und Anne konsultieren, weigert sich, eine Abtreibung durchzuführen.
Sein Bruder sei Staatsanwalt, er selbst sei im Ärzteausschuss zur Bekämpfung der Abtreibung. Seine Krankenbetten stünden in der Elisabethenklinik, die von katholischen Schwestern betreut würde. Wenn er es Anne zuliebe tue, so sei am nächsten Montag sein Sprechzimmer voll […] und wenn er es einmal gemacht habe, könne er es keiner mehr abschlagen, weil er erpresst werden würde. Der Gewissensdruck wächst, was tut man, man nimmt Morphium, kommt herunter, wird ein Kloakenarzt, endet im Gefängnis oder Zuchthaus. (Seite 107)
Nach weiteren Fehlschlägen findet Anne endlich einen Arzt, der die Abtreibung vornimmt, aber er reißt den Fetus in einer stundenlangen Operation stückweise aus ihrem Uterus.
Dr. Benrath ist mit Birga, der Tochter eines Medizinprofessors, verheiratet, die nur für ihren Mann da ist, während er ständig Zuhörer haben muss und im Sommer zum Segeln und im Winter zum Skilaufen fährt. Dann lernte er auch noch Cécile kennen, die Inhaberin des Kunstgewerbegeschäfts, in dem Birga und alle anderen Damen der gehobenen Gesellschaft einkaufen.
Seine Neigung zu Cécile brach aus wie eine Krankheit. Aber er hatte sie fast gewaltsam seinen Wünschen unterwerfen müssen. Die Scheu vor dem stadtbekannten Arzt, die Achtung vor seiner Ehe, die Achtung vor Birga auch, die sie mehr als andere Kundinnen schätzte, und die Ahnung, dass sie Alf mehr lieben würde als jeden anderen vor ihm, das alles hatte sie seine Gesellschaft mehr fliehen als suchen lassen. Aber Benrath konnte nicht mehr zurück. (Seite 134)
Eine Scheidung kommt für Benrath nicht in Betracht, denn da würde er die Frauen gegen sich aufbringen, und die Männer wären ihm neidig. Inzwischen hält Cécile die Heimlichtuerei kaum noch aus.
Aber Benrath war ein stadtbekannter Arzt, hatte eine Abteilung in der Elisabethenklinik, Frauen aus der besten Gesellschaft waren seine Patientinnen, er hatte auf seinen Ruf zu achten, als Frauenarzt mehr als jeder andere, und Cécile musste das verstehen, und sie verstand auch, aber sie hielt es nicht mehr aus. (Seite 117)
Einmal reden Alf Benrath und Cécile kurz davon, dass nur Birgas Tod ihnen helfen könne. Als Birga sich dann aber mit Tabletten das Leben nimmt, endet auch die Affäre. Wenn ich bei Cécile geblieben wäre, räsoniert Dr. Benrath, hätte ich Birga vergessen müssen. „Cécile wusste selbst, dass das ein lächerlicher Versuch geblieben wäre, Cécile wusste, dass Birga uns getrennt hat.“ (Seite 170)
Rechtsanwalt Dr. Alexander Alwin, den Benrath beauftragt, seine Schwiegereltern über den Suizid ihrer Tochter zu unterrichten und alles Weitere für ihn zu erledigen, ist gerade dabei, seine Kanzlei aufzulösen: Er geht in die Politik und gehört dem Landesvorstand der neuen „Christlich-sozial-liberalen Partei Deutschlands“ an. Seine Ehefrau Ilse, eine geborene von Salow, die ebenfalls Anwältin war, bringt ihn dazu, auch Kontakte zu Politikern anderer Couleur zu pflegen. Er müsse für den Fall eines Scheiterns der neuen Partei bei den Wahlen vorsorgen.
Sie machte kein Hehl daraus, dass es ihr gleichgültig sei, welche Partei Alwin benütze, um nach oben zu kommen, während er es vorgezogen hätte, auch zu Hause so zu sprechen wie er es in der Öffentlichkeit tun musste. Er wäre am liebsten auch vor sich selbst als ein Mann dagestanden, dem es um eine Idee zu tun war, der eine Vorstellung von einem besseren Zustand aller irdischen Verhältnisse hatte, eine Vorstellung, die er als Politiker zum Wohl aller verwirklichen musste. Eine solche Vorstellung, nährt man sie nur langsam genug und mit allen Kräftigen, beflügelt das Bewusstsein, wird zu einer übermächtigen Musik, nach der man selbst tanzen und die übrige Welt tanzen lehren kann. (Seite 204f)
Dr. Alwins Mutter war noch Garderobenfrau im Philippsburger Staatstheater gewesen, sein Vater Buchhalter beim Elektrizitätswerk. Nicht zuletzt die Eheschließung mit Ilse von Salow hatte dem jungen Juristen den Weg nach oben geebnet.
Seine Liebesaffären verheimlicht er nach wie vor.
Er durfte es sich hoch anrechnen, dass er Ilse nicht mit allem behelligte. Es gab Ehemänner in seinem Bekanntenkreis, die wussten nichts Besseres zu tun, als zu ihren Frauen heimzurennen, um loszuheulen und zu beichten und alles auf die armen Frauen abzuladen! Da war Herr Dr. Alwin schon ein anderer Kerl! Er sagte sich immer wieder: Alwin, das musst du ganz allein tragen. (Seite 174)
Im Augenblick ist Vera seine Geliebte. Sie verdient ihren Lebensunterhalt als Platzanweiserin im Kino und stellt keine Ansprüche an ihn. Gerade deshalb dauert das Verhältnis schon ein Jahr.
Als Ilse und Alexander Alwin zur Verlobungsfeier von Anne Volkmann und Hans Beumann eingeladen werden, nutzt der Anwalt und Politiker die Gelegenheit, um mit dem Chefredakteur Harry Büsgen ins Gespräch zu kommen. Beim Aufbruch um 3 Uhr nachts bietet er Cécile an, sie im Wagen mitzunehmen. Galant öffnet er ihr die hintere Autotür, dann will er selbst einsteigen, doch Ilse, die neben der Beifahrertür wartet, beschwert sich, dass er ihr nicht in den Wagen hilft.
Und als sie sich jetzt ins Polster fallen ließ, sagte sie: „Man muss die Männer immer wieder daran erinnern, dass Ehefrauen auch Frauen sind.“ (Seite 233)
Während der Fahrt bemüht Alwin sich, Céciles Aufmerksamkeit zu erregen und sucht fortwährend ihren Blick im Rückspiegel, aber sie schaut geradeaus durch die Windschutzscheibe und beachtet ihn nicht weiter. In der Hoffnung, ihr ein wenig Angst machen zu können, erhöht er schließlich die Geschwindigkeit.
Cécile schrie auf, Alwin nahm den Blick aus dem Rückspiegel, sah im Bruchteil einer Sekunde noch das Licht, das auf ihn zuschoss, dann folgten zwei harte metallische Schläge. (Seite 235)
Er hält an. Der Fahrer eines Kleinmotorrads liegt schwer verletzt auf der Straße. Alwin schimpft auf den angeblich betrunkenen Motorradfahrer, der ihm entgegengekommen und dann vors Auto gefahren sei. Auf keinen Fall will er zugeben, dass er nicht auf den Verkehr geachtet, sondern in den Rückspiegel geschaut hatte und dabei möglicherweise auf die linke Fahrspur geraten war. Da es nach dem Tod des Motorradfahrers im Krankenhaus außer Ilse und Cécile keine Unfallzeugen gibt, hat Dr. Alwin durchaus Chancen, ungestraft davonzukommen. Ilse drängt ihn, sich eine widerspruchsfreie Schilderung des Unfalls zu überlegen.
Die Polizei habe angerufen, dass er zur endgültigen Protokollierung in den nächsten Tagen erscheinen müsse, darauf müsse man sich vorbereiten, sagte Ilse, sonst gäbe es womöglich noch Scherereien, er sei doch Rechtsanwalt, er könne es sich nicht leisten, auch nur den geringsten Makel auf sich ruhen zu lassen, bitte, er möge doch bloß einen Augenblick an seine politische Karriere denken, an die Landtagswahlen, es hänge jetzt alles davon ab, dass er rasch und umsichtig handle, dass der Unfall richtig dargestellt werde. Alwin sagte, daran sei er jetzt nicht interessiert. Und starrte in den Regen hinaus. Und in die schwarzen Bäume. (Seite 240)
Hans Beumann erhält einen Brief von Berthold Klaff: Er solle mit dessen Büchern und Papieren nach Belieben verfahren, sonst sei kein Besitz vorhanden. Klaff hat sich in seiner Dachkammer das Leben genommen. Man schafft die Leiche fort, Hans trägt Bücher und Kladden in sein Zimmer, und Frau Färber beginnt zu putzen. Eines der Hefte mit Berhold Klaffs Aufzeichnungen trägt den Titel „Eine Spielzeit auf Probe“. Der erfolglose Schriftsteller schildert darin, wie er von Verwaltungsdirektor Dr. h. c. Josef Mauthusius als Pförtner des Philippsburger Staatstheaters für eine Spielzeit auf Probe eingestellt wurde. Er erinnert sich, wie er Hildegard heiratete, die Verkäuferin in der Buchhandlung, die ihn Bücher und Zeitschriften durchblättern ließ, obwohl er sie nicht kaufen konnte. Aber er enttäuschte sie: Er wurde kein berühmter Schriftsteller, und es gelang ihr nicht, seinen Ehrgeiz zu wecken.
Manchmal stelle ich mir vor, dass es schön wäre, ein Mann zu sein, der „vorwärts“ kommen will, der seine Frau „liebt“, Kinder will und in seiner Familie aufgeht. Aber ich darf diesem Wunsch nicht nachgeben. Das ist der Wunsch, ein anderer zu sein. Wenn ich mich ganz von diesem Wunsch durchdringen lasse, muss ich aufhören zu leben, denn ich habe keine Kraft, jener andere zu werden. also ist der Wunsch, ein anderer zu werden, eine Versuchung, sich umzubringen (Seite 254)
Hildegard verließ ihn, und dann verlor er auch noch seine Stelle beim Philippsburger Staatstheater.
Eines Tages nimmt Knut Relow, der Programmdirektor der Rundfunkanstalt, Hans Beumann mit in das „Sebastian“, den exklusivsten Nachtclub von Philippsburg. Man benötigt einen Schlüssel, um hineinzukommen, aber die Mitglieder dürfen Gäste mitbringen. Zu seiner Überraschung trifft Hans dort Marga wieder, die er gleich nach seiner Ankunft in Philippsburg in einem der beiden Vorzimmer von Harry Büsgen kennen gelernt hatte. Sie erzählt ihm, dass sie seit zwei Monaten in dem Nachtclub arbeitet, weil sie hier doppelt so viel wie als Tippse verdient. Knut Relow und der erfolgreiche Schriftsteller Helmut Maria Dieckow, beides „Sebastianer“, bürgen für Hans Beumann und schlagen ihn in einer feierlichen Zeremonie vor einer Statue des heiligen Sebastian zum „Comes Sebastiensis“.
Da verlangt auch Hermann, ein ehemaliger Arbeiter der städtischen Straßenreinigung, der 600 000 D-Mark im Toto gewann und irgendwie in den Besitz eines Schlüssels zum „Sebastian“ kam, zum Ritter geschlagen zu werden. Die Saufkumpane, die er mitgebracht hat, grölen. Während die feinen Herren noch beratschlagen, wie das dreiste Ansinnen zurückgewiesen werden kann, fordert Hans den Proleten auf, das Lokal zu verlassen, nützt dessen Verblüffung und schlägt ihn nieder. Daraufhin wird er von den Sebastianern als Held gefeiert.
Am nächsten Morgen erwacht er in Margas Bett. Er wird Anne heiraten, selbstverständlich, aber auch Marga fürs Erste nicht aufgeben.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Martin Walsers Debütroman „Ehen in Philippsburg“ spielt in den Fünfzigerjahren in der Bundesrepublik Deutschland. Der erste Abschnitt („Bekanntschaften“) wird aus der Perspektive des mittellosen Hans Beumann erzählt, der gerade sein Studium abgeschlossen hat und in der fiktiven Stadt Philippsburg eine Journalistenkarriere anstrebt. Der am Ende dieses Kapitels eingeführte Gynäkologe Dr. Benrath ist der Protagonist des nächsten Kapitels („Ein Tod muss Folgen haben“). Der angesehene Arzt, der seine Ehefrau heimlich mit Cécile, der attraktiven Besitzerin eines Kunstgewerbegeschäftes, betrügt, kann sich nicht zu einer klaren Entscheidung zwischen den beiden Beziehungen durchringen – bis sich seine Frau das Leben nimmt. Rechtsanwalt Dr. Alwin, den Dr. Benrath beauftragt hat, seine Schwiegereltern vom Tod ihrer Tochter zu unterrichten und sich um die Abholung der Leiche zu kümmern, steht im Mittelpunkt des dritten Kapitels („Verlobung im Regen“). Der ehrgeizige Jurist, der gerade in die Politik gegangen ist, versucht während einer Autofahrt, Céciles Aufmerksamkeit zu erregen und verursacht dadurch einen tödlichen Unfall, der seine Karriere zerstört. Der vierte Teil des Romans („Eine Spielzeit auf Probe“) ist dem erfolglosen Schriftsteller Hans Klaff gewidmet, den seine Ehefrau verlässt, weil er keinerlei Ehrgeiz entwickelt. Der angepasste Parvenü Hans Beumann dagegen wird in den exklusivsten Club von Philippsburg aufgenommen, heiratet Anne, die Tochter des Fabrikanten Volkmann, und beginnt eine Affäre mit einer Animierdame.
In lose verknüpften Episoden und präzise beobachteten Szenen hält Martin Walser der Wirtschaftswundergesellschaft, in der es vor allem um Karriere, Ansehen, Einfluss und Wohlstand geht, den Spiegel vor. Glück und Leidenschaft sind nirgendwo zu spüren, nicht einmal in den Seitensprüngen der erfolgreichen Ärzte und Rechtsanwälte („Seine Neigung zu Cécile brach aus wie eine Krankheit“). Sarkastisch zeigt Martin Walser in „Ehen in Phillipsburg“ die Doppelmoral und Scheinheiligkeit der gehobenen Gesellschaft auf, die Hohlheit und Verlogenheit der Phrasen. Eine Gesellschaft, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg noch im Aufbau befindet, beginnt bereits wieder moralisch zu verfallen.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag – Die Seitenangaben beziehen sich auf
die Ausgabe „
Martin Walser: Die letzte Matinee
Martin Walser: Ein fliehendes Pferd
Martin Walser: Ein Angriff auf Perduz
Martin Walser: Selbstporträt als Kriminalroman
Martin Walser: Dorle und Wolf
Martin Walser: Ohne einander (Verfilmung)
Martin Walser: Finks Krieg
Martin Walser: Der Lebenslauf der Liebe
Martin Walser: Tod eines Kritikers
Martin Walser: Das dreizehnte Kapitel
Martin Walser: Ein sterbender Mann
Martin Walser: Statt etwas oder Der letzte Rank