Martin Walser : Ein fliehendes Pferd
Inhaltsangabe
Kritik
Plötzlich drängte Sabine aus dem Strom der Promenierenden hinaus und ging auf ein Tischchen zu, an dem noch niemand saß. (Seite 9)
Mit diesem Satz beginnt Martin Walser die Novelle „Ein fliehendes Pferd“.
Sabine und ihr Ehemann Helmut Halm verbringen ihren vierwöchigen Urlaub am Bodensee. Sie kommen aus Sillenbuch, einem Stadtteil von Stuttgart, wo Heinrich als Oberstudienrat am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium beschäftigt ist. Ihre beiden Kinder sind bereits erwachsen. Seit elf Jahren mieten die Halms von der Familie Zürn in Nußdorf für vier Wochen eine Ferienwohnung, aber den Kontakt mit der Gastgeber-Familie beschränken sie auf das Nötigste.
Nach einem Spaziergang an der Uferpromenade in Überlingen möchte Sabine in einem Straßencafé sitzen und die Passanten beobachten. Helmut würde lieber in die Ferienwohnung zurückkehren und damit anfangen, Kierkegaards Tagebücher zu lesen. Er hat alle fünf Bände mitgebracht.
Um zu verhindern, dass andere sich ein zutreffendes Bild von ihm machen, verbirgt sich Helmut hinter gekünstelten Verhaltensweisen wie hinter einer Fassade.
Jedesmal, wenn ihm das Erkannt- und Durchschautwerden in Schule oder Nachbarschaft demonstriert wurde, die Vertrautheit mit Eigenschaften, die er nie zugegeben hatte, dann wollte er fliehen […] Und je mehr die ihn zu nehmen wussten, desto größer wurde seine Sehnsucht, wieder unerkannt zu sein. Wenn jemand von ihm noch nichts wusste, war noch alles möglich. (Seite 13)
Im Urlaub probierte er Gesichter und Benehmensweisen aus, die ihm geeignet zu sein schienen, seine wirkliche Person in Sicherheit zu bringen vor den Augen der Welt. (Seite 13)
Obwohl Helmut erst sechsundvierzig Jahre alt ist, erwartet er nicht mehr viel vom Leben. Er will nur noch in Ruhe lesen und hat auch keine Lust mehr, mit Sabine oder einer anderen Frau zu schlafen. Dass er damit dem Leistungsdenken der Gesellschaft nicht entspricht, weiß er. Vor zwölf Jahren übernachtete er mit Sabine in einem Hotel in Grado. Da hörten sie, wie kraftvoll sich der Mann im Nebenzimmer auf dem Bett bewegte.
Er hatte bemerkt, dass Sabine auch nur noch hinüberhorchte. Sie musste, musste, musste ihm das doch vorwerfen, dass er kein solcher Hammer war. Beide lagen und hörten nur noch, was ein Mann leisten kann […] So muss man sich früher am Pranger gefühlt haben. Wer den Sexualitätsgeboten dieser Zeit und Gesellschaft nicht genügte, war praktisch ununterbrochen am Pranger. (Seite 67)
Unvermittelt bleibt ein Paar vor Helmut und Sabine stehen. Klaus Buch hat seinen früheren Schulfreund und Kommilitonen wiedererkannt, obwohl sie seit dreiundzwanzig Jahren nichts mehr voneinander hörten. Als Helmut sich nicht gleich an ihn erinnert, hilft er ihm mit einem Schwall von Anekdoten nach. Und er stellt den Halms seine Ehefrau Helene („Hel“) vor.
Das war eine Frau wie eine Trophäe. (Seite 21)
Hel ist achtzehn Jahre jünger als die beiden Männer, aber im Gegensatz zu Helmut sieht Klaus kaum älter aus als sie. Er wirkt dynamisch, sportlich fit und ist braun gebrannt wie seine Frau. Die Buchs haben keine Kinder. Sie besitzen ein Haus am Starnberger See, und seit drei Jahren machen sie in Maurach Urlaub. Von dort sind sie gerade mit den Fahrrädern gekommen.
Widerwillig lässt Helmut sich von Klaus zu einem gemeinsamen Abendessen überreden.
Während Helmut und Sabine kräftig essen und trinken, beschränken Klaus und Hel sich auf Steak, Salat und Mineralwasser. Im Gegensatz zu den Halms rauchen die Buchs auch nicht.
Klaus und Hel sind Journalisten. Als Sabine hört, dass Klaus ein Buch über gesunde Ernährung geschrieben hat und Hel eines über Kräuter, erzählt sie, dass Helmut seit längerer Zeit ein Buch plane, aber damit nicht vorankomme. Da schwärmt Klaus davon, dass Helmut schon mit vierzehn „Zarathustra“ gelesen habe. Er schwelgt in Erinnerungen, erzählt, wie sie als Schüler in der Gruppe um die Wette masturbierten und beschreibt Helmuts Phimose. Der leidet Qualen, lässt es sich aber nicht anmerken, sondern verbirgt sich hinter dem Rauch einer Zigarre und betäubt sich mit fünf Vierteln Spätburgunder.
Jeder Gedanke an Gewesenes machte ihn schwer. Er empfand eine Art Ekel, wenn er daran dachte, mit wieviel Vergangenheit er schon angefüllt war. Deckel drauf. Zulassen. Bloß keinen Sauerstoff drankommen lassen, sonst fing das an zu gären. (Seite 27)
Einerseits erklärt Klaus, er brauche Überforderung zum Leben. Andererseits behauptet er, möglichst wenig zu arbeiten.
Nur Leute, die erotisch nicht völlig da sind, brauchen Arbeit. (Seite 100)
Dass Helmut ein Arbeitsmensch geworden sei, will er nicht glauben.
Sabine, sagte Helmut, wie siehst du das? Sabine sagte, dass Helmut ununterbrochen arbeite. Allerdings auf eine nicht jedem gleich begreifliche Weise. Er lese eben immerzu. Es sehe aus wie Studieren. Sie halte es aber eher für Leben. Das heißt, es komme nichts heraus dabei. Vielleicht sei das sogar nicht einmal beabsichtigt. (Seite 98)
Am nächsten Morgen nehmen die Buchs die Halms zum Segeln mit. Klaus besteht darauf, dass sie sich alle mit Vornamen anreden. Daraufhin spricht Helmut die Frau seines früheren Schulfreundes gar nicht mehr an. Und er versucht, nicht hinzusehen, als Hel ihr Oberteil ablegt und sich mit nacktem Oberkörper aufs Vorschiff legt.
Auch den folgenden Tag will Klaus unbedingt mit seinem wiederentdeckten Freund zusammen verbringen. Man einigt sich auf eine Wanderung. Die Buchs holen ihre Freunde mit einem silbergrauen Mercedes-250-Coupé ab. Helmut setzt sich nach vorne und platziert vor sich seine Hündin Otto. Weil Klaus sich vor dem Tier ekelt und befürchtet, es könne ihm die Hand lecken, wenn er den Schalthebel anfasst, lässt er Hel ans Steuer.
Helmut dirigiert Hel nach Limpach, verspricht eine schöne Wanderung durch den Wald und als Krönung einen einmaligen Rundblick. Nach kurzer Zeit verliert er jedoch die Orientierung, und sie geraten in einen Wolkenbruch. Damit Hemd und Bluse einigermaßen trocken bleiben, ziehen Klaus und Hel die Sachen aus. Einen Büstenhalter trägt Hel auch nicht. Helmut blickt wieder nur kurz hin. Als er keuchend und schwitzend das Ausflugslokal erreicht, wartet Klaus bereits frisch frisiert vor der Tür.
Klaus Buch fluchte auf das Essen. Erstens war ihm die Panierung zu dick, zweitens war das Schweinefleisch, drittens war der Salat ein Matsch. Er tat nichts, um die Bedienung zu schonen. Die stand mit zementfarbenem, schwerem Gesicht unter einem künstlichen Haarturm und schien unglücklich zu sein. Als sie sich, von Vorwürfen beladen, endlich stumm umdrehte und mühsam wegging, sagte Hel leise, dieser Oldtimer-Minirock der Bedienung sei schon sehenswert. Ein ziemlich einmaliger Rundblick eben, sagte Klaus Buch, prustete los, da musste Hel auch wieder. Beide ließen vor Lachen ihre Bestecke auf die Platten fallen. Helmut und Sabine mussten überhaupt nicht lachen. (Seite 85f)
Auf dem Rückweg galoppiert ein durchgegangenes Pferd an ihnen vorbei. Zwei Männer laufen hinterher. Als es stehen bleibt, geht einer von ihnen darauf zu, aber bevor er das Halfter zu fassen kriegt, rast das Pferd wieder los. Da rennt Klaus los. Sobald das fliehende Pferd wieder zum Stehen kommt, geht er nur noch langsam weiter. Er nähert sich dem Tier von der Seite. Schließlich sitzt er auf. Es galoppiert los, aber nach ein paar Minuten kommt Klaus zurückgeritten.
Er erinnert Hel daran, wie er in Meran einen Haflinger eingefangen habe. Entscheidend sei, dass man Fluchttieren nicht den Weg versperre. Der Bauer sei von vorn auf das Pferd zugegangen, das sei falsch gewesen.
Also, wenn ich mich in etwas hineindenken kann, dann ist es ein fliehendes Pferd […] Einem fliehenden Pferd kannst du dich nicht in den Weg stellen. Es muss das Gefühl haben, sein Weg bleibt frei. Und: ein fliehendes Pferd lässt nicht mit sich reden. (Seite 92f)
Weil Hel am nächsten Tag in den umliegenden Dörfern Interviews mit Greisinnen führen will, beabsichtigt Klaus, ohne sie zu segeln, und als Sabine vorgibt, einen Friseurtermin zu haben, verabreden sich nur die beiden Männer.
Auf dem Schiff fragt Klaus, wie oft Helmut noch mit Sabine schlafe. Er hat längst durchschaut, dass es da keine Leidenschaft mehr gibt.
Du musst gerettet werden. Du brauchst mich, Helmut, das spür‘ ich. Deshalb meine Frage, wie oft bumst du Sabine. Ich will dich doch nicht beschämen, Mensch. Ich will nicht den tollen body spielen. Mensch, Helmut, meine erste Frau habe ich am Schluss noch einmal pro Woche gebumst. Sowas von herunter war ich. Waren wir. Also bitte. Mit mir kannst du reden. Wenn du willst. Ich finde einfach, wir sollten, bevor wir fünfzig sind, noch einmal vom Stapel laufen. (Seite 114)
Klaus versucht, Helmut zu überreden, seinen Job aufzugeben und mit ihm und Hel auf den Bahamas ein neues Leben anzufangen.
Mensch, Helmut, lass es uns groß spielen. Nicht klein beigeben. Groß bleiben. Größer werden. Der Größte. Wir zwei sind die Größten, ich schwör’s dir. Uns will das Leben. Ich hol dich heraus aus deiner Flaute, Junge. Dich richte ich wieder her. Du wirst sehen, in einem Jahr kennst du dich nicht wieder. Du bist kurz vorm Versacken. Ich schau da nicht zu. (Seite 116f)
Während Klaus auf Helmut einredet, zieht ein Sturm auf. Helmut meint, sie sollten so rasch wie möglich ans Ufer zurückkehren, aber Klaus schreit vor Begeisterung. Plötzlich stößt ihm Helmut die Pinne aus der Hand, und Klaus stürzt rückwärts in die Wellen. Das Großsegel und das Vorsegel reißen sich los und flattern im Wind. Helmut kann nur hoffen, dass die Jolle nicht kentert.
Klaus müsste sich retten können. Ein solcher Sportler. Sollten sie je kentern, hatte Klaus doziert, müsse man sich von den Wellen tragen lassen. Nie versuchen, ein näher liegendes Ufer gegen die Wellen zu erreichen. Es sei überhaupt kein Problem MIT den Wellen 5 Kilometer zu schwimmen, aber unmöglich, gegen sie 500 Meter. Überhaupt kein Problem. Also bitte. Idiot. (Seite 125)
Als der Kiel im Uferkies knirscht, springt Helmut heraus, watet an Land und geht auf das nächste Licht zu. Die Bewohner des Hauses rufen sofort einen Krankenwagen und alarmieren die Wasserschutzpolizei.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Man muss davon ausgehen, dass Klaus ertrunken ist. Die Zeitung meldet am nächsten Morgen, dass bei dem Unwetter drei Menschen auf dem Bodensee ums Leben gekommen seien. (Sabine stellt fest, dass Klaus sich mit C schreibt.)
Trotz des schrecklichen Ereignisses drängt Helmut seine Frau, mit ihm einen Waldlauf zu machen. Kurz entschlossen kaufen sie Fahrräder, Turnschuhe und Trainingsanzüge. Helmut ist plötzlich voller Tatendrang. Hastig ziehen sie sich um.
Gerade als sie nach ihren Fahrrädern greifen, nähert sich der silberne Mercedes. Im Hotelzimmer hat Hel es nicht mehr allein ausgehalten. Sie braucht Gesellschaft. Sie trinkt sogar Kaffee mit und isst zum ersten Mal seit vier Jahren wieder Kuchen. Als Sabine sich eine Zigarette anzündet, lässt sie sich auch eine geben, und sie lehnt auch den Calvados nicht ab. Helmut dagegen raucht nicht und mag auch nichts trinken. Nach ein paar Gläsern beginnt Hel zu erzählen, dass Klaus jeden Tag zehn, zwölf Stunden vor der Schreibmaschine saß. Er verbreitete den Eindruck, er arbeite nur wenig und auch das nur zum Spaß, aber in Wirklichkeit plagte er sich, weil ihm nichts einfiel.
Er hat nicht viel gehabt von seinem Leben, sagte sie. Es war nichts als Schinderei. (Seite 141)
Den Urlaub hätten sie sich eigentlich gar nicht leisten können. Bei dem Haus am Starnberger See handelt es sich um eine von Klaus billig erworbene und selbst umgebaute frühere Hühnerfarm. Er habe sich ständig beweisen wollen, dass er kein Versager war. Was er nicht schaffte, sollte Hel erreichen, doch wenn sie für ihre Leistungen gelobt wurde, war es ihm auch nicht recht. Als sie sich vor sechs Jahren kennenlernten, studierte sie Musik, aber er redete ihr ein, dass ihr Talent nicht für eine Karriere als Pianistin reichte und brachte sie dazu, ihr Klavier zu verkaufen.
Er war auf dem falschen Dampfer. Und mich hat er auch auf diesen falschen Dampfer gezwungen. Darum weiß ich, wie das ist, auf dem falschen Dampfer zu sein. Das ist die Hölle. Durch einen saublöden Zufall ist er in diesen Scheißjournalismus hineingekommen. Dann auch noch in dieses Umweltzeugs. Dann hat er geglaubt, er muss das alles ernst nehmen, weil wir jetzt davon leben. (Seite 143)
Während Hel mit den Fingern in der Luft die „Wanderer-Fantasie“ von Franz Schubert spielt und singt, taucht unvermittelt Klaus auf. Ohne groß auf ihn zu achten, raucht Hel weiter und trinkt Calvados. Er sagt nur: „Komm jetzt.“ Klaus und Helmut vermeiden es, sich anzusehen.
Als die Buchs fort sind, zündet Helmut sich eine Zigarre an und schenkt sich ein Glas Calvados ein. Sabine wundert sich über Klaus.
Begreifst du, was er hat, fragte Sabine. Helmut reagierte nicht auf diese Frage. Helmut, was hat er, fragte Sabine. Er hat doch was. Statt, dass es jetzt eine Feier gibt, kommt er … wie der Jüngste Tag persönlich. Begreifst du das? (Seite 152)
Sie will mit ihrem Mann einen Waldlauf oder eine Radtour machen, aber Helmut zieht den Trainingsanzug aus und schlägt vor, die Räder den Zürns zu schenken. Während er zu packen anfängt, fordert er Sabine auf, den Zürns zu sagen, sie müssten wegen besonderer Umstände vorzeitig abreisen. Sie soll für die vollen vier Wochen bezahlen und ein Taxi rufen.
Am Bahnhof verlangt Helmut eine Fahrkarte nach Meran, aber Sabine möchte lieber nach Montpellier fahren. Dort sind die Mauern so dick, dass man die Leute von nebenan nicht hört.
Im Zug beginnt Helmut zu erzählen:
Plötzlich drängte Sabine aus dem Strom der Promenierenden hinaus und ging auf ein Tischchen zu, an dem noch niemand saß. (Seite 156)
Die Novelle „Ein fliehendes Pferd“ von Martin Walser ist Gesellschaftsanalyse und Psychogramm zugleich. Es geht um Identitätskrisen und Lebenslügen, die vom Leistungsdruck der Gesellschaft verursacht werden. Während sich Helmut Halm dem Leistungsdruck in seinem Privatleben seit der Midlife Crisis entzieht und sich in seiner Lethargie bequem eingerichtet hat, mimt Klaus Buch den sportlichen, sexuell aktiven und erfolgreichen Macher. Helmut erlebt Klaus als Bedrohung, weil dieser das Leitbild der Gesellschaft verkörpert, ihn entlarven könnte und seine Frau Sabine sich von dem Blender angezogen fühlt. Erst am Schluss lässt Hel die Fassade ihres Mannes einstürzen. Eine einzige unter den vier Figuren – Sabine – ist so selbstbewusst, dass sie nicht auf den Schein angewiesen ist, sondern unverfälscht bleibt.
Martin Walser erzählt konsequent aus Helmuts Perspektive. Während wir auch seine verborgenen Gedanken mit verfolgen, erleben wir die anderen drei Figuren nur „von außen“. Formal ist „Ein fliehendes Pferd“ eine klassische Novelle; auch die „unerhörte Begebenheit“ fehlt nicht, die Johann Wolfgang von Goethe für ein Prerequisit dieser Literaturgattung hielt. „Das fliehende Pferd“ beginnt und endet mit demselben Satz. Dadurch entsteht ein Rahmen, und wir können uns vorstellen, dass der Text aus dem Bericht besteht, den Helmut seiner Frau während der Zugfahrt gibt.
Die Novelle ist ein Glanzstück Walser’scher Prosa. In einer knappen, unübertroffen genauen Sprache wird der Alltag alternder (männlicher) Intellektueller dargestellt. (Harenbergs Lexikon der Weltliteratur, Dortmund 1989, Band 2, Seite 965)
Sein unterhaltsamstes, spannendstes und vielleicht sogar bestes Buch hat Martin Walser als kleines, genialisch hingezaubertes Nebenprodukt in allerkürzester Zeit aus dem Ärmel geschüttelt – und vermutlich ist gerade diese fixe, flüchtige Arbeitsweise der Grund für die außergewöhnlichen Qualitäten des Buches. Martin Walser nämlich spielt in „Ein fliehendes Pferd“ einmal nicht sein Talent als eifriger Wortfuchser und mit immer neuen Einfällen prunkender Formulierungskünstler aus, sondern erzählt schlank und fast geradeaus. Das macht die Novelle zu einem mitreißenden Buch mit krimihaften Zügen. Anders als in seinen sogenannten Hauptwerken schickt Walser seine Sätze hier nicht auf den Laufsteg einer ebenso eitlen wie oft beeindruckenden Poesie-Modenschau, sondern stellt sie in den Dienst einer ziemlich alltäglichen Geschichte von den Schmerzen des Älterwerdens, den Qualen der Eifersucht und den Wonnen der Rache. (Nachwort von Wolfgang Höbel, Seite 158)
Dr. Gottlieb Zürn taucht wieder auf als Hauptfigur des 1980 von Martin Walser veröffentlichten Romans „Das Schwanenhaus“. Helmut und Sabine Halm sind auch die Protagonisten des Romans „Brandung“ aus dem Jahr 1985.
„Ein fliehendes Pferd“ gibt es in einer ungekürzten Hörbuch-Fassung aus dem Jahr 1985, gelesen von Martin Walser selbst (München 2007).
Die Novelle „Ein fliehendes Pferd“ wurde 1985 von Peter Beauvais und 2007 von Rainer Kaufmann verfilmt.
Originaltitel: Ein fliehendes Pferd – Regie: Peter Beauvais – Drehbuch: Peter Beauvais, Ulrich Plenzdorf, nach der Novelle „Ein fliehendes Pferd“ von Martin Walser – Kamera: Gernot Roll – Schnitt: Liesgret Schmitt-Klink – Darsteller: Vadim Glowna, Marita Marschall, Joachim Dietmar Mues, Rosel Zech u.a. – 1985; 75 Minuten
Originaltitel: Ein fliehendes Pferd – Regie: Rainer Kaufmann – Drehbuch: Kathrin Richter, Ralf Hertwig, nach der Novelle „Ein fliehendes Pferd“ von Martin Walser – Kamera: Klaus Eichhammer – Schnitt: Christel Suckow – Musik: Annette Focks – Darsteller: Ulrich Noethen, Ulrich Tukur, Katja Riemann, Petra Schmidt-Schaller, Therese Hämer, Günter Brombacher, Vilmar Bieri, Lisa Friedrich, Jan Messutat, Julian Greis, Zvonimir Ankovic u.a. – 2007; 90 Minuten
Sekundärliteratur über „Ein fliehendes Pferd“:
- Saskia Dams: Martin Walser, „Ein fliehendes Pferd“ (1977). Das Leitmotiv des Pferdes und seine Textbezüge zur Flucht (München / Ravensburg 2008)
- Ellen Deboeser, Ingrid Gubo und Michaela Scholz: Von der Idee bis zur Kritik. Stationen der Fernsehfilmadaption der Novelle „Ein fliehendes Pferd“ von Martin Walser
(Essen 1988) - Helmuth Kiesel: Martin Walser, Ein fliehendes Pferd. Text und Kommentar
(Frankfurt/M 2002) - Melanie Kindermann: Analyse der Novelle von Martin Walser. Ein fliehendes Pferd
(München / Ravensburg 2007) - Olaf Kutzmutz: Martin Walser, Ein fliehendes Pferd. Lektüreschlüssel für Schüler (Stuttgart 2006)
- Elmar Nordmann: Erläuterungen zu Martin Walser, Ein fliehendes Pferd (Hollfeld 2008)
- Hans-Erich Struck: Martin Walser, Ein fliehendes Pferd. Interpretation (München 2002)
- Gunther Wilms: Zu Martin Walsers „Ein fliehendes Pferd“ (München / Ravensburg 2008)
- Michael Zimmer: Martin Walser, Ein fliehendes Pferd. Interpretationen und Materialien (Hollfeld 2000)
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nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag
Rainer Kaufmann: Ein fliehendes Pferd
Martin Walser: Die letzte Matinee
Martin Walser: Ehen in Philippsburg
Martin Walser: Ein Angriff auf Perduz
Martin Walser: Selbstporträt als Kriminalroman
Martin Walser: Dorle und Wolf
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