Monika Helfer : Die Jungfrau

Die Jungfrau
Die Jungfrau Originalausgabe Carl Hanser Verlag, München 2023 ISBN 978-3-446-27789-2, 150 Seiten ISBN 978-3-446-27884-4 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Als Schülerinnen sind Monika und Gloria eng befreundet, obwohl die eine mit sechs Verwandten in einer 3-Zimmer-Wohnung eingepfercht ist, während die andere mit ihrer Mutter ein großes Haus bewohnt. Gloria besucht dann eine Schauspielschule in Wien und träumt von einer Theaterkarriere. Monika heiratet, wird Mutter – und Schriftstellerin. Mit 70 sehen sie sich wieder ...
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Kritik

Die Figur Gloria habe sie aus mehreren Freundinnen für ihren Roman "Die Jungfrau" kombiniert, erklärt Monika Helfer. 70 Prozent seien Fiktion. Sie schreibt als Ich-Erzählerin, knapp, verkürzt und nicht linear bzw. chronologisch, sondern im Vor und Zurück zwischen der Jugend und der Gegenwart, in der die beiden Hauptfiguren 70 Jahre alt sind.
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Jugendfreundinnen

Als Jugendliche wohnen Monika und ihre Schwestern Renate und Gretel Anfang der Sechzigerjahre bei Tante und Onkel, Cousin und Cousine in einer Drei-Zimmer-Wohnung in der Süditroler-Siedlung in Bregenz.

Vom 13. bis 18. Lebensjahr ist sie eng mit Gloria befreundet, die mit ihrer Mutter in einem Haus wohnt, in dem Monika staunend zwölf Zimmer gezählt hat, dazu nicht nur Küche und Bad sondern auch noch weitere zwei Zimmer im unteren der beiden Dachböden. Mutter und Tochter leben auf großem Fuß, kaufen im Überfluss und werfen die Hälfte davon weg, darunter Kobe-Rindersteaks.

In der Schule erzielt Gloria Bestnoten, und Monika ist vor allem in Mathematik darauf angewiesen, dass Gloria ihr einsagt.

Am Tag nach Monika 17. Geburtstag [1964] trifft sie sich mit Gloria am Bahnhof. Zu Hause erzählte sie irgendeine Lügengeschichte darüber, wo sie mit ihrer Freundin eine Woche lang sein werde. Gloria bezahlt alles und steckt Monika bei der Begrüßung eine Fahrkarte 1. Klasse nach Zürich in den Ausschnitt. In Zürich nehmen sie ein Taxi zum Flughafen Kloten. Erst jetzt verrät Gloria ihrer Freundin, was sie vorhat: Sie will nach New York, zum Entjungfern. Weil die beiden Mädchen minderjährig sind, bekommen sie jedoch keine Flugtickets. Kurzerhand übernachten sie im Hotel Baur au Lac. Am Abend lassen sie sich von Männern ansprechen. Als Gloria ins Hotel zurückkommt, ist ihre Schminke verschmiert und die Nylons haben Laufmaschen. Ein Amerikaner habe ihr den Slip heruntergerissen, berichtet sie, sie befummelt und dann einen Blow Job verlangt. Was sie da zu tun hatte, musste er ihr erst erklären. Und defloriert wurde sie nicht.

Gloria und Moni

Ein paar Wochen später zieht Gloria nach Wien, denn sie bewarb sich noch vor dem Schulabschluss erfolgreich beim Max Reinhardt Seminar.

In den Ferien kommt Gloria zurück nach Bregenz. Sie träumt von einer Karriere als Schauspielerin, und weil Monika vorhat, Schriftstellerin zu werden, malt sie sich aus, wie sie als „Gloria und Moni“ erfolgreich sind: Schauspielerin und Autorin als Duo, das gab es noch nie. Monika solle schon mal ein Theaterstück schreiben, dessen Hauptrolle sie dann spielen werde. Aber die angehende Schriftstellerin entgegnet, dass sie nur kurze Erzählungen schreiben wolle.

Monikas Vorbild ist Virginia Woolf. Von bei Ferienjobs verdientem und gespartem Geld kauft sie sich eine Reiseschreibmaschine.

Mit 18 lernt Monika ihren ersten Mann kennen, den Sohn eines ehemaligen Obersturmbannführers. Bei der Hochzeit zwei Jahre später fungiert Gloria als Trauzeugin. Im Alter von 21 Jahren bringt Monika ihr erstes Kind zur Welt: Oliver.

Gloria verliebt sich in den 20 Jahre älteren Professor für Rollengestaltung. Er heißt Andrea, ist mit einer Mailänderin verheiratet und hat mit ihr vier Kinder. Der Katholik lässt sich zwar auf eine Affäre mit seiner Studentin ein, weigert sich aber, sie zu penetrieren. Und Gloria klagt ihrer Freundin Monika:

„Er fickt mich nicht.“ – Das war in jener Zeit eine schockierende Redewendung. – „Ich hab‘ ihm gesagt, er soll mich ficken. Er tut es nicht. Wegen der katholischen Höllenqualen, vermute ich. Ob ich ihm das nicht wert sei, hab‘ ich ihn gefragt. […] Er fickt mich nicht. Nicht ums Verrecken fickt er mich!“

Dass er mich nicht fickt, ist nicht wegen seinem Herrgott, es ist, weil ich noch Jungfrau bin. […] Er will nicht der Erste sein. Am Ersten hängen die Weiber ihr Leben lang, und er will nicht, dass ich ein Leben lang an ihm hänge.

Schließlich bricht Gloria die Schauspielschule ab.

Die Jungfrau

An ihrem 70. Geburtstag [2017] erhält Monika Post von Glorias Nichte Klara. Sie soll nach Bregenz kommen, Gloria geht es angeblich schlecht.

Die Schriftstellerin Monika ist seit 36 Jahren mit dem Schriftsteller Michael [Köhlmeier] verheiratet und Mutter von vier Kindern.

Bei Monikas Besuch in Bregenz vertraut Gloria ihr das Geheimnis an, dass sie zwar Penisse in der Hand und im Mund gehabt habe, aber nie entjungfert worden sei.

So krank wie Klara andeutete, ist Gloria nicht. Eine andere Sorge treibt die Nichte um: Gloria habe ihr zwar mündlich Haus und Garten vermacht, erklärt sie Monika, aber dazu gebe es nichts Schriftliches. Angeblich deponierte Glorias Mutter um die 200.000 Euro Bargeld im Haus und starb, ohne Gloria die Verstecke zu verraten. Gloria interessiert das nicht, aber Klara giert nach dem Erbe.

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Die Romanfigur Gloria habe sie aus mehreren Freundinnen kombiniert, erklärt Monika Helfer. 70 Prozent des Romans seien Fiktion. Mit Gloria hat die Schriftstellerin eine Gegenfigur zu sich selbst erdacht, ein Spiegelbild, eine Doppelgängerin. „Die Jungfrau“ – so der Titel – ist intelligent, vereinsamt jedoch im Lauf der Zeit, als sie keinen ihrer Träume verwirklichen und keine ihrer Erwartungen erfüllen kann.

Sie spielt irgendjemanden, nur damit sie selbst glauben kann, dass sie jemand ist.

In einem Leben, in dem die Wirklichkeit von der Einbildung in die Bedeutungslosigkeit gedrängt ist, muss die Frage nach der Wahrheit merkwürdig klingen.

Die als Ich-Erzählerin auftretende Protagonistin Monika weist autobiografische Züge der Autorin Monika Helfer auf. Sie schreibt knapp, verkürzt und bittet an einer Stelle um Nachsicht, weil sie nicht linear bzw. chronologisch erzählt, sondern in den fünf Jahrzehnten, die der Roman „Die Jungfrau“ umspannt, vor und zurück springt. In der Gegenwart sind die beiden Hauptfiguren 70 Jahre alt; ein Großteil der Handlung findet jedoch in ihrer Jugend statt. Als Rahmen dient eine Szene, in der Gloria und Monika frühmorgens auf einer Steinbank sitzen, mit weißen Kniestrümpfen und baumelnden Beinen. Der Hahn auf dem benachbarten Bauernhof kräht auf dem Misthaufen – und der Bauer zerfetzt ihn vor den Augen der Mädchen mit einem Flintenschuss. Im Epilog erinnern sich Gloria und Monika daran und fragen sich, warum der Bauer das getan habe. Ob er vorgehabt habe, auch auf sie zu schießen.

Den Roman „Die Jungfrau“ gibt es auch als Hörbuch, gelesen von der Autorin Monika Helfer.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2023
Textauszüge: © Carl Hanser Verlag

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