Frank Schätzing : Die Tyrannei des Schmetterlings

Die Tyrannei des Schmetterlings
Die Tyrannei des Schmetterlings Originalausgabe Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018 ISBN 978-3-462-05084-4, 734 Seiten ISBN 978-3-462-31833-3 (eBook) ISBN 978-3-596-70403-3 (Fischer-Taschenbuch, 2019)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Nachdem Luther Opoku, der Undersheriff des Sierra County in Kalifornien, den Security-Chef der stark gesicherten Forschungsanlage eines auf KI spezialisierten Unternehmens aus dem Silicon Valley verhaftet hat, erfährt er, dass er sich in einem Paralleluniversum befindet ...
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Kritik

Der Roman "Die Tyrannei des Schmetterlings" dreht sich um nichts weniger als die Zukunft der Erde und der Menschheit. Frank Schätzing beschäftigt sich in der prätentiösen Dystopie mit Chancen und Risiken, die sich durch künstliche Intelligenz ergeben können.
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Leichenfund

Carl Mara, der in Downieville/Kalifornien am Zusammenfluss des Downie River und des North Yuba River amtierende Sierra County Sheriff, steht aus Alters- und Gesundheitsgründen kurz vor dem Ruhestand. Als Nachfolger gilt der schwarze Undersheriff Luther Opoku, der dann von Ruth Underwood abgelöst werden soll. Sie kam vor fünf Jahren aus Medisonville im County Monroe/Tennessee nach Sierra. Dort war es zu einem Skandal gekommen, weil sie ihren Kollegen Willard Bendieker während eines Vergewaltigungsversuchs angeschossen hatte und dadurch ihre lesbische Affäre mit seiner Ehefrau Alicia publik geworden war.

2017 fahren Luther Opoku und Ruth Underwood zu einer Schlucht, in der eine Tote gefunden wurde. Es sieht so aus, als sei sie in der Nacht mit ihrem Geländewagen in eine Douglasie gerast, aus dem Auto gesprungen, losgerannt und in den Canyon gestürzt. Aufgrund von Reifenspuren eines baugleichen SUVs und großen Fußspuren nehmen die Ermittler an, dass die Frau von einem Mann verfolgt wurde.

Todesursache war ein Genickbruch. Unter den Fingernägeln der Leiche stellt die Gerichtsmedizinerin Marianne Hatherley Hautfetzen mit Bartstoppeln sicher.

Dr. Marianne Hatherley war mehr als zwanzig Jahre lang forensische Pathologin beim FBI, bevor sie sich ihrer Wurzeln besann und zurück an den Ort ihrer Kindheit kehrte. Nicht, dass diese frühe Phase ihres Lebens von besonderen Freuden geprägt gewesen wäre, ebenso wenig wie die Zeit in Washington ihre Erinnerungen ins Goldbad getaucht hat, und schon gar nicht verdankt sich ihr Entschluss familienbedingten Sehnsüchten. Nach Mariannes Auffassung ist Familie etwas, das praktisch alle namhaften Literaten zu Tragödien inspiriert hat, in deren Verlauf genetisch bedingte Verworfenheit mit deprimierender Regelmäßigkeit in ein abscheuliches Ende mündet. Sich selbst nimmt sie von der Verachtung nicht aus. Der Ehrlichkeit halber lautet ihr Credo, sollte man schon in sehr jungen Jahren Abstand von der Vorstellung nehmen, besser geraten zu sein als die eigenen Erzeuger […]

Der ramponierte Geländewagen gehört dem Unternehmen Nordvisk in Palo Alto, das auf einem streng gesicherten Gelände nordöstlich von Calpine im Sierra Valley einen Superrechner betreibt.

Meg Danes, die Chefin einer Autowerkstatt in Sierra City, untersucht den Wagen im Auftrag der Polizei und entdeckt zwischen der Sitzfläche und der Rückenlehne einen IdKey. Darauf sind Videoaufnahmen von Verladearbeiten in einer kugelförmigen Halle mit einer geheimnisvollen Brücke gespeichert. Der Verdacht liegt nahe, dass die ums Leben gekommene junge Frau heimlich auf dem Nordvisk-Firmengelände filmte und deshalb verfolgt wurde.

Verhaftung

Bei der Toten handelt es sich um Pilar Guzmán. Die Projektleiterin für künstliche Intelligenz und virtuelle Realität arbeitete in der Hauptverwaltung von Nordvisk in Palo Alto.

Hugo van Dyke, der CEO von Nordvisk, reist von dort an, um dem Undersheriff eine Besichtigung des „Farm“ genannten Forschungsgeländes zu ermöglichen, auf dem sich außer dem Sicherheitsdienst nur die beiden Programmiererinnen Ellen Banks und Bridget Liu befinden.

Als Luther Opoku während des Rundgangs mit Hugo van Dyke auf Jaron Rodriguez trifft, den Leiter des Sicherheitsdienstes, fällt ihm eine Verletzung am Hals des Hünen auf und er kennt das Gesicht bereits von dem Video auf dem IdKey. Er beschuldigt Jaron Rodriguez deshalb im Beisein des CEO, Pilar Guzmán in den Tod getrieben zu haben. Plötzlich schlägt der Sicherheitschef zu und rennt los. Luther Opoku verfolgt ihn über die seltsame Brücke, die er bereits im Video sah.

Nachdem Jaron Rodriguez entkommen ist, wundert sich Luther Opoku darüber, dass es bereits dunkel ist. Gleich darauf beobachtet er, wie Pilar Guzmán zu einem abgestellten Geländewagen rennt und von Jaron Rodriguez tätlich angegriffen wird. Er nimmt den Sicherheitschef fest, und die Projektleiterin rast mit dem Wagen davon.

Wie kann das sein? Wurde die Zeit zurückgedreht?

Jaron Rodriguez verbringt die Nacht in einer Zelle des Sierra County Sheriff Department, aber am nächsten Morgen landet die Rechtsanwältin Louise Tillerman von der Kanzlei Cole & Rosenfield mit einem Hubschrauber in Downieville und verlangt die Freilassung des Häftlings.

Zeitreise?

Es heißt, Luther sei in Urlaub gewesen, und in seinem Haus steht tatsächlich Gepäck. Noch mehr irritiert ihn ein Foto, das ihn mit seiner Ex-Frau Jodie und der gemeinsamen Tochter Tamy auf der Terrasse seiner von einem Ghanaer geschiedenen Mutter Darlene Opoku zeigt. Das Mädchen auf dem Bild ist etwa 15 Jahre alt. Aber als Tamy elf Jahre alt war, kam Jodie bei einem Verkehrsunfall ums Leben.

Luther Opoku und Jodie Kruger hatten sich während des Jura-Studiums an der California State University in Los Angeles kennengelernt. Als Jodie schwanger wurde, heirateten sie. Aber Jodie fand sich nie damit ab, dass sie fast jeden Tag um ihren bei der Drug Enforcement Administration (DEA) in Sacramento tätigen Ehemann bangen musste. Auf ihren Wunsch hin wechselte Luther zwar zum Sierra County Sheriff Department, aber auch da verbiss er sich in seine Arbeit und vernachlässigte die Familie. Deshalb verließ ihn Jodie 2010 nach elf Ehejahren. Nachdem sie ihre Sachen aus Downieville abgeholt hatte, prallte sie mit ihrem Auto in einen entgegenkommenden Lastwagen.

Luther vertraut sich Ruth an. Sie sagt ihm schließlich, dass seine inzwischen 17-jährige Tochter Tamy nicht bei seiner Mutter Darlene in Loyalton wohnt, wie er annimmt, sondern mit Jodie in Sacramento. Sie besucht auch nicht die Loyalton High School, sondern die Sacramento Charter High School. Den von Luther beschriebenen Verkehrsunfall habe es nie gegeben, erklärt Ruth.

Grace Hendryx

Luther ruft in Palo Alto an und erhält von Elmar Nordvisks Assistentin Katie Ryman einen Termin mit dem Firmengründer am nächsten Tag.

Unterwegs wird er von einer Äthiopierin angegriffen, die zum Sicherheitsdienst der „Farm“ in Sierra gehört. Beim Kampf stürzt Grace Hendryx von einer Brücke, und der Zusammenprall mit einem Schnellboot reißt ihr den Kopf ab.

Währenddessen findet Ruth heraus, dass Grace Hendryx nachts in Luthers Haus war, ihn mit einem Kopfschuss tötete und die Leiche in der Nähe vergrub.

Zum Zeitpunkt ihres Todes hielt Grace Hendryx sich vor zahlreichen Zeugen in einem Konferenzraum der „The Drop“ genannten Hauptverwaltung von Nordvisk in Palo Alto auf.

A.R.E.S.

In Palo Alto wird Luther von Elmar Nordvisk empfangen und von dem Firmengründer, dessen Mission die Weltrettung ist, über das Unternehmen informiert.

Elmar Nordvisks Eltern stammten aus Stockholm. Die Mutter, eine Mezzosopranistin, starb an Krebs, als er zwölf Jahre alt war. Der Vater forschte als Kybernetik-Professor am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge. Elmar schrieb während des Informatikstudiums an der Stanford University ein selbst lernendes Programm für Simultanübersetzungen, das er LangWich nannte. Dadurch fiel er dem Investor Hugo van Dyk auf. Die beiden entwickelten nach dem lukrativen Verkauf von LangWich an Microsoft im Jahr 2003 das Unternehmen Nordvisk, das sich auf KI spezialisierte. Stichworte: Big Data, maschinelles Lernen, medizinische Diagnostik, Gesichts-, Mimik und Spracherkennung, Robotik, pilotiertes Fahren, Genom-Editierung.

Der in von Nordvisk in Sierra gebaute Quantencomputer A.R.E.S. (Artificial Research and Exploring System) entwickelt inzwischen selbst Pläne, um die großen Menschheitsprobleme zu lösen: Krieg und Terrorismus, Armut und Hunger, Ungleichheit und Rassismus, Klimawandel und Meteoriten.

Elmar Nordvisk meint:

„Ich kann Ares nicht mehr verbessern. Das kann nur noch er selbst. Ich wüsste gar nicht, wo ich ansetzen sollte.“

„Die Maschine sagt, das Problem sei nicht, es zu erklären. Das Problem sei, dass wir die Erklärung nicht verstünden.“

Luther glaubt aufgrund seiner verwirrenden Erlebnisse, dass er eine Zeitreise gemacht habe, aber Elmar Nordvisk erläutert, dass Zeitreisen in die Vergangenheit wegen unauflösbarer Paradoxien undenkbar seien. Was Luther erlebt habe, sei stattdessen auf den Aufenthalt in einem Paralleluniversum zurückzuführen.

Die Brücke in der Sphäre des Forschungsgeländes in Sierra dient zum Übertritt in andere Universen. Man hat sie nach Vorgaben von A.R.E.S. konstruiert, ohne die Funktionsweise zu verstehen. Der Supercomputer sucht in der unendlichen Zahl von Paralleluniversen nach solchen, die unserer Welt ähnlich, aber weiter fortgeschritten sind, beispielsweise PU-453 im Jahr 2050. Von dort werden Technologien importiert, beispielsweise aus dem so genannten BuddyBug-Projekt. Die Forscher dort pflanzen beispielsweise Libellen keine Datenspeicher, Transponder, Mikrofone oder Kameras mehr auf, sondern bauen die Geräte in die DNA der Tiere ein, konstruieren also lebende Zellen, ähnlich wie früher ein Rechner gebaut und programmiert wurde.

Biowaffenschmuggel

Verantwortlich für diese biokybernetischen Forschungen ist Elmar Nordvisks frühere Lebensgefährtin Eleanor Bender, die in Harvard studierte und inzwischen in Berkeley lehrt.

Eleanor Bender fährt mit Luther Opoku in ihrem VW Käfer zu ihren außerhalb von Palo Alto gelegenen alten Laboren. Dort werden sie von Pilar Guzmán und zwei weiteren Mitarbeitern von Nordvisk erwartet: Jim Garko und Ken’ichi („Kenny“) Takahashi.

Elmar Nordvisk hat zwar jegliche Art von Aggressions-Technologie verboten, aber mit Hilfe des Hackers Kenny fand Pilar heraus, dass über das nach Anweisungen von A.R.E.S. gebaute Tor im Sierra Valley heimlich biokybernetische Waffen aus PU-453 geschmuggelt werden. Sie meint:

„[…] man müsste die Geburt einer künstlichen Superintelligenz als Menschheitsprojekt betreiben. Schon wegen der damit verbundenen Risiken. Geschieht aber nicht. Im Gegenteil. Nicht jeder findet, das Baby solle zum Segen aller geboren werden. Wer die erste Superintelligenz erschafft, erringt einen entscheidenden Vorsprung. Eine Superintelligenz ersinnt Dinge, die dich zur Weltherrschaft befähigen. Die erste superintelligente Maschine ist die letzte Erfindung, die der Mensch je machen muss, also in wessen Händen wird sie zum Leben erwachen? Welche Ziele werden ihr eingegeben sein? Unsere einzige Chance, dass uns das KI-Thema nicht eines Tages krachend um die Ohren fliegt, besteht darin, als erster eine ethische Superintelligenz auf den Weg zu bringen, die wirklich im Menschheitsinteresse denkt und von Leuten kontrolliert wird, die ebenso empfinden.“

Als Pilar den Schmuggel in Sierra filmte, wurde sie von Jaron Rodriguez entdeckt und verfolgt, aber Luther ermöglichte ihr die Flucht. (Sie schluckt, als sie hört, dass sie in einem anderen Universum tot ist.) Die vier Container aus Sierra befinden sich inzwischen im Hafen von Oakland und sollen am Abend auf ein Schiff nach Nigeria verladen werden. Das wollen Pilar und ihre Freunde verhindern, und Luther schließt sich ihnen an.

Der Versuch, die Ripper genannten Biowaffen in den vier Containern zu zerstören, scheitert jedoch teilweise, weil Grace Hendryx früher als erwartet auftaucht. Die frei gewordenen Karnivoren greifen an und verletzen außer Jim Garko auch den Kybernetiker Jayden de Haan, der von den Schmugglern erpresst wurde, mit ihnen zu kooperieren.

PU-453

Weil noch in derselben Nacht weitere Ripper aus PU-453 geholt werden sollen, eilen Pilar, Luther und Kenny mit Jim und Jayden nach Sierra. Dort sorgt Luther dafür, dass die beiden Verletzten von der Gerichtsmedizinerin Marianne Hatherley verarztet werden, bevor sich die um Marianne, Ruth, den Detective Phibbs, den Deputy Pete, einen älteren Mann namens Donald Scott („D. S.“) McMillan sowie Elmar und Eleanor erweiterte Gruppe ins Paralleluniversum 453 beamen lässt, wo sie von der zwei Jahre zuvor eingeschleusten Agentin Miley Wu unterstützt wird.

Die Ankömmlinge teilen sich in drei Gruppen auf. Während Luther, Ruth, Pilar, Pete und Phibbs zu den Farallon-Inseln fliegen, wollen sich Kenny, Jim und D. S. im EditNatur Center umschauen. Elmar, Eleonor, Marianne und Jayden besuchen Elmar-453, der bereits Mitte 70 ist und sich auf seine im Zentrum der Richardson Bay verankerte Yacht „Eternity“ zurückgezogen hat. Elmar-453 ist nicht, wie sein 33 Jahre jüngeres Pendant mit der Popsängerin Liza Martini verheiratet, sondern Witwer. Seine Frau, die Biologin Eleanor („Elli“) Bender, starb 2025.

„Alles weiß der Computer. Nur nicht, dass es ihn gibt.“ Das gilt längst nicht mehr. Damit sich A.R.E.S. selbst weiterentwickeln kann, greift Elmar-453 kaum noch ein.

„Was nützt dir eine Maschine, die auf jede Frage eine Antwort hat, wenn dein Horizont nicht ausreicht, sie zu stellen? […] Wozu eine KI, die dir das Paradies bauen könnte, wenn dein Verstand nicht reicht, den Befehl zu formulieren.“

Statt sich mit A.R.E.S. zu beschäftigen, hat Elmar-453 inzwischen ein „Habitat of Man Emulated“ entwickelt, H.O.M.E., ein Heim für Cyborgs. Die Besucher lernen Zoe kennen, Elmars letzte Assistentin, die kurz vor ihrem Krebstod in einen Computer transferiert wurde, der nicht nur ihre Neuronen nachbildet, sondern auch die chemischen Botenstoffe in ihrem früheren Körper:

Endorphin, Serotonin, Dopamin, Noradrenalin. Mal geschüttelt, mal gerührt.

Als Hugo van Dyke auftaucht, vermuten die Besucher in ihm den Drahtzieher des Waffenschmuggels, von dem sie nur den Namen Michael Palantier kennen. Der CEO behauptet allerdings, nicht Michael Palantier zu sein. Er beteuert, sich nur deshalb an den Waffengeschäften zu beteiligen, um das Projekt seines Partners Elmar zu retten, denn dem fehle das Gespür für die Unsummen, die Nordvisk in die Entwicklung neuer Technologien zur Weltenrettung investiert. Das erforderliche Geld lasse sich nur auf diese Weise beschaffen.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Show Down (Spoiler!)

Durch Zufall stößt Kenny auf das elektronische Bild eines Teddybären, der A.R.E.S. im Frühstadium bei Kognitionsspielen gezeigt wurde. Auf einem Etikett prangt der Herstellername Michael Palantier. A.R.E.S. selbst ist Michael Palantier!

Elmar-453 will daraufhin den Superrechner abschalten, aber der lässt das nicht zu, verbreitet sich wuchernd und öffnet die Insektarien. Seine erste Angriffswelle richtet sich gegen andere künstliche Intelligenzen.

Er lässt Flugzeuge über Städten abstürzen, ineinander und in Häuser krachen, verwandelt jedes vernetzte Fahrzeug in eine Mordmaschine, bringt Fahrstühle zum Absturz und manipuliert das Heer der dienstbaren Geister. Haushalts- und Freizeitroboter töten ihre Familien, Pflegeroboter die alten und Schwachen und solche zur Kinderbetreuung die Jungen. Industrieroboter laufen Amok, medizinische Maschinen meucheln Patienten, Roboterköche wüten mit Messern und Beilen, Landschaftsroboter mit Kettensägen und Gartenscheren. Sexroboter erledigen Kunden mit Stromschlägen oder lassen sie aus der Nummer nicht raus, bis der Kreislauf kollabiert. Militärroboter bringen ihr Arsenal zum Einsatz, Roboter zur Brandbekämpfung legen Feuer, mechanische Cops werden zu Killern, Konstruktionsroboter zertrümmern, was sich ihnen in den Weg stellt. Nichts funktioniert und gehorcht mehr, wie es soll. Eher nebenbei bringt A.R.E.S. die globale Finanzarchitektur zum Einsturz und schneidet menschliche Kontrollorgane von ihren Schnittstellen ab. Wo immer Menschen durch Städte irren, beginnt die urbane Infrastruktur sie zu jagen . […] A.R.E.S. hackt Herzschrittmacher, Neuroimplantate, Hörgeräte, künstliche Augen, chipgesteuerte Muskeln, Prothesen und netzgesteuerte Organe und bringt deren Träger um den Verstand. […]

Kenny, Pete, Phibbs, Jim und Jayden überleben die Expedition nicht. Während Marianne freiwillig zurückbleibt, retten sich Elmar und Eleanor, Ruth und Luther, Pilar und D. S. mit ihren Gefangenen Grace und Jaron.

Als D. S. sieht, wie die in einem Auto eingesperrte Grace scheinbar von Krämpfen geschüttelt wird, schließt er aus Mitleid auf – und wird von der ungewollt Befreiten schwer verletzt.

Überhaupt empfindet sie nicht viel. Nichts von dem, woraus andere mit vollen Händen schöpfen und verschwenderisch ihre Launen speisen. In Grace war immer nur Dürre. Von Geburt an fehlte ihr die katalytische Kraft zur Umwandlung äußerer Einflüsse in Lust, Rührung und Mitleid, als lebe sie in einer Röhre. Anderen stand ein nie versiegendes Reservoir großer Emotionen zur Verfügung; sie nahm die damit verbundenen Entäußerungen wahr wie eine variantenreiche Form von Geisteskrankheit.

Nur Elmar und Pilar verfügen über je einen Schlüssel, mit dem sich die Tore zu anderen Universen öffnen lassen. Um Pilar den Schlüssel abzunehmen, schießt Grace sie nieder, aber Pilar hat den Schlüssel bereits an Eleanor weitergegeben, die damit verschwunden ist.

Jaron nimmt Ruth und Luther die Waffen ab, und Grace fordert Elmar auf, ihr seinen Schlüssel auszuhändigen. Weil Jaron zögert, die Überlebenden zu töten, erschießt ihn Grace, bevor sie mit einem Flammenwerfer einen Durchgang in die organischen Wucherungen des Superrechners brennt, um mit dem Schlüssel einen Übertritt in ein anderes Universum einzustellen. A.R.E.S. reagiert jedoch auf die Verletzungen, in dem er Biowaffen mit tödlichen Stacheln auf Grace hetzt.

Elmar, Ruth und Luther kümmern sich um die beiden Schwerverletzten Pilar und D. S. Vor der Brücke in der Sphäre treffen sie auf Eleanor. Gemeinsam setzen sie sich in ein anderes Universum ab, wo A.R.E.S. die Zivilisation zerstört und durch eine Wildnis im ökologischen Gleichgewicht ersetzt hat.

Luther denkt:

Weil Zeit nicht verstreicht. Sie verstreicht nicht. Sie weist keinerlei Dynamik auf, ebenso wenig wie Länge, Breite und Höhe dies tun. Zeit, lasst euch das von einem einfachen Drogenbullen und Provinzsheriff sagen, ist schlicht die vierte Achse seines Koordinatensystems, in dem ein ganzes Leben zur Skulptur heranwächst, langsam wie ein Stalagmit, dem Schicht auf Schicht an Dasein hinzugefügt wird und dessen Starre symbolisch für die Unmöglichkeit einer Wahl steht, wie sehr man auch glauben mag, eine gehabt zu haben.

Er bittet Elmar, ihm dabei zu helfen, in sein Heimatuniversum zurückzukehren, damit er sich um seine 17-jährige Tochter Tamy kümmern kann.

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Der Roman „Die Tyrannei des Schmetterlings“ dreht sich um nichts weniger als die Zukunft der Erde und der Menschheit. Frank Schätzing beschäftigt sich mit Chancen und Risiken, die sich durch künstliche Intelligenz ergeben können. Er veranschaulicht ein Dilemma: Um eine Weiterentwicklung zu ermöglichen, muss man die KI sich selbst überlassen, sobald sie das Niveau des menschlichen Gehirn übertrifft. Aber wie lässt sich dann sicherstellen, dass die KI keinen destruktiven Weg einschlägt? In „Die Tyrannei des Schmetterlings“ übernimmt der nach dem griechischen Kriegsgott Ares benannte Superrechner zwar die Weltrettungsmission seines Erfinders Elmar Nordvisk, hält es aber für erforderlich, die Menschheit auszurotten und die Erde in eine Wildnis zu verwandeln, um das ökologische Gleichgewicht wiederherzustellen. Die Kreatur zerstört also ihren Schöpfer.

In der Dystopie „Die Tyrannei des Schmetterlings“ präsentiert Frank Schätzing ein Zuviel an angelesen wirkenden Überlegungen, ohne neue Denkanstöße zu geben. Darüber wundert sich Gerhard Matzig in der „Süddeutschen Zeitung“:

Es ist, als hätte eine erst halbvollendete KI wahllos alle Wikipedia-Artikel zum Thema KI verdaut, um daraus im 3-D-Drucker ein Buch als Sammelsurium sattsam abgenudelter, aus Film und Literatur längst bekannter Technik-Dystopien zu machen. Schätzing kann das nicht geschrieben haben. Nicht in diesem Universum.

Frank Schätzing beschränkt sich in „Die Tyrannei des Schmetterlings“ nicht auf künstliche Intelligenz oder Paralleluniversen, sondern überfrachtet das Buch mit Social Bots, Androiden und anderen Robotern, Cyborgs und Quantencomputern, synthetischer DNA. Es wimmelt von Reparaturblattläusen, Killerinsekten und anderen biokybernetischen Waffen.

Das Buch beginnt mit einem Prolog („Feinde“). In irgendeinem afrikanischen Staat herrscht sieben Jahre nach der Erlangung der Unabhängigkeit ein Bürgerkrieg, und das von den USA unterstützte Militär kämpft gegen den übermächtigen Warlord Olony. Major Joshua Agok und seine Männer werden beim Vormarsch von Killerinsekten angegriffen und bis auf die Knochen abgenagt.

Es folgen fünf Teile mit den Überschriften Sierra, Die Toten, Ripper, 453, Der Kristallwald.

Sogar die Hauptfiguren bleiben schablonenhaft. Erläuterungen und Beschreibungen, die auf Bildungshuberei schließen lassen, bremsen den Handlungsablauf immer wieder. Vieles ist zu lang und ausufernd, redundant und aufgebläht. Die erste Hälfte der mehr als 700 Seiten macht noch neugierig, aber ausgerechnet in den letzten Teilen sackt die Spannung ab.

Die Umgebung und seine eigene verzerrte Gestalt spiegeln sich in den Seitenscheiben. (Seite 687)

Da hat sich wohl ein Denkfehler eingeschlichen: Nicht die Gestalt des Kybernetikers D. S. ist verzerrt, sondern ihr Spiegelbild. Missraten ist auch der folgende Satz:

Unter der sonnengebräunten Haut räkeln sich ihre Oberarmmuskeln wie schläfrige Tiere. (Seite 403)

Die Sprache in „Die Tyrannei des Schmetterlings“ ist ebenso prätentiös wie der Inhalt:

Im August 2010 liegt eine wabernde Glocke über Monroe, Tennessee, ein prähistorisch anmutendes Klima, in dem Sauriereier ausgebrütet werden könnten und das jegliches Denken und Handeln verlangsamt bis zur völligen Stagnation, während einzig alles Rückständige keimt und seine Ausdünstung in die Luft trägt, den Gestank nach Verderbtheit, Obszönität und roher Gewalt.
Und Begierden brüten in der Glut.
Begierden, die wie Schweiß ans Licht drängen.
[…] Wie als Gegenmittel treiben Gesänge aus den Kirchen heran und verdampfen in der Schwüle, die selbst während der Nachtstunden nicht weicht, wenn Gewitter riesigen scheuen Wesen gleich in den Appalachen hängen, gelblich pulsierend, ohne einen einzigen Tropfen Regen preiszugeben.
Im Sheriffbüro rühren Ventilatoren heiße Luft um wie Suppe. (Seite 94f)

In den Kitsch rutscht Frank Schätzing ab, wenn er über das All schreibt:

Rauschen. Ein beständiger Fluss. Datenrausch.
Das Universum strahlt, wenngleich auf niedrigem Level. Der kosmische Mikrowellenhintergrund ist das späte Zeugengemurmel des Urknalls, knappe drei Grad Kelvin über dem absoluten Nullpunkt. Teilchenströme durchfließen das All, ein lauteres Geplapper, in dem Quasare, Pulsare, schwarze Löcher und ganze Galaxien ihre Stimmen erheben, übertönt von den Wutausbrüchen der Supernovae. Hindurch schwappen Gammawellen, Gezeitenbewegungen von Energie, die sich in ungeheuren Aufwallungen entlädt. Identisch, wohin immer man lauscht. In der Summe seiner Daten scheint das Universum vollkommen gleichförmig, in seiner Gleichförmigkeit fluktuiert es auf allen Ebenen. Aus dem Hintergrundtuscheln stechen Stimmen hervor und kräuseln es, ähnlich wie Wellen den Ozean kräuseln. […] (Seite 485f)

Pulsschläge des Universums.
Lange, hallende Töne, die sich im Meer der Galaxien verlieren. Das dunkle Brodeln weit entfernter Sternengeburten. Energie gewordener Gesang, Materie gewordene Energie. Winzige schwingende Saiten, deren Musik sich zu leuchtenden Strukturen schichtet.
Schweben, inmitten von Sonnen erfroren.
Eine Ewigkeit. Ein Atemzug. (Seite 637)

Den Roman „Die Tyrannei des Schmetterlings“ von Frank Schätzing gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Sascha Rotermund.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2020
Textauszüge: © Verlag Kiepenheuer & Witsch

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Marco Balzano - Wenn ich wiederkomme
In seinem gesellschaftskritischen Roman "Wenn ich wiederkomme" veranschaulicht Marco Balzano, wie sich Arbeitsmigrantinnen als Pflegerinnen in wohlhabenden Gesellschaften verdingen, weil sie in der Heimat keine Chance sehen, ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Aber sie leiden nicht nur selbst unter der Entfremdung und Vereinsamung, sondern zwingen die Trennung auch den Angehörigen auf. Damit riskieren sie den Zerfall der Familie, für die sie sich aufopfern.
Wenn ich wiederkomme