Andrea Maria Schenkel : Als die Liebe endlich war

Als die Liebe endlich war
Als die Liebe endlich war Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2016 ISBN 978-3-455-40382-4, 382 Seiten ISBN 978-3-455-81370-8 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der Regensburger Arzt Dr. Erwin Schwarz, der wegen seiner jüdischen Herkunft nicht mehr praktizieren darf, fährt im Frühjahr 1938 mit seiner katholischen Frau und den beiden Kindern nach Genua. Eine Stunde vor der Abfahrt des Schiffes nach Shanghai geht er von Bord und kehrt nach Deutschland zurück. Grete Schwarz bleibt bis 1947 in China. Ihr Schon Carl wandert mit einem befreundeten Ehepaar in die USA aus …
mehr erfahren

Kritik

Andrea Maria Schenkel entwickelt die Handlung ihres Romans "Als die Liebe endlich war" auf drei Ebenen. Dass sie zwischen diesen Handlungssträngen wechselt, statt chronologisch zu erzählen, ermöglicht es ihr, Zusammenhänge lange Zeit im Unklaren zu lassen und auf diese Weise Spannung zu erzeugen.
mehr erfahren

Regensburg – Shanghai – San Francisco, März 1938 – Juli 1947

Als die jüdische Eisenwarenhandlung Friesinger in Regensburg im Frühjahr 1938 „arisiert“ wird, bringt sich die Familie um. Spätabends klingelt der Polizist Georg Schlattner bei Grete und Erwin Schwarz.

Die Männer kannten sich seit ihrer Kindheit. Sie waren in die Volksschule und später auch gemeinsam auf das Neue Gymnasium gegangen. Während Erwin in Erlangen Medizin studiert hatte, ging Georg Schlattner nach ein paar Semestern Jura zur Polizei. Und auch da hatten sich ihre Wege wieder gekreuzt, Schlattner hatte bis zur Pensionierung des alten Haubner, Gretes Vater, als dessen Assistent gearbeitet. Fünf Jahre war es jetzt her, dass Kriminaloberkommissar Gustav Haubner, mit allerlei Auszeichnungen und Belobigungen dekoriert, höflich, aber sehr eindringlich aufgefordert worden war, um seine Pension einzugeben.

Georg Schlattner bringt Schiffskarten nach Shanghai, die bei den Toten gefunden wurden. Erwin Schwarz ist zwar christlich getauft und hat in eine katholische Familie eingeheiratet, aber wegen seiner jüdischen Herkunft darf er bereits nicht mehr als Arzt praktizieren. Die Zeugung der beiden Kinder Carl und Ida gilt nach den nationalsozialistischen Gesetzen als Rassenschande.

„Der Friesinger braucht sie nicht mehr, aber ihr braucht sie.“
„Ich versteh dich nicht, Schorsch.“
„Erwin, ich kenne dich schon lang, ich weiß, wie du fühlst, aber für die meisten Leute bleibst ein Jud, und mit diesen Schmarotzern will keiner was zu tun haben.“

Erwin Schwarz schüttelte den Kopf. „Ich geh nicht zu den Chinesen. Was will ich bei den Schlitzaugen?“ […]
„Es geht nicht um uns, es geht um die Juden aus Polen und weiß Gott woher sonst noch. Orthodoxe und Sektierer, diese Leute haben nichts mit uns gemein. Sie überfluten unser Land und wollen sich nicht anpassen.“

Schließlich lässt Erwin Schwarz sich von seiner Frau und dem Freund überreden, die Schiffskarten anzunehmen.

Am Brenner holt man alle Juden und deren Angehörige aus dem Zug. Sie dürfen nicht weiterreisen, weil Mussolini in Mailand ist. Ein einfacher italienischer Zöllner, der die Familie Schwarz abführen soll, lässt sie in letzter Minute wieder in den Zug einsteigen.

Eine Stunde vor dem Ablegen der „Conte Biancamano“ in Genua ändert Erwin Schwarz seine Meinung: Er will sein Vaterland nicht verlassen. Das wäre Verrat, meint er. Aber Greta lässt sich nicht umstimmen und folgt ihm nicht, als er von Bord geht. Den Kindern sagt sie, der Vater müsse noch Formalitäten erledigen und komme mit dem nächsten Schiff nach.

Während der Reise freunden sich Grete, Carl und Ida mit Eleonore und Otto Knoll aus Berlin an. Der 67-jährige Jurist arbeitete im Staatsdienst, bis die Nationalsozialisten alle Juden entließen. „Wir hatten vergessen, Juden zu sein“, sagt seine acht Jahre jüngere Frau. „Religion hat in unserem Leben nie eine Rolle gespielt.“ Der Sohn emigrierte mit Frau und Kindern bereits vor ihnen in die USA, und sie wollen deshalb nicht in China bleiben, sondern den Pazifik überqueren.

In der seit November 1937 mit Ausnahme der exterritorialen Gebiete von Japan besetzten Stadt Shanghai werden die Flüchtlinge von einer Delegation der jüdischen Gemeinde begrüßt und dann auf Lastwagen in Behelfsquartiere gebracht. Otto Knoll gibt Grete Schwarz als Tochter und die Kinder als Enkel aus. So gelingt es ihm nach einiger Zeit, eine gemeinsame Wohnung im französischen Viertel zu bekommen. Er beschafft auch ein Klavier, und Eleonore Knoll gibt Musikunterricht. Dr. Takeshi Riku, der Vater ihrer Schülerin Misaki stellt Otto Knoll in seiner Anwaltskanzlei ein, die vor allem deutschsprachige Flüchtlinge berät. Grete Schwarz hilft schließlich dem aus Wien stammenden, ebenfalls auf der „Conte Biancamano“ gereisten Flüchtling Egon Riegler, das neu eröffnete Café Mozart zu führen. Und Carl erhält durch Dr. Takeshis Vermittlung eine Anstellung als Liftboy im Park Hotel. Etwas später bricht auch Ida den Schulbesuch ab und fängt im Shanghai Refugee Hospital zu arbeiten an.

Im November 1941 erklärt das NS-Regime alle jüdischen Emigranten und deren Angehörige, die Deutschland nach 1937 verlassen haben, für staatenlos. Im Mai 1943 müssen die nach 1937 in Shanghai eingetroffenen Flüchtlinge in eine „Designated Area“ im Stadtteil Hongkew ziehen. Otto Knoll und Carl Schwarz, die auf der anderen Seite des Huang Poo arbeiten, aber auch Grete Schwarz und Egon Riegler, die in andere Stadtgebiete liefern und dort für das Café einkaufen, benötigen Passierscheine.

Als Egon Riegler im Frühjahr 1945 einem Kunden eine bestellte Geburtstagstorte bringen will, wird der Radfahrer von einem japanischen Militärlastwagen gestreift. Lautstark beschwert er sich. Daraufhin springen zwei Soldaten von der Ladefläche, zerren ihn hinauf, und der LKW fährt weiter. Egon Rieglers Leiche wird einige Zeit später aus dem Fluss geborgen.

Nach dem Krieg erfährt Grete Schwarz, dass ihr Mann im Konzentrationslager Dachau war, als es die Amerikaner befreiten. Inzwischen lebt er wieder in Regensburg. Im Mai 1947 kehrt Grete mit Ida nach Deutschland zurück.

Carl geht am 29. Juni mit Otto und Eleonore an Bord eines Schiffs nach San Francisco. Dort treffen sie am 15. Juli ein.

Larchmont, 2010

Carl Schwarz zog von der West- an die Ostküste und lernte dort 1950 die ebenfalls aus Bayern stammende Emmi Nestler kennen. Sie wurde seine Frau. Das kinderlose Ehepaar lebt seit Jahrzehnten in Larchmont bei New York.

Faith, die mit Emmi und Carl befreundete Witwe des langjährigen Nachbarn Sam Kruger, bringt eine Mappe mit alten Papieren, die ihr aus Deutschland stammender Mann hinterlassen hat und bittet Carl um eine Übersetzung ins Amerikanische.

Fast zur gleichen Zeit ruft jemand an, der sich als Jason Hollander vom U. S. Justice Department vorstellt und fragt, ob er „mit Carl Schwarz, geboren am 25. Mai 1926 in Regensburg“ spreche.

„Ihr Vater war Dr. Erwin Schwarz?“ Die Stimme verhaspelt sich fast. „Geboren in Regensburg am 10. August 1891? Der Mädchenname Ihrer Mutter war Grete Haubner, und Sie sind verheiratet mit Emmi Schwarz, geborene Nestler?“

Carl wundert sich über die Kenntnisse des Unbekannten, der erklärt, seine Abteilung arbeite mit dem U.S. Holocaust Museum in Washington, D. C., Personenlisten durch, die sie nach der Wiedervereinigung Deutschlands bekamen.

Bald darauf steht Jason Hollander mit seinem Kollegen Steven Nolan vor der Tür. Carl ist allein zu Hause. Die Herren kommen erneut auf seine Frau zu sprechen.

„Ihre Frau heißt Emmi und ist eine geborene Nestler, trifft das zu?“
„Ja.“
„Sie wurde laut der Angaben in ihren Einwanderungsunterlagen am 25.1.1922 in Rosshaupt im Sudetenland, dem heutigen Rozvadov in Tschechien, geboren […]“

Diese Emmi Nestler könne jedoch nicht Carl Schwarz‘ Ehefrau sein, erklärt Jason Hollander, denn die Sudentendeutsche sei 1943 in München bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen und ihr kleines Kind seither verschollen.

Carl forscht weiter nach und lässt sich schließlich von einer öffentlichen Bibliothek die Kopie eines Artikels im Life Magazine vom 24. Februar 1947 schicken. Auf einem 1942 im KZ Dachau aufgenommenen Foto mit der Bildunterschrift „Dr. Sauer und Assistentin“ glaubt er, Emmi zu erkennen. Der Arzt Dr. Rudolf Sauer wurde noch vor Kriegsende hingerichtet. Carl bricht zusammen.

Im Krankenhaus wird ein Schlaganfall diagnostiziert. Als er zu sich kommt, sitzt Emmi bei ihm. „Wer bist du?“, fragt er sie.

Regensburg – München, November 1938 – Sommer 1946

Am frühen Morgen des 10. November 1938 klettert Alfred Pfaffl in der vom Regensburger Bürgermeister angelegten Wohnsiedlung Otto Schottenheim durchs Fenster zu seiner Freundin Erna und berichtet: „Den Juden haben’s aufgemischt.“ Die Eltern hören die beiden und beschließen daraufhin, ihre jüngere Tochter nach München zu schicken, um sie von Alfred Pfaffl zu trennen.

In München lebt die verwitwete Schwester der Mutter. Tante Marga holt ihre Nichte vom Hauptbahnhof ab. Erna soll für sie putzen, waschen und einkaufen. Dafür erhält sie ein Taschengeld, Kost und Logis.

„Mit dem Herummenschern ist jetzt Schluss“, betont Tante Marga.

Bei ihr geben sich Sängerinnen, Schauspielerinnen und Ehefrauen hochrangiger Politiker die Klinke in die Hand, denn sie bietet unter der Bezeichnung „Lebensberatung“ Horoskope und Séancen an. Parallel dazu berät sie Frauen, die dem „Führer“ Kinder schenken möchten, aber nicht schwanger werden in der Frage, wie sich die Fruchtbarkeit steigern lässt. Umgekehrt nimmt sie auch verbotenerweise Abtreibungen vor. Dabei lässt sie sich von Erna assistieren.

Zu Margas langjährigen Freundinnen zählen Trudi Pfeiffer und Irene Gusche. Trudi liebt einen jüngeren Mann namens Rudolf Sauer, der sie gern heiraten würde, dafür jedoch die Genehmigung Heinrich Himmlers benötigt, weil er der SS angehört. Im Fall einer jungen „arischen“ Braut wäre das eine Formalität, aber Trudi ist bereits 47 Jahre alt und hat ihre Menopause hinter sich. Marga soll ihr zu einem Säugling verhelfen, damit sie Fruchtbarkeit vortäuschen kann. Am 22. November 1939 fährt Marga mit Erna nach Polen und bringt dann von dort einen Waisenjungen mit, den Trudi ihrem Lebensgefährten als eigenen Sohn unterschiebt. Im Jahr darauf überredet Marga eine verzweifelte junge Frau, auf die erbetene Abtreibung zu verzichten und das Kind stattdessen auszutragen. So kommt SS-Obersturmführer Rudolf Sauer zu einem zweiten Sohn und erhält endlich die Genehmigung für die Eheschließung mit Trudi. Außerdem richtet er eine eigene Forschungsabteilung in Dachau ein. Manchmal nimmt er Erna mit, denn er meint, eine Frau könne die Versuchspersonen besser beruhigen.

Nach einem Bombenangriff im März 1943 stoßen Trudi und Erna auf einen umgestürzten Kinderwagen, aus dem das Wimmern eines Säuglings zu hören ist. Die Mutter des Kindes liegt tot in der Nähe. Während Erna die Handtasche der Toten mitnimmt, lässt Trudi ihren Rudolf glauben, dass er einen dritten Sohn gezeugt habe.

Weil es das Mutterkreuz erst ab vier Kindern gibt, erkundigt sich Trudi unter dem falschem Namen Brachvogel beim Säuglingsheim der Erzdiözese München-Freising nach der Möglichkeit, ein Kind zu adoptieren. Bei der geplanten Übergabe eines Kindes in der NSV-Betreuungsstelle am Münchner Hauptbahnhof am 13. Dezember 1943 kommen Zweifel an den Angaben der Interessentin auf. Trudi entführt den Jungen kurzerhand. Der Fall schlägt Wellen. Vorsichtshalber lässt Trudi deshalb das Kind von Erna in einer Kirche aussetzen und täuscht Rudolf eine Fehlgeburt vor.

Kurz darauf wird Marga verhaftet.

Erna nimmt die Identität der Toten Emmi Nestler an und kommt an Weihnachten 1943 bei einem verwitweten Bauern unter, der sie als in München ausgebombte Verwandte seiner verstorbenen Frau ausgibt und für Kost und Logis auf dem Hof arbeiten lässt.

Im Sommer 1946 verlässt sie ihn und schlägt sich nach Bremerhaven durch. Von dort fährt sie mit anderen Flüchtlingen auf der „Marine Perch“ nach New York.

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Andrea Maria Schenkel entwickelt die Handlung ihres Romans „Als die Liebe endlich war“ auf drei Ebenen. Von März 1938 bis Juli 1947 begleiten wir Juden, die vor den Nationalsozialisten nach Shanghai geflohen sind. Zeitlich parallel dazu beobachten wir eine junge Frau aus Regensburg, die im November 1938 von ihrer Tante in München aufgenommen wird, Ende 1943 auf einem Bauernhof Unterschlupf findet und im Sommer 1946 nach Amerika auswandert. Der dritte Teil der Geschichte spielt 2010 in Larchmont bei New York.

Der erste Handlungsstrang von „Als die Liebe endlich war“ dreht sich um die Themen Verfolgung und Existenzangst, Flucht und Neuanfang. Im zweiten stehen drei Frauen im Mittelpunkt, die sich mit den Gegebenheiten unter dem NS-Regime zu arrangieren versuchen. Und die 2010 in den USA spielende Episode veranschaulicht, wie die verdrängte bzw. verschwiegene Vergangenheit die Betroffenen auch nach Jahrzehnten einholen und alles zerstören kann.

Andrea Maria Schenkel hat mit „Als die Liebe endlich war“ erstmals ein Buch geschrieben, das kein Kriminalroman ist. Aber sie erzeugt Spannung, indem sie nicht chronologisch erzählt, sondern zwischen den drei Handlungssträngen hin und her wechselt und auf diese Weise die Zusammenhänge lange Zeit im Unklaren lassen kann (auch wenn sie früh zu erahnen sind).

In dem in München spielenden Teil der Handlung führt ein SS-Arzt im KZ Dachau Menschenversuche durch, ähnlich wie es Dr. Sigmund Rascher (1909 – 1945) tatsächlich machte. Dass dieser Mediziner sich von seiner Lebensgefährtin drei Kinder unterschieben lässt, ist nicht besonders glaubwürdig.

Abgesehen davon handelt es sich bei „Als die Liebe endlich war“ um einen farbigen Roman vor zeitgeschichtlichem Hintergrund und eine packende Lektüre.

Den Roman „Als die Liebe endlich war“ von Andrea Maria Schenkel gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Torben Kessler (ISBN 978-3-7857-5203-6).

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2018
Textauszüge: © Verlag Hoffmann und Campe

Andrea Maria Schenkel: Tannöd
Andrea Maria Schenkel: Kalteis
Andrea Maria Schenkel: Bunker
Andrea Maria Schenkel: Finsterau
Andrea Maria Schenkel: Täuscher

Margriet de Moor - Die Verabredung
Margriet de Moor erzählt die Geschichte einer obsessiven Beziehung nicht chronologisch, sondern sie schichtet verschiedene Zeitebenen übereinander und springt im zweiten Teil häufig zwischen ihnen hin und her. "Die Verabredung" ist ein poetischer Roman in einer geschliffenen Sprache.
Die Verabredung

 

(Startseite)

 

Nobelpreis für Literatur

 

Literaturagenturen

 

Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.