Boxhagener Platz

Boxhagener Platz

Boxhagener Platz

Originaltitel: Boxhagener Platz – Regie: Matti Geschonneck – Drehbuch: Torsten Schulz und Matti Geschonneck, nach dem Roman "Boxhagener Platz" von Torsten Schulz – Kamera: Martin Langer – Schnitt: Dirk Grau – Musik: Florian Tessloff – Darsteller: Gudrun Ritter, Samuel Schneider, Horst Krause, Michael Gwisdek, Jürgen Vogel, Meret Becker, Milan Peschel, Ingeborg Westphal, Hans-Uwe Bauer, Claudia Geisler, Winnie Böwe, Hermann Beyer u.a. – 2010; 100 Minuten

Inhaltsangabe

Boxhagener Platz, Herbst 1968. Der 12-jährige Schüler Holger verbringt mehr Zeit mit seiner unverwüstlichen Großmutter Otti als mit seinen Eltern, dem eifrigen Abschnittsbevollmächtigen Klaus-Dieter und der frustrierten Frisörin Renate. Otti überlebte fünf Ehemänner, und der sechste ist bettlägerig. Aber sie hat bereits zwei neue Verehrer: einen verwitweten Rentner und einen Fischhändler, der eine seit 1918 Kommunist, der andere ein ehemaliger Nazi ...
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Kritik

Matti Geschonneck verfilmte den Roman "Boxhagener Platz" von Torsten Schulz. Die im Herbst 1968 spielende Komödie versetzt uns nicht zuletzt durch die mit viel Liebe zum Detail gestaltete Ausstattung in das Milieu eines Ostberliner Arbeiterviertels.
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Boxhagener Platz, Ostberlin, Herbst 1968. Ottilie („Otti“ – Gudrun Ritter) geht mit ihrem zwölfjährigen Enkel Holger (Samuel Schneider) jeden Tag zum Friedhof, um die Gräber ihrer fünf verstorbenen Ehemänner zu gießen. Holger isst auch meistens bei der Großmutter, denn bei seinen Eltern fühlt sich der pubertierende Schüler nicht wohl. Der Vater Klaus-Dieter Jürgens (Jürgen Vogel) versteht als Abschnittsbevollmächtigter für den Stadtbezirk Friedrichshain keinen Spaß. Und Holgers Mutter Renate (Meret Becker), eine Frisörin, ist mit ihrer Ehe und der sexuellen Potenz ihres Mannes ebenso unzufrieden wie mit den Lebensverhältnissen in der DDR. Sie träumt davon, sich in den Westen abzusetzen, schmiedet aber keine konkreten Pläne und versucht, die Trübsal wenigstens für ein paar Stunden in Tanzlokalen zu vergessen.

Während Holger mit seiner Großmutter am Tisch sitzt, liegt Ottis sechster Ehemann Rudi (Hermann Beyer) im Schlafzimmer. Er behauptet, seit dem Krieg wandere ein Granatsplitter in seinem Kopf herum. Jedenfalls ist er bettlägerig, und dass er nicht mehr lang leben wird ist abzusehen.

Um einen Ersatz braucht Otti sich keine Sorgen zu machen: Der Fischhändler Erich Winkler (Horst Krause) versucht ihre Gunst mit einem kostenlosen Karpfen zu gewinnen. Und der Witwer Karl Wegner (Michael Gwisdek) macht sie am Friedhof an: Er bittet sie, das Grab seiner Frau Magda mitzugießen, während er zwei Wochen lang bei Verwandten in Bayern sein wird. Danach schenkt er ihr einen Gedichtband von Friederike Kempner mit dem Titel „Das scheintote Kind“ – und erobert damit ihr Herz.

Im Oktober steht Rudi eines Abends unvermittelt auf, zieht sich an und geht fort. Erst spät nachts kommt er zurück.

Am anderen Morgen verbreitet sich die Nachricht, dass der Fisch-Winkler mit einer Bierflasche erschlagen wurde. Weil es heißt, er sei ein alter Nazi gewesen, ist ein politischer Hintergrund nicht auszuschließen. Aber auch einer der Saufkumpane aus der von Rita (Ingeborg Westphal) und Jochen Gundorff (Hans-Uwe Bauer) betriebenen Kiezkneipe „Feuermelder“ könnte der Täter gewesen ein.

Achim Stolle (Thomas Lawincky), ein Mann aus der Nachbarschaft am Boxhagener Platz, wird unter Mordverdacht festgenommen. Sein halbwüchsiger Sohn Burkhard (Vincent Krüger) freut sich, denn er hasst ihn, und in Vorfreude auf den neuen Besitz putzt er das Auto. Frau Stolle (Claudia Geisler) kommt dagegen aufgeregt zu Renate und Klaus-Dieter Jürgens. Statt sie zu beruhigen, sichert der Abschnittsbevollmächtigte stümperhaft ihre Fingerabdrücke und bringt sie zur Kriminalpolizei, wo er allerdings nur ausgelacht wird.

Neben ihrem Mann im Ehebett liegend, gesteht Otti, dass sie sich neu verliebte und ihn verlassen will. Aber Rudi schnarcht nur laut.

Am anderen Morgen ist er tot. Otti lässt ihn erst einmal liegen, denn es ist der 1. Dezember, der Tag der monatlichen Rentenauszahlung. Noch einmal holt sie das Geld ab. Auf dem Rückweg nimmt sie den alkoholkranken Arzt Dr. Klemm (Volkmar Kleinert) mit, der den Totenschein ausstellen soll.

Zur Beerdigung kommt auch Ottis erwachsener Sohn Bodo (Milan Peschel), ein homosexueller Briefträger, der sie nicht mehr besuchte, seit Rudi ihn gefragt hatte, ob ihm ein Köter beim Austragen der Briefe den Schwanz abgebissen habe.

Zu Burkhards Verdruss kommt Achim Stolle wieder frei.

Den Weihnachtsbaum holen Otti und Karl aus Westberlin, denn da sind die Tannen viel schöner. Allerdings fängt das Prachtstück schon vor dem Schmücken zu nadeln an. Die im Westen seien alle kapitalistische Betrüger, schimpft Karl verärgert.

Inzwischen hat er Holger ein Geheimnis anvertraut: Nach dem Ersten Weltkrieg war er Mitglied des Spartakusbundes. Er gehört zu den „echten“ Kommunisten, die der Entwicklung des realen Sozialismus skeptisch gegenüberstehen.

Aus Buchstaben, die er aus dem in der DDR verbotenen „Stern“ ausschneidet, setzt Karl ein anonymes Bekennerschreiben für die Ermordung des Fischhändlers zusammen und schickt es der Polizei.

Kurz darauf flattern Flugblätter auf den Boxhagener Platz: „Russen raus aus Prag“. Klaus-Dieter Jürgens fordert die Passanten eifrig auf, sie aufzuheben und bei ihm abzuliefern. Nach wenigen Minuten treffen Mitarbeiter der Stasi und der Kriminalpolizei ein. Sie übernehmen den Fall.

Achim Stolle wird erneut verhaftet, diesmal wegen der Flugblätter. Burkhard gesteht Holger, dass dies sein Werk gewesen sei: Er warf die Flugblätter, steckte seinem Vater ein paar Exemplare in den Mantel und rief dann anonym die Polizei an.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Weihnachten feiert Otti mit Karl, Holger, Renate, Klaus-Dieter, Bodo und dessen Freund Berthold (Daniel Krauss). Aber noch vor der Bescherung platzen zwei Offiziere der Kriminalpolizei (Sebastian Hülk, Matthias Matschke) herein und verhaften Karl Wegener unter dem Vorwand, er wohne inzwischen bei seiner Geliebten und habe sich nicht ordnungsgemäß umgemeldet. Klaus-Dieter stellt sich den Kollegen in den Weg, wird jedoch niedergeschlagen und später in den Innendienst strafversetzt.

Tatsächlich wird Karl Wegener beschuldigt, den Fischhändler Erich Winkler ermordet und staatsfeindliche Flugblätter verbreitet zu haben.

Im Gefängnis stirbt er an Herzversagen.

In einem kurz zuvor an Otti geschriebenen Brief schildert er, was wirklich geschehen war. Er sei damals mit Rudi im „Feuermelder“ gewesen und danach beim Fischhändler vorbeigekommen, der auch Bier verkaufte. Rudi verbot Erich Winkler, Otti weiter den Hof zu machen. Als der Streit handgreiflich wurde und Rudi zu unterliegen drohte, schlug Karl dem Fisch-Winkler eine Bierflasche auf den Kopf. Unglücklicherweise war er gleich tot.

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Matti Geschonneck verfilmte den Roman „Boxhagener Platz“ von Torsten Schulz. Die Handlung spielt im Herbst 1968 rund um den Boxhagener Platz in Berlin Friedrichshain. Während der Prager Frühling niedergeschlagen wird und in Westberlin die APO demonstriert, hat im Arbeiter- und Bauernstaat die Stasi das Sagen. Ein überzeugter, idealistischer Kommunist, der nach dem Ersten Weltkrieg Mitglied des Spartakusbundes war, verzweifelt am real existierenden Sozialismus und der Verlogenheit des DDR-Regimes. Otti, die pragmatische Großmutter des zwölfjährigen Holger, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird, hat sich dagegen innerhalb der gegebenen Möglichkeiten eingerichtet und macht für sich und ihren Enkel das Beste daraus. Über Dinge, die sie nicht ändern kann, zerbricht sie sich nicht den Kopf.

Die Komödie „Boxhagener Platz“ versetzt uns in das Milieu eines Ostberliner Arbeiterviertels Ende der Sechzigerjahre. Dafür sorgt vor allem die mit viel Liebe zum Detail gestaltete Ausstattung.

Der Boxhagener Platz in Berlin-Friedrichshain befindet sich zwischen Krossener- und Grünberger-, Gärntner- und Gabriel-Max-Straße.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2011

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