Henrik Ibsen : Gespenster

Gespenster
Manuskript und Erstausgabe: 1881 Unauthorisierte Uraufführung: Chicago 1882 Offizielle Uraufführung: Helsingborg 1883 Deutschsprachige Uraufführung: Augsburg 1886 Henrik Ibsen: Schauspiele Übersetzung: Hans Egon Gerlach Hoffmann und Campe, Hamburg 1977 ISBN 3-455-03620-1
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Im ersten Ehejahr lief Helene Alving ihrem Mann fort, weil er sie fortwährend mit anderen Frauen betrog. Zuflucht suchte sie bei Pastor Manders, einem Familienfreund, den sie liebte, aber der verständnislose Geistliche hielt es für seine Pflicht, sie zu ihrem Mann zurückzubringen. Nach 19 Ehejahren starb Alving, und anlässlich des 10. Todestages stiftet die Witwe ein Kinderasyl. Damit will sie ihre Lebenslüge untermauern, die Lüge, ihr Mann habe sich gebessert und sei fortan ein vorbildlicher Ehemann gewesen ...
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Kritik

In dem Familiendrama "Gespenster" hält Henrik Ibsen Spießbürgern und Geistlichen einen Spiegel vor. Das Stück ist handlungsarm, aber die Dialoge sind so gewitzt, dass man über zwei Stunden hervorragend unterhalten wird.
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Erster Akt

Der verwitwete Tischler Jakob Engstrand hat mitgeholfen, auf dem Landgut von Helene Alving an einem Fjord im Westen Norwegens ein Kinderasyl zu Ehren ihres vor zehn Jahren verstorbenen Ehemanns, des Hauptmanns und Kammerherrn Alving, zu errichten. Am Vorabend der Einweihungsfeier drängt er seine Tochter Regine, die bei Frau Alving als Dienstmädchen beschäftigt ist, mit ihm in die Stadt zu ziehen, wo er ein Seemannsheim eröffnen will. Regine soll dort – Engstrand denkt wohl an ein Bordell – die Männer anlocken und dabei eine gute Partie machen. Sie weist das Angebot jedoch höhnisch zurück, weil sie nicht glaubt, dass ihr alkoholkranker Vater mit seinem Plan Erfolg haben wird. Außerdem hat sie sich in Oswald Alving verliebt, den Sohn ihrer Dienstherrin, einen Künstler, der anlässlich des zehnten Todestages seines Vaters aus Paris angereist ist und ihre Gefühle zu erwidern scheint.

Nachdem Regine ihren Vater aus dem Zimmer gejagt hat, trifft Pastor Manders ein. Er ist aus der Stadt gekommen, denn Frau Alving hat den Freund ihres verstorbenen Mannes als Geschäftsführer des Asyls eingesetzt, und er soll bei der Einweihung eine Rede halten.

Der Geistliche entdeckt ein paar Bücher, die Frau Alving liest und lässt keinen Zweifel daran, dass er das für bedenklich hält.

Pastor Manders: Sagen Sie, Frau Alving – wie kommen diese Bücher hierher?
Frau Alving: Diese Bücher? Darin lese ich.
Pastor Manders: Wie – Sie lesen Schriften dieser Art?
Frau Alving: Ja, das tue ich.
Pastor Manders: Meinen Sie denn, dass eine derartige Lektüre Sie besser oder glücklicher macht?
Frau Alving: Ich möchte eher sagen, dass ich dadurch eine größere Sicherheit gewinne.
Pastor Manders: Sicherheit? Seltsam. Und wie das, wenn ich fragen darf?
Frau Alving: Nun, ich bekomme gleichsam eine Erklärung und Bestätigung für so manches, was ich selbst auch schon gedacht habe. Ja, denn das ist das Erstaunliche, Pastor Manders – es steht eigentlich gar nichts Neues in diesen Büchern. Sie enthalten nichts anderes als das, was die meisten Menschen ohnehin denken und meinen. Nur, dass die meisten Menschen es sich nicht klarmachen oder es vor sich selbst nicht wahrhaben wollen.
Pastor Manders: Ja, du lieber Gott! Glauben Sie allen Ernstes, dass die meisten Menschen –?
Frau Alving: Ja, das glaube ich allerdings.
Pastor Manders: Aber doch wohl nicht hierzulande? Nicht hier bei uns?
Frau Alving: O doch, hier bei uns genauso.
Pastor Manders: Also, ich muss schon sagen –!
Frau Alving: Was haben Sie gegen diese Bücher eigentlich einzuwenden?
Pastor Manders: Was ich einzuwenden habe? Sie glauben doch wohl nicht, dass ich mich damit beschäftige, derartige Erzeugnisse genauer zu untersuchen?
Frau Alving: Dann kennen Sie also das, was Sie verurteilen, überhaupt nicht?
Pastor Manders: Ich habe genügend über diese Schriften gelesen, um sie zu missbilligen.
Frau Alving: Ja, aber Ihre eigene Meinung –
Pastor Manders: Meine liebe Frau Alving, es gibt so viele Dinge im Leben, bei denen wir uns auf andere verlassen müssen. So ist es nun einmal hier auf dieser Welt; und das ist auch sehr gut so. Denn wo bleiben sonst die gesellschaftlichen Ordnungen?
(Seite 336f)

Der Pastor bespricht mit Frau Alving die mit der Asyleinweihung zusammenhängenden geschäftlichen Angelegenheiten. Dann betritt Oswald den Raum. Der Siebenundzwanzigjährige wuchs vom siebten Lebensjahr an bei Pflegeeltern auf und lebte die letzten zwei Jahre in Paris. Der Pastor ist entsetzt, als er von Oswald erfährt, dass es dort Künstler gibt, die mit Frauen zusammenleben und sogar Kinder haben, ohne verheiratet zu sein.

Pastor Manders [zu Frau Alving über Oswald]: Er ist sechs- oder gar siebenundzwanzig Jahre alt geworden und hat noch nie Gelegenheit gehabt, ein ordentliches häusliches Heim kennenzulernen.
Oswald: Verzeihung, Herr Pastor – aber da irren Sie sich.
Pastor Manders: So? Ich glaubte, Sie hätten so gut wie ausschließlich in Künstlerkreisen verkehrt.
Oswald: Das stimmt.
Pastor Manders: Und vorwiegend mit jüngeren Künstlern.
Oswald: Ja, ja.
Pastor Manders: Nun, ich war der Meinung, dass diese Leute es sich im allgemeinen nicht leisten könnten, ein eigenes Heim zu gründen.
Oswald: Es gibt viele darunter, dies es sich nicht leisten können, zu heiraten, Herr Pastor.
Pastor Manders: Das ist es ja, was ich sage.
Oswald: Aber deshalb können Sie doch ein Heim haben. Und das hat der eine oder andere auch wirklich; und zwar ein sehr ordentliches und sehr behagliches Heim.
Pastor Manders: Aber ich rede doch nicht von einer Junggesellenwirtschaft. Ich meine das Heim einer Familie, wo ein Mann mit seiner Frau und seinen Kindern lebt.
Oswald: Ja; oder mit seinen Kindern und der Mutter seiner Kinder.
Pastor Manders: Mit der Mutter seiner Kinder? Ja, du grundgütiger Himmel!
Oswald: Fänden Sie es denn besser, er würde die Mutter seiner Kinder verstoßen?
Pastor Manders: Sie reden also von ungesetzlichen Verhältnissen! Von diesen so genannten wilden Ehen!
Oswald: Ich habe im Zusammenleben dieser Leute nie etwas sonderlich Wildes feststellen können.
Pastor Manders: Aber wie ist es denn möglich, dass auch nur einigermaßen wohlerzogene junge Leute sich dazu verstehen können, auf eine solche Weise miteinander zu leben – und das vor aller Augen!
Oswald: Was bleibt ihnen denn anderes übrig? Ein junger Künstler und ein junges Mädchen, beide ohne Geld. Heiraten ist teuer. Was also sollen sie tun?
Pastor Manders: Was sie tun sollen? Das will ich Ihnen sagen, Herr Alving. Sie hätten einander von Anfang an meiden sollen, jawohl! […]
Oswald: Hören Sie, Herr Pastor. Ich bin in einigen dieser Familien ein regelmäßiger Sonntagsgast gewesen –
Pastor Manders: Und das auch noch am Sonntag!
Oswald: – aber niemals habe ich ein anstößiges Wort gehört, und noch weniger habe ich irgend etwas bemerkt, das man als unsittlich bezeichnen könnte. Nein; wissen Sie, wann und wo ich der Unsittlichkeit begegnet bin in Künstlerkreisen?
Pastor Manders: Nein, das weiß ich gottlob nicht!
Oswald: Nun, dann werde ich mir erlauben, es Ihnen zu sagen. Ich bin ihr begegnet, wenn dieser oder jener unserer musterhaften Ehemänner und Familienväter nach Paris kam, um sich dort auf eigene Faust so ein wenig umzusehen – und dabei den Künstlern die Ehre erwies, sie in ihren bescheidenen Kneipen aufzusuchen. Da konnten wir was lernen. Diese Herren wussten von Orten und Dingen zu berichten, von denen wir uns nie auch nur hatten träumen lassen.
(Seite 345f)

Als Frau Alving wieder mit Pastor Manders allein ist, erinnert sie sich an das erste Jahr ihrer Ehe.

Frau Alving: Haben Sie vergessen, wie grenzenlos unglücklich ich mich in jenem ersten Jahr fühlte?
Pastor Manders: Das eben ist ja der Geist des Aufruhrs, hier in diesem Leben nach Glück zu verlangen. Haben wir Menschen denn ein Recht auf Glück? Nein, meine Liebe, wir sind da, um unsere Pflicht zu tun! Und Ihre Pflicht war es, auszuhalten an der Seite des Mannes […]
(eite 348)

Der Pastor weiß, dass sein Freund als Junggeselle ein ausschweifendes Leben geführt hatte und das auch nach seiner Eheschließung fortsetzte, aber er erklärt der Witwe, dass eine Frau nicht berufen sei, über ihren Ehemann zu richten. Statt zu rebellieren und ihrem Mann davonzulaufen, hätte sie demütig das Kreuz tragen müssen. Frau Alving suchte damals Zuflucht bei Manders, den sie liebte, doch der verständnislose Pastor brachte sie zu ihrem Ehemann zurück und ist heute noch stolz darauf, der Versuchung widerstanden zu haben. Er glaubt, dass die Alvings von da an achtzehn Jahre lang eine untadelige Ehe führten. Allerdings wirft er Frau Alving vor, gegen ihre Mutterpflichten verstoßen zu haben, als sie ihren Sohn fortgab. Da klärt Frau Alving den Pastor über ihre Lebenslüge auf, darüber dass ihr Mann sich nie änderte, bis er an Syphilis starb. Um Oswald nicht in diesem Sündenpfuhl aufwachsen zu lassen, nahm sie das Opfer auf sich und vertraute ihn Pflegeeltern an.

Frau Alving: Damals war es auch, dass Oswald ausgesetzt wurde, wie Sie es nannten. Er ging damals ins siebente Jahr, fing an zu beobachten und Fragen zu stellen, wie Kinder es so tun – nein, Manders, das konnte ich nicht mit ansehen. Mir schien, der Junge müsse umkommen, wenn er weiter diese verpestete Luft hier bei uns einatmete. Deshalb gab ich ihn fort […] Was mich das gekostet hat, ahnt kein Mensch. (Seite 352f)

Die vermeintlich mustergültige Ehe war nur eine von Frau Alving mühsam aufrechterhaltene Fassade. Mit dem Asyl zu Ehren des Kammerherrn will die Witwe den letzten Gerüchten über ihn den Boden entziehen, sich dann endlich von der Vergangenheit befreien und nur noch für ihren Sohn leben.

In diesem Augenblick hört Frau Alving, wie Oswald sich im Nebenzimmer an Regine heranmacht – so wie damals ihr Ehemann an Johanna. Nimmt sie Gespenster wahr?

Zweiter Akt

Der angesehene Kammerherr hatte es sogar hier im Haus mit dem Dienstmädchen Johanna getrieben. Als Johanna von ihrem Dienstherrn schwanger war, gab Frau Alving ihr einen größeren Geldbetrag, damit sie den Mund hielt und schickte sie fort. Mit dem Geld gewann Johanna in der Stadt den Tischler Jakob Engstrand als Ehemann. Ihm hatte sie vorgemacht, ein englischer Seemann sei der Vater ihres Kindes. Regine weiß bis heute nicht, dass sie Alvings Tochter ist.

Pastor Manders: Wieviel war es denn, was das Mädchen bekommen hatte?
Frau Alving: Dreihundert Taler.
Pastor Manders: Man stelle ich vor – für lumpige dreihundert Taler hinzugehen und ein gefallenes Mädchen zu ehelichen!
Frau Alving: Was sagen Sie dann von mir? Schließlich habe ich einen gefallenen Mann geheiratet.
Pastor Manders: Bewahre uns der Himmel – was sagen Sie da? Einen gefallenen Mann!
Frau Alving: Meinen Sie denn, Alving wäre an dem Tage, an dem ich mit ihm zum Altar schritt, reiner gewesen, als Johanna es war, da Engstrand sie zur Frau nahm?
Pastor Manders: Aber das ich doch ein so himmelweiter Unterschied –!
Frau Alving: Durchaus nicht. Allerdings – der Preisunterschied, der war ziemlich groß; da lumpige dreihundert Taler – und hier ein ganzes Vermögen.
(Seite 357)

Der Pastor versteht die Welt nicht mehr, und die Tatsache, dass er als Seelsorger von diesen Vorgängen in seiner Gemeinde nichts mitbekam, verletzt seine Eitelkeit.

Engstrand betritt den Raum. Er schlägt Pastor Manders vor, in dem fertiggestellten Asyl eine Andacht zu halten. Der Geistliche geht zunächst nicht darauf ein, sondern fragt ihn, warum er ihm in all den Jahren verheimlicht habe, dass Regine nicht seine Tochter sei. Engstrand redet sich darauf hinaus, dass er damals eine gute Tat vollbracht habe, indem er eine gefallene Frau ehelichte und die Schuld für ihren Fehltritt auf sich nahm. Bis heute habe er sich an den Schwur gehalten, Johanna nicht zu verraten.

Engstrand: Wir Männer sollten mit so einem armen Frauenzimmer nicht so streng ins Gericht gehen, Herr Pastor […] Sehen Sie, Herr Pastor – damals, wie die Johanna ins Unglück geraten war zufolge von diesem Engländer – oder vielleicht war es auch ein Amerikaner oder ein Russe – da kam sie dann ja zu mir in die Stadt, die Arme […] und vertraute sich mir an unter Heulen und Zähneklappern. Und das tat mir so recht in der Seele weh, Herr Pastor, wie ich das hörte.
Pastor Manders: Soso, Engstrand, tat es das?
Engstrand: Ja, und da sagte ich dann zu ihr: Der Amerikaner, der schweift unstet umher auf dem Ozean. Und du, Johanna, sagte ich, du hast einen Sündenfall begangen und bist ein gefallenes Geschöpf […] Ja, und dann richtete ich sie also auf und nahm sie ehrlich und aufrichtig zur Frau, damit dass die Leute nichts erfahren sollten von ihrer Verirrung mit diesen Ausländern.
Pastor Manders: Das alles war in der Tat höchst löblich von Ihnen gehandelt. Nur das eine kann ich nicht billigen: dass Sie sich dazu bequemen konnten, Geld anzunehmen –
Engstrand: Geld? Ich? Keinen roten Heller.
Pastor Manders sieht Frau Alving fragend an: Aber – !
Engstrand: Ja, richtig – jetzt fällt es mir wieder ein. So ein bisschen was hatte Johanna wohl doch, das stimmt. Aber davon wollte ich nichts wissen. Pfui, sagte ich, der Mammon, der ist des Teufels; dieses schnöde Gold – oder Geldscheine, oder was es nu war – das werfen wir dem Amerikaner vor die Füße, sagte ich. Doch der war spurlos verschwunden, weit über das wilde Meer, Herr Pastor.
(Seite 364f)

Der leichtgläubige Pastor ist tief beeindruckt und hält Engstrand nun wieder für einen rechtschaffenen Mann.

Unter vier Augen gesteht Oswald seiner Mutter, dass er in Paris an Syphilis erkrankte. Der Arzt hielt es für eine Erbkrankheit.

Oswald: Endlich erklärte er mir, dass ich schon immer, seit meiner Geburt, etwas „Wurmstichiges“ an mir gehabt hätte – ja, er gebrauchte tatsächlich den Ausdruck „vermoulu“; genauso nannte er es.
Frau Alving gespannt: Und was meinte er damit?
Oswald: Das verstand ich auch nicht, und deshalb bat ich ihn, es mir genauer zu erklären. Und da sagte dieser alte Zyniker – Ballt die Hand zur Faust – oh!
Frau Alving: Was sagte er?
Oswald: Er sagte: Die Sünden der Väter werden heimgesucht an den Kindern.
Frau Alving erhebt sich langsam: Die Sünden der Väter –!
Oswald: Es fehlte nicht viel, und ich hätte ihm ins Gesicht geschlagen.
(Seite 371)

Doch als Oswald dem Arzt Briefe seiner Mutter zeigte, die von dem untadeligen Leben ihres hoch angesehenen Mannes berichtete, meinte der Doktor, dann müsse Oswald sich selbst angesteckt haben. Seither wirft Oswald sich vor, aus eigener Schuld seine Gesundheit ruiniert zu haben und nicht mehr arbeiten zu können. Dabei habe er geglaubt, sich nie leichtsinnig verhalten zu haben. Für Frau Alving ist es eine Qual, ihren Sohn leiden zu sehen.

Oswald fühlt sich in Norwegen nicht wohl. Er wäre lieber wieder in Rom oder Paris. Dort scheint die Sonne, und die Menschen halten Arbeit nicht für einen Fluch, sondern für einen Teil ihrer Lebensfreude. Die einzige Person, die ihm hier in der Heimat Lebensfreude vermitteln könne, sei Regine.

Frau Alving: Hör mal, Oswald – was hast du da vorhin gesagt von der Lebenslust?
Oswald: Ja, Mutter die kennt ihr hier kaum. Jedenfalls verspüre ich hier nie etwas davon […] Ja, die Freude am Leben – und außerdem die Freude an der Arbeit. Die gehört dazu. Im Grunde ist das sogar ein und dasselbe […] Hier bei uns predigt man den Leuten, die Arbeit sei ein Fluch und eine Strafe, und das Leben sei eine jämmerliche Sache, ein wahres Jammertal! – und je eher man es hinter sich hätte, um so besser.
Frau Alving: Ein Jammertal, ganz recht. Und wir geben uns ja auch redliche Mühe, es dazu zu machen.
(Seite 377)

Als Frau Alving Oswald und Regine die Wahrheit sagen will, hört man draußen Schreie: Das Asyl brennt!

Dritter Akt

Das Asyl ist bis auf die Grundmauern niedergebrannt.

Engstrand hat gesehen, wie Pastor Manders nach der Andacht die Kerzen löschte und einen noch glimmenden Docht in einen Haufen Hobelspäne warf. Der Geistliche, der wohl in seiner Verzweiflung das Lügengebäude zerstören wollte, leugnet die Tat; ihm graut vor den Pressemeldungen, und er ist heilfroh, als Engstrand anbietet, die Schuld auf sich zu nehmen – falls der Pastor die für das abgebrannte Asyl gedachten Stiftungsgelder in das geplante Seemannsheim „Kammerherr Alvings Asyl“ einbringt.

Frau Alving hat erst aufgrund von Oswalds Äußerungen begriffen, dass ihr Mann voller Lebensfreude war, aber in der bigotten Spießbürgergesellschaft keine Möglichkeit hatte, sie in eine sinnvolle Lebensaufgabe umzusetzen und sich deshalb in billige Vergnügungen stürzte.

Frau Alving: Als du vorhin von der Freude am Leben sprachst, da war mir, als ob ich auf einmal alle Dinge meines eigenen Lebens in einem ganz neuen Licht erblickte […] Du hättest deinen Vater kennen sollen, als er noch ein blutjunger Leutnant war. Der sprühte nur so vor Lebenslust.
Oswald: Ja, ich weiß.
Frau Alving: Und diese unbändige Kraft, die in ihm war, diese Vitalität!
Oswald: Ja, und? Was weiter?
Frau Alving: Und dieses lebensfrohe Kind – denn er war wirklich wie ein Kind, damals – musste seine Tage hier in einer mittelgroßen Stadt verbringen, die keine Freude zu bieten hatte, sondern nur Zerstreuungen. In diesem Nest hier musste er leben, ohne eine Aufgabe zu haben, der er sich mit aller Kraft und von ganzem Herzen hätte widmen können. Er hatte nur ein Amt, und das Amt war nur ein Titel; er hatte keine Arbeit, er hatte nur Beschäftigungen. Und er hatte auch nicht einen einzigen Kameraden, der eine Ahnung davon gehabt hätte, was echte Lebenslust bedeutet; sein Umgang bestand nur aus Tagedieben und Zechkumpanen –
Oswald: Mutter!
Frau Alving: […] Dein armer Vater wusste einfach nicht, wohin mit all der Lebenslust, die in ihm war. Und auch ich brachte leider keine Freude, keine Heiterkeit in sein Leben.
Oswald: Auch du nicht?
Frau Alving: Man hatte mir irgendwas beigebracht von Pflichten und dergleichen […] ich fürchte, Oswald, ich habe unser Zuhause für deinen armen Vater unerträglich gemacht.
(Seite 385f)

Sie klärt Oswald und Regine über die Wahrheit auf. Regine denkt nicht daran, sich für die Pflege Oswalds aufzuopfern. Stattdessen eilt sie ihrem Ziehvater nach und spielt mit dem Gedanken, sich in dessen Asyl zu prostituieren, um ihr Glück zu machen.

Oswald fürchtet sich vor der geistigen Zerrüttung durch die Syphilis; auf keinen Fall möchte er zum pflegebedürftigen Wrack werden. Deshalb hat er sich Morphium besorgt. Damit soll ihn seine Mutter erlösen, sobald es erforderlich ist.

Als er bei Sonnenaufgang einen Anfall erleidet, muss Frau Alving entscheiden, ob sie seinen Willen erfüllt.

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In dem Familiendrama „Gespenster“ hält Henrik Ibsen Spießbürgern und Geistlichen einen Spiegel vor. Er zeigt eine – von Pastor Manders personifizierte – freudlose Gesellschaft, in der die Arbeit als Fluch gilt und Frauen sich zu fügen haben, selbst wenn sie von ihren Männern betrogen werden. Diese scheinheilige norwegische Gesellschaft kontrastiert er mit dem Leben armer Künstler in Paris, für die ihre Arbeit ein Teil ihrer Lebensfreude ist, die zwar in den Augen der Kirche mit ihren Lebenspartnerinnen und Kindern in Sünde leben, aber anständiger sind als „ehrenwerte“ Ehemänner, die sich bei Ausflügen nach Paris heimlich ausleben.

„Gespenster“ ist ein analytisches Drama, das heißt: Die grundlegenden Ereignisse geschahen in der Vergangenheit, und es geht nur noch um die Folgen. Dementsprechend ist das in einer einzigen Kulisse spielende Stück handlungsarm und dialoglastig. Henrik Ibsen hat die teilweise sarkastischen Dialoge so aufgebaut, dass sich nach und nach aus unterschiedlichen Perspektiven ein vollständiges Bild ergibt, während ständig Konflikte ausgetragen werden und die Spannung bis zum Schluss erhalten bleibt. Trotz des ernsten Themas blitzen auch witzige Ideen auf. „Gespenster“ ist zwar mehr als 120 Jahre alt und die Gesellschaftskritik nicht mehr in allen Punkten aktuell, aber das Bühnenstück ist wegen seiner dramatisch-literarischen Vorzüge noch immer sehenswert, und die lebendigen Dialoge hört man mit großem Vergnügen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Textauszüge: © Verlag Philipp Reclam jun.

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Petra Karla Müller - (K)ein Mord an Bord
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