Ian McEwan : Unschuldige

Unschuldige
Originalausgabe: The Innocent Jonathan Cape, London 1990 Unschuldige Eine Berliner Liebesgeschichte Übersetzung: Hans-Christian Oeser Diogenes Verlag, Zürich 1990 Süddeutsche Zeitung / Kriminalbibliothek Band 44, München 2006, 251 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der 26-jährige englische Fernmelde-techniker Leonard Marnham kommt 1955 im Rahmen einer britisch-amerikanischen Geheimdienst-Operation nach Berlin. Von einem Tunnel aus werden sowjetische Telefonleitungen angezapft. Der naive, schüchterne Brite verliebt sich in eine vier Jahre ältere Deutsche, und Maria weiht ihn in die Geheimnisse der Liebe ein. Dann taucht Marias Ex-Ehemann auf ...
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Kritik

Bei dem Roman "Unschuldige" von Ian McEwan handelt es sich um eine sehr unterhaltsame Mischung aus Spionagethriller, Liebesdrama und Satire.
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Der 26 Jahre alte Engländer Leonard Marnham, der zu Hause noch bei seinen Eltern wohnt, kommt 1955 nach Berlin, wo er an einem Projekt der CIA und des MI6 mitarbeiten soll. Ein britischer Transportoffizier bringt ihn zu einer Mietwohnung, die ihm die Geheimdienste zur Verfügung stellen.

Lieutenant Lofting riss das Gespräch gleich an sich. „Schauen Sie her, Marnham. Sie sind gerade eben erst angekommen […] Das Problem hier sind nicht die Deutschen oder die Russen. Nicht einmal die Franzosen. Sondern die Amerikaner. Die haben ja keinen blassen Dunst. Was noch schlimmer ist, sie wollen nichts dazulernen, sie lassen sich einfach nichts sagen. So sind sie nun mal.“ (Seite 9)

Am Abend trinkt Leonard in einer Berliner Kneipe einige Gläser Bier und beobachtet die Einheimischen. Seine Sprachkenntnisse sind noch nicht gut genug, um jedes Wort zu verstehen, aber er kann den Unterhaltungen ungefähr folgen und bekommt mit, dass an einem Nebentisch Kriegserlebnisse ausgetauscht werden.

Diese Männer schwelgten in Erinnerungen, wo sie vor Entsetzen hätten schaudern sollen. Sie schrien ihre blutigen Untaten in die Schankstube. Mit meinen bloßen Händen! Jeder Einzelne schlug sich eine Bresche in den Anekdotentaumel, bis seine Kumpane ihn niedermachten. Es gab wegwerfende Bemerkungen, böse hingeknurrte Zustimmung. Die anderen Kneipengäste, übers eigene Gespräch gekrümmt, zeigten sich unbeeindruckt. Nur der Wirt blickte von Zeit zu Zeit zu ihnen hinüber, zweifellos nur, um den Bierpegel in ihren Gläsern zu prüfen. (Seite 15)

Bei Leonards Chef handelt es sich um einen Amerikaner: Bob Glass. Der holt ihn mit seinem klapprigen VW-Käfer am nächsten Morgen ab und fährt mit ihm nach Alt-Glienicke. Zunächst vermutet Leonard, dass es sich bei dem Geheimdienstprojekt um eine Radaranlage handelt. Glass deutet jedoch an, dass es um etwas anderes geht.

„Wir fahren zu gar keiner Radaranlage, Leonard. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Nur haben Sie noch keine Sicherheitsstufe drei. Also fahren wir doch zu einer Radaranlage […]
Ich will Ihnen mal was über Stufe eins erzählen. Der Pionier, der das Ganze gebaut hat, erfährt, dass er ein Lagerhaus errichtet, ein richtiges Armeemagazin. Nun sehen aber seine Instruktionen ein Kellergeschoss mit einer 3,65 m hohen Decke vor. Das ist sehr tief. Es bedeutet ungeheure Mengen Erdbewegung, Kipper, die Erde fortschaffen, einen geeigneten Bauplatz und so weiter. So aber baut die Armee kein Lagerhaus. Also verweigert der Kommandant die Ausführung, bis er eine Bestätigung direkt aus Washington erhält. Man nimmt ihn beiseite, da entdeckt er, dass es verschiedene Sicherheitsstufen gibt, und wird auf Stufe zwei angehoben. In Wirklichkeit baut er nämlich überhaupt kein Lagerhaus, wird ihm gesagt, sondern eine Radarstation, und das tiefe Untergeschoss ist für Sonderausrüstung gedacht. Also macht er sich freudig an die Arbeit. Er ist der Einzige auf der Baustelle, der Bescheid weiß, wofür das Gebäude wirklich bestimmt ist. Aber er täuscht sich. Wenn er Sicherheitsstufe drei hätte, wüsste er nämlich, dass er es gar nicht mit einer Radarstation zu tun hat. Hätte Sheldrake Sie voll instruiert, wüssten Sie’s auch. Ich selbst weiß es zwar, bin aber nicht befugt, Ihre Sicherheitsstufe anzuheben.“ (Seite 20ff)

Schließlich erfährt Leonard doch, dass die Briten und Amerikaner einen Tunnel in den sowjetischen Sektor gegraben haben. Gerade sind sie dabei, die Schönefelder Chaussee zu unterqueren. Auf der anderen Straßenseite verlaufen die Erdkabel, die den sowjetischen Luftwaffenstützpunkt in Schönefeld mit Moskau verbinden. Diese Kabel sollen angezapft werden. Glass betont, dass die CIA in der Lage wäre, das Projekt allein durchzuführen und man die Kollegen vom MI6 nur wegen des besonderen amerikanisch-britischen Verhältnisses zum Mitmachen eingeladen habe.

„Alles Politik. Meinen Sie denn, wir könnten die Leitungen nicht selbst anzapfen? Glauben Sie etwa, wir hätte nicht selbst Verstärker? Dass wir euch mitmachen lassen, ist doch reine Politik.“ (Seite 32)

Zunächst besteht Leonards Aufgabe darin, 150 Ampex-Magnettongeräte auszupacken und mit Steckern und Signalaktivierungselementen zu versehen. Die Kartons muss er aus Geheimhaltungsgründen sorgfältig verbrennen. Als Leonard sich über die stupide Tätigkeit beschwert und darauf hinweist, dass er an der Universität Birmingham Elektronik studiert habe, entgegnet Glass:

„Sie wollen über Ihre Arbeitszeit sprechen? Und über die genaue Abgrenzung Ihrer Tätigkeit? Ist das etwa das Palaver der roten englischen Gewerkschaften, von dem wir immer hören?“ (Seite 53)

Als Glass mit seinem neuen Untergebenen und einem AFN-Sprecher namens Russell ein Nachtlokal im sowjetischen Sektor mit Telefon- und Rohrpostverbindung zwischen den Tischen besucht, wird Leonard von einer dreißigjährigen Deutschen kontaktiert. Die beiden Amerikaner drängen den schüchternen Engländer, zu ihr hinzugehen. Sie heißt Maria Louise Eckdorf und ist mit ihrer Freundin Jenny Schneider da. Maria arbeitet als Tippse und Übersetzerin in einer Autowerkstatt der britischen Armee in Spandau. Nach dem Krieg hatte sie den ehemaligen Feldwebel Otto Eckdorf geheiratet, aber die Ehe wurde längst geschieden. Trotzdem taucht Otto noch immer ein- oder zweimal im Jahr betrunken bei ihr auf, schlägt sie und verlangt Geld von ihr.

Der britische Geheimdienstoffizier John MacNamee führt Leonard durch den fast fertiggestellten Tunnel und erklärt ihm die Operation „Gold“, obwohl der Neue dazu eigentlich die Sicherheitsstufe 4 haben müsste. MacNamee weiht Leonard auch in das Geheimnis ein, dass die Leute vom MI6 den Amerikanern längst nicht alles verraten, weil diese auch einiges für sich behalten. Leonard soll deshalb versuchen, an geheime Informationen seiner amerikanischen Kollegen und Vorgesetzten heranzukommen.

„Wir sind auf Einzelinformationen aus, elektronischen Kleinkram, alles was uns irgendwie weiterhilft. Sie wissen, wie unvorsichtig die Amis sein können. Sie tratschen und lassen ihre Sachen herumliegen.“ (Seite 85)

Von Maria wird Leonard in die Liebe eingeführt. Der Sechsundzwanzigjährige war vorher noch nie mit einer Frau zusammen. In seiner Unerfahrenheit bildet er sich eines Abends ein, Maria einmal fester anpacken zu müssen. Er vergewaltigt sie in ihrer Wohnung – und wartet vergeblich darauf, dass ihr Widerstand in sexuelle Erregung umschlägt. Danach schickt sie ihn wütend und enttäuscht fort.

Am nächsten Tag hat Leonard alle Hände voll zu tun, weil Tunnel und Schacht endlich fertig sind und die sowjetischen Erdkabel angezapft werden.

Am Abend erfährt er von einer Nachbarin Marias, dass seine Geliebte zu ihrer Mutter nach Pankow gezogen sei.

Als Glass herausfindet, dass Leonard mit Maria eine Affäre hatte und sie ausgerechnet am Tag vor dem Beginn der Abhöraktion in den sowjetischen Sektor verschwand, ist er beunruhigt. Hat Leonard etwas verraten? Spioniert Maria für den Osten?

Kurz darauf wird Leonard nach Dienstschluss von Maria vor seiner Wohnungstür erwartet. Als das Licht im Treppenhaus ausgeht und Leonard sich ihr nähert, schreit sie auf, weil sie befürchtet, er wolle sie erneut vergewaltigen. Der Brite George Blake, der gerade mit seiner Frau im Stockwerk darunter eingezogen ist, kommt herauf, aber Maria versichert ihm, es sei alles in Ordnung.

Maria wurde von Glass ausführlich verhört, und sie hat die Sicherheitsüberprüfung bestanden.

An einem der nächsten Abende findet Leonard seine Geliebte mit rotz- und blutverschmiertem Gesicht vor: Otto hat sich wieder einmal Geld von ihr geholt und die zweite Zahnbürste in ihrem Badezimmer bemerkt.

Nach einigen Wochen feiern Maria und Leonard ihre Verlobung und laden dazu Glass, Russell, Lofting, die Nachbarn Blake sowie Marias Freundinnen Jenny und Charlotte ein. Blake nimmt Leonard auf die Seite: Er kennt Glass und weiß, dass dieser für William („Bill“) Harvey arbeitet, den Chef der CIA in Berlin und Leiter der Operation „Gold“. Leonard kann deshalb seine Legende, er sei Ingenieur bei der britischen Post und habe den Auftrag, das interne Telefonnetz der Armee auszubessern, nicht länger aufrechterhalten. – Nachdem die letzten Gäste gegangen sind, feiert das Paar in einem Nachtlokal allein weiter. Leonard argwöhnt, dass Glass ein Auge auf Maria geworfen hat, aber sie meint über seinen Chef:

„Er denkt zu viel und zu simpel. Das ist die gefährliche Sorte. In seinen Augen liebt man Amerika oder spioniert für die Russen.“ (Seite 148)

Spät nachts kommen sie nach Hause, ziehen sich aus und beginnen mit dem Vorspiel. Plötzlich hören sie die Atemzüge einer dritten Person – und finden Otto Eckdorf betrunken schnarchend im Kleiderschrank. Er hatte sich offenbar einen Nachschlüssel besorgt, auf sie gewartet und war dabei eingeschlafen. Maria und Leonard schlüpfen wieder in ihre Kleidungsstücke und überlegen im Wohnzimmer, was sie tun sollen. Da taucht Otto in der Schlafzimmertür auf. Sofort kommt es zwischen ihm und Maria zum Streit. Er würgt sie mit der linken Hand und holt mit der zur Faust geballten Rechten aus, um sie ins Gesicht zu schlagen. Leonard hindert ihn jedoch daran, indem er seinen Arm mit beiden Händen packt. Daraufhin stürzt Otto sich auf Leonard, tritt ihn vors Schienbein, versetzt ihm einen heftigen Schlag gegen das Schlüsselbein, haut ihn auf die Ohren und packt ihn an den Hoden. Vor Schmerz beißt Leonard ihm ein Stück aus der Wange. In dem Augenblick holt Maria mit einem eisernen Schusterleisten aus. Leonard greift mit zu. Gemeinsam zertrümmern sie Otto den Schädel.

Leonard will zum Arzt, aber Maria hält ihn davon ab, denn der würde Fragen stellen und die Polizei verständigen. Die Polizei würde ihnen nicht glauben, dass sie ihn Notwehr handelten. Sie müssen die Leiche fortschaffen. Aber wie? Durchs Treppenhaus können sie den Toten nicht tragen, denn da müssen sie auch in der Nacht damit rechnen, dass sie gesehen werden.

Also nimmt Leonard am nächsten Tag zwei große Koffer von seiner Dienststelle mit nach Hause und kauft ein Linoleummesser, eine Säge und eine Axt. Er zerteilt die Leiche, und Maria verpackt jedes der neun einzelnen Fleischstücke in ein wasserdichtes Tuch, das sie mit einer Gummilösung zuklebt. Dann verabschiedet sich Leonard und überlässt es Maria, das Blut aufzuwischen.

Hätte er auch nur den leisesten Impuls verspürt, so wäre er auf sie zugegangen und hätte sie auf die Wange geküsst, ihren Arm oder ihre Hand berührt. Aber die Luft zwischen ihnen war von Ekel erfüllt, und eine andere Gefühlsregung vorzuspiegeln war unmöglich. (Seite 192)

Er schleppt die schweren Koffer vom Hinterhaus zur Straße und lässt sich von einem Taxi zum Bahnhof Zoo fahren. Dort findet er zwei leere Schließfächer in Bodenhöhe. Sie sind zwei oder drei Zentimeter zu schmal. Ein Dienstmann, der bei der Gepäckaufbewahrung steht, winkt ihm, aber Leonard wagt es nicht, die Koffer dort abzugeben. Stattdessen geht er zum Taxistand und bringt die Koffer in seine Wohnung.

Am nächsten Morgen wuchtet er sie in den Fahrstuhl und fährt damit nach unten. Ein Stockwerk tiefer hält der Lift: Blake betritt die Kabine und wundert sich über die großen Koffer.

Blake sagte: „Die schaffen Sie doch nach Alt-Glienicke, nicht? Schon gut, mit mir können Sie ruhig reden. Ich bin mit Bill Harvey bekannt. Über Operation Gold bin ich aufgeklärt.“
„Es handelt sich um Dechiffriergeräte“, sagte Leonard. Und weil er die Anwandlung hatte, dass Blake ins Lagerhaus kommen mochte, um sie sich anzusehen, fügte er hinzu: „Leihweise aus Washington. Wir probieren sie im Tunnel nur aus, morgen gehen sie schon wieder zurück.“ (Seite 205)

Als Leonard an der Straße steht und auf ein Taxi wartet, kommt Glass mit seinem VW-Käfer vorbei. Er nimmt ihn mit nach Alt-Glienicke, wundert sich jedoch über die beiden schweren Koffer und fragt, was sie enthalten. Leonard behauptet, die ganze Nacht an etwas gearbeitet zu haben. Glass hält das für unverantwortlich. Hatte er Leonard nicht bereits am ersten Tag eingeschärft, dass aus Sicherheitsgründen nichts mit nach Hause genommen werden darf?!

„Gottverdammt, Leonard! Wie können Sie mir das nur antun? Ich werde mich nicht sicher fühlen, solange das Zeug nicht wieder dort ist, wo es hingehört!“ (Seite 206)

Am Tor in Alt-Glienicke schieben an diesem Morgen ausgerechnet zwei neue Soldaten Wache. Die nehmen die Vorschriften noch genau und wollen den Inhalt der Koffer überprüfen. Glass wundert sich über die Pakete, die überhaupt nicht so aussehen, als würden sie Elektronik-Bauteile enthalten. Leonard nimmt seinen Chef auf die Seite und teilt ihm flüsternd mit, MacNamee habe ihm Sicherheitsstufe vier verliehen und in den Koffern seien streng geheime Sachen, über die er Glass nichts verraten dürfe, denn dieser habe nur Sicherheitsstufe drei. Der CIA-Offizier befiehlt daraufhin den Wachen, die Koffer wieder zu schließen und ruft MacNamee an. Als der MI6-Agent hört, dass Leonard zwei mit Paketen gefüllte Koffer dabei hat, nimmt er an, der Brite habe endlich etwas Geheimes von den Amerikanern besorgt und wird neugierig, um was es sich handelt. Auf seine Anweisung hin bringt der Offizier vom Dienst Drahtsiegel an den Koffern an und lässt sie von zwei Soldaten mit hölzernen Karren in den Tunnel bringen.

Leonard fährt gleich noch einmal weg und setzt sich in das Ostberliner Café „Prag“, von dem er weiß, dass es dort von Geheimagenten und Zuträgern wimmelt. Es dauert nicht lang, bis er von einem Deutschen angesprochen wird, der sich als Hans vorstellt. Leonard erzählt ihm, dass die CIA und der MI6 einen Tunnel bis unter die Schönefelder Chaussee gegraben und die sowjetischen Telefonleitungen angezapft haben. Dann fährt er nach Hause.

Dort erhält er einen aufgeregten Anruf seines Chefs: Die Russen haben den Tunnel entdeckt und gestürmt! Eigentlich ist nicht damit zu rechnen, dass sie die Sache publik machen, aber der sowjetische Kommandant ist gerade nicht da, und sein Stellvertreter glaubt, die Geheimdienstaktion der Briten und Amerikaner propagandistisch ausschlachten zu können, ohne zu bedenken, dass die Sowjets sich damit gehörig blamieren.

Bei einem Treffen mit MacNamee im Hotel Kempinski macht Leonard dem britischen Geheimdienstoffizier weis, er habe zu Hause versucht, ein neuartiges amerikanisches Dechiffriergerät nachzubauen. Das sei in den Koffern gewesen.

Als er zu Maria kommt, trifft er in ihrer Wohnung auf Glass. Seine Eifersucht erwacht aufs Neue, aber sein Führungsoffizier behauptet, er habe Leonards Kontaktperson aufgrund der neuesten Entwicklung noch einmal überprüfen müssen und sei damit gerade fertig.

Nach dem Abbruch der Operation „Gold“ wird Leonard wieder nach England beordert. Maria kommt am 15. Mai 1956 zum Flughafen Tempelhof, um sich von ihm zu verabschieden. Er geht über das Flugfeld zu seiner Maschine und dreht sich vor der Gangway um, weil Maria ihm von der Dachterrasse aus noch einmal zuwinken wollte. Da sieht Leonard Glass neben Maria stehen. Ist sein Verdacht also doch berechtigt?

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Eigentlich sollte Maria nach Ablauf der Kündigungsfrist nachkommen, aber Leonard beantwortet ihre Briefe nicht und hört dann nichts mehr von ihr.

Erst 31 Jahre später, 1987, erhält er wieder einen Brief von ihr. Inzwischen betreibt er ein kleines Unternehmen zur Herstellung von Zubehör für Hörgeräte. Maria schreibt ihm aus Cedar Rapids, Iowa. Der Brief war zehn Wochen lang unterwegs, weil sie ihn an die ihr noch von damals bekannte Adresse seiner inzwischen verstorbenen Eltern geschickt hatte. Maria unterrichtet Deutsch und Französisch an einer Highschool und hat drei Töchter. Bob Glass starb vor eineinhalb Jahren an Herzversagen. Als er 1956 zu ihr gekommen war, um sie nach dem Auffliegen des Tunnel-Projekts nochmals zu befragen, hatte sie ihm alles erzählt, denn das Bedürfnis, mit jemandem darüber zu reden, war übermächtig geworden. Die DDR-Behörden übergaben die Koffer der Westberliner Polizei, aber Bob überzeugte seine Vorgesetzten, dass Pressemeldungen über das Auffinden einer zerstückelten Leiche in dem Tunnel ein schlechtes Licht auf die CIA werfen würden, und die Amerikaner sorgten dafür, dass die Deutschen ihre Ermittlungen einstellten. Bob habe sich von Leonard verabschieden wollen, sei jedoch zu spät am Flughafen eingetroffen und deshalb auf die Besucherterrasse gegangen, um ihm zuzuwinken. Erst neun Monate später fingen Bob und Maria ein Verhältnis an, und im Juli 1957 heirateten sie. Im Jahr darauf quittierte Bob seinen Dienst bei der CIA und übernahm die Leitung eines Einzelhandelsgeschäfts für landwirtschaftliche Geräte in Cedar Rapids. George Blake wurde 1960 oder 1961 zu einer Haftstrafe verurteilt, brach jedoch aus dem Gefängnis aus. Er war ein Doppelagent, durch den der KGB vom ersten Spatenstich an über den Tunnel Bescheid wusste. Damit Blake nicht aufflog, ließen die Russen die Briten und Amerikaner gewähren, schickten aber keine brisanten Nachrichten mehr über die Leitungen in der Schönefelder Chaussee. Als Blake seinen Führungsoffizier dann wissen ließ, was er am Morgen von Leonard im Aufzug erfahren hatte, nämlich, dass Dechiffriergeräte aus Washington einen Tag lang in dem Tunnel getestet werden sollten, schlugen die Russen zu, um sich die Geräte zu verschaffen.

Leonard, dessen Ehe vor fünf Jahren scheiterte, beabsichtigt, in die USA zu fliegen, unangemeldet bei Maria aufzutauchen und mit ihr nach Berlin zurückzukehren.

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Von Mitte 1955 bis April 1956 gab es tatsächlich einen von der CIA und dem MI6 gegrabenen Tunnel in Berlin. Die Operation „Gold“ stand unter der Leitung des damaligen CIA-Chefs in Berlin, William Harvey. Der Doppelagent George Blake hatte das Projekt möglicherweise bereits 1953 in der Planungsphase verraten. Alle anderen Figuren sind frei erfunden.

Auch wenn einige Passagen des Romans „Unschuldige“ von Ian McEwan ein wenig zu lang geraten sind, handelt es sich um eine sehr unterhaltsame Mischung aus Spionagethriller, Liebesdrama und Satire. Makaber ist die in grauenhaften Einzelheiten geschilderte Szene, in der Maria und Leonard Ottos Leiche zerstückeln. Lesenswert ist „Unschuldige“ vor allem wegen der witzigen Verspottung der Geheimdienstarbeit und der wechselseitigen Vorurteile von Briten und Amerikanern.

Ian McEwan schrieb auch das Drehbuch für die Verfilmung seines Romans „Unschuldige“ durch John Schlesinger: „Und der Himmel steht still“.

Und der Himmel steht still – Originaltitel: The Innocent – Regie: John Schlesinger – Drehbuch: Ian McEwan, nach seinem Roman „Unschuldige“ – Kamera: Dietrich Lohmann – Schnitt: Richard Marden – Musik: Gerald Gouriet, Anthony Hopkins – Darsteller: Anthony Hopkins, Isabella Rossellini, Campbell Scott, Hart Bochner, Ronald Nitschke, James Grant, Jeremy Sinden, Christiane Flegel, Klaus-Jürgen Steinmann u. a. – 1993; 120 Minuten

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
Textauszüge: © Diogenes Verlag

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.