Ferdinand von Schirach : Tabu

Tabu
Originalausgabe: Tabu Piper Verlag, München 2013 ISBN: 978-3-492-05569-7, 254 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Grün: Sebastian von Eschburg wächst ohne elterliche Liebe auf. Nach dem Internat erlernt er das Fotografen-Handwerk und etabliert sich dann als Künstler. Einen Namen macht er sich zunächst mit Porträtfotos, dann mit Installationen. – Rot: Sebastian von Eschburg wird verdächtigt, eine junge Frau ermordet zu haben. Eine Staatsanwältin sucht nach Beweisen, aber die Polizei findet keine Leiche. – Blau: Der Verteidiger findet die Wahrheit heraus. – Weiß: Sebastian von Eschburg angelt und denkt nach ...
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Kritik

"Tabu" ist eine unterhaltsame Mischung aus Künstler- und Kriminalroman. Ferdinand von Schirach erzählt von einem skurrilen Fall. Ebenso oberflächlich wie die Darstellung der Charaktere bleiben die philosophischen Betrachtungen über Schein und Wirklichkeit.
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Sebastian von Eschburg wird in dem Dorf Eschburg auf halber Strecke zwischen München und Salzburg geboren und wächst dort in einem Haus der Familie am See als Einzelkind auf. Er sieht alles, auch Buchstaben, in Farbtönen. Dass man diese Fähigkeit Synästhesie nennt, weiß der Junge nicht.

Anfang des 20. Jahrhunderts hatten die Eschburgs das letzte Mal Geld gehabt. Damals besaßen sie eine Papiermühle und eine Spinnerei. 1912 ertrank der erstgeborene Sohn und Erbe beim Untergang der Titanic, worauf man in der Familie später ein wenig stolz war.

Obwohl die Familie es sich nicht mehr leisten kann und ein Stipendium beantragen muss, wird Sebastian im Alter von zehn Jahren traditionsgemäß in ein von Benediktinern betriebenes Internat in der Schweiz gebracht.

Am ersten Tag der großen Ferien, die er zu Hause verbringt, nimmt der Vater ihn um 4 Uhr früh mit ins Jagdrevier, und sie klettern auf einen Hochsitz. Einen stattlichen Sechserbock schaut der Vater nur an, aber ein Reh erlegt er.

Der Vater beugte sich über das Tier, spreizte dessen Hinterläufe und kniete sich darauf. Er schnitt die Bauchdecke vom Darmausgang bis zur Kehle auf. Blut und Gedärme quollen hervor. Der Vater zog Pansen, Herz, Milz und Lunge aus dem Körper und legte sie neben sich ins Gras.

Am Abend riecht der Vater nach Alkohol, und dann findet Sebastian ihn tot im Arbeitszimmer vor.

Der Vater hatte keinen Kopf mehr. Die Wucht der zwölf Bleikugeln hatte sein Gesicht weggerissen und das Schädeldach abgehoben.

Als die Ferien zu Ende sind, bringt die Mutter ihn mit dem Auto zum Zug nach München, aber die passionierte Reiterin hat keine Zeit, mit auf den Bahnsteig zu kommen, denn sie will zu einem Turnier.

Im Internat fällt dem Bibliothekar auf, dass Sebastian im Lesesaal Selbstgespräche führt. Ein Pater fährt deshalb mit ihm zu einem Psychiater. Der diagnostiziert visuelle Halluzinationen.

[Sebastian] entschied, dass es nichts ausmache, wenn er sich weiter mit Odysseus, Herkules und Tom Sawyer unterhielt. Aber er durfte niemandem davon erzählen, er musste vorsichtiger werden.

Nachdem die Mutter das seit Generationen von der Familie bewohnte Haus in Eschburg verkauft hat, pachtet sie einen modernen Reiterhof bei Freiburg im Breisgau. Sebastian ist 16, als sie ihm ihren neuen Lebensgefährten vorstellt, einen „Macher“ Mitte 40. Sie essen in einem Restaurant. Später sieht Sebastian, wie der „Macher“ nackt vor dem Bett steht, Sebastians schlafende Mutter filmt und dabei masturbiert.

Dann holte er [Sebastian] aus seinem Koffer ein Opinelmesser mit Holzgriff, das er sonst immer auf seine Wanderungen mitnahm. Er schnitt sich die Kuppe des linken Zeigefingers ab. Er sah zu, wie das Blut hervorquoll und auf den Schreibtisch tropfte. Für einen Moment fühlte er sich lebendig. Dann ging er ins Badezimmer und verband die Wunde.

Ein knappes Jahr später heiraten Sebastians Mutter und der Macher. Während der Hochzeitsfeier sieht Sebastian, wie der Bräutigam einer schlafenden Katze in den Bauch tritt.

Zwei Jahre nach der zweiten Eheschließung seiner Mutter macht Sebastian sein Abitur. Er zieht nach Berlin, fängt bei einem Fotografen zu arbeiten an und mietet ein möbliertes Zimmer in Charlottenburg. Vier Jahre lang lässt er sich von dem Fotografen alles zeigen, was mit dem Beruf zu tun hat, dann macht er sich selbstständig und mietet ein zweistöckiges Fabrikgebäude in Berlin-Mitte als Wohnung und Atelier. Mit Porträtaufnahmen von Prominenten wird er selbst berühmt. Innerhalb von drei Jahren veröffentlicht er zwei Fotobände.

Vier Jahre nach der Gründung seines Ateliers, wird er von einer PR-Beraterin angerufen, die ihn als Fotografen für eine Werbekampagne eines französischen Stromkonzerns vorschlagen möchte. Sie ist Mitte 30 und heißt Sofia. Als sie Sebastian besucht, fragt er, ob er sie fotografieren dürfe. Während er die Kamera aufbaut, zieht Sofia sich unaufgefordert aus. Ein paar Tage später ruft sie ihn aus Paris an und lädt ihn ein, sich bei der interessierten Firma vorzustellen, die auch für die Reisespesen aufkommt. Als sie zu zweit mit einem Auto nach Deauville fahren wollen, geraten sie in einen Regenschauer und halten an. Obwohl ihnen ein Radfahrer, der sich ebenfalls untergestellt hat, dabei zuschaut, treiben sie es im Wagen. Und von da an verbringen sie jedes Wochenende miteinander.

Sofia fliegt mit Sebastian nach Madrid und zeigt ihm im Prado zwei Gemälde von Francisco José de Goya y Lucientes: Die bekleidete und die nackte Maja. Dann suchen sie zusammen einen älteren Pornoproduzenten auf. Der klagt darüber, dass inzwischen jedermann Pornos drehen könne. Er spezialisierte sich deshalb auf Massenszenen, die für Amateure zu aufwendig sind: Bei „Venus im Spermabad“ beispielsweise bespritzen 25 bis 30 Männer das Gesicht einer jungen Frau mit Sperma. Zwei Monate lang arbeitet Sebastian an zwei Bildern, die er mit Hilfe des Pornoproduzenten aufnahm: Auf einem Foto liegt Sofia nackt vor 16 Männern in Anzügen. Auf dem anderen ist sie wie Goyas Maja bekleidet, die Männer umstehen sie nackt mit erigierten Penissen, und ihre Bluse ist mit Sperma befleckt. Die beiden Aufnahmen lässt Sebastian im Format 1,80 mal 3,00 Meter auf Acrylplatten ziehen, die so aufgehängt werden, dass ein Elektromotor sie abwechselnd aufklappt. Ein Japaner kauft „Majas Männer“ und bezahlt ein Vermögen dafür.

Auf dem Dach des gemieteten Fabrikgebäudes trifft Sebastian eines Tages eine Nachbarin. Sie heißt Senja Finks, ist Mitte 30 und stammt aus Odessa, lebt aber seit mehr als zehn Jahren in Berlin. Als sich ihr Kimono öffnet, entdeckt Sebastian Peitschenstriemen auf ihrem Körper und unter ihrer linken Brust eine stilisierte Eule, nicht etwa ein Tattoo, sondern ein Brandzeichen.

Einige Zeit später sieht er im Dunkeln, wie ein Fremder Senja Finks an der Kehle gepackt hat und ihr ein Messer in den Bauch rammt. Bevor der Verbrecher zum zweiten Mal ausholt, wirft Sebastian sich auf ihn und zertrümmert ihm mit einem Faustschlag den Kiefer. Aber dann wird er von der Stahlkugel eines Totschlägers hinter dem linken Ohr getroffen. Im Krankenhaus kommt er wieder zu sich. Sofia sitzt an seinem Bett. Nachdem sie gegangen ist, kommt Senja. Sebastian wundert sich darüber, dass sie unverletzt ist. Sie bittet ihn, der Polizei nichts zu sagen und erklärt ihm, bei den Männern handele es sich um Mitglieder einer Bande, die Mädchen aus ukrainischen Dörfern verschleppt. Es geht um Zwangsprostitution und arrangierte Massenvergewaltigungen. Wenn eine der jungen Frauen verbraucht ist, wird sie vor einer Videokamera zu Tode gepeitscht. Dann schneiden die Verbrecher der Toten Kopf und Hände ab und werfen den Torso auf den Müll.

Über ein Jahr arbeitet Sebastian an seiner nächsten Installation, die er schließlich in Rom erstmals vorführt. Dabei verschmelzen die Gesichter von 36 Frauen. Der Fotograf erklärt dazu:

„Das schönste Gesicht ist das durchschnittlichste Gesicht. Nichts weiter. Schönheit ist nur Symmetrie. Es ist so lächerlich. Ich bin lächerlich.“

Einige Zeit später geht bei der Polizei ein Notruf ein. Eine junge Frau fleht um Hilfe. Ein Mann habe ihr in den Kopf gebissen und sie in den Kofferraum eines Autos gesperrt, sagt sie. Der Täter heiße Sebastian von Eschburg, und sie nennt auch seine Adresse. Auf dem Boden vor seinem Bett werden Blutspuren sichergestellt. Die DNA stimmt mit der von Blutflecken auf einem Kleid überein, das in einer Mülltonne gefunden wird. In Sebastians Schlafzimmer stößt die Polizei außerdem auf sadistische Pornos, Handschellen, Peitschen und andere Sexspielzeuge. Zu der Zeit, als der Notruf einging, hatte Sebastian ein Auto gemietet und war damit 194 Kilometer weit gefahren. Die Bluttropfen im Kofferraum stammen von derselben Person wie die auf dem Boden und am Kleid. Die Polizei sucht die Umgebung mit einem Hubschrauber ab, findet jedoch nichts. Man vermutet, dass es sich beim Opfer um eine junge Frau handelt, von der großformatige Fotos in Sebastians Wohnung hängen.

Die 41-jährige Staatsanwältin Monika Landau lässt zu, dass ein Polizist dem Verdächtigen mit Waterboarding droht, weil er hofft, auf diese Weise Hinweise auf das Versteck des vielleicht noch lebenden Opfers zu erhalten. Aber danach schreibt Monika Landau einen Aktenvermerk über die Folterandrohung und das dadurch erzwungene Geständnis des Festgenommenen.

Nach 17 Wochen Untersuchungshaft wendet Sebastian sich an Konrad Biegler, einen 61-jährigen Rechtsanwalt, der seit 31 Jahren als Strafverteidiger in Berlin tätig ist und in einem Interview über einen Vergewaltigungsfall gesagt hat, „Wahrheit und Wirklichkeit seien ganz verschiedene Dinge, so wie Recht und Moral“. Um den Fall zu übernehmen, bricht Biegler die Kur ab, die ihm der Arzt verordnete, weil er vor vier Wochen umgekippt war. Burnout lautete die Diagnose. Elly Biegler, mit der er seit 28 Jahren verheiratet ist, kann ihn nicht davon abhalten, dass er die Arbeit vorzeitig wieder aufnimmt. Konrad Biegler ist notorisch schlechter Laune. Die Natur hält er für sinnlos, und um diese Meinung an einem Beispiel zu demonstrieren, verweist er gern auf das Leben der Aale, die ausnahmslos in der Sargassosee zur Welt kommen. Wenn die Larven nach Europa geschwommen sind – drei Jahre benötigen sie für die Durchquerung des Atlantiks –, hören sie zu fressen auf und verwandeln sich in riesige Geschlechtsorgane. Diese kehren in die Sargassosee zurück, und haben dort in 500 Metern Tiefe halb tot vor Erschöpfung ein einziges Mal Geschlechtsverkehr, bevor sie verenden.

„Ich will Ihnen damit nur sagen, dass ich nicht glaube, dass sich die Natur bei den Aalen irgendetwas Vernünftiges überlegt hat. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass sich die Natur überhaupt noch nie etwas überlegt hat. Die Natur denkt nicht, sie ist feindlich, bestenfalls gleichültig.“

Im Gespräch mit seinem Verteidiger behauptet Sebastian, die Leiche des Opfers in Salzsäure aufgelöst zu haben. Biegler glaubt ihm das nicht, denn die vielzitierte Methode funktioniert in Wirklichkeit nicht.

Die Staatsanwältin steht vor einem Problem: Es gibt keine Leiche. Nicht einmal die Identität des Opfers ist bekannt. Und das Gericht wird das mit der Androhung einer Folterung erpresste Geständnis des Angeklagten für nicht verwertbar erklären.

Biegler findet heraus, dass es nie eine Nachbarin des Angeklagten namens Senja Finks gab. Die Nachbarwohnung stand die ganze Zeit leer. Dafür hat Sebastian keine Erklärung. Dass er laut Akten wegen eines Sturzes im Krankenhaus lag und nichts von einem Kampf bekannt ist, erklärt er damit, dass Senja Finks ihn gebeten hatte, keine Anzeige zu erstatten.

Biegler durchschaut schließlich, dass Senja Finks für SFinks bzw. Sphinx steht.

Als Sebastians DNA mit der des sichergestellten Blutes verglichen wird, erkennen die Experten, dass es sich bei Opfer und Täter um Halbgeschwister handelt.

Weil Sebastians seit einem Reitunfall vor vier Jahren querschnittgelähmte Mutter nur ein einziges Kind hat, muss die Halbschwester vom Vater gezeugt worden sein. Biegler fliegt mit Sofia nach Salzburg. Mit einem Leihwagen fahren sie nach Eschburg. Dort besuchen sie die Mutter von Sebastians Halbschwester. Die Gastwirtstochter war 19, als sie vor über 20 Jahren Sebastians Vater kennenlernte und sich auf eine Affäre mit ihm einließ. Das Mädchen auf dem Fahndungsfoto sei allerdings nicht ihre Tochter, sagt die Frau.

Die Gesuchte traf ihren Halbbruder erstmals bei der Vernissage seiner Ausstellung in Rom. Das war kurz nach ihrem 16. Geburtstag. Inzwischen lebt sie in einem von ihm bezahlten Internat in Schottland und beabsichtigt, Kunstgeschichte zu studieren.


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Als Biegler die Halbschwester des Angeklagten als Zeugin laden lassen möchte, gibt Sebastian ihm einen Zettel mit der Adresse eines Notars, von dem der Verteidiger einen USB-Stick erhält. Das darauf gespeicherte Video soll er dem Gericht zeigen. Vorher gibt Sebastian eine Erklärung ab. Zur Verwunderung des Gerichts scheint diese allerdings nichts mit dem Fall zu tun zu haben. Der Angeklagte referiert über den berühmten Schachtürken, den der Hofbeamte Wolfgang von Kempelen 1770 der österreichischen Kaiserin vorführte und der 1854 in einem Museum in Philadelphia verbrannte. In dem computeranimierten Film ist der Apparat zu sehen. Nach einer im Zeitraffer gezeigten Schachpartie stehen nur noch der schwarze König, die beiden schwarzen Türme und ein weißer Bauer auf dem Brett. Die schwarzen Figuren tragen Richterroben, und der weiße Bauer verneigt sich vor ihnen. Dann verflüssigt er sich. Eine nackte junge Frau klettert aus dem Kasten: Sebastians Halbschwester. Neben ihr tauchen die Gesichter von Sofia und Sebastian auf. Sofias Augen und Sebastians Nasenpartie schieben sich über das andere Gesicht – und es entsteht das Fahndungsfoto. Die abgebildete Frau schießt mit einem Gewehr auf den Kopf der Maschine. Der zerspringt, und die Splitter formieren sich zu einem Text von Dylan Thomas: „Auf den Strömen des windabgeworfenen Lichts“.

Von der Polizeistation in der schottischen Stadt Elgin trifft ein Bericht ein: Sebastians Halbschwester meldete sich am Vortag dort und wies sich aus. Sie lebt also. Es gibt keine Leiche. Polizei und Staatsanwaltschaft fielen auf eine Installation herein.

Zwei Wochen nach der Verhandlung wird Sebastian von Eschburg freigesprochen.

Einige Zeit später steht er im Fluss und denkt an Sofia und den Sohn, den er bald zum Angeln mitnehmen wird.

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Ferdinand von Schirach hat seinem Roman „Tabu“ ein Zitat des Physikers und Physiologen Hermann von Helmholtz (1821 – 1894) über die additive Farbmischung vorangestellt:

Sobald sich das Licht der Farben
Grün, Rot und Blau
in gleicher Weise mischt
erscheint es uns als Weiß.

Mit „Grün“, „Rot“, „Blau“ und „Weiß“ sind denn auch die vier Abschnitte des Buches „Tabu“ überschrieben. Mit 125 Seiten ist „Grün“ der längste Teil. Er endet mit Sebastian von Eschburgs Vernissage in Rom. Unvermittelt wechselt Ferdinand von Schirach dann die Perspektive und schildert die Versuche einer Staatsanwältin und eines Polizisten, einen Entführungs- bzw. Mordfall aufzuklären. Auch wenn er den Namen des Inhaftierten erst im letzten Satz des gerade einmal elf Seiten langen Abschnitts „Rot“ erwähnt, ahnen wir rasch, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um Sebastian von Eschburg handelt. In „Blau“ verfolgen wir auf 101 Seiten das Gerichtsverfahren gegen Sebastian von Eschburg aus der Sicht des Strafverteidigers Konrad Biegler. Bei „Weiß“ – der Synthese der vorangegangenen Abschnitte – handelt es sich um einen zwei Seiten langen Epilog mit philosophischem Anspruch.

Er wusste nicht, ob er die Dinge richtig gemacht hatte und ob es das überhaupt gab, das Richtige.
Jeden Morgen stehen wir auf, dachte er, wir leben unser Leben, all die Kleinigkeiten, das Arbeiten, die Hoffnung, der Sex. Wir glauben, was wir tun, sei wichtig und wir würden etwas bedeuten. Wir glauben, wir wären sicher, die Liebe wäre sicher und die Gesellschaft und die Orte, an denen wir wohnen. Wir glauben daran, weil es anders nicht geht. Aber manchmal bleiben wir stehen, die Zeit bekommt einen Riss und in diesem Moment begreifen wir es: Wir können nur unser Spiegelbild sehen.

„Tabu“ ist eine Mischung aus Künstler- und Kriminalroman. Warum Ferdinand von Schirach den Titel „Tabu“ gewählt hat? Wir wissen es nicht. Naheliegender wäre ein Begriff aus der Farbenlehre gewesen. Sachlich und schnörkellos erzählt Ferdinand von Schirach von einem skurrilen Fall. Bis auf Konrad Biegler wirken die Figuren schemenhaft. Das gilt für Sofia und die Staatsanwältin, aber auch für den Protagonisten Sebastian von Eschburg, obwohl wir viel über ihn erfahren. Ebenso oberflächlich wie die Darstellung der Charaktere bleiben die philosophischen Betrachtungen über Kunst und Leben, Schein und Wirklichkeit, Wahrheit und Täuschung. „Tabu“ ist weder ein besonders spannender Thriller noch ein tiefschürfender Entwicklungsroman, sondern eine unterhaltsame Lektüre.

Wenn in „Tabu“ ein Polizist einem festgenommenen Verdächtigen während der Vernehmung Waterboarding androht, spielt Ferdinand von Schirach darauf an, dass der damalige stellvertretende Frankfurter Polizeipräsident Wolfgang Daschner das Leben des Entführungsopfers Jakob von Metzler zu retten versuchte, indem er dem Verdächtigen Magnus Gäfgen am 1. Oktober 2002 durch Kriminalhauptkommissar Ortwin Ennigkeit schmerzhafte Maßnahmen androhen ließ. Wolfgang Daschner und Ortwin Ennigkeit wurden am 20. Dezember 2004 zu geringen Geldstrafen verurteilt, und der Fall löste eine heftige Debatte über die rechtmäßigen Grenzen für Vernehmungsmethoden aus.

Für 2015 ist eine von Matthias Brandt gelesene Hörbuch-Ausgabe des Romans „Tabu“ von Ferdinand von Schirach geplant.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014
Textauszüge: © Piper Verlag

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Andrea Maria Schenkel - Bunker
Andrea Maria Schenkel entwickelt die Handlung in ihrem Roman "Bunker" im Wechsel von drei Perspektiven. Der Aufbau sorgt für ein Höchstmaß an Spannung, und die Inszenierung ist so konkret, farbig und lebendig, dass man glaubt, dabei zu sein.
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