Hannah Arendt

Hannah Arendt

Hannah Arendt

Originaltitel: Hannah Arendt. Ihr Denken veränderte die Welt – Regie: Margarethe von Trotta – Drehbuch: Pam Katz, Margarethe von Trotta – Kamera: Caroline Champetier – Schnitt: Bettina Böhler – Musik: André Mergenthaler – Darsteller: Barbara Sukowa, Axel Milberg, Janet McTeer, Julia Jentsch, Ulrich Noethen, Michael Degen, Victoria Trauttmansdorff, Klaus Pohl u.a. – 2012; 110 Minuten

Inhaltsangabe

"Hannah Arendt. Ihr Denken veränderte die Welt" ist kein Biopic. Pam Katz und Margarethe von Trotta konzentrieren sich auf die drei Jahre, in denen Hannah Arendt von Eichmanns Verschleppung erfuhr, in Jerusalem den Prozess gegen ihn verfolgte, darüber schrieb und mit ihren Veröffentlichungen einen Sturm der Empörung auslöste. Das Porträt Hannah Arendts und ihre umstrittenen Thesen sind in eine bewegende Handlung eingebettet.
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Kritik

"Hannah Arendt. Ihr Denken veränderte die Welt" ist ein dialoglastiger Film, ein Plädoyer für eigenständiges Denken, aber kein trockenes Lehrstück. Das liegt v. a. auch an Barbara Sukowas schauspielerischer Leistung.
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Am 11. Mai 1960 steigt ein Mann aus einem Bus. Kurz darauf hält ein Lastwagen neben ihm. Einige Männer zerren ihn auf die mit einer Plane überspannte Ladefläche und fahren mit ihm los.

Kurz darauf liest die seit 1941 mit ihrem Ehemann Heinrich Blücher (Axel Milberg) in New York lebende deutsch-jüdische Politologin Hannah Arendt (Barbara Sukowa) in der Zeitung, dass Adolf Eichmann, ein maßgeblich an der Deportation von 4 bis 6 Millionen Juden beteiligter ehemaliger SS-Obersturmbannführer, der in Argentinien untergetaucht war, vom Mossad verschleppt wurde. Obwohl Heinrich ihr von dem psychisch belastenden Vorhaben abrät, will Hannah Arendt nach Jerusalem reisen und den Prozess gegen den Kriegsverbrecher aus der Nähe verfolgen. Sie bewirbt sich deshalb beim Magazin „The New Yorker“ als Berichterstatterin, und der Chefredakteur William Shawn (Nicholas Woodeson) lässt sich darauf ein.

Vor ihrer Abreise im April 1961 lädt Hannah Arendt noch einmal Freunde ein, darunter Charlotte Beradt (Victoria Trauttmansdorff), Mary McCarthy (Janet McTeer), der Philosoph Hans Jonas (Ulrich Noethen) und ihre junge Mitarbeiterin Lotte Köhler (Julia Jentsch).

In Jerusalem wird Hannah Arendt von ihrem väterlichen Freund Kurt Blumenfeld (Michael Degen) begrüßt, der sich sehr über ihren Besuch freut, aber ihre Meinung nicht teilt, dass der Prozess gegen Adolf Eichmann illegal sei. Kurt Blumenfeld stellt die Besucherin seiner Frau und den Söhnen und Töchtern vor. Dass Hannah Arendt kein Kind hat, begründet sie damit, dass sie und Heinrich zuerst zu arm und dann zu alt gewesen seien. Aber das Argument lässt Kurt Blumenfeld nicht gelten.

Die theatralische Eröffnungsrede des Chefanklägers Gideon Hausner (Gideon Hausner) stößt Hannah Arendt ab. Sie sitzt während des Eichmann-Prozesses entweder im Publikum oder verfolgt die Verhandlung im Pressezentrum am Bildschirm. Verwundert stellt sie fest, dass es sich bei dem Massenmörder nicht um ein Monster handelt, sondern um einen Bürokraten, der behauptet, kein Antisemit zu sein, sondern pflichtgemäß Befehle ausgeführt zu haben. War Eichmann ein gedankenloser Schreibtischtäter? Als Kurt Blumenfeld den Angeklagten halb im Scherz mit Mephisto vergleicht, verwahrt Hannah Arendt sich dagegen. „Das Böse ist immer nur extrem, aber niemals radikal, es hat keine Tiefe, auch keine Dämonie“, meint sie.

Mit Stapeln von Notizen, Protokollen und Prozessakten im Gepäck kehrt Hannah Arendt nach New York zurück.

Bald darauf bricht Heinrich Blücher zusammen. Charlotte Beradt findet ihn, und Mary McCarthy alarmiert ihre Freundin Hannah Arendt, die gerade eine Vorlesung in der Columbia-Universität hält. Im Krankenhaus wird bei Heinrich Blücher ein Gehirnaneurysma diagnostiziert.

Er ist bereits wieder zu Hause, als er durch einen Anruf erfährt, dass Adolf Eichmann zum Tod verurteilt wurde. Hannah Arendt hat nichts anderes erwartet, und es interessiert sie auch nicht weiter. Sie beabsichtigt, statt eines Zeitungsberichtes einen philosophischen Essay über die Gerichtsverhandlung gegen Adolf Eichmann in Jerusalem zu schreiben.

Es dauert lang, bis sie dem „New Yorker“ ihren Text schickt. Die Redakteurin Francis Wells (Megan Gay) meinte schon: „Tolstoi hat für ‚Krieg und Frieden‘ weniger Zeit gebraucht.“ Gegen Francis Wells‘ Rat veröffentlicht William Shawn Hannah Arendts Beitrag ab Februar 1963 in sechs Folgen: „A Reporter at Large. Eichmann in Jerusalem“.

Obwohl ein israelischer Geheimagent Hannah Arendt während eines Spaziergangs anspricht und sie auffordert, das geplante Buch über Eichmann zurückzuziehen, veröffentlicht sie kurz nach den Zeitungsartikeln das Buch: „Eichmann in Jerusalem. A Report on the Banality of Evil“.

Hannah Arendt drückt ihre Verwunderung über die „furchtbare Banalität des Bösen“ aus. Sie spricht Adolf Eichmann jede „dämonisch-teuflische Tiefe“ ab. Wie viele andere Täter und Mitläufer im „Dritten Reich“ sei er ein gedankenloser Bürokrat und Schreibtischtäter gewesen, behauptet sie.

Ein Sturm der Empörung bricht los. Man wirft Hannah Arendt vor, sie verharmlose Kriegsverbrecher wie Adolf Eichmann. Aufgebracht sind vor allem die jüdischen Leser auch über Hannah Arendts Kritik an der Kooperation der im September 1939 geschaffenen Judenräte mit den Nationalsozialisten bei der Verwaltung jüdischer Bevölkerungsgruppen in Osteuropa und beim Holocaust. Versucht Hannah Arendt den Juden eine Mitverantwortung an der Organisation des beispiellosen Genozids zuschieben?

Hans Jonas wirft seiner ehemaligen Kommilitonin und langjährigen Freundin vor, arrogant und uneinsichtig zu sein. Fortan will er mit „Heideggers Lieblingsstudentin“ nichts mehr zu tun haben.

Als Hannah Arendt erfährt, dass Kurt Blumenfeld todkrank ist, eilt sie zu ihm ans Bett, aber er wendet sich wegen ihrer Texte von ihr ab und stirbt am 21. Mai 1963, ohne sich wieder mit ihr versöhnt zu haben.

In der Universität fordert man sie auf, ihren Lehrauftrag niederzulegen. Aber sie weigert sich und hält weiter ihre Vorlesungen.

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„Hannah Arendt. Ihr Denken veränderte die Welt“ ist kein Biopic. Pam Katz und Margarethe von Trotta konzentrieren sich auf die Zeit von Mai 1960 (Eichmanns Verschleppung aus Argentinien) bis zum Frühjahr 1963 (Hannah Arendts Veröffentlichungen über den Eichmann-Prozess und die dadurch ausgelöste Kontroverse). Außerdem sind Rückblenden eingebaut, in denen die Liebesbeziehung zwischen Martin Heidegger (Klaus Pohl) und seiner 17 Jahre jüngeren Studentin Hannah Arendt (Friederike Becht) angerissen wird. Diese Rückblenden sind allerdings missraten und wirken wie Fremdkörper in dem Film.

Der Film basiert auf Gesprächen mit Menschen, die Hannah Arendt persönlich kannten, darunter Wallace Shawn, einer der Söhne von William Shawn, dem Chefredakteur des „New Yorker“, Hannah Arendts Sekretärin Ingrid Scheib-Rothbart, ihre Biografin Elisabeth Young-Bruehl, Lore Jonas, die Witwe des Philosophen Hans Jonas, Jerome Kohn, der Herausgeber der posthumen Schriften Hannah Arendts, und Lotte Köhler, die im Film von Julia Jentsch dargestellt wird. (Lotte Köhler starb am 24. März 2011 im Alter von 92 Jahren.)

Zwar kommen auch Hannah Arendts Kritiker zu Wort, da jedoch aus der Perspektive der Autorin erzählt wird, fehlt es an Distanz zu ihr.

Dass in „Hannah Arendt. Ihr Denken veränderte die Welt“ vor allem gesprochen, vorgetragen und diskutiert wird, dürfte niemand überraschen. Der Film ist ein Plädoyer für eigenständiges Denken, aber kein trockenes Lehrstück, denn Pam Katz und Margarethe von Trotta haben das Porträt Hannah Arendts und ihre umstrittenen Thesen in eine bewegende Handlung eingebettet.

Statt Adolf Eichmann von einem Schauspieler verkörpern zu lassen, verwendet Margarethe von Trotta Original-Filmmaterial vom Prozess in Jerusalem, das ihr vom Steven Spielberg Jewish Film Archive an der Hebräischen Universität Jerusalem zur Verfügung gestellt wurde. Diese Schwarz-Weiß-Bilder sind sehr geschickt eingebaut. Hin und wieder sieht Hannah Arendt sie auf einem Bildschirm im Pressezentrum, andere Szenen werden bildfüllend gezeigt, und die Kamera schwenkt einmal von einer schwarz-weißen Silhouette des Angeklagten auf das in Farbe zu sehende Publikum.

Barbara Sukowa und Hannah Arendt sehen sich zwar nicht ähnlich, aber entscheidend ist die schauspielerische Leistung der Hauptdarstellerin. Und dabei überzeugt Barbara Sukowa – wie schon in Margarethe von Trottas Film „Rosa Luxemburg“ – mit einer einfühlsamen, differenzierten, facettenreichen und eindrucksvollen Darstellung.

Das Drehbuch soll bereits 2004 existiert haben. Aber es dauerte lang, bis die Finanzierung des Filmprojekts geregelt war. Gedreht wurde schließlich vom 16. Oktober bis 17. Dezember 2011 in Nordrhein-Westfalen, Luxemburg und Jerusalem. Als Kulisse für Hannah Arendts Landhaus diente ein unter Denkmalschutz stehendes Forsthaus auf der Herchener Höhe nördlich von Oberrieferath, das auf der World’s Columbian Exposition 1893 in Chicago ausgestellt und dann nach Europa versetzt worden war.

Literaturhinweis: Martin Wiebel (Hg.): Hannah Arendt. Ihr Denken veränderte die Welt. Das Buch zum Film von Margarethe von Trotta. (Piper, München 2012, ISBN 978-3-492-30175-6).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013

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