Edmund de Waal : Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen
Originalausgabe: The Hare with Amber Eyes. A Hidden Inheritance Chatto & Windus, London 2010 Der Hase mit den Bernsteinaugen.Das verborgene Erbe der Familie Ephrussi Übersetzung: Brigitte Hilzensauer Paul Zsolnay Verlag, Wien 2011 ISBN: 978-3-552-05556-8, 351 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Charles Joachim Ephrussi (1793 – 1864) macht aus einem kleinen Weizenhandel in Odessa ein riesiges Unternehmen. Die Familiengeschichte, die Edmund de Waal erzählt, beginnt allerdings erst nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 in Paris. Er folgt einer Sammlung von 264 Netsuke auf dem Weg von Paris über Wien nach Tokio und schließlich nach London. Dabei spiegelt sich in der Familienchronik die Zeitgeschichte.
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Kritik

Unter dem Titel "Der Hase mit den Bernsteinaugen" legt Edmund de Waal eine elegant, anschaulich und mit viel Empathie geschriebene Chronik der jüdischen Familie Ephrussi vor, von der er mütterlicherseits abstammt.
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Charles Joachim Ephrussi (1793 – 1864) macht aus einem kleinen Weizenhandel in Odessa ein riesiges Unternehmen. Er und seine erste Ehefrau Belle (Levensohn) bekommen zwei Söhne: Leon und Ignaz. Vier weitere Kinder stammen von Henriette (Halperson, 1822 – 1888), seiner zweiten Ehefrau, die er nach dem Tod Belles (1841) heiratete: Michel (1845 – 1914), Maurice (1849 – 1916), Therese (1851 – 1911) und Marie (1853 – 1924).

Leon Ephrussi (1826 – 1871), der älteste Sohn, der in Odessa ein Bankhaus gründete, zieht noch zu Lebzeiten seines Vaters mit seiner Frau Mina (Landau, 1824 – 1888) und den vier Kindern Jules (1846 – 1915), Ignaz (1848 – 1908), Charles (1849 – 1905) und Betty (1851 – 1871) nach Paris und gründet dort eine Niederlassung der Bank.

Als er 1871 im Alter von 45 Jahren an Herzversagen stirbt, übernimmt Jules Ephrussi die Leitung der Bank. Mit seiner Ehefrau Fanny (Pfeiffer), den Brüdern Ignaz und Charles, der verwitweten Mutter Mina und Bediensteten richtet er sich 1871 in einer neu gebauten Stadtvilla in Paris ein, im Hôtel Ephrussi.

Charles Ephrussi, der in Odessa aufwuchs und dann zehn Jahre lang bei seinem Onkel Ignaz und seiner Tante Emilie in Wien lebte, reüssiert in den angesagten Pariser Salons und nimmt sich eine Geliebte: Louise Cahen d’Anvers (1837 – 1922). Sie ist zwölf Jahre älter als er, mit einem jüdischen Bankier verheiratet und nennt ihr fünftes, 1879 geborenes Kind Charles. Louise kauft bei Philippe Sichel japanische Lackkästchen, und dann erwirbt Charles von dem Kunsthändler 264 Netsuke, und zwar nicht einzeln, sondern als komplette Sammlung. (Netsuke, das sind kleine aus Elfenbein oder Buchsbaumholz geschnitzte japanische Figuren.)

Bestellte er sie bei Sichel? Wurden sie in Kyoto von einem schlauen Händler über ein, zwei Jahre von jüngst Verarmten zusammengekauft und weiterverhökert? Ich sehe sie mir genau an. Einige wenige wurden für den westlichen Mark geschaffen und zehn Jahre zuvor in aller Eile angefertigt. Der dickliche Junge mit dem albernen Lächeln und der Maske gehört sicher dazu. Er ist grob ausgeführt, vulgär. Die überwiegende Mehrzahl der Netsuke aber wurde vor der Ankunft von Commodore Perry geschnitzt, manche hundert Jahre zuvor. Es gibt Menschenfiguren, Tiere, Erotika und mythische Wesen. Sie behandeln die meisten Themen, die man in einer umfassenden Sammlung erwarten würde. Einige wurden von berühmten Schnitzern signiert. Diese Sammlung wurde von einem Fachmann zusammengestellt.
War Charles nur zufällig bei Sichel, mit Louise, bei den Kaskaden von Seide, den Mappen mit den Drucken, den Wandschirmen und dem Porzellan, bevor die anderen Sammler die Schatzkammer entdeckten? Wandte sie sich ihm zu, oder er ihr?
Oder war Louise nicht dabei? War das als Überraschung für sie gedacht, wenn sie das nächste Mal in seine Räume hinaufkommen würde?
Wie viel haben sie diesen jungen Mann, diesen eigenwilligen, charmanten Sammler gekostet?

Charles Ephrussi schreibt ein Buch über Albrecht Dürer und wird 1885 Eigentümer der Gazette des Beaux Arts. Als einer der Ersten sammelt er Impressionisten wie Berthe Morisot. Mit Pierre-Auguste Renoir und Edgar Degas ist er befreundet. Marcel Proust, der ihm mehrmals begegnet, nimmt ihn als Vorbild für die Romanfigur Charles Swann („Eine Liebe Swanns“).

1891 zieht Charles mit seinem Bruder Ignaz in eine neue Wohnung. Seine Begeisterung für japanische Kunstgegenstände ist inzwischen verflogen, denn es ist Mode geworden, sie zu sammeln, und sie stehen als Nippes in zahlreichen Vitrinen.

1894 wird der aus dem jüdischen Bürgertum stammende französische Hauptmann Alfred Dreyfus (1859 – 1935) wegen angeblichen Geheimnisverrats verurteilt und lebenslänglich auf die berüchtigte „Teufelsinsel“ in Französisch-Guyana verbannt. Der Antisemitismus greift um sich. Die Ephrussi werden zwar weiterhin als Mäzene hofiert, jedoch als Juden verachtet.

Louise Cahen d’Anvers trennt sich um 1900 von Charles Ephrussi und wird die Geliebte des spanischen Königs Alfons XIII. (1886 – 1941), der 49 Jahre jünger ist als sie.

Die 264 Netsuke werden 1899 gut verpackt nach Wien geschickt, und zwar als Hochzeitsgeschenk für Charles‘ Cousin Viktor von Ephrussi und Baronesse Emmy Schey von Koromla.

Der Wiener Zweig der Familie Ephrussi wurde 1856 von Leons jüngerem Bruder Ignaz Ephrussi (1829 – 1899) gegründet. Er stieg zum zweitreichsten Bankier in Wien auf und wurde vom Kaiser geadelt. Ritter Ignaz von Ephrussi und seine aus Wien stammende Ehefrau Emilie (Porges, 1836 – 1900) bekamen drei Kinder: Stefan (1856 – 1911), Anna (1859 – 1938) und Viktor (1860 – 1945). 1869 beauftragte Ignaz von Ephrussi den dänisch-österreichischen Baumeister Theophil Hansen mit dem Bau eines Stadtpalais in Wien. Es wurde Anfang der Siebzigerjahre bezugsfertig.

Anna konvertierte am 25. Juni 1889 zur römisch-katholischen Kirche und vermählte sich mit Paul Herz von Hertenried. Elf Tage nach der Hochzeit brannte ihr Bruder Stefan, der eigentlich das Familienunternehmen hätte übernehmen sollen, mit Estiha durch, der russischen Mätresse seines Vaters (der Emilie sogar mit deren Schwestern betrog). Daraufhin wurde er sofort enterbt, und sein vier Jahre jüngerer Bruder Viktor, der als dreijähriges Kind aus Odessa nach Wien gekommen war und jetzt ein Buch über die byzantinische Geschichte schreiben wollte, musste ebenso plötzlich seine Lebensplanung ändern und sich mit dem Bankgeschäft vertraut machen.

Viktor vermählt sich am 7. März 1899 in der Wiener Synagoge mit der gerade 18 Jahre alt gewordenen Tochter des Barons Paul Schey von Koromla und dessen Ehefrau Evelina (Landauer). Die beiden kannten sich schon als Kinder, denn die Eltern waren befreundet. Viktor scheint Emmy geliebt zu haben, aber sie erwiderte seine Gefühle wohl nicht und hatte von Anfang an Affären.

Ignaz von Ephrussi stirbt am 3. Juni 1899, drei Monate nach der Eheschließung seines jüngeren Sohnes, der nun das Erbe antreten muss.

Noch im selben Jahr, neun Monate nach der Hochzeit, bringt Emmy ihr erstes Kind zur Welt: Elisabeth (1899 – 1991). Es folgen Gisela (1904 – 1985), Ignaz („Iggie“, 1906 – 1994) und Rudolf (1918 – 1971). Die Kinder sehen ihre Mutter nur zu festgelegten Zeiten. Ansonsten werden sie von Wiener Kinderschwestern bzw. englischen Kindermädchen versorgt.

Als der Erste Weltkrieg ausbricht, besucht Iggie das renommierte, von Mönchen geführte Schottengymnasium, obwohl er Jude ist. Gisela wird von einer Gouvernante unterrichtet, und Elisabeth auf ihren eigenen Wunsch hin von einem Hauslehrer, denn sie möchte später studieren, darf jedoch als Mädchen keine höhere Schule besuchen. Nachdem sie die Prüfung bestanden hat, erhält sie am 2. Juli 1917 ihr Matura-Zeugnis.

Kaiser Franz Joseph I. starb am 21. November 1916. Im Oktober 1918 übernehmen die Tschechen in Prag die Macht und proklamieren die Tschechoslowakische Republik. Am 12. November ruft die Provisorische Nationalversammlung auch für Deutschösterreich die Republik aus. Kaiser Karl I. hat Schloss Schönbrunn in der Nacht zuvor verlassen und sich mit der Familie auf seinen Privatbesitz Schloss Eckartsau im Marchfeld zurückgezogen. Am 24. März 1919 geht er ins Exil in die Schweiz. In dem am 10. September 1919 in Saint-Germain-en-Laye unterzeichneten Staatsvertrag werden die Gebietsverluste und die Grenzen der Nachfolgestaaten der Doppelmonarchie festgelegt.

Jules Ephrussi starb 1915 kinderlos in Paris, und weil er sich mit dem Wiener Familienzweig überworfen hatte, hinterließ er alles seinen französischen Verwandten. Viktors Besitz in Russland – Gold in St. Petersburg, Anteile an Banken, Eisenbahnen und den Ölfeldern in Baku – ging durch die Oktoberrevolution verloren, und seine Vermögenswerte sowohl in Paris als auch in London wurden von den Alliierten konfisziert. Die von Viktor gezeichneten Kriegsanleihen sind wertlos geworden. In einer Krisensitzung am 6. und 8. März 1921 gewinnt er seinen Freund Rudolf Gutmann (1880 – 1966) dafür, sich an der Ephrussi-Bank zu beteiligen. Als auch eine Berliner Bank einen Anteil übernimmt, gehört Viktor nur noch die Hälfte. Dass unter seiner Verantwortung ein Großteil des Familienerbes verloren ging, macht ihm schwer zu schaffen.

Elisabeth studiert Philosophie, Jura und Wirtschaft. Sie schreibt Gedichte (später auch einen Roman) und beginnt 1921 einen Briefwechsel mit Rainer Maria Rilke, der bis zu dessen Tod (1926) anhält. 1924 promoviert sie als eine der ersten Frauen in Wien in Jura und setzt ihr Studium mit einem Rockefeller-Stipendium in den USA fort. Danach studiert sie in Paris Politikwissenschaften. Sie heiratet den geschiedenen Holländer Hendrik („Henk“) de Waal, der einen Sohn namens Robert mit in die Ehe bringt. Elisabeth gebiert auch noch zwei eigene Kinder: Viktor (1929) und Constant Hendrik (1931).

Bald nach Elisabeth zieht ihre fünf Jahre jüngere Schwester Gisela aus Wien fort: Sie wohnt ab 1925 mit ihrem Ehemann, dem spanischen Bankier Alfredo Bauer, in Madrid und emigriert schließlich nach Mexiko, wo sie das Familieneinkommen als Putzfrau aufbessert.

Iggie verlässt Wien nach der Matura. Im Juli 1933 wird er zurückerwartet und soll in der Bank anfangen, doch wegen der politischen Veränderungen setzt er sich zunächst nach Paris und später nach New York ab. Er arbeitet in einem Modehaus.

Der seit 1934 diktatorisch regierende österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg (1897 – 1977) bereitet für den 13. März 1938 eine Volksabstimmung für ein „freies und deutsches, unabhängiges und soziales, ein christliches und einiges Österreich“ vor. Am 10. März wird er von Hitler gezwungen, die Volksabstimmung abzusagen, und am Tag darauf muss er auf Verlangen Hermann Görings zurücktreten. Nationalsozialisten dringen ins Palais Ephrussi in Wien ein und zerstören Einrichtungsgegenstände. Am 13. März, einen Tag nach dem Einmarsch deutscher Truppen, erfolgt der „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich.

Am 23. April wird zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen. Am selben Tag durchsucht die Gestapo das Palais Ephrussi unter dem Vorwand, die Familie habe Schuschniggs Vorhaben finanziell unterstützt. Viktor und sein 19-jähriger Sohn Rudolf werden festgenommen und bleiben eingesperrt, bis das Familienoberhaupt nach drei Tagen schriftlich auf den gesamten Besitz in Wien verzichtet. Man weist der Familie zwei Zimmer im Palais zu. Das Gebäude sei arisiert, heißt es am 27. April. Nachdem die Wertsachen im Juni abtransportiert wurden, richtet das Amt Rosenberg in den Räumen Büros ein.

Zur gleichen Zeit beginnt eine dreitägige Durchsuchung der Bank. Dann zahlt der Prokurist C. A. Steinhäusser Viktor von Ephrussi aus, und das Bankhaus Ephrussi wird am 12. August aus dem Handelsregister genommen. Drei Monate später erfolgt der Eintrag des Bankhauses C. A. Steinhäusser. Es ist sechsmal mehr wert als die Summe, die Viktor erhalten hat. (Steinhäusser avanciert später zum Vizepräsidenten des Verbandes österreichischer Banken und Bankiers.)

Rudolf von Ephrussi darf am 1. Mai 1938 in die USA ausreisen. Elisabeth kommt aus der Schweiz, wo sie sich mit den Kindern aufhält. Die Juristin, die einen holländischen Pass besitzt, kümmert sich darum, dass ihre Eltern am 20. Mai eine Ausreisegenehmigung erhalten. Am nächsten Tag bringt sie Viktor und Emmy zu Fuß zum Bahnhof, und während die beiden nach Kövecses fahren, wo sie ein Sommerhaus besitzen, kehrt Elisabeth in die Schweiz zurück.

Zur gleichen Zeit beginnt die Sudetenkrise. Der drohende Krieg wird durch die Münchner Konferenz vom 29./30. September 1938 erst einmal abgewendet, aber die Tschechoslowakei muss das Sudentenland dem Deutschen Reich überlassen.

Emmy nimmt sich am 12. Oktober mit einer Überdosis ihrer Herztabletten das Leben [Suizid]. Der Witwer erhält am 1. März 1939 von der britischen Passstelle in Prag ein Visum. Elisabeth verlässt am nächsten Tag mit den Kindern die Schweiz, und am 4. März holt sie ihren Vater am Flughafen Croydon südlich von London ab. Hendrik de Waal hat für sie alle Hotelzimmer in Tunbridge Wells besorgt. Einige Zeit später richten sie sich in einer Mietswohnung in derselben Stadt ein.

Viktor von Ephrussi stirbt am 12. März 1945 in Tunbridge Wells.

Elisabeth reist schließlich nach Wien und betritt am 8. Dezember 1945 wieder ihr Elternhaus, in dem sich jetzt Büros der amerikanischen Besatzungsmacht befinden (Legal Council Property Control Sub-Section). Zu ihrer Überraschung erfährt sie, dass Anna, das langjährige Dienstmädchen der Familie, noch im ehemaligen Palais Ephrussi wohnt. Anna übergibt ihr die 264 Netsuke, die ihre Eltern von Charles Ephrussi zur Hochzeit geschenkt bekamen. Anna konnte zwar nicht riskieren, eines der wertvollen Gemälde zu unterschlagen, trug jedoch immer wieder drei oder vier der kleinen japanischen Figuren in ihrer Schürze in ihr Zimmer und versteckte sie dort im Bett.

Iggie und sein zwölf Jahre jüngerer Bruder nahmen während des Krieges die US-Staatsbürgerschaft an und meldeten sich zur Armee. Seine Tätigkeit als Modedesigner nimmt Iggie nicht wieder auf. Stattdessen arbeitet er nach dem Krieg für eine Schweizer Bank, für die er nun in Japan das Geschäft aufbauen soll. Mit einer Einreiseerlaubnis der Amerikaner trifft er am 7. Dezember 1947 in Tokio ein.

Im Juli 1952 lernt er den 20 Jahre jüngeren Japaner Jiro Sugiyama kennen. Die beiden werden ein Paar und bleiben bis zu Iggies Tod im Jahr 1994 zusammen. Sie erwerben 1970 ein Grundstück in Takanawa, bauen ein Haus und beziehen es 1972.

Hendrik de Waal arbeitet nach dem Krieg für eine UN-Hilfsorganisation in London. Viktor, der ältere der beiden Söhne von ihm und Elisabeth, wird anglikanischer Priester in Nottingham und heiratet die Historikerin Esther Moir, die Tochter eines Vikars. Sie bekommen vier Kinder: John (* 1962), Alexander (* 1963), Emund (* 1964) und Thomas (* 1966).

Edmund de Waal lässt sich zum Töpfer ausbilden und studiert dann Literatur. Ein Stipendium ermöglicht ihm 1992 einen einjährigen Japan-Aufenthalt, den er auch dazu nutzt, seinen Großonkel Iggie regelmäßig zu besuchen. Dabei fallen ihm die Netsuke auf, unter anderem ein Hase mit Bernsteinaugen.

Iggie stirbt 1994 im Alter von 88 Jahren. Sein Lebensgefährte Jiro Sugiyama übergibt Edmund de Waal die 264 Netsuke, die Iggie seinem Großneffen vermacht hat. Edmund de Waal nimmt sie mit nach London. Und er schreibt schließlich nach jahrelangen Recherchen das vorliegende Buch.

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Unter dem Titel „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ legt Edmund de Waal eine Chronik der jüdischen Familie Ephrussi vor, von der er mütterlicherseits abstammt. Die Geschichte beginnt allerdings nicht mit dem Aufbau des Familienunternehmens in Odessa, sondern erst nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 in Paris. Edmund de Waal folgt einer Sammlung von 264 Netsuke auf dem Weg von Paris über Wien nach Tokio und schließlich nach London. Die einzelnen Abschnitte sind überschrieben mit: „Paris 1871 – 1899“, „Wien 1899 – 1938“, „Wien, Kövecses, Tunbridge Wells, Wien 1938 – 1947“, „Tokio 1947 – 1991“ und „Tokio, Odessa, London 2001 – 2009“. Edmund de Waal, der mit seiner Familie in London lebt, erzählt von seinen Nachforschungen in Paris, Wien, Tokio und Odessa, vor allem aber vom Niedergang eines Geschlechts von Kaufleuten und Bankiers. Dabei spiegelt sich in der Familienchronik die Zeitgeschichte: Dreyfus-Affäre, Erster Weltkrieg, Zerstückelung der k. u. k. Monarchie, „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich, Judenverfolgung.

„Der Hase mit den Bernsteinaugen“ ist elegant, anschaulich und mit viel Empathie geschrieben. Ein Stammbaum der Familie Ephrussi auf dem Vorsatz hilft bei der Orientierung.

Edmund de Waal zählt zwar auf gut einer Seite einige der 264 Netsuke auf, aber über die Herkunft der Figuren hat er offenbar nichts herausgefunden (siehe Leseprobe). Die Korrektheit der Angaben zur Familiengeschichte lassen sich nicht ohne weiteres überprüfen, aber bei den zeitgeschichtlichen Angaben gibt es Ungenauigkeiten. Beispielsweise flüchtete Kaiser Karl I. nicht am 12. November 1918 in die Schweiz, wie es auf Seite 205 heißt, sondern zog sich auf seinen Privatbesitz Schloss Eckartsau im Marchfeld zurück. (In die Schweiz emigrierte er erst am 24. März 1919.) Auf Seite 213 schreibt Edmund de Waal von einer Vorläuferin der Deutschen Bank, die sich 1921 am Bankhaus Ephrussi in Wien beteiligte. Aber zu diesem Zeitpunkt existierte die Deutsche Bank bereits seit 51 Jahren.

Den Roman „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ von Edmund de Waal gibt es in einer gekürzten Fassung auch als Hörbuch, gelesen von Hanns Zischler (Regie: Corinna Zimber, Freiburg i. B. 2012, 425 Minuten, ISBN 978-3-89964-455-5).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012
Textauszüge: © Paul Zsolnay Verlag

 

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.